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3.6 Der Zwischenwertsatz

In diesem Abschnitt wollen wir einen fundamentalen Satz beweisen, der die Heuristik, dass der Graph einer stetigen Funktion auf einem Intervall „eine durchgehende Kurve“ darstellt, formalisiert. Wir sagen, dass eine reelle Zahl c zwischen zwei reellen Zahlen x1,x2 liegt, falls x1 c x2 oder x2 c x1 gilt. Wir sagen c liegt echt zwischen x1 und x2 falls x1 < c < x2 oder x2 < c < x1 ist.

Satz 3.58 (Zwischenwertsatz).

Sei I ein Intervall, f : I eine stetige Funktion und a,b I. Für jedes c zwischen f(a) und f(b) gibt es ein x zwischen a und b, so dass f(x) = c gilt.

PIC

     Figur 3.6: Der Graph einer stetigen Funktion kann keine Sprünge machen und die Funktion nimmt alle Werte zwischen f(a) und f(b) an.     

Wie wir sehen werden, verwendet der Beweis die Existenz des Supremums (und damit das Vollständigkeitsaxiom).

Beweis.

Wir nehmen ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass a < b und f(a) f(b) gilt (falls f(a) > f(b) ist, betrachtet man zuerst f und bemerkt, dass die Aussage des Satzes für f die Aussage des Satzes für f impliziert).

Sei nun c [f(a),f(b)]. Falls c = f(a) oder c = f(b) gilt, sind wir fertig. Also angenommen c (f(a),f(b)). Wir definieren

X = {x [a,b]f(x) c}

und bemerken, dass a X und X [a,b], wodurch X nicht-leer und von oben beschränkt ist. Nach Satz 2.59 existiert daher x0 = sup (X) [a,b]. Wir werden nun die Stetigkeit von f bei x0 verwenden, um zu zeigen, dass f(x0) = c.

Für jedes 𝜀 > 0 gibt es ein δ > 0, so dass für alle x [a,b] gilt

|x x0| < δ|f(x) f(x0)| < 𝜀. (3.6)

Angenommen f(x0) < c. Dann folgt x0 < b wegen f(b) > c und x0 [a, b]. Wir wenden nun die Stetigkeit von f bei x0 an und finden für 𝜀 = c f(x0) > 0 ein δ > 0 wie in (3.6). Da x0 < b ist, existiert ein x (x0,x0 + δ) [a,b]. Für dieses x gilt dann

f(x) = f(x0) + (f(x) f(x0)) < f(x0) + c f(x0) = c.

Also muss x in X liegen, was aber sup (X) = x0 < x widerspricht.

Angenommen f(x0) > c. Dann folgt x0 > a wegen f(a) < c. Wir verwenden wieder die Stetigkeit von f bei x0 und finden zu 𝜀 = f(x0) c ein δ > 0 mit der Eigenschaft in (3.6) . Für x (x0 δ,x0) [a,b] gilt dadurch

f(x) = f(x0) + (f(x) f(x0)) > f(x0) (f(x0) c) = c,

wodurch x X und daher (x0 δ,x0) [a,b] X = . Also ist x0 δ eine obere Schranke von X, was aber x0 = sup (X) widerspricht. Daher gilt f(x0) = c und der Satz folgt.   

Übung 3.59 (Flugreise).

In dieser Übung möchten wir eine Anwendung des Zwischenwertsatzes aus dem Alltag präsentieren. Angenommen Sie fliegen von Zürich nach Lima. Zeigen Sie, dass Sie dabei den Äquator überqueren müssen.

Hinweis.

Betrachten Sie Breitengrade als Funktion der Zeit.

Wir wenden uns nun formaleren Anwendungen des Zwischenwertsatzes zu. Der Zwischenwertsatz ist beispielsweise nützlich, wenn man versucht Nullstellen von stetigen Funktionen zu finden oder wenn man versucht, „Löcher“ im Bild einer Funktion auszuschliessen.

Übung 3.60 (Nullstellen von Polynomen).

Zeigen Sie, dass jedes reelle Polynom von ungeradem Grad eine (reelle) Nullstelle besitzt. Gehen Sie dazu wie folgt vor: Sei f = j=0najxj in [x] mit an 0 und n ungerade.

Hinweis.

Verwenden Sie den Beweis von Proposition 3.15 und zeigen Sie, dass es Zahlen x, y geben muss mit f(x) < 0 und f(y) > 0.

Übung 3.61 (Injektivität und Monotonie).

Sei I ein nicht-leeres Intervall und f : I eine stetige, injektive Abbildung. Zeigen Sie, dass f streng monoton ist.

Hinweis.

Betrachten Sie a,b I mit a < b und nehmen Sie zuerst an, dass f(a) < f(b). Was kann man über den Wert von f an einem Punkt x (a,b) I sagen?

In den folgenden zwei Übungen möchten wir auf einen weiteren Begriff hinweisen, der eng in Verbindung zum Zwischenwertsatz steht. Im zweiten Semester werden wir auf diesen Zusammenhang zurückkehren.

Übung 3.62 (Zusammenhängende Teilmengen von ).

Wir nennen eine Teilmenge M zusammenhängend, wenn es keine zwei offenen Mengen U, V mit

(U M) (V M) = M,U M,V M (3.7)

gibt. Intuitiv ist die Menge M also zusammenhängend, wenn sie sich nicht durch offene Mengen auseinanderreissen lässt. Ziel dieser Übung ist es zu zeigen, dass die zusammenhängenden Teilmengen von gerade die Intervalle sind.

(i)
Sei M eine Teilmenge, die nicht ein Intervall ist. Zeigen Sie unter Verwendung von Übung 2.79, dass M nicht zusammenhängend ist.
(ii)
Sei nun I ein nicht-leeres Intervall und U,V offen wie in Gleichung (3.7) für M = I. Seien u U I und v V I und ohne Beschränkung der Allgemeinheit u < v. Betrachten Sie die Menge S = {s[u,s] U } und zeigen Sie in Analogie zum Beweis des Zwischenwertsatzes, dass das Supremum von S weder in U noch in V , aber in I liegen muss.

Übung 3.63 (Zwischenwertsatz via Zusammenhang).

Zeigen Sie den Zwischenwertsatz in folgenden Schritten. Sei I = [a, b] ein Intervall und f : I stetig.

(i)
(Charakterisierung von Stetigkeit) Zeigen Sie für jede offene Menge U , dass f1 (U) von der Form U I für eine offene Menge U ist.
Hinweis.

Vergleichen Sie mit Übung 3.56.

(ii)
Zeigen Sie, dass das Bild von f zusammenhängend ist.
Hinweis.

Nehmen sie an, dass offene Teilmengen U,V wie in Gleichung (3.7) für M = f(I) existieren und betrachten Sie deren Urbild unter f.

(iii)
Schliessen Sie auf den Zwischenwertsatz unter Verwendung von Übung 3.62 und (ii).
Hinweis.

f(I) ist ein Intervall.

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