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4.9 Einschub: Mehrdimensionale Integrale*

Wir wollen hier unseren vollständigen Aufbau der Analysis kurz unterbrechen und anwendungsbezogen mehrdimensionale Integrale besprechen† Dieser Abschnitt existiert als Hilfestellung für die Physik-Vorlesung und ist als Text für die Eigenlektüre zu verstehen.. Insbesondere werden wir die vorgestellten Methoden informell begründen, aber nicht vollständig erklären oder beweisen können – wir werden dies erst im zweiten Semester nachholen. Der Grund für den Einschub ist einfach zu erklären: Sie werden ein intuitives Verständnis für diese Themen und die wichtigsten Rechenmethoden in den Vorlesungen Physik I und Physik II benötigen.

4.9.1 Definition mittels Treppenfunktionen

Wir beginnen unsere Diskussionen damit, die Definition eines mehrdimensionalen Integrals anzudeuten. Für diese Definition sollten wir Funktionen f auf einem d-dimensionalen Quader [a1 , b1 ] × × [ad,bd] betrachten, wobei d 1 die Dimension des Quaders angibt und die Zahlen a1 < b1, …, ad < bd die Koordinaten und Abmessungen des Quaders definieren. Zur Vereinfachung der Notation setzen wir hier vorerst d = 2 und betrachten eine reellwertige Funktionen f : Q = [a1,b1] × [a2,b2] .

Eine Treppenfunktion t 𝒯(Q) ist in diesem Zusammenhang eine Funktion, so dass man Q in Teilrechtecke zerlegen kann und t auf den einzelnen Teilrechtecken jeweils konstant ist. Genauer sollte die Zerlegung rasterförmig von der Form

Q = j,k (xj1,xj) × (yk1,yk) N

sein, wobei

1 = {a1 = x0 < x1 < < xm = b1} 2 = {a2 = y0 < y1 < < yn = b2}

zwei beliebige Zerlegung der Kanten [a1,b1] und [a2 , b2 ] des Rechtecks Q sind und die Vereinigung über alle Paare (j,k) läuft mit j {1, ,m} und k {1, ,n}. Die Menge N besteht hier aus den Rändern der einzelnen Rechtecke und wird im folgenden einfach ignoriert (da dies eine sogenannte Nullmenge darstellt). Falls nun die Treppenfunktion t für jedes Tupel (j, k) auf dem entsprechenden Teilrechteck den Konstanzwert cj,k annimmt, dann definieren wir das Integral der Treppenfunktion durch

Qtdvol = j,kcj,k (xj xj1) (yk yk1) . (4.17)

Wir nehmen an, dass f : Q beschränkt ist. Dies impliziert wiederum, dass es Treppenfunktionen u, o 𝒯 (Q) gibt, die u f o erfüllen. Wir bezeichnen udvol beziehungsweise odvol als Untersumme und Obersumme zu f. Das untere Integral I̲ (f ) ist nun als Supremum der Untersummen und das obere Integral I¯ (f) als Infimum der Obersummen definiert. Wenn diese beiden Zahlen übereinstimmen, dann definieren diese das Riemann-Integral

Qfdvol = I̲ (f ) = I¯ (f ).

Wir wollen dies auch im folgenden Applet erklären, wobei wir das zwei-dimensionale Integral als Volumen des Körpers in Figur 4.5 interpretieren.

Applet 4.45 (Zelt).

Wir sehen, dass wir das Volumen des Zeltes von unten und von oben abschätzen können, wodurch wir immer genauere Annäherungen für das Volumen erhalten können. Das zwei-dimensionale Integral [1,1]2 (2 x2 y2) dvol gibt das Volumen fehlerfrei an.

Auch dreidimensionale Integrale können konkrete physikalische Bedeutungen besitzen. Falls zum Beispiel Q = [a1 , b1 ] × [a2,b2] × [a3,b3] ein drei-dimensionaler Quader mit Abmessungen b1 a1,b2 a2,b3 a3 > 0 (in m) ist und ρ(x, y, z) die vom Punkt (x, y, z) Q abhängige Dichte des Quaders (in kgm3) angibt, so gibt das drei-dimensionale Integral

Qρ (x,y,z)dvol

die Gesamtmasse des Quaders an. Dies ergibt sich durch Verallgemeinerung der Diskussion in Abschnitt 4.4.3.

4.9.2 Iterierte Integrale

In der Definition des Begriffes „Integral einer Treppenfunktion“ t : Q haben wir über alle Paare (j,k) mit j {1, ,m} und k {1, ,n} summiert (siehe Definition 4.17). Wollen wir dies genauer mittels der Summennotation aus Abschnitt 3.1 formulieren, so haben wir die zwei äquivalenten Möglichkeiten

Qtdvol = j,kcj,k (xj xj1) (yk yk1) = j=1m [ k=1nc j,k(yk yk1)] (xj xj1) = k=1n [ j=1mc j,k(xj xj1)] (yk yk1) .

Da das mehrdimensionale Integral gewissermassen ein kontinuierliches Analog zu derartigen Doppelsummen darstellt, könnte man erwarten, dass das mehrdimensionale Integral einer Riemann-integrierbaren Funktion f : Q analog

Qfdvol =a1b1 [a2b2 f (x,y)d y]d x =a2b2 [a1b1 f (x,y)d x]d y

erfüllt, wobei die inneren Integrale (oben das Integral bezüglich y) die äussere Integrationsvariable (oben die Variable x) als Konstante interpretieren und diese Integrale wiederum eine Funktion bezüglich der äusseren Integrationsvariable (oben x) definieren. Dies trifft in der Tat für stetige Funktionen f zu – geeignet interpretiert auch allgemeiner – und wird als der Satz von Fubini bezeichnet. Informell können wir dies in zwei Dimensionen auch durch die Gleichung dvol = d x d y ausdrücken.

Applet 4.46 (Volumen des Zeltes).

Wir können den Satz von Fubini und das Vorgehen der Berechnung des Volumens auch geometrisch veranschaulichen. Dabei bestimmt die x-Koordinate einen ebenen Querschnitt durch das Zelt, und die y-Koordinate animiert die Berechnung des Flächeninhaltes des Querschnittes. Versuchen Sie mit den Schiebern die Addition der iterierten Summen nachzustellen.

Der Satz von Fubini ist extrem nützlich, da wir mit diesem Satz die Berechnung von mehrdimensionalen Integrale auf die Berechnung eindimensionaler Integrale zurückführen können (und wir für letztere im Laufe dieses Semester viele Methoden zur Berechnung lernen werden).

Beispiel 4.47 (Volumen des Zeltes).

Wir definieren das Zelt

Z = { (x,y,z) 3 (x,y) [1,1]2 und 0 z 2 x2 y2} .
PIC

     Figur 4.5: Das Zelt Z ist der Bereich unterhalb des Graphen der Funktion (x,y)2 x2 y2.     

Das Volumen des Zeltes ist auf Grund von f(x,y) = 2 x2 y2 0 für alle (x, y) [1,1]2 und obiger Diskussionen durch

vol (Z) =[1,1]2 (2 x2 y2) dvol =11 [11 (2 x2 y2) d y]d x =11 (10 3 2x2) d x = 20 3 4 3 = 16 3

gegeben, wobei wir für das innere Integral über y [1, 1] die Variable x als Konstante betrachtet haben und die Rechnung

11 (2 x2 y2) d y = 2 (2 x2) 11y2 d y = 4 2x2 (1 313 1 3(1)3) = 10 3 2x2

verwendet haben.

4.9.3 Schwerpunkt eines Körpers

Wir wollen als weitere Anwendung von mehrdimensionalen Integralen den Schwerpunkt von Körpern K 3 berechnen, wobei ρ : K 0 die vom Punkt abhängige Dichte des Körpers beschreibt. In Analogie zu Abschnitt 4.4.3 sind dann die Gesamtmasse m des Körpers und die Koordinaten (x0,y0,z0) des Schwerpunktes durch die Formeln

m =Kρ (x,y,z)dvol x0 = 1 mKxρ (x,y,z)dvol y0 = 1 mKyρ (x,y,z)dvol z0 = 1 mKzρ (x,y,z)dvol

gegeben. Wir haben in diesen Definition auch eine Verallgemeinerung des mehrdimensionalen Integrals versteckt, da wir nicht immer annehmen wollen, dass K = Q ein Quader ist. Im Sinne der Anwendung liegt es aber nahe anzunehmen, dass K beschränkt ist. Dadurch existiert ein Quader wie in obiger Diskussion Q, der K enthält. Nun setzen wir die Dichtefunktion ρ von K auf ganz Q fort, indem wir ρ|QK = 0 setzen. Dies macht Sinn, denn wir wollen ja Masse und Schwerpunkt des betrachteten Körpers berechnen und werden dabei davon ausgehen, dass ausserhalb des Körpers Vakuum herrscht. In diesem Sinne ist ein Integral über eine Funktion f auf K durch

Kfdvol =Q𝟙 Kfdvol

definiert, wobei

(𝟙 Kf ) (x,y,z) = { f(x,y,z) für (x,y,z) K 0  für  (x, y, z) Q K

Beispiel 4.48 (Schwerpunkt des gleichmässig gefüllten Zeltes).

Wir wollen nun diese Formeln ausprobieren und den Schwerpunkt des gleichmässig gefüllten Zeltes (mit Dichte 1kgm3) berechnen. Auf Grund der Symmetrie des Zeltes sind die x– und y-Koordinaten des gleichmässig gefüllten Zeltes gleich x0 = y0 = 0. Für die z-Koordinate des Zeltes verwenden wir den Quader Q = [1,1]2 × [0,2] und obige Formel, woraus sich

z0 = 1 mZzdvol = 3 161111 [02𝟙 Zzd z]d yd x = 3 161111 [02x2y2 zd z]d yd x = 3 161111 [1 2(2 x2 y2)2] d yd x

ergibt. Wir haben hier die Reihenfolge der Variablen anders gewählt, da in einer anderen Reihenfolge die Betrachtung der Funktion 𝟙 Z erheblich komplizierter wäre. In der Tat hat in dieser Reihenfolge die Funktion 𝟙 Z einfach die Auswirkung, dass das innerste Integral über die Variable z mit den ursprünglichen Integrationsgrenzen z = 0 und z = 2 (wie in der Definition unseres Quaders Q) stattdessen die Integrationsgrenzen z = 0 und z = 2 x2 y2 (was unserer Definition des Zeltes entspricht) verwendet. Um nun z0 tatsächlich zu berechnen, nützen wir nochmals die Symmetrie des Zeltes aus, um die Rechnung ein wenig zu vereinfachen. Dadurch ergibt sich

z0 = 3 401 [011 2(4 + x4 + y4 4x2 4y2 + 2x2y2)d y]d x = 3 801 [4 + x4 + 1 5 4x2 4 3 + 2 3x2] d x = 3 8 (4 + 1 5 + 1 5 4 3 4 3 + 2 9 ) = 11 15

Übung 4.49.

Wir betrachten nun den Körper

K = { (x,y,z) 3 (x,y) [0,1]2 und 0 z x (1 x)y (1 y)}

und die Dichtefunktion ρ(x,y,z) = xyz für (x, y, z) K.

(i)
Berechnen Sie das Volumen von K.
(ii)
Berechnen Sie die Masse des Körpers.
(iii)
Berechnen Sie die Koordinaten des Schwerpunktes. (Auf Grund einer Symmetrie genügt es hierfür zwei dreidimensionale Integrale zu berechnen.)
Zahlenwerte der Lösung.

Das Volumen ist 1 36, die Masse ist 1 7200 und der Schwerpunkt hat die Koordinaten x0 = y0 = 4 7 und z0 = 27 98.

Wir erwähnten bereits, dass man den Satz von Fubini für zwei-dimensionale Integrale auf zwei verschiedene Arten anwenden kann. Dies hilft manchmal um die Berechnung des Integrals zu beschleunigen, wie in der nächsten Übungsaufgabe.

Übung 4.50.

Berechnen Sie den Flächeninhalt und den Schwerpunkt (bei gleichmässiger Massenverteilung mit Gesamtmasse 1) der Fläche zwischen den Kurven, die durch die Gleichungen x y2 = 0 und x y = 2 beschrieben wird. Hierzu müssen Sie zuerst eine Skizze des Gebietes erstellen. Versuchen Sie anschliessend die Wahl der Integrationsreihenfolge zu optimieren, so dass Sie möglichst wenige Integrale berechnen müssen (konkret 3 anstatt 6).

Zahlenwerte der Lösung.

Der Flächeninhalt ist 9 2 und der Schwerpunkt hat die Koordinaten x0 = 8 5 und y0 = 1 2.

4.9.4 Polarkoordinaten

Gelegentlich ist es in gewissen Problemen nützlich, ein Integral in anderen Koordinaten als den Kartesischen Koordinaten x,y,z zu berechnen. Beispielsweise kann eine gegebene Funktion oder ein Integrationsbereich über gewisse Symmetrien verfügen, welche man sich zu Nutzen machen möchte. Wir illustrieren dies hier an den Polarkoordinaten in der Ebene und im nächsten Unterabschnitt an den Kugelkoordinaten im dreidimensionalen Raum.

Jeder Punkt (x,y) 2 lässt sich schreiben als

x = rcos (φ),y = rsin (φ)

für den Radius r = x2 + y2 und einen Winkel φ [0,2π).† Wie wir später bei der Einführung der Winkelfunktionen sehen werden, stellt die Bogenlänge am Einheitskreis die einzige natürliche Wahl für die Angabe eines Winkels dar. Die Koordinaten (r, φ) des Punktes (x,y) werden dabei die Polarkoordinaten genannt. Wir bemerken natürlich, dass die Funktionen cos : und sin : noch nicht formal definiert wurden; wir werden diesen Mangel später beheben. Für den Moment begnügen wir uns mit folgendem Bild:

PIC

Gegeben eine Riemann-integrierbare Funktion f : BR (0) möchten wir nun das Integral BR(0)f als Integral bezüglich den neuen Koordinaten (r,φ) ausdrücken. Dabei können wir aber nicht einfach dvol wie in der Diskussion vom Satz von Fubini als d φd r interpretieren, denn dies würde die vorliegende geometrische Bedeutung der Polarkoordinaten komplett ignorieren. Stattdessen gilt

BR(0)fdvol =0R02πf (rcos φ,rsin φ)rd φd r, (4.18)

Der zusätzliche Faktor r beschreibt das Volumen kleiner Quader in den Koordinaten (r, φ), wie wir im folgenden Bild erklären möchten.

PIC

     Figur 4.6: Wir betrachten ein „Rechteck“ in Polarkoordinaten (kurz „Polarrechteck“), das aus jenen Punkten besteht, die Distanz zwischen r1 und r2 > r1 von Null haben und Winkel zwischen φ1 und φ2 > φ1 zur x-Achse haben. Sind r = r2 r1 und φ = φ2 φ1 klein, so ist dieser Ausschnitt eines Kreisringes fast rechteckig mit „Seitenlängen“ r und etwa rφ. Wir werden diese Idee im 2. Semester zu einem Beweis von (4.18) ausbauen.     

Beispiel 4.51 (Kreisrundes Zelt).

Wir betrachten das adaptierte Zelt

Zrund = {(x,y,z) 3(x,y) B 1(0) und 0 z 2 x2 y2}

mit kreisförmiger Basis und berechnen das Volumen. Es gilt

vol (Zrund) =B1(0) (2 x2 y2) d xd y =02π01 (2 r2) rd rd φ

unter Verwendung der Formel (4.18). Nun berechnet man

02π01 (2 r2) rd rd φ = 2π012r r3 d r = 2π[r2 1 4r4] 01 = 3π 2 .

Beispiel 4.52 (Trägheitsmoment der Kreisscheibe).

Wir betrachten zu einem Radius R > 0 die Kreisscheibe BR(0) 2, welche wir nun um die Null rotieren lassen möchten. Sei ω die dazugehörige Winkelgeschwindigkeit (mit Einheit s1 ). Betrachtet man nun einen Punkt p BR(0) und ein sehr kleines Polarrechteck U um diesen Punkt wie in Figur 4.6, so rotieren Punkte in U etwa mit Geschwindigkeit pω. Die kinetische Energie für die Bewegung von U ist also in etwa gegeben durch 1 2p2ω2m, wobei m die Masse von U bezeichnet. Summiert man dies über alle Polarrechtecke, so erhält man eine intuitive Begründung für die folgende Formel für die kinetische Energie der Rotation (kurz Rotationsenergie)

Erot = 1 2ω2BR(0) (x2 + y2) ρ (x,y)d xd y.

Dabei ist ρ die Massenverteilung auf BR(0). Die Grösse J = BR(0) (x2 + y2) ρ (x,y)d xd y (mit Einheit kgm2) verhält sich also wie die Masse für die geradlinige Bewegung und ist in diesem Sinne intrinsisch. Sie wird das Trägheitsmoment von BR(0) um Null genannt. Wir wollen dieses nun berechnen, wobei wir annehmen wollen, dass ρ konstant ist und BR (0) Masse m hat. Wir haben also ρ = m πR2, und damit ist das Trägheitsmoment durch

J =BR(0) (x2 + y2) ρd xd y = ρ02π0Rr3 d rd φ = ρ2πR4 4 = 1 2mR2

gegeben.

Im Vergleich dazu wäre das Trägheitsmoment für einen Kreisring mit Masse m am Kreis mit Radius R gleich mR2 : Denn bei vernachlässigbarer Dicke des Kreisrings hat jeder Teil der Masse Geschwindigkeit ωR, womit die kinetische Energie der Rotation durch

Erot = 1 2m(ωR)2 = 1 2ω2 mR2 J

gegeben ist.

Applet 4.53 (Trägheitsmomente).

Wir sehen verschiedene Körper, welche an einer Rampe frei runter rollen. Dabei kommt es je nach Trägheitsmoment des Körpers zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten, da die potentiellen Energie in Rotationsenergie und kinetische Energie umgewandelt wird und Erot = 1 2ω2J ist. Zum Vergleich wird auch noch ein nicht rotierender Würfel dargestellt, der ohne Reibung die Rampe runter rutscht. Wir werden die Trägheitsmomente der anderen dargestellten Körper unten berechnen.

Was passiert, wenn wir am Ende der Rampe alle Objekte (mit Hilfe einer Stange durch die Rotationsachsen) stoppen ohne die Rotation zu stören und dann nochmals gleichzeitig weiterrollen lassen? Es ist klar, dass der Würfel dann einfach liegen bleibt, da wir beim Stoppen seine kinetische Energie auf Null gesetzt haben und er keine Rotationsenergie hat. Was passiert mit den anderen Körpern?

4.9.5 Kugelkoordinaten

Ähnlich zum zweidimensionalen Fall gibt es im dreidimensionalen Raum sphärische Koordinaten. Jeder Punkt (x, y,z) 3 lässt sich schreiben als

x = rsin (𝜃)cos (φ), y = rsin (𝜃)sin (φ), z = rcos (𝜃)

für den Radius r = x2 + y2 + z2 und Winkel φ [0,2π), 𝜃 [0, π) wie im folgenden Bild.

PIC

     Figur 4.7: Der Winkel φ definiert (abgesehen von der Einheit) den Längengrad des Punktes (x,y,z) und 𝜃 entspricht dem Breitengrad. Formal konstruiert sich der Winkel φ als den Winkel, den man mit Polarkoordinaten erhält, wenn man den Punkt (x,y,z) auf die xy-Ebene projiziert. Weiter ist 𝜃 der Winkel zwischen (x,y,z) und der positiven z-Achse.     

Für eine Riemann-integrierbare Funktion

f : BR(0) = {(x,y,z) 3x2 + y2 + z2 R2}

gilt dann

BR(0)fdvol =0R0π02πf (rsin 𝜃cos ϕ,rsin 𝜃sin φ,rcos 𝜃)r2 sin 𝜃d φd 𝜃d r. (4.19)

Wie im vorherigen Abschnitt beschreibt der Faktor r2 sin 𝜃 das Verhältnis des Volumens eines sehr kleinen Quaders bezüglich den neuen Kugelkoordinaten (r, 𝜃, φ) im Vergleich zu dem Produkt der Differenzen der einzelnen (Kugel-)Koordinaten.

PIC

     Figur 4.8: Wie schon beim Bild 4.6 möchten wir hier erklären, wie der Faktor r2 sin 𝜃 in der Integrationsformel 4.19 zustande kommt. Betrachtet man den durch Radien r1 < r2 und Winkel 𝜃1 < 𝜃2, φ1 < φ2 gegebenen „Kugelquader“, so ist dessen Volumen in etwa das Produkt seiner Seitenlängen, falls r = r2 r1, 𝜃 = 𝜃2 𝜃1, φ = φ2 φ1 klein sind. Die Seitenlänge in radialer Richtung ist r (unabhängig von beiden Winkeln) und die Seitenlänge in Richtung von 𝜃 ist etwa r𝜃 (unabhängig von φ). Die Seitenlänge in Richtung φ ist gegeben durch rsin (𝜃)φ, da für festes r und 𝜃 und sich verändernden φ eine Bewegung auf einem Kreis mit Radius rsin 𝜃 beschrieben wird. Daraus ergibt sich, das das gesuchte Volumen des Kugelquaders in etwa durch r2 sin 𝜃φ𝜃r gegeben ist, was die Formel (4.19) geometrisch erklärt.     

Beispiel 4.54 (Volumen des Balles mit Radius R).

Wir berechnen das Volumen des Balles BR(0) = {(x,y,z) 3x2 + y2 + z2 R2}. Es gilt

vol (BR(0)) =BR(0)1dvol =0R0π02πr2 sin 𝜃d φd 𝜃d r = 2π (0π sin (𝜃)d 𝜃) (0Rr2 d r) = 2π [cos (𝜃)]0π [1 3r3] 0R = 4 3πR3,

wobei wir die Integrationsregel ab sin (𝜃)d 𝜃 = [cos (𝜃)]ab verwendet haben.

Beispiel 4.55 (Trägheitsmoment des Balles).

Wir wollen das Trägheitsmoment des Balles mit Radius R berechnen, wobei wir annehmen wollen, dass die Masse m gleichmässig mit Dichte ρ = 3m 4πR3 im Ball verteilt ist. Wir gehen hier ähnlich wie in Beispiel 4.52 vor und wollen annehmen, dass der Ball BR (0) mit Mittelpunkt 0 gegeben ist und wir diesen um die z-Achse rotieren lassen wollen. Daraus ergibt sich

J =BR(0) (x2 + y2) ρdvol = ρ0R0π02π(rsin 𝜃)2r2 sin 𝜃d φd 𝜃d r = ρ 2π (0π(1 cos 2𝜃)sin (𝜃)d 𝜃) (0Rr4 d r) = 3m 4πR3 2π [cos 𝜃 + 1 3 cos 3𝜃] 0π [1 5r5] 0R = 2mR2 5 .

Beispiel 4.56 (Trägheitsmoment einer Kugelschale).

Wir wollen nun annehmen, dass die Masse m mit gleichmässiger Dichte ρ (in kgm2 ) an der Oberfläche des Balles mit Radius R verteilt ist, und wiederum das Trägheitsmoment berechnen. Da die Oberfläche zwei-dimensional ist, liegt es nahe zu erwarten, dass wir auch ein zwei-dimensionales Integral berechnen müssen. Wir werden auch dies im zweiten Semester genauer definieren und dessen Eigenschaften vollständig erklären, doch begnügen wir uns hier mit folgenden beiden Rechnungen.

Die Oberfläche der Kugel ist gegeben durch

A =0π02πR2 sin 𝜃d φd 𝜃 = 2πR2 0π sin (𝜃)d 𝜃 = 4πR2,

wobei wir uns die Kugeloberfläche als Vereinigung von kleinen Sphärenrechtecken (ähnlich wie in Figur 4.8) vorgestellt haben und dabei das Ihnen wahrscheinlich bekannte Ergebnis erhalten haben.

Durch diesen Erfolg bestätigt berechnen wir die Dichte ρ = m 4πR2 und das Trägheitsmoment

J =0π02π (x2 + y2) R2 sin 𝜃ρd φd 𝜃 = ρR20π02π(Rsin 𝜃)2 sin 𝜃d φd 𝜃 = m 4πR2 2πR4 0π sin 3𝜃d 𝜃 = mR2 2 4 3 = 2mR2 3 .

4.9.6 Zusammenfassung

Wir hoffen, dass Sie in dieser Diskussion folgende Punkte erkennen konnten:

Der Satz von Fubini erlaubt uns mehrdimensionale Integrale mit Hilfe von eindimensionalen Integralen zu berechnen. Dies liefert zusätzliche Motivation weitere Methoden zur Berechnung von eindimensionalen Integralen zu finden, da wir diese Methoden auch für die Berechnung von mehrdimensionalen Riemann-Integralen benötigen werden.
Die geometrische Anschauung ist sehr hilfreich – fast schon notwendig – um die betrachteten Integralausdrücke zu finden. Vor allem bei Polar- und Kugelkoordinaten ist es wichtig den zusätzlichen „geometrischen Faktor“ in die Integrale einzubauen.
Das Wort „etwa“ ist in diesem Abschnitt unüblich oft aufgetreten, da eine genauere Begründung oder sogar ein Beweis der Aussagen für uns erst im nächsten Semester möglich ist. In der Tat hatten wir bei der Besprechung sehr viel Vertrauen in die Welt, da wir des Öfteren kleine Fehler erlaubten, aber dann über alle Teilquader summierten, ohne uns Gedanken zu machen, ob denn die kleinen Fehler auch in der Summe (über sehr viele kleine Teilquader) noch klein bleiben.
Wir hoffen, dass Sie dies auch als Motivation sehen, unsere Theorie weiterhin schrittweise und ausführlich aufzubauen. Damit wir eben nicht wie oben „Integral-Alchemie“ betreiben, sondern auch die mehrdimensionale Integralrechnung und die dafür nötigen Theorien vollständig verstehen. Zum Beispiel werden wir dann auch die geometrischen Faktoren der Polar- und Kugelkoordinaten vollständig erklären und für beliebige „glatte Koordinatensysteme“ berechnen können.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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