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7.1 Reihen

Definition 7.1 (Reihen).

Sei (ak )k eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Wir wollen die (unendliche) Reihe k=1ak betrachten, wobei ak für k das k-te Glied oder der k-te Summand der Reihe genannt wird. Für n ist die n-te Partialsumme der Reihe k=1ak durch sn = k=1nak gegeben. Wir nennen die Reihe k=1ak konvergent, falls der Grenzwert

k=1a k = lim n k=1na k = lim nsn

in existiert, wobei wir diesen dann als Wert der Reihe bezeichnen. Ansonsten nennen wir die Reihe divergent.

Eine kleine Warnung: Mit „Sei k=1ak eine Reihe …“ meinen wir trotz der Notation nicht wirklich, dass k=1ak effektiv eine Zahl darstellt. Vor allem bevor wir wissen, ob die Reihe konvergent ist, ist k=1ak vielmehr als formales Objekt zu verstehen (gewissermassen als die Folge der Partialsummen), dessen Konvergenzeigenschaften wir untersuchen wollen.† Manche Autoren verwenden in diesem Zusammenhang auch nan für die Reihe als formales Objekt, welches mit der Folge der Partialsummen identifiziert werden kann, und n=1an für den Wert der Reihe. Der erste Summand der Reihe muss nicht immer dem Index k = 1 zugeordnet sein und obige Definition ist in solchen Fällen entsprechend anzupassen.

Eine einfache aber auch sehr wichtige Eigenschaft konvergenter Reihen ist in folgender Proposition enthalten.

Proposition 7.2 (Nullfolgen).

Falls die Reihe k=1ak konvergiert, dann ist die Folge (an)n eine Nullfolge, das heisst lim nan = 0.

Beweis.

Nach Annahme haben die Partialsummen sn = k=1nak für n einen Grenzwert  lim nsn = S = k=1ak und damit gilt ebenso

lim nan = lim n (sn sn1) = S S = 0.   

Beispiel 7.3 (Geometrische Reihe).

Die geometrische Reihe n=0qn zu q (oder ) konvergiert genau dann, wenn |q| < 1 ist. In diesem Fall ist

k=0qk = 1 1 q.

In der Tat impliziert Konvergenz der Reihe mittels Proposition 7.2, dass |q| < 1. Umgekehrt gilt für |q| < 1 auf Grund der geometrischen Summenformel in Proposition 3.8 und der Konvergenz der geometrischen Folge in Beispiel 5.34, dass

k=0nqk = 1 qn+1 1 q 1 1 q

für n .

Beispiel 7.4 (Harmonische Reihe).

Die Umkehrung von Proposition 7.2 gilt nicht. Beispielsweise ist die harmonische Reihe k=11 k divergent.

Wir beweisen die Divergenz mit einer konkreten Abschätzung. Sei n = 2 , dann erfüllt die Partialsumme der harmonischen Reihe für n die Abschätzung

k=12 1 k = 1 + 1 2 + 1 3 + 1 4 + 1 5 + 1 6 + 1 7 + 1 8 + 1 9 + + 1 21 + 1 + + 1 2 1 + 1 2 + 1 4 + 1 4 =1 2 + 1 8 + 1 8 + 1 8 + 1 8 =1 2 + 1 16 + + 1 2 + + 1 2 =1 2 = 1 + 2.

Da  beliebig war, erkennen wir, dass die Partialsummen nicht beschränkt sind, und daher ist die harmonische Reihe divergent.

Wir präsentieren noch eine kleine Anwendung der Divergenz der harmonischen Reihe aus dem Alltag.

Beispiel 7.5 (Harmonischer Springturm).

Wir wollen am Rande des Zürichsees einen Springturm bauen, der aus einzelnen quaderförmigen Bausteinen (von gleicher Form und gleichem Material) besteht und möglichst weit in den See hineinragen soll. Wie weit können wir kommen, ohne die Bausteine aneinander oder an das ebene, äusserst stabile, am Uferrand liegende Fundament zu befestigen? Wir wollen n Bausteine von 2 Metern Länge verwenden und rechnen von oben weg jeweils aus, wie weit die Bausteine zueinander verschoben sein dürfen, ohne dass der Turm einstürzt. Für n = 1 sehen wir in Figur 7.1, dass der Baustein 1m in den See ragen kann.

PIC

     Figur 7.1: Der Schwerpunkt s des Bausteins muss oberhalb des Ufers liegen, denn sonst kippt der Stein in den See. Wir wollen im Folgenden immer den Grenzfall, wo der Schwerpunkt genau über dem Uferrand liegt, ebenso als stabil erklären.     

Wir schieben jetzt einen Baustein von unten ein und wollen beide Bausteine soweit wie möglich in den See schieben.

PIC

     Figur 7.2: Bei beiden Steinen gibt es jetzt auch zwei Punkte, bei denen der Turm kippen und zumindest teilweise in den See stürzen könnte. Der obere Kipppunkt ist kein Problem, da wir beide Steine gemeinsam verschoben haben und somit den Schwerpunkt des oberen Steins genau am Rand des unteren liegt.     

Um zu bestimmen, wie weit man beide Steine in Richtung See schieben darf, berechnen wir den Schwerpunkt der beiden Steine gemeinsam. Hierfür verwenden wir ein geeignetes Koordinatensystem; nämlich messen wir nach rechts vom Uferrand (also der linken Kante des unteren Steins) aus – siehe dazu das linke Bild in Figur 7.2. Der Schwerpunkt des oberen Steins hat in diesem Koordinatensystem die Koordinate 0, der untere die Koordinate 1 und damit beide zusammen die Koordinate 1 2 = 0+1 2 . Also können wir beide 1 2m in Richtung See verschieben und kommen somit total 1m + 1 2m = 3 2m in den See hinein.

Wir heben jetzt diese beiden an und fügen einen weiteren Stein so hinzu, dass die linke Kante genau unter dem Schwerpunkt der ersten zwei und damit am Uferrand zu liegen kommt. Wir müssen also wieder den gemeinsamen Schwerpunkt dieser drei Steine bestimmen. Die oberen beiden haben den gemeinsamen Schwerpunkt 0, der untere hat die Koordinate 1 und somit haben alle drei zusammen den Schwerpunkt 1 3 = 20+11 3 . Wir verschieben also alle drei um 1 3m in Richtung See, was eine totale Verschiebung von 1m + 1 2m + 1 3m ergibt, und wiederholen den Vorgang so oft wie wir wollen. Da aber die Partialsummen der harmonischen Reihe unbeschränkt sind, können wir damit beliebig weit in den See hineinbauen. Eine interaktive Darstellung dieses Vorgehens findet man unter diesem Link und ein Video unter diesem.

Für die Praxis ist diese Methode kaum zu empfehlen, zum einen haben wir das Gewicht des Turmspringers ignoriert, und weiters haben wir nicht beschrieben, wie hoch der Turm wirklich wird, wenn wir auch nur 10m in den See hineinreichen wollen (da in diesem Fall n = 12367 Bausteine notwendig sind).

Die folgenden drei Lemmata sind einfache Konsequenzen der Definition der Konvergenz von Reihen.

Lemma 7.6 (Linearität).

Seien k=1ak, k=1bk konvergente Reihen und α . Dann sind die Reihen k=1(ak + bk), k=1(αak) konvergent und es gilt

k=1(a k + bk) = k=1a k + k=1b k, k=1(αa k) = α k=1a k.

Also bilden konvergente Reihen einen Vektorraum über  und der Wert der Reihe stellt eine lineare Abbildung auf diesem Vektorraum nach  dar.

Übung 7.7.

Beweisen Sie Lemma 7.6.

Lemma 7.8 (Indexverschiebung für Reihen).

Sei k=1ak eine Reihe. Für jedes N ist die Reihe k=Nak = =1a+N1 genau dann konvergent, wenn die Reihe k=1ak konvergent ist. In diesem Fall gilt

k=1a k = k=1N1a k + k=Na k.

Insbesondere zeigt Lemma 7.8, dass das Konvergenzverhalten einer Reihe sich nicht ändert, wenn endlich viele Glieder der Reihe weggelassen, hinzugefügt oder geändert werden. Wir werden diese zentrale Eigenschaft oft und deswegen mitunter auch implizit verwenden.

Beweis.

Für n N gilt

k=1na k = k=1N1a k + k=Nna k.

Insbesondere konvergieren die Partialsummen von k=Nak genau dann, wenn die Partialsummen von k=1ak konvergieren und das Lemma folgt.   

Lemma 7.9 (Zusammenfassen von benachbarten Gliedern).

Sei n=1an eine konvergente Reihe und (nk)k eine streng monoton wachsende Folge natürlicher Zahlen. Definiere A1 = a1 + + an1 und Ak = ank1 +1 + + ank für k 2. Dann gilt

k=1A k = n=1a n.

Beweis.

Die K-te Partialsumme von k=1Ak ist

k=1KA k = (a1 + + an1) + (an1+1 + + an2) + + (anK1+1 + + anK) = n=1nK an.

Somit bilden die Partialsummen von k=1Ak eine Teilfolge der konvergenten Folge der Partialsummen von n=1an.   

Beispiel 7.10.

Die Umkehrung von Lemma 7.9 gilt im Allgemeinen nicht. Beispielsweise ist die Reihe n=1(1)n nach Proposition 7.2 divergent, aber die Reihe k=1((1)2k1 + (1)2k), die aus zusammengefügten Gliedern von n=1(1)n besteht, ist konvergent, da jedes Glied Null ist.

7.1.1 Reihen mit nicht-negativen Gliedern

Für Reihen mit nicht-negativen Gliedern gilt folgende fundamentale Eigenschaft.

Proposition 7.11 (Monotone Partialsummen).

Für eine Reihe k=1ak mit nicht-negativen Gliedern ak 0 für alle k bilden die Partialsummen sn = k=1nak eine monoton wachsende Folge. Falls diese Folge der Partialsummen beschränkt ist, dann konvergiert die Reihe k=1ak. Ansonsten gilt

k=1a k = lim nsn = .

Insbesondere können wir für die harmonische Reihe in Beispiel 7.4

n=11 n =

schreiben.

Beweis.

Aus an+1 0 folgt sn+1 = sn + an+1 sn für alle n . Falls die Partialsummen  {snn } zusätzlich noch beschränkt sind, dann sind diese (und damit auch die Reihe) konvergent nach Satz 6.5.   

Korollar 7.12 (Vergleichssatz).

Seien k=1ak, k=1bk zwei Reihen mit der Eigenschaft 0 ak bk für alle k . Dann gilt k=1ak k=1bk und insbesondere gelten die Implikationen

k=1b k konvergent  k=1a k konvergent  k=1a k divergent  k=1b k divergent .

Diese beiden Implikationen treffen auch dann zu, wenn 0 an bn nur für alle hinreichend grossen n gilt.

Man nennt unter den Annahmen des Korollars die Reihe k=1bk eine Majorante der Reihe k=1ak, und letztere auch eine Minorante der Reihe k=1bk. Daher spricht man auch von dem Majoranten- und dem Minorantenkriterium.

Beweis.

Aus ak bk für alle k folgt k=1nak k=1nbk für alle n . Somit gilt nach Monotonie der Folge der Partialsummen

k=1a k = sup { k=1na kn } sup { k=1nb kn } = k=1b k.

Die letzte Aussage der Proposition ist nun eine Konsequenz von Lemma 7.8 (wieso?).   

Übung 7.13.

Zeigen Sie, dass die Annahme in Korollar 7.12, dass die Reihen k=1ak, k=1bk nicht-negative Glieder haben, notwendig ist.

Beispiel 7.14 (Reihe der Kehrwerte der Quadratzahlen).

Die Reihe k=1 1 k2 ist konvergent. Tatsächlich gilt ak = 1 k2 1 k(k1) = bk für k 2 und die Reihe k=1bk ist konvergent, da deren n-te Partialsumme unter Auflösen einer Teleskopsumme (siehe Abschnitt 3.1.1) durch

k=2n 1 k(k 1) = k=2n ( 1 k 1 1 k ) = 1 1 n

gegeben ist.

Beispiel 7.15 (Reihenkonvergenz und Folgenasymptotik).

Wir betrachten die Reihe

n=1 2n 10 n3 10n + 100

und wollen zeigen, dass diese konvergiert. Für dies bemerken wir, dass an = 2n10 n310n+100 im Wesentlichen sich wie  1 n2 verhalten sollte. Genauer formuliert gilt an = O( 1 n2) für n (siehe Abschnitt 6.6) da

lim n an 1n2 = lim n n2(2n 10) n3 10n + 100 = 2.

Daher gibt es ein M > 0 mit an M n2 für alle n (wieso?) und ein N mit 0 an für alle n N. Verwenden wir nun Korollar 7.12 und Beispiel 7.14 ergibt sich die Konvergenz von  n=1 2n10 n310n+100.

Proposition 7.16 (Verdichtung).

Eine Reihe k=1ak mit nicht-negativen, monoton abnehmenden Gliedern a1 a2 0 ist genau dann konvergent, wenn k=12ka2k konvergent ist.

Beweis.

Es gelten auf Grund der angenommenen Monotonie von (an )n die Ungleichungen

a2 a2 a1 2a4 a3 + a4 2a2 22a 8 a5 + a6 + a7 + a8 22a 4

und allgemeiner

2na 2n+1 a2n+1 + + a2n+1 2na 2n

für n . Für die Summen ergibt sich daher die Ungleichung

k=1n+12k1a 2k =22n+1 a k=0n2ka 2k

und wir erhalten die Proposition durch den Grenzübergang n und Korollar 7.12.   

Beispiel 7.17 (p-Test).

Die Reihe n=1 1 np für p konvergiert genau dann, wenn p > 1. Für p 0 ist 1 np 1 für alle n und die Reihe nach Proposition 7.2 somit divergent. Für p 1 gilt 1 n 1 np für alle n und die Reihe divergiert nach Korollar 7.12, da die harmonische Reihe divergiert. Wir wenden nun Proposition 7.16 an. Für p 0 ist ( 1 np )n eine monoton abnehmende Folge und wir erhalten aus Proposition 7.16, dass n=1 1 np genau dann konvergiert, wenn

k=12k 1 (2k)p = k=1(21p)k

konvergiert. Diese geometrische Reihe konvergiert aber nach Beispiel 7.3 genau dann, wenn p > 1 ist.

Übung 7.18.

(i)
Zeigen Sie für p , dass die Reihe  n=2 1 n log (n)p genau dann konvergiert, wenn p > 1 ist.
(ii)
Ist die Reihe n=3 1 n log (n) log (log (n)) konvergent oder divergent?

Übung 7.19 (q-äre Darstellungen).

Sei q , q > 1. In Übung 3.7 haben wir gezeigt, dass jede ganze Zahl eine Ziffernentwicklung zur Basis q besitzt. In dieser Übung wollen wir die analoge Aussage für reelle Zahlen formulieren und beweisen. Sei x . Wegen Übung 3.7 wollen wir sogar annehmen, dass x [0,1). Zeigen Sie, dass eine Folge von Ziffern (αk)k mit αk {1, ,q 1} für alle k existiert, so dass die Reihe k=1αkqk konvergiert und x darstellt im Sinne von

k=1α kqk = x.

Sind die Ziffern (αk)k zu x wie oben eindeutig bestimmt?

Hinweis.

Sei x1 = x und α1 = qx1. Dann gilt |x α1 q | < 1 q (wieso?). Betrachten Sie nun x2 = qx1 qx1 und α2 = x2. Wieder gilt |x2 α2 q | < 1 q, was nun aber |x α1 q α2 q2 | < 1 q2 impliziert. Führen Sie diese Argumentation iterativ fort und finden Sie eine Folge (αk )k mit

|x =1kα q | < 1 qk

für alle k.

7.1.2 Bedingte Konvergenz

Wir sagen, dass eine Reihe n=1an mit komplexen Summanden absolut konvergiert, falls die Reihe n=1|an| konvergiert. Die Reihe n=1an ist bedingt konvergent, falls sie konvergiert, aber nicht absolut konvergiert.

Wie wir im nächsten Abschnitt besprechen werden, haben absolut konvergente Reihen, im Gegensatz zu bedingt konvergenten Folgen, sehr robuste Eigenschaften. Inwiefern letztere über gewisse (widersprüchlich erscheinende) Eigenheiten verfügen, wollen wir in diesem Teilabschnitt erklären.

Beispiel 7.20 (Alternierende harmonische Reihe).

Wir wollen zuerst zeigen, dass die alternierende harmonische Reihe

n=1(1)n+1 n = 1 1 2 + 1 3 1 4 + 1 5 +

bedingt konvergiert. Nach Beispiel 7.4 divergiert die harmonische Reihe

n=11 n = n=1|(1)n+1| n

(nach unendlich). Wir müssen also nur noch Konvergenz der alternierenden Reihe beweisen. Wir betrachten zuerst zu n die 2n-te Partialsumme

s2n = (1 1 2 ) + (1 3 1 4 ) + + ( 1 2n 1 1 2n ) = k=1n ( 1 2k 1 1 2k ) = k=1n 1 2k(2k 1) k=1n 1 k2 k=1 1 k2

Die Folge (s2n)n ist somit monoton wachsend und beschränkt (wegen Beispiel 7.14) und konvergiert damit. Wegen s2n1 = s2n + 1 2n konvergiert aber ebenso die Folge (s2n1)n und gegen den gleichen Limes.Wir werden den Wert dieser Reihe erst später berechnen können. Also konvergiert die Reihe n=1(1)n+1 n (wieso?). Des Weiteren folgt n=1(1)n+1 n 1 2, da nach obigem Argument die Partialsumme s2n als Summe von positiven Summanden geschrieben werden kann, wovon der erste Term gleich 1 2 ist.

Folgender Satz mag zuerst überraschend sein und zeigt, dass man mit bedingter Konvergenz vorsichtig umgehen muss, da diese sehr zerbrechliche Eigenschaften besitzt.

Satz 7.21 (Riemannscher Umordnungssatz).

Sei n=1an eine bedingt konvergente Reihe mit reellen Gliedern. Dann gibt es zu jedem A eine bijektive Funktion (eine Umordnung) φ : , so dass die Reihe n=1aφ(n) bedingt konvergiert und n=1aφ(n) = A ist. Weiters gibt es eine Umordnung der Reihe, die divergiert.

Beispiel 7.22 (Umordnen der alternierenden harmonischen Reihe).

Wir ordnen die alternierende harmonische Reihe um und erhalten

(1 1 2 ) 1 4 + (1 3 1 6 ) 1 8 + (1 5 1 10 ) 1 12 +

Wir bemerken, dass die so erhaltene Umordnung der alternierenden harmonischen Reihe konvergiert und den halben Wert der alternierenden harmonischen Reihe annimmt. Hierbei sind die Klammern als Hilfestellung gedacht, denn rechnet man die Klammern aus, so erhält man die Reihe in der jeder Summand genau die Hälfte der Summanden der alternierenden harmonischen Reihe ausmacht. Lässt man hingegen die Klammern weg, so erhält man die umgeordnete Reihe der alternierenden harmonischen Reihe. Des Weiteren weiss man für diese Reihe, dass die Teilfolge (s3n )n der Partialsummen konvergiert. Da aber s3n+1 s3n und s3n+2 s3n Nullfolgen sind, können wir daraus schliessen, dass die umgeordnete Reihe konvergiert und den halben Wert der ursprünglichen Reihe hat.

Da dieser Satz eher negativer Natur ist, begnügen wir uns mit einer Beweisskizze und verweisen auf [Wal04, Satz 5.17]. Sei also n=1an eine bedingt konvergente Reihe (wobei es helfen könnte, an n=1(1)n+1 n zu denken). Dann gilt an 0 für n und n=1|an| = nach Annahme. Wir teilen die natürlichen Zahlen in die zwei Mengen

P = {n an 0},N = {n an < 0}

auf. Dann müssen P und N beide unendliche Kardinalität haben, denn wenn zum Beispiel N endlich wäre, dann würden sich n=1an und n=1|an| nur um endlich viele Terme unterscheiden. (Für an = (1)n+1 n wäre P = 2 1 und N = 2.) Wir zählen die Elemente in P und Q so auf, dass

P = {p1 < p2 < p3 < }

und

N = {n1 < n2 < n3 < }.

Weiters ist k=1apk = + und k=1(ank) = +. Denn falls beide Summen endlich wären, dann wäre n=1|an| < . Wäre zum Beispiel k=1apk = , aber k=1(ank) < , dann wäre auch n=1an = . (Für an = (1)n+1 n sind diese beiden Reihen k=1 1 2k1 = und k=1 1 2k = .)

Für ein gegebenes A konstruieren wir die bijektive Abbildung φ : gemeinsam mit der Reihe k=1aφ(k) auf folgende Weise.

Wir beginnen die Reihe mit den ersten nicht-negativen Gliedern

ap1 + + apk 1

und wählen k1 1 minimal, so dass die obige Summe grösser als A ist (was wegen k=1apk = + möglich ist). Anschliessend addieren wir die ersten negativen Glieder und wählen 1 1, so dass die Summe

ap1 + + apk 1 + an1 + + an1

kleiner als A ist. Als nächstes addieren wir, beginnend mit pk1+1, nicht-negative Terme, um die Summe grösser als A werden zu lassen. Wir führen dies fort und weil k=1apk = + und k=1(ank) = + können wir immer wieder nach endlich vielen Summanden von der einen Seite von A zu der anderen Seite von A wechseln. Da noch dazu an 0 für n gilt, werden die einzelnen Schritte über A hinweg immer kleiner und wir können auf diese Art A als Grenzwert der umgeordneten Folge realisieren.

Übung 7.23.

Füllen Sie die unterlassenen Schritte am Ende der obigen Beweisskizze ein, um einen vollständigen Beweis von Satz 7.21 zu erhalten.

Falls Sie jetzt denken, dass der Riemann’sche Umordnungssatz (Satz 7.21) einen Widerspruch in der Mathematik darstellt, dann täuschen Sie sich. Denn wir haben eine klare Definition für den Wert einer Reihe in Definition 7.1 ausformuliert. Wir haben auch besprochen, wie sich das Zusammenfassen von benachbarten (!) Gliedern einer Reihe für diese Definition auswirkt (siehe Lemma 7.9) – hierbei geht man von der ursprünglichen Folge der Partialsummen zu einer Teilfolge der Partialsummen über und weder das Konvergenzverhalten noch der Wert ändern sich hier. Was hingegen passiert mit der Folge der Partialsummen, wenn sie die Summanden mittels einer beliebigen Bijektion φ : permutieren? Dies ist unmöglich zu beantworten, denn es gibt im Allgemeinen überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Folge  k=1nak der Partialsummen der ursprünglichen Reihe  k=1ak und der Folge  k=1naφ(k) der Partialsummen der permutierten Reihe  k=1aφ(k) (da der Riemann’sche Umordnungssatz ja zeigt, dass wir das Konvergenzverhalten auf diese Weise komplett ändern können).

Wir sind immer mittels formaler Definitionen und Beweise vorgegangen und versuchen natürlich auch ein intuitives Verständnis für die so entstehenden Theorien zu entwickeln, doch wenn es (wie zum Beispiel hier) zu einer Diskrepanz zwischen unseren Sätzen und unserer Anschauung kommt, dann müssen wir daran arbeiten unsere Anschauung den gegebenen Fakten (also Definitionen und Sätzen) anzupassen. Für den Fall einer bedingt konvergenten Reihe müssen wir uns daran erinnern, dass der Wert der Reihe nicht als die Summe aller Summanden definiert wurde – wie sollen wir denn unendlich viele Additionen gleichzeitig durchführen? Stattdessen wurde der Wert der Reihe als der Grenzwert der Partialsummen definiert und für diese Definition müssen wir die Reihenfolge der Summanden kennen. Ändert sich die Reihenfolge, dann könnte sich dies auf die Definition auswirken (was bei bedingt konvergenten Reihen auf Grund von Satz 7.21 in der Tat der Fall ist).

Bedingt konvergente Reihen sind für uns am Rande interessant, da wir zum Beispiel zeigen werden, dass die alternierende harmonische Reihe den Wert  log 2 hat. Doch die weitaus meisten Reihen, die wir betrachten werden, werden absolut konvergent sein und robusteres Verhalten zeigen.

Applet 7.24 (Drei Reihen).

Wir stellen in diesem Applet die harmonische Reihe, die alternierende harmonische Reihe und die Reihe mit den reziproken Quadratzahlen gegenüber und sehen drei unterschiedliche Verhaltensweisen. Erklären Sie diese Unterschiede. Wie nennen wir diese Verhaltensweisen?

Hinweis.

(*)

Wir schreiben im Fall der alternierenden harmonischen Reihe sn+ und sn für die Summe der positiven beziehungsweise negativen Summanden in der Partialsumme sn = sn + + sn für alle n .

7.1.3 Alternierende Reihen

Das in Beispiel 7.20 aufgetretene Phänomen tritt auch in folgendem Resultat auf (welches wegen der sehr einfachen Abschätzung auch für absolut konvergente Reihen von Interesse sein wird). Für eine Folge (an )n positiver Zahlen bezeichnen wir die Reihe  n=1(1)n+1an als eine alternierende Reihe.

Proposition 7.25 (Leibniz-Kriterium).

Gegeben sei eine monoton fallende Folge (an)n positiver Zahlen, die gegen Null konvergiert. Dann konvergiert die zugehörige alternierende Reihe k=1(1)k+1ak und es gilt, dass

| k=1(1)k+1a k k=1(1)k+1a k | a+1. (7.1)

für alle . Weiters ist

k=12n(1)k+1a k k=1(1)k+1a k k=12n1(1)k+1a k

für alle n .

Abschätzungen des Typs (7.1) werden meist auch als Fehlerabschätzungen oder Fehlerschranken bezeichnet. Intuitiv beschreibt man damit, wie gross der Fehler höchstens ist, wenn man anstatt des Wertes der Reihe nur die Summe bis zu einem gewissen Glied (als Approximation gewissermassen) betrachtet.

Beweis.

Ähnlich wie in Beispiel 7.20 spielen wir die Folge der Partialsummen zu geraden und ungeraden Indices gegeneinander aus. Für n sei sn = k=1n(1)k+1ak. Es gilt

s2n+1 = s2n1 a2n + a2n+1 s2n1,s2n+2 = s2n + a2n+1 a2n+2 s2n

für alle n . Insbesondere ist die Folge (s2n1)n monoton fallend und die Folge (s2n)n ist monoton wachsend. Wegen s2n = s2n1 a2n und der Monotonieeigenschaften gilt

s2 s2n s2n1 s1

für alle n . Somit ist (s2n)n von oben beschränkt und damit konvergent. Analog ist auch (s2n1 )n von unten beschränkt und konvergent. Wir fassen die erhaltenen Erkenntnisse in folgendem Bild zusammen.

PIC

Da aber (an)n gegen Null konvergiert, haben die Folgen (s2n)n und (s2n1 )n wegen s2n = s2n1 a2n für alle n den gleichen Grenzwert. Insbesondere konvergiert die Reihe k=1(1)k+1ak = S (wieso?).

Wir zeigen nun die Fehlerabschätzung und die behauptete Ungleichung. Für n gilt auf Grund der besprochenen Monotonieeigenschaften, dass

s2n sup {s2mm } = S = inf {s2m1m } s2n+1.

Für  = 2n ist aber s2n+1 s2n = a+1 und wir erhalten (7.1) . Für  = 2n 1 ungerade, gilt ebenso s2n = s2n1 a2n S s2n1 woraus sich (7.1) ergibt. Dies beweist die Fehlerabschätzung sowohl für einen geraden als auch für einen ungeraden Index und damit die Proposition.   

7.1.4 Das Cauchy-Kriterium

Der nächste Satz übernimmt den Grossteil unserer Vorarbeiten über reellwertige und komplexwertige Folgen und gibt uns für den weiteren Aufbau der Theorie ein sehr wichtiges und genaues Kriterium für die Konvergenz von Reihen.

Satz 7.26 (Cauchy-Kriterium).

Die Reihe k=1ak konvergiert genau dann, wenn es zu jedem 𝜀 > 0 ein N gibt, so dass für n m N

| k=mna k | < 𝜀

erfüllt ist.

Beweis.

Dies folgt aus dem Cauchy-Kriterium für Folgen (Satz 6.26) angewendet auf die Folge der Partialsummen sn = k=1nak, da für n m

sn sm1 = k=1na k k=1m1a k = k=mna k.   

Beispiel 7.27 (Harmonische Reihe).

Um die Divergenz der harmonischen Reihe zu sehen, können wir auch das Cauchy-Kriterium verwenden. Wir setzen dazu 𝜀 = 1 2. Für ein beliebiges N gilt dann

k=N2N1 k = 1 N + 1 N + 1 + + 1 2N N + 1 2N > 1 2,

was wegen dem Cauchy-Kriterium für Reihen (Satz 7.26) die Divergenz impliziert.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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