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3.8 Stetige Funktionen auf kompakten Intervallen

In diesem Abschnitt möchten wir zeigen, dass stetige Funktionen auf beschränkten, abgeschlossenen Intervallen – sogenannten kompakten Intervallen – besondere Eigenschaften besitzen.

3.8.1 Beschränktheit

Satz 3.69 (Beschränktheit).

Seien a, b zwei reelle Zahlen mit a < b und sei f : [a,b] eine stetige Funktion. Dann ist f beschränkt. Das heisst, es existiert ein M mit |f(x)| M für alle x [a,b].

Beweis.

Wir definieren zuerst die Teilmenge

X = {t [a,b]f|[a,t] ist beschränkt} .

Da [a, a] = {a} gilt, liegt a X, womit X [a, b] eine nicht-leere, beschränkte Teilmenge von ist. Nach dem Satz über das Supremum (Satz 2.59) existiert daher das Supremum s0 = sup (X) von X. Des Weiteren muss s0 [a,b] liegen, da zum einen a X liegt und zum anderen X in [a, b] enthalten ist und somit b eine obere Schranke ist.

Wir verwenden die Stetigkeit von f bei s0 für 𝜀 = 1, wonach es ein δ > 0 gibt, so dass für alle x [a,b] die Implikation

|x s0| < δ|f(x) f(s0)| < 1

gilt. Wir definieren t0 = max {a,s0 δ} und t1 = min {b,s0 + δ}, womit

|f(x)||f(x) f(s0)| + |f(s0)| < 1 + |f(s0)| (3.10)

für alle x (t0,t1).

Da s0 δ keine obere Schranke von X ist, gibt es ein t X mit t > s0 δ. Daher ist f|[a,t] beschränkt und es existiert ein M0 > 0 mit |f(x)| M0 für alle x [a, t].

Es gilt t t0 = max {a,s0 δ} und daher [a, t] (t0 , t1) = [a,t1). Auf Grund von Gleichung (3.10)und der Wahl von M0 gilt somit

|f(x)| max {M0,1 + |f(s0)|,|f(t1)|}

für alle x [a,t1]. Wir schliessen, dass t1 X liegt und t1 s0 gilt. Da aber t1 = min {b,s0 + δ} per Definition, muss t1 = b sein. Also ist f auf [a, b] beschränkt.   

Es drängt sich bei obiger Beweismethode (die wir bereits das dritte Mal angewendet haben) der Vergleich mit einem Induktionsbeweis auf. Wir wollen dies kurz in Worte fassen auch wenn dies bloss eine Analogie darstellt und keineswegs formal als Ersatz von obiger Beweisführung angesehen werden kann. Wir beginnen das Argument damit zu zeigen, dass a X ist, was dem Induktionsanfang entspricht. Danach zeigen wir für t X mit t < b, dass es eine grössere Zahl gibt, die ebenso in X liegt. Dies entspricht gewissermassen dem Induktionsschritt. Wir hoffen auf diese Weise b X zu beweisen, was den Beweis abschliessen würde. Allerdings ist auf diese Weise nicht erklärt ob wir in endlich vielen Schritten b erreichen können. Deswegen benötigen wir die Existenz des Supremums um den Fall auszuschliessen, dass wir zwar immer grössere Elemente in X finden aber vielleicht irgendwo in (a,b) „steckenbleiben“ und nie nach b gelangen.

Wichtige Übung 3.70 (Gegenbeispiele).

(i)
Finden Sie eine unbeschränkte, stetige Funktion auf einem beschränkten Intervall.
(ii)
Finden Sie eine unbeschränkte, stetige Funktion auf einem abgeschlossenen Intervall.
(iii)
Finden Sie eine unbeschränkte Funktion auf einem kompakten Intervall, die nur in einem einzigen Punkt unstetig ist.

3.8.2 Maximum und Minimum

Sei D eine Teilmenge und f (D) eine reellwertige Funktion auf D. Wir sagen, dass f ein Maximum in xmax D annimmt, falls f(x) f(xmax ) für alle x D. Analog nimmt f ein Minimum in xmin D an, falls f(x) f(xmin ) für alle x D. Wir bezeichnen f(xmax ) als das Maximum von f (auf D) und f(xmin ) als das Minimum von f (auf D). Wir wollen nun zeigen, dass stetige Funktion auf einem kompaktem Intervall stets ihr Minimum und ihr Maximum annehmen.

Korollar 3.71 (Annahme des Maximums und des Minimums).

Seien a, b zwei reelle Zahlen mit a < b und sei f : [a, b] eine stetige Funktion. Dann nimmt f sowohl ein Maximum als auch ein Minimum an.

Beweis.

Nach Satz 3.69 ist f beschränkt, womit nach Satz 2.59 das Supremum S = sup f([a,b]) existiert. Wir nehmen nun indirekt an, dass f(x) < S für alle x [a,b] gilt, das heisst, dass die Funktion f ihr Maximum nicht annimmt. Dadurch ist

F : [a,b] (0,),x 1 S f(x)

eine wohldefinierte Funktion. Diese ist nach Proposition 3.52 stetig. Nach Satz 3.69 ist F also beschränkt, womit ein M > 0 mit

1 S f(x) = F (x) M

für alle x [a,b] existiert. Somit gilt

1 M S f (x)

oder anders ausgedrückt

f (x) S 1 M

für alle x [a,b]. Letzteres widerspricht aber der Definition von S als das Supremum von f([a,b]). Daher existiert ein xmax [a,b] mit f(xmax ) = sup f([a,b]) = max f([a,b]).

Durch Anwendung des obigen Arguments auf f ergibt sich ebenso, dass das Minimum von f angenommen wird.   

Übung 3.72.

Nimmt jede stetige Funktion f auf dem offenen Intervall (0, 1) ihr Maximum an?

3.8.3 Gleichmässige Stetigkeit

Ein zweiter, grundlegender Satz über stetige Funktionen auf kompakten Intervallen verwendet folgende Verstärkung des Begriffs der 𝜀δ-Stetigkeit von Definition 3.45.

Definition 3.73 (Gleichmässige Stetigkeit).

Eine reellwertige Funktion f auf einer nicht-leeren Teilmenge D heisst gleichmässig stetig, falls es für alle 𝜀 > 0 ein δ > 0 gibt, so dass für alle x,y D gilt

|x y| < δ|f(x) f(y)| < 𝜀.

In anderen Worten wollen wir genauso wie bei der Definition von Stetigkeit für jedes 𝜀 > 0 ein δ > 0 finden. Diesmal soll jedoch das gewählte δ > 0 nur von 𝜀 abhängen und nicht noch zusätzlich von x D. Dies entspricht der Vertauschung eines Allquantors mit einem Existenzquantor. Wie wir in Abschnitt 1.3.2 besprochen haben, ergibt dies im Allgemeinen eine inäquivalente Aussage.

Applet 3.74 (Gleichmässige Stetigkeit).

Wir sehen eine gleichmässig stetige Funktion und können rechts durch getrennte Vergrösserung der Achsen (mit Shift und Maus oder mit zwei Fingern) sowohl 𝜀 > 0 als auch δ > 0 verändern.

Übung 3.75.

Zeigen Sie, dass das Polynom f(x) = x2 stetig, aber nicht gleichmässig stetig ist auf . Verifizieren Sie des Weiteren, dass die Einschränkung von f auf [0, 1] gleichmässig stetig ist.

Applet 3.76 (Keine gleichmässige Stetigkeit).

Wir sehen zwei bekannte aber nicht gleichmässig stetige Funktionen und können rechts durch getrennte Vergrösserung der Achsen (mit Shift und Maus oder mit zwei Finger) sowohl 𝜀 > 0 als auch δ > 0 verändern.

Betrachtet man aber nur stetige Funktionen auf kompakten Intervallen, wie wir es hier tun wollen, so befindet man sich in einer ganz anderen Situation.

Satz 3.77 (Heine, gleichmässige Stetigkeit).

Sei [a, b] ein kompaktes Intervall für a < b und f : [a, b] eine stetige Funktion. Dann ist f gleichmässig stetig.

Wir verwenden im Beweis dieses Satzes nochmals dieselbe Methode wie schon in den Beweisen von dem Satz über die Existenz von Häufungspunkten (Satz 2.75), dem Zwischenwertsatz (Satz 3.58) und dem Satz über die Beschränktheit von stetigen Funktionen auf kompakten Intervallen (Satz 3.69).

Beweis.

Sei 𝜀 > 0. Wir definieren die Teilmenge

X = {t [a,b] | δ > 0 x1,x2 [a,t] : |x1 x2| < δ|f(x1) f(x2)| < 𝜀 }

von [a, b]. In Worten ausgedrückt ist X die Menge der Endpunkte t [a,b], für die ein uniformes δ > 0 existiert für die Einschränkung f|[a,t]. Wir möchten also zeigen, dass b X liegt.

Wir bemerken zuerst, dass a X ist, da für x1,x2 [a,a] = {a} sogar |f(x1 ) f(x2)| = 0 gilt und somit jedes δ > 0 gewählt werden kann. Also ist X nicht-leer. Da X in [a, b] enthalten ist und somit beschränkt ist, existiert nach dem Satz über das Supremum (Satz 2.59) das Supremum s0 = sup (X) von X. Wir bemerken zuerst, dass t X und t [a, t] auch t X impliziert (das δ zu t erfüllt auch die nötige Eigenschaft für t). Daher gelten die Inklusionen

[a,s0) X [a,s0]. (3.11)

Wir behaupten nun, dass s0 = b X gilt.

Nach Stetigkeit von f bei s0 [a, b] existiert ein δ1 > 0, so dass für alle x [a,b] die Implikation

|x s0| < δ1 |f (x) f (s0)| < 𝜀 2

gilt. Für x1,x2 [a,b] (s0 δ1,s0 + δ1) gilt damit nach der Dreiecksungleichung

|f (x1) f (x2)| |f (x1) f (s0)| + |f (s0) f (x2)| < 𝜀 2 + 𝜀 2 = 𝜀 (3.12)

Auf Grund von (3.11) liegt t0 = max {a,s0 1 2δ1} in X und daher existiert ein δ0 > 0 mit

x1,x2 [a,t0] : |x1 x2| < δ0|f(x1) f(x2)| < 𝜀. (3.13)

Wir definieren t1 = min {b,s0 + 1 2δ1} sowie δ = min {δ0, 1 2δ1} und behaupten, dass für diese Zahlen

x1,x2 [a,t1] : |x1 x2| < δ|f(x1) f(x2)| < 𝜀 (3.14)

gilt.

Für den Beweis dieser Behauptung nehmen wir also Punkte x1 , x2 [a, t1] mit |x1 x2 | < δ. Nun unterscheiden wir zwei Fälle.

Angenommen |x1 s0| 1 2δ1 oder |x2 s0| 1 2δ1. Wir gehen ohne Beschränkung der Allgemeinheit von ersterem aus. Dann gilt nach der Dreiecksungleichung |x2 s0||x2 x1| + |x1 s0| < δ + 1 2δ1 1 2δ1 + 1 2δ1 = δ1

und somit |f(x1) f(x2)| < 𝜀 nach (3.12).

Angenommen |x1 s0| > 1 2δ1 und |x2 s0| > 1 2δ1. Da auch xj t1 s0 + 1 2δ1 für j {1,2} gilt, folgt xj s0 1 2δ1 t0 für j {1,2} und insbesondere x1,x2 [a,t0]. Nach Gleichung (3.13) gilt also auch in diesem Fall |f(x1 ) f(x2)| < 𝜀.

Dies beweist die Behauptung, womit auch t1 X gilt. Da aber s0 das Supremum von X ist und kleiner gleich t1 = min {b,s0 + 1 2δ1} ist, muss t1 = s0 sein. Dies ist per Definition von t1 aber nur dann möglich, wenn s0 = b ist, womit wir b = s0 = t1 X gezeigt haben. Das heisst, für 𝜀 > 0 existiert ein δ > 0, welches für alle x1,x2 [a,b] die Implikation

|x1 x2| < δ|f(x1) f(x2)| < 𝜀

erfüllt. Da 𝜀 > 0 beliebig war, beweist dies die gleichmässige Stetigkeit von f.   

Übung 3.78.

Gilt die Aussage von Satz 3.77 auch für stetige Funktionen auf dem offenen Intervall (0, 1)?

Hinweis.

Betrachten Sie die Funktion x (0,1)1 x .

Es gibt weitere, interessante Beweise von Satz 3.77. In der folgenden Übung möchten wir illustrieren, wie Satz 3.77 mit einer stetigen Wahl von δ zusammenhängen kann und dass eine solche Wahl (unabhängig vom Definitionsbereich in ) existiert.

Übung 3.79.

Sei D eine Teilmenge und sei f : D eine stetige Funktion. Sei 𝜀 > 0. Nach Definition der Stetigkeit gibt es für jedes x0 D ein δx0 > 0, so dass

|x x0| < δx0|f(x) f(x0)| < 𝜀. (3.15)

für alle x D gilt. Wir möchten nun eine Funktion δ : D >0,x0δx0 konstruieren, welche stetig ist. Für jeden Punkt x0 D definieren wir dazu

δx0 = sup {δ (0,1] x,y (x 0 δ,x 0 + δ) : |f(x) f(y)| < 𝜀}.
(i)
Zeigen Sie, dass die Menge rechts in obiger Gleichung nicht-leer ist und δx0 somit wohldefiniert ist.
(ii)
Zeigen Sie, dass die Abbildung x0 Dδx0 (0,1] stetig ist und dass für jedes x0 D die Zahl δx0 die Implikation (3.15) erfüllt.

Sei nun D = [a,b]. Verwenden Sie die oben konstruierte Funktion x0 [a,b]δx0 (0,1] und Korollar 3.71, um Satz 3.77 zu beweisen.

Nach Satz 3.77 bildet jede stetige Funktion auf einem kompakten Intervall ein Beispiel einer gleichmässig stetigen Funktion. Weitere Beispiele (auch auf allgemeineren Teilmengen von ) kann man mittels folgendem Begriff finden.

Übung 3.80 (Lipschitz-Stetigkeit).

In dieser Übung möchten wir einen weiteren Stetigkeitsbegriff diskutieren.

a)
Sei D eine Teilmenge. Wir nennen eine reellwertige Funktion f auf D Lipschitz-stetig, falls ein L 0 existiert mit |f(x) f(y)| L|x y| für alle x, y D. Geben Sie ein, zwei Beispiele von Lipschitz-stetigen Funktionen und zeigen Sie, dass eine Lipschitz-stetige Funktion auch gleichmässig stetig ist.
b)
Zeigen Sie, dass die Wurzelfunktion x [0,2]x zwar gleichmässig stetig, aber nicht Lipschitz-stetig ist.
c)
Zeigen Sie, dass die Wurzelfunktion x [1,)x Lipschitz-stetig und gleichmässig stetig ist.
d)
Folgern Sie, dass die Wurzelfunktion x [0,)x gleichmässig stetig ist.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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