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2.5 Maximum und Supremum

2.5.1 Maximum und Minimum

Definition 2.56 (Maximum).

Wir sagen, dass x0 = max (X) das Maximum einer Teilmenge X ist, falls x0 X und für alle x X die Ungleichung x x0 gilt.

Wir dürfen in der Tat von dem Maximum einer Teilmenge X sprechen, da es durch die Definition eindeutig bestimmt ist. Denn falls x0 , x0 beide die Eigenschaften eines Maximums erfüllen, so folgt x0 x0 (weil x0 X und x0 ein Maximum ist) und x0 x0 (weil x0 X und x0 ein Maximum ist) und damit x0 = x0.

Ein abgeschlossenes Intervall [a,b] mit Endpunkten a < b in hat b = max ([a,b]) als Maximum. Auch nicht-leere endliche Teilmengen und viele weitere Mengen besitzen ein Maximum. Es gibt jedoch auch Mengen, die kein Maximum besitzen. Beispielsweise hat das offene Intervall (a, b) mit Endpunkten a < b in kein Maximum (beweisen Sie dies als Übung) – es würde sich zwar der Endpunkt b anbieten, doch dieser liegt nicht in der Menge (a,b) und ist also kein Kandidat für das Maximum. Wir werden in Kürze einen Begriff einführen, der auf b zutrifft und gewissermassen als Ersatz für das Maximum angesehen werden kann.

Des Weiteren kann (oder auch Intervalle der Form [a,),(a,) für a ) kein Maximum besitzen, da für beliebige x die Ungleichung x < x + 1 gilt und damit x kein Maximum sein kann.

Definition 2.57 (Minimum).

Wir sagen, dass x0 = min (X) das Minimum einer Teilmenge X ist, falls x0 X und x x0 für alle x X gilt.

Die obige Diskussion lässt sich auf analoge Weise für das Minimum anwenden. Dieses ist also eindeutig bestimmt, muss aber nicht unbedingt existieren.

2.5.2 Supremum und Infimum

Definition 2.58 (Beschränktheit und Schranken).

Eine Teilmenge X heisst von oben beschränkt, falls es ein s gibt mit x s für alle x X. Ein solches s nennt man in diesem Fall eine obere Schranke von X. Die Begriffe „ von unten beschränkt“ und „untere Schranke“ sind analog definiert. Eine Teilmenge X heisst beschränkt, falls sie von oben und von unten beschränkt ist.

Wie wir bereits bemerkt haben, hat zum Beispiel das Intervall (0, 1) kein Maximum. Es hat aber obere Schranken, 100 ist ein Beispiel. Natürlich ist 100 keine „ gute“ obere Schranke; 10 oder auch 2 oder 3 2 sind kleinere also auch „bessere“ obere Schranken. Die absolut beste obere Schranke ist aber durch 1 gegeben. Denn nach Definition von (0,1) ist 1 sicherlich eine obere Schranke und für jede obere Schranke s gilt s 1. Wir argumentieren indirekt und nehmen an, s < 1 sei eine obere Schranke. Dann wäre s 1 2 da 1 2 (0,1), und damit s+1 2 (0,1). Da aber s < 1 auch s < s+1 2 impliziert, widerspricht dies der Annahme, dass s eine obere Schranke sei.

Diese Gedanken führen gemeinsam mit dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom (16) in Abschnitt 2.1.3) zu folgendem grundlegenden Begriff.

Satz 2.59 (Supremum).

Sei X eine von oben beschränkte, nicht-leere Teilmenge. Dann gibt es eine kleinste obere Schranke von X, die auch das Supremum sup (X) von X genannt wird. Formal gelten also für s0 = sup (X) folgende Eigenschaften:

(1)
(s0 ist eine obere Schranke) x X : x s0
(2)
(s0 ist kleiner gleich jeder oberen Schranke) s : (( x X : x s)s0 s)

Äquivalenterweise kann s0 = sup (X) auch durch (1) und die folgende Bedingung definiert werden:

(2’)
(Kleinere Zahlen sind keine oberen Schranken) 𝜀 > 0 x X : x > s0 𝜀.

Um diesen wichtigen Begriff noch etwas genauer zu beleuchten, wollen wir vor dem Beweis noch ein paar Bemerkungen machen.

Falls das Maximum x0 = max (X) existiert, dann ist x0 eine obere Schranke von X und ist vielmehr auch die kleinste obere Schranke, also max (X) = sup (X). Denn aus x0 X folgt x0 s für jede obere Schranke s von X.
Wenn das Supremum sup (X) in X liegt, dann ist sup (X) = max (X), da das Supremum eine obere Schranke ist. Also ist das Supremum eine Verallgemeinerung des Maximums einer Menge.
Die Formulierung „kleinste obere Schranke“ ist natürlich ein Synonym für das Minimum der oberen Schranken und ist dadurch eindeutig bestimmt, falls es existiert.

Beweis von Satz 2.59.

Nach Annahme ist X nicht-leer und die Menge der oberen Schranken Y = {s x X : x s} ist ebenfalls nicht-leer. Des Weiteren gilt für alle x X,s Y die Ungleichung x s. Nach dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom (16) in Abschnitt 2.1.3) folgt daher, dass es ein c gibt, für das x c s für alle x X und s Y . Aus der ersten Ungleichung folgt, dass c eine obere Schranke von X ist. Aus der zweiten Ungleichung folgt, dass c die kleinste obere Schranke von X ist, und daher erfüllt c sowohl (1) als auch (2).

Wir zeigen nun, dass das Supremum auch durch (1) und (2’) charakterisiert wird. Also angenommen s0 = sup (X) und 𝜀 > 0, dann ist s0 𝜀 < s0 . Daher kann s0 𝜀 keine obere Schranke sein und es existiert ein x X mit x > s0 𝜀. Daher erfüllt s0 auch (2’).

Erfüllt t0 nun (1) und (2’), so ist t0 eine obere Schranke und daher ist s0 t0 nach Definition von s0 = sup (X). Falls s0 < t0 wäre, dann wäre s0 = t0 𝜀 für ein 𝜀 > 0. Nach der zweiten Eigenschaft von t0 gäbe es ein x X mit x > s0 , was der Definition von s0 als (kleinste) obere Schranke widerspricht. Deswegen muss t0 = s0 gelten und s0 ist eindeutig durch die Bedingungen (1) und (2’) bestimmt.   

Applet 2.60 (Supremum einer beschränkten nicht-leeren Menge).

Wir betrachten eine beschränkte nicht-leere Teilmenge von und zwei äquivalente Charakterisierungen des Supremums dieser Menge.

Hinweis zur Bedienung.

In diesem und manchen der folgenden Applets können sie den dargestellten Ausschnitt vergrössern: je nach Gerät mit Mausrad, Auf- und Abbewegung mit zwei Finger auf dem Trackpad, oder auf mobilen Geräten mittels Streckbewegungen mit zwei Finger.

Genauso wie auch andere Konsequenzen des Vollständigkeitsaxioms, die wir behandeln werden, ist die Existenz des Supremums in der Tat äquivalent zum Vollständigkeitsaxiom. In anderen Worten hätten wir anstelle von Axiom (16) einfach die Aussage von Satz 2.59 fordern können. Mehr dazu finden Sie im Abschnitt 2.7.2.

Für eine von unten beschränkte, nicht-leere Teilmenge X wird die grösste, untere Schranke auch das Infimum inf (X) von X genannt. Für das Infimum gilt eine ähnliche Aussage wie in Satz 2.59:

Übung 2.61 (Existenz des Infimums).

Formulieren und beweisen Sie die analoge Aussage zu Satz 2.59 für das Infimum. Sie können dazu wie im Beweis von Satz 2.59 vorgehen oder das Supremum der Teilmenge X = {xx X} für eine von unten beschränkte, nicht-leere Teilmenge X betrachten.

Die in obiger Übung erschienene Notation lässt sich verallgemeinern. Sei x eine reelle Zahl und seien A,B zwei Teilmengen. Wir definieren

x + A = {x + aa A} A + B = {a + ba A,b B} xA = {xaa A} AB = {aba A,b B}.

Es gelten also beispielsweise die Identitäten x + A = {x} + A, xA = {x } A für alle x und A . Auch gilt [a, b] + [c,d] = [a + c,b + d] für a, b, c, d mit a b und c d. (Wieso?)

Proposition 2.62 (Supremum unter Streckung).

Sei A eine nicht-leere, von oben beschränkte Teilmenge und sei c > 0. Dann ist cA von oben beschränkt und es gilt

sup (cA) = csup (A).

Wir empfehlen Ihnen hier, sich die Aussage dieser (genauso wie der nächsten) Proposition zuerst am Begriff des Maximums zu veranschaulichen.

Beweis.

Sei s = sup (A). Dann gilt a s und somit auch ca cs für alle a A. Da aber jedes Element von cA von der Form ca für ein a A ist, erhalten wir, dass cs eine obere Schranke von cA ist und dass cA von oben beschränkt ist.

Sei 𝜀 > 0. Dann existiert nach Satz 2.59 ein a A mit a > s 𝜀 c, für welches die Ungleichung ca > cs 𝜀 gilt. Dies zeigt die zweite charakterisierende Eigenschaft des Supremums und wir erhalten sup (cA) = cs = csup (A).   

Proposition 2.63 (Supremum unter Summen).

Seien A,B zwei nicht-leere, von oben beschränkte Teilmengen von . Dann ist A + B von oben beschränkt und es gilt

sup (A + B) = sup (A) + sup (B).

Beweis.

Wir definieren sA = sup (A) und sB = sup (B). Dann gilt a sA und b sB für alle a A und b B, was a + b sA + sB für alle a A und b B impliziert. Da aber jedes Element von A + B von dieser Form ist, erhalten wir, dass sA + sB eine obere Schranke von A + B ist und dass A + B von oben beschränkt ist.

Sei 𝜀 > 0. Dann existiert nach Satz 2.59 ein a A mit a > sA 𝜀 2 und ein b B mit b > sB 𝜀 2, was wiederum a + b > sA + sB 𝜀 impliziert. Dies zeigt die zweite charakterisierende Eigenschaft von sup (A + B) in Satz 2.59 und wir erhalten

sup (A + B) = sA + sB = sup (A) + sup (B).   

2.5.3 Uneigentliche Werte, Suprema und Infima

In diesem Abschnitt wollen wir die Begriffe „Supremum“ und „Infimum“ auf beliebige Teilmengen von erweitern (ohne die in Abschnitt 2.5.2 getroffenen Annahmen). Dazu verwenden wir die Symbole = + und , die keine reellen Zahlen darstellen. Wir definieren die erweiterte Zahlengerade (die auch Zweipunktkompaktifizierung von genannt wird) durch

¯ = {,+}

und stellen uns diese als die Zahlengerade

PIC

vor. Hier haben wir den Punkt + rechts von und den Punkt links von zu der Gerade hinzugefügt. Formaler formuliert: wir erweitern die Relation (Ordnung) auf ¯, so dass x + für alle x ¯ gilt, aber keine weiteren -Relationen für die Symbole , + erfüllt sind. Inbesondere schreiben wir auch < x < für alle x .

Übung 2.64 (Geometrie der Zweipunktkompaktifizierung).

Zeigen Sie, dass die Abbildung

ϕ : (1,1),x { 1 1 1+x falls x 0 1 + 1 1xfalls x < 0

bijektiv ist und die Ordnung erhält. Das heisst, für x, y gilt x < y ϕ(x) < ϕ(y). Erweitern Sie ϕ zu einer ordnungserhaltenden Bijektion ϕ ¯ : ¯ [1,1] und erklären Sie damit das obige Bild der erweiterten Zahlengerade.

Das Maximum und das Minimum einer Teilmenge X ¯ ist nun wie in Abschnitt 2.5.1 definiert (falls es existiert).

Falls X nicht von oben beschränkt ist, dann definieren wir sup (X) = +. Falls X leer ist, setzen wir sup () = (da jedes x eine obere Schranke von darstellt). Analog definieren wir inf () = + und inf (X) = , falls X nicht von unten beschränkt ist.

Folgende Übungen stellen natürliche Eigenschaften von Supremum und Infimum dar. Sie sollten mindestens eine dieser Übungen ausarbeiten. Betrachten Sie hierbei die Spezialfälle, die zu einem uneigentlichen Supremum oder Infimum führen, getrennt und gehen Sie anschliessend wie im Beweis von Proposition 2.63 vor.

Weiter definieren wir für die Übungen die „Rechenregeln“

+ x = x + = + x = x = + = =

für alle x und

= () = y = y = (y) = (y) = () = () () = y () = () y = (y) () = () (y) =

für alle y > 0, wovon wir einen Teil verwenden werden. Die Ausdrücke und 0 oder ähnliche bleiben wohlgemerkt aber undefiniert.

Übung 2.65 (Eigenschaften von Supremum und Infimum unter Vereinigung).

Seien X,Y zwei Teilmengen von . Zeigen Sie, dass

sup (X Y ) = max {sup (X),sup (Y )}.

Formulieren und beweisen Sie eine analoge Formel für das Infimum von X Y .

Übung 2.66 (Eigenschaften von Supremum und Infimum unter Summen und Produkten).

Seien A,B zwei nicht-leere Teilmengen. Zeigen Sie, dass

sup (A + B) = sup (A) + sup (B)

und dass, falls A >0 und B >0,

sup (AB) = sup (A)sup (B).

Suchen Sie des Weiteren ähnliche Identitäten für das Infimum.

Übung 2.67.

Sei A eine nicht-leere Teilmenge von . Zeigen Sie, dass

sup |A| = max {sup (A),inf (A)}.

Hierbei ist |A| das Bild von A unter dem Absolutbetrag || (als Funktion von  nach ).

2.5.4 Verwendung des Supremums und des Infimums

Das Supremum ist eine natürliche und notwendige Verallgemeinerung des Maximums einer Menge, da letzteres sogar für beschränkte Intervalle nicht existieren muss. Das Supremum kann aber auch hilfreich sein in Situationen, wo das Maximum existiert. Denn falls man beweisen will, dass ein Maximum existiert, dann hat man mit dem Supremum den richtigen Kandidaten und kann den Beweis mit der Existenz des Supremums beginnen. Auf die gleiche Weise ist das Infimum einer Menge eine Verallgemeinerung des Minimums.

Es ist wichtig, dass Sie sich die charakterisierenden Eigenschaften des Supremums und Infimums einprägen, da diese Begriffe fundamentale Bausteine unserer zu entwickelnden Theorie sein werden. Zum Beispiel werden wir das Integral einer Funktion durch ein Supremum definieren (siehe Figur 1.2 und Kapitel 4).

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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