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9.6 Drei asymptotische Formeln

9.6.1 Das Wallissche Produkt

Die Formel

π = lim n1 n (2nn!)4 ((2n)!)2 (9.17)

nach John Wallis (1616-1703) wird das Wallissche Produkt genannt.

Um Gleichung (9.17) zu beweisen, wollen wir zuerst für jedes k 0 das Integral

Ik =0π sin k (x)d x

mit vollständiger Induktion berechnen.

Für k = 0 gilt I0 = π und für k = 1 gilt I1 = 0π sin (x)d x = 2. Mit partieller Integration erhalten wir für alle k 2

Ik =0π sin k (x)d x =0π sin k1 (x)sin (x)d x = [sin k1 (x) ( cos (x) )] 0π +0π (k 1)sin k2 (x)cos 2 (x)d x = (k 1)0π sin k2 (x) (1 sin 2 (x))d x = (k 1) (Ik2 Ik) ,

woraus sich die Rekursionsformel

Ik = k 1 k Ik2 (9.18)

für jedes ganze k 2 ergibt.

Somit ist für n

I2n = 2n 1 2n I2n2 = 2n 1 2n 2n 3 2n 21 2I0 = (2n)(2n 1)(2n 2)1 ((2n)(2n 2)2 )2 I0 = (2n)! (2nn!)2 π,

wobei wir den Bruch mit 2n(2n 2)2 erweitert haben um im Zähler (2n)! zu erhalten. Auf dieselbe Weise ergibt sich

I2n+1 = 2n 2n + 1 2n 2 2n 12 3I1 = ((2n)(2n 2)2 )2 (2n + 1)(2n)1 2 = (2nn!)2 (2n + 1)! 2.

Die Folge (In)n erfüllt noch eine weitere Eigenschaft: Denn für x [0,π] ist sin (x) [0,1] und somit

sin 2n+2(x) sin 2n+1(x) sin 2n(x)

für alle x [0,π] and n . Durch Integration folgt die Monotonieungleichung

I2n+2 =0π sin 2n+2(x)d x I 2n+1 =0π sin 2n+1(x)d x I 2n =0π sin 2n(x)d x

und mittels (9.18) auch

I2n+2 = 2n + 1 2n + 2 (2n)! (2nn!)2π I2n (2nn!)2 (2n + 1)!2 I2n = (2n)! (2nn!)2π.

Wir multiplizieren diese Ungleichungskette mit (2n n!)2 (2n)! 2n+1 2n und erhalten

(2n + 1)2 2n(2n + 2)π 1 n (2nn!)4 ((2n)!)2 2n + 1 2n π.

Dies beweist die Formel (9.17) nach Wallis unter Anwendung des Sandwich-Lemmas (Lemma 6.2).

9.6.2 Stirling-Formel

Wir verwenden nun das Wallissche Produkt und Taylor-Approximationen, um das asymptotische Verhalten von n! zu bestimmen. Genauer formuliert wollen wir die Stirling-Formel

lim n n! 2πn (n e ) n = 1 (9.19)

beweisen. Diese ist nach James Stirling (1692-1770) benannt und wird auch als n! 2πn ( n e ) n geschrieben.

Der Grundgedanke für den Beweis von (9.19) ist die Gleichung

log (n!) = log (1) + log (2) + + log (n)

für n genauer zu betrachten, wobei wir die Summe aber durch das Integral 1 2 n+1 2 log (x)d x ersetzen wollen, da dieses einfacher zu berechnen ist.

Für k und t [k 1 2,k + 1 2 ] gilt nach Beispiel 9.59

log (t) = log (k) + 1 k (t k) + O ( 1 k2 ) .

Wir erhalten

k1 2 k+1 2 log (t)d t = log (k) + O ( 1k2 )

für alle k , da sich der lineare Term bei der Integration weglöscht.

Für ein festes n und die Summe über k {1, ,n} folgt daraus

log (n!) = k=1n log (k) = k=1nk1 2 k+1 2 log (t)d t + k=1nO ( 1 k2 ) =1 2 n+1 2 log (t)d t + k=1nO ( 1 k2 ) = (n + 1 2)log (n + 1 2) (n + 1 2) c + k=1nO ( 1 k2 ) ,

wobei sich die Konstante c durch Auswerten der Stammfunktion bei der unteren Grenze 1 2 ergibt. Wiederum nach Taylorapproximation gilt log (n + 1 2) = log (n) + 1 n 1 2 + O( 1 n2). Wir multiplizieren diese Approximation mit (n + 1 2) und erhalten (mit (n + 1 2)O( 1 n2) = O(1 n)) somit

log (n!) = (n + 1 2) (log (n) + 1 2n + O( 1 n2)) (n + 1 2) c + k=1nO ( 1 k2 ) = (n + 1 2)log (n) + 1 2 + O ( 1 n ) n 1 2 c + k=1nO ( 1 k2 ) = 1 2log (n) + nlog (n) n + an

für eine konvergente Folge (an)n in (wobei wir Proposition 7.28 verwendet haben um die absolut konvergenten Fehlerterme 𝜀n = O( 1 n2) aufzusummieren). Wenden wir die Exponentialabbildung an, so erhalten wir für alle n

n! = nnn e nb n, (9.20)

wobei bn = exp (an) ist. Da (an )n konvergent ist, ist auch (bn )n konvergent und der Grenzwert B = lim nexp (an) = exp (lim nan) ist positiv.

Um B zu berechnen, verwenden wir (9.20) gemeinsam mit dem Wallisschen Produkt (9.17). Es gilt

π = lim n1 n (2nn!)4 ((2n)!)2 = lim n1 n (2nnnn e nbn)4 (2n(2n)2ne2nb2n)2 = lim n bn4 2b2n2,

da die Potenzen von 2, von n und von e sich jeweils direkt kürzen, und die Wurzelterme gemeinsam mit dem  1 n vor dem Bruch sich zu einem 1 2 vereinfachen. Daraus folgt

π = B4 2B2 = 1 2B2

und somit muss B = 2π gelten. Aus Gleichung (9.20) erhalten wir

lim n n! n (n e ) n = lim nbn = 2π,

was zur Stirling-Formel (9.19) äquivalent ist.

Auf Grund der Bedeutung von der Fakultätsfunktion, zum Beispiel in kombinatorischen Überlegungen, ist es nicht verwunderlich, dass die Sterling-Formel vielfache Anwendungen besitzt. In den folgenden Übungen wollen wir einige wenige solcher Anwendungen präsentieren.

Übung 9.60 (Besuche bei der Irrfahrt auf ).

Wir betrachten eine (diskrete) zufällige Bewegung auf den ganzen Zahlen ausgehend von Null. Also beginnen wir zur Zeit t = 0 im Ursprung, hüpfen dann mit Wahrscheinlichkeit 1 2 entweder nach links auf die Position 1 oder nach rechts auf die Position 1. Bezeichnet im Allgemeinen xt die Position zur Zeit t , so bewegen wir uns auf die Zeit t + 1 hin wieder entweder links oder rechts mit gleicher Wahrscheinlichkeit von 1 2.

Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass man sich zur Zeit t bei Null befindet und approximieren Sie diese mit der Stirling-Formel.

Übung 9.61.

Eine Münze wird n-mal geworfen. Sei 𝜀 > 0. Zeigen Sie, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Münze höchstens (1 2 𝜀)n-mal auf Kopf fällt, für n gegen Null geht.

Hinweis: Sie dürfen dabei annehmen, dass 2nn k die Wahrscheinlichkeit ist, dass bei n-maligem Wurf die Münze k-mal auf Kopf fällt. Zeigen Sie auch, dass die Funktion x (0,1)xlog (x) + (1 x)log (1 x) ein striktes lokales Maximum bei x = 1 2 hat.

Übung 9.62 (Ein Ausblick auf Algorithmik).

In dieser Übung wollen wir die worst case Geschwindigkeit eines Sortieralgorithmus abschätzen. Sei also gegeben ein Algorithmus, der zu einem Datensatz a1, ,an diesen umordnet, das heisst, eine Abbildung j : {1, ,n} {1, ,n} findet, so dass aj(1) aj(n). Wir interessieren uns nun für die Zahl W(n) der Anzahl Vergleiche zweier Zahlen des Datensatzes, die der Algorithmus schlimmstenfalls durchführen muss, um den Datensatz zu sortieren. Zeigen Sie, dass eine von n unabhängige Konstante C > 0 existiert, so dass W(n) Cnlog (n).

Hinweis.

Zählen Sie die Anzahl Datensätze, die mit A Umsortierungen aus einem fixen Datensatz konstruiert werden können.

9.6.3 Asymptotik der harmonischen Reihe

Für den Beweis der Stirling-Formel wurde eine Kombination von Taylor-Approximation und Integration verwendet, um das asymptotische Verhalten der Reihe log (n!) = k=1n log (k) zu bestimmen. Diese Methode kann auch allgemeiner zur Untersuchung des Divergenzverhaltens von Reihen eingesetzt werden. Zum Beispiel gilt die „asymptotische Entwicklung“

k=1n1 k = log (n) + γ + 1 2n + O( 1 n2) (9.21)

für n , wobei

γ =1 ( 1 x1 x )d x = 0.577215664901532

die Euler-Mascheroni-Konstante genannt wird.

Übung 9.63.

Wir wollen die Asymptotik (9.21) in dieser Übung beweisen.

(a)
Beweisen Sie, dass das Integral in der Definition von γ konvergiert und dass die Gleichung k=1n1 k = log (n) + γ + 1 n n ( 1 x1 x )d x

für alle n gilt.

(b)
Verwenden Sie Taylor-Approximation, um
log (m + 1) = log (m) + 1 m 1 2m2 + O( 1 m3)
1 m mm+11 t d t = 1 2m2 + O( 1 m3) = 1 2 mm+1t2 d t + O( 1 m3)

für m zu beweisen.

(c)
Verwenden Sie das Integralkriterium (Satz 9.35) um zu zeigen, dass m=n 1 m3 = O( 1 n2)

für n .

(d)
Verbinden Sie die obigen Aussagen zu einem Beweis von (9.21).
(e)
Wiederholen Sie Beispiel 7.5 und approximieren Sie mit der Formel (9.21) die notwendige Anzahl Bausteine n für einen Sprungturm, der 10m in den See hinreicht. Vergleichen Sie dies dann zum exakten Resultat n = 12367.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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