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4.1 Treppenfunktionen und deren Integral

Im Folgenden betrachten wir für zwei reelle Zahlen a < b das kompakte Intervall [a, b] .

4.1.1 Zerlegungen

Definition 4.1 (Zerlegung).

Eine Zerlegung (oder Unterteilung) von [a, b] ist gegeben durch endlich viele Punkte

a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b

mit n . Die Punkte x0 , ,xn [a,b] werden die Teilungspunkte der Zerlegung genannt. Wir schreiben = {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b}.

Formal gesehen ist eine Zerlegung also eine endliche Teilmenge unseres Intervalls [a,b], die a und b enthält, gemeinsam mit einer Auflistung ihrer Elemente durch eine streng monotone Funktion k {0, ,n}xk. (Die Aufzählung ist eindeutig durch die Teilmenge bestimmt, da wir die Forderung x0 < x1 < < xn stellen). Eine Zerlegung induziert auch eine spezielle Art von Partition, nämlich

𝒫 () ={ {a},(x0,x1), {x1} , ,(xn1,xn), {b}},

die fortan implizit in den Diskussionen verwendet wird.

Definition 4.2 (Treppenfunktion).

Eine Funktion f : [a,b] ist eine Treppenfunktion (abgekürzt 𝒯), falls es eine Zerlegung = {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b} gibt, so dass es für jedes k {1, ,n} eine Zahl ck gibt mit

x (xk1,xk) : f(x) = ck.

Eine Treppenfunktion soll also konstant sein auf den Intervallen in der Partition 𝒫(). Die Intervalle (xk1 , xk ) für k {1, , n } heissen auch Konstanzintervalle der Treppenfunktion f und heisst eine Zerlegung in Konstanzintervalle von f. Die Zahlen c1, ,cn nennen wir Konstanzwerte von f bezüglich .

Beispielsweise sind konstante Funktionen auch Treppenfunktionen.

PIC

     Figur 4.1: Der Graph einer Treppenfunktion auf dem Intervall [a,b]. Die blauen Punkte deuten die Funktionswerte bei den Punkten x0, ,x5 an.     

Definition 4.3.

Seien , zwei Zerlegungen von [a,b]. Wir sagen, dass feiner als ist, falls jeder Teilungspunkt von ein Teilungspunkt von ist. Die gemeinsame Verfeinerung zweier Zerlegungen und ist die Zerlegung, deren Menge von Teilungspunkten durch die Vereinigung der Menge der Teilungspunkte von und von gegeben ist.

4.1.2 Das Integral einer Treppenfunktion

Definition 4.4.

Sei f : [a,b] eine Treppenfunktion und = {a = x0 < < xn = b} eine Zerlegung von [a,b] in Konstanzintervalle von f. Seien c1 , , cn die Konstanzwerte von f bezüglich . Dann definieren wir

I(f,) = k=1nc k(xk xk1) = k=1nc kΔxk,

wobei Δxk = (xk xk1) für die Länge des k-ten Konstanzintervalls in der Zerlegung für k = 1, ,n steht.

Für eine nicht-negative Treppenfunktion f 0 interpretieren wir I(f,) als Flächeninhalt der Ordinatenmenge

{(x,y) 2a x b,0 y f(x)}

und im Allgemeinen als vorzeichenbehafteter Nettoflächeninhalt (siehe Bild unten).

PIC

     Figur 4.2: Die Zahl I(f,) kann die Summe der Flächeninhalten von Rechtecken über der x-Achse oder eine Differenz von Flächeninhalten sein, wenn die Treppenfunktion positive und negative Werte auf den Konstanzintervallen annimmt.     

Lemma 4.5 (Unabhängigkeit von Zerlegung in Konstanzintervalle).

Sei f : [a,b] eine Treppenfunktion und = {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b} eine Zerlegung in Konstanzintervalle von f. Dann hängt I(f,) nicht von den Funktionswerten f(xk) für k {0, ,n} und nicht von der Wahl der Zerlegung in Konstanzintervalle der Funktion f ab.

Dieses Lemma wird uns erlauben, den Wert I(f, ) als das Integral von f zu definieren.

Beweis.

Seien f,f zwei Treppenfunktionen auf [a,b] mit derselben Zerlegung in Konstanzintervalle = {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b}. Falls nun f(x) = ck = f(x) für alle x (xk1,xk) und alle k {1, ,n}, dann gilt

I(f,) = k=1nc k(xk xk1) = I(f,)

und die erste Behauptung im Lemma folgt.

Sei nun f eine Treppenfunktion auf [a,b] und sowohl als auch Zerlegungen in Konstanzintervalle von f. Die zweite Behauptung des Lemmas besagt I(f,) = I(f,). (Zum Beispiel könnte = {x0 = a < x1 < x2 < x4 < x5 = b} und = {x0 = a < x1 < x2 < x3 < x4 < x5 = b} wie in Figur 4.1 sein.)

Wir beweisen diese Behauptung in drei Schritten. Im ersten Schritt nehmen wir an, dass feiner als = {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b} ist und bloss einen zusätzlichen Trennungspunkt y (x1,x) für ein {1, , n } hat. Unter Verwendung der Abkürzung Δxk = (xk xk1) für die Länge des k-ten Teilintervalls von für k {1, ,n} erhalten wir

I(f,) = k=11c kΔxk + c (x x1) + k=+1nc kΔxk = k=11c kΔxk + c (x y) + c (y x1) + k=+1nc kΔxk = I(f,),

da f(x) = c für alle x (x1,y) (y,x) (x1,x).

Mittels vollständiger Induktion nach || folgt aus obigem Fall, dass I(f,) = I(f,), falls feiner als ist. In der Tat kann man eine Liste von Zerlegungen finden, die mit  beginnt, mit  endet, und in der die nächste jeweils einen Punkt mehr besitzt als die vorhergehende Zerlegung in der Liste.

Falls nun , beliebige Zerlegungen in Konstanzintervalle von f sind, dann können wir die gemeinsame Verfeinerung betrachten und erhalten aus dem vorherigen Fall

I(f,) = I(f,) = I(f,),

was den Beweis des Lemmas abschliesst.   

Definition 4.6.

Für eine Treppenfunktion f : [a,b] definieren wir das Integral der Treppenfunktion f als

abf (x)d x =abfd x = I (f,),

wobei eine Zerlegung in Konstanzintervalle von f ist.

Nach Lemma 4.5 hängt diese Definition des Integrals nicht von der Wahl der Zerlegung ab.

Wir bemerken auch, dass das Symbol für ein stilisiertes S steht und damit an den Zusammenhang zu einer Summe erinnert. Des Weiteren ist die Variable x in der Notation  f(x)d x eine interne Variable für die Notation des Integrals (genauso wie die Variable k in der Summe  k=1nckΔxk), die ausserhalb des Integrals keine Bedeutung hat (und, um vorprogrammierte Verwirrungen zu vermeiden, auch keine haben sollte).

Lemma 4.7 (Linearität des Integrals von Treppenfunktionen).

Die nicht-leere Menge

𝒯([a,b]) = {f ([a,b])f ist eine Treppenfunktion}

der Treppenfunktionen auf dem Intervall [a,b] ist ein Unterraum des Vektorraums ([a,b]) der reellwertigen Funktionen auf [a,b]. Des Weiteren ist die Abbildung : 𝒯([a,b]) linear. Das heisst, für alle f,g 𝒯([a,b]) und s ist f + g 𝒯 ([a,b]), sf 𝒯 ([a,b]) und es gilt

ab (f + g)d x =abfd x +abgd x, ab (sf )d x = sabfd x.

Beweis.

Falls f eine Zerlegung in Konstanzintervalle von f und g eine Zerlegung in Konstanzintervalle von g ist, dann existiert eine gemeinsame Verfeinerung

= {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b}

von f und g . Dies ist eine Zerlegung in Konstanzintervalle von f und g. Seien c1 , , cn respektive d1 , , dn die Konstanzwerte von f respektive g bezüglich der Zerlegung , das heisst, es gilt

x (xk1,xk) : f(x) = ck und g(x) = dk (4.1)

für alle k {1, ,n}. Insbesondere ergibt dies für alle k {1, ,n}

x (xk1,xk) : f(x) + g(x) = ck + dk und (sf)(x) = sck

und wir erhalten f + g,sf 𝒯([a,b]). Des Weiteren gilt

ab (f + g)d x = I(f + g,) = k=1n(c k + dk)Δxk = k=1nc kΔxk + k=1nd kΔxk = I(f,) + I(g,) =abfd x +abgd x

und ebenso

ab (sf )dx = I(sf,) = k=1nsc kΔxk = s k=1nc kΔxk = sI (f,) = sabfdx.   

Lemma 4.8 (Monotonie des Integrals von Treppenfunktionen).

Sind f, g 𝒯([a,b]) zwei Treppenfunktionen mit f g. Dann gilt

abfd x abgd x.

Insbesondere impliziert f 𝒯([a,b]) und f 0, dass abfd x 0.

Beweis.

Wie schon im Beweis des letzten Lemmas können wir für f, g 𝒯 ([a,b]) eine gemeinsame Zerlegung = {a = x0 < x1 < < xn1 < xn = b} in Konstanzintervalle finden. Wir schreiben wieder c1, ,cn,d1, ,dn für die Konstanzwerte von f resp. g bezüglich (wie in Gleichung (4.1)). Falls nun f g (also f(x) g(x) für alle x [a, b]) ist, dann ist ck dk für alle k {1, ,n} und wir erhalten

abfd x = I (f,) = k=1nc kΔxk k=1nd kΔxk = I (g,) =abgd x.

Die zweite Aussage folgt aus der ersten angewendet auf 0 und f.   

Durch genauere Betrachtung des obigen Beweises oder Lemma 4.5 sieht man sogar, dass die Ungleichung f g auf den durch eine Zerlegung gegebenen offenen Intervallen für die Konklusion abfd x abgd x ausreichend ist.

Übung 4.9 (Integral von „zusammengeklebten“ Treppenfunktionen).

Seien [a,b],[b,c] zwei beschränkte und abgeschlossene Intervalle und sei f1 𝒯 ([a,b]) und f2 𝒯 ([b,c]). Zeigen Sie, dass die Funktion

f : [a,c] ,x { f1(x)falls x [a,b) f2(x)falls x [b,c]

eine Treppenfunktion auf [a,c] ist und geben Sie eine Zerlegung in Konstanzintervalle von f an. Beweisen Sie anschliessend, dass das Integral von f gegeben ist durch

acfd x =abf 1 d x +bcf 2 d x.

Zeigen Sie des Weiteren, dass jede Treppenfunktion auf [a, c] von obiger Form ist.

Hinweis.

Die Notation 1 = {a = x1,0 < x1,1 < < x1,m = b} für die Zerlegung in Konstanzintervalle von f1 und 2 = {b = x2,0 < x2,1 < < x2,n = c} für die Zerlegung in Konstanzintervalle von f2 könnte hilfreich sein.

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