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2.1 Die Axiome der reellen Zahlen

Definition 2.1.

Eine Menge gemeinsam mit einer Abbildung

+ : × ,(x,y)x + y,

die wir Addition nennen, einer Abbildung

: × ,(x,y)x y,

die wir Multiplikation nennen, und einer Relation auf , die wir kleiner gleich nennen, wird als Menge der reellen Zahlen bezeichnet, falls die in diesem Abschnitt 2.1 aufgelisteten 16 Axiome erfüllt sind.

2.1.1 Körperaxiome

Axiome (Addition).

Die Addition erfüllt folgende Eigenschaften:

(1)
(Nullelement) 0 x : x + 0 = 0 + x = x
(2)
(Additives Inverses) x (x) : x + (x) = (x) + x = 0
(3)
(Assoziativgesetz) x,y,z : (x + y) + z = x + (y + z)
(4)
(Kommutativgesetz) x,y : x + y = y + x

An dieser Stelle kann man sich einige Fragen stellen. Beispielsweise ist nicht klar, wieso die Notation (x) für die additive Inverse eines Elements x gerechtfertigt ist; a priori könnte es ja mehrere additive Inverse eines Elements geben. Deswegen sollte (x) vorerst als der Name eines Elements in gesehen werden und nicht als ein eindeutig bestimmtes, zu x gehörendes Element. Fragen wie diese möchten wir in Kürze beantworten.

Bemerkung.

Um formal korrekt zu sein, müsste man schreiben

(1’)
z x : x + z = z + x = x,
(2’)
x y w : w + (x + y) = (x + y) + w = w und
x y w : w + (y + x) = (y + x) + w = w.

Dies sind die formal korrekten Version der Axiome (1) und (2): In (1’) haben wir nicht ein „unbekanntes Symbol 0 verwendet, sondern die Existenz eines Elements mit einer bestimmten Eigenschaft gefordert. Dadurch wird es klarer, dass bei der gefordeten Existenz a priori nicht klar ist, ob es nur ein oder mehrere derartige Elemente gibt. Analog haben wir in (2’) die Verwendung dieses unbekannten Symbols und auch der verfrühten Notation (x) vermieden.

Wir haben bei der Formulierung der obigen Axiome versucht einen Kompromiss zwischen Lesbarkeit und formaler Korrektheit zu treffen, damit die Axiome auf den ersten Blick intuitiv Sinn machen und über jeden Zweifel erhaben sind. Formal sollten Sie die Symbole 0 und (x), wie bereits angedeutet, vorerst als seltsame aussehende Variablen interpretieren.

Alternativ hätten wir in der Formulierung der Axiome gleich zu Beginn fordern können, dass es neben der Addition auch noch ein ausgezeichnetes Element 0 und eine weitere Abbildung : gibt, und in den ersten beiden Axiomen die Eigenschaften dieser zusätzlichen Objekte beschreiben können. Dies widerspricht aber dem Wunsch an einem Axiomensystem minimal zu sein und nur die nötigsten Objekte, die sich nicht unter Verwendung anderer Objekte definieren lassen, einzuführen.

Erste Folgerungen.

(a)
Das Nullelement 0 (auch die Null genannt) ist durch das Axiom (1) eindeutig bestimmt. Insbesondere ergibt der Begriff das Nullelement Sinn und es ist akzeptabel, dass 0 in Axiom (2) vorkommt, ohne dass man vorher eine Null wählen musste. In der Tat, sind 01 , 02 zwei Elemente, die die Eigenschaft in Axiom (1) erfüllen, dann gilt also 01 = 01 + 02 = 02.

Zuerst wurde x = 01 in Axiom (1) für 02 eingesetzt, und in der zweiten Gleichung haben wir die Rollen der beiden Nullen vertauscht.

(b)
Das Negative x ist für jedes x durch die Eigenschaft x + (x) = 0 eindeutig bestimmt. Insbesondere können wir von der additiven Inversen eines Elements sprechen und die Abbildung : x x ist wohldefiniert. In der Tat, falls y,z zu x die Identitäten x + y = x + z = 0 erfüllen, dann gilt y = y + 0 = y + (x + z) = (y + x) + z = (x + y) + z = 0 + z = z,

nach der Eigenschaft der Null in Axiom (1), der Annahme für z, dem Assoziativgesetz in Axiom (3), dem Kommutativgesetz in Axiom (4), der Annahme für y und wiederum die Eigenschaft der Null in Axiom (1).

(c)
Wegen der Eindeutigkeit der additiven Inversen gilt (x) = x für jedes x . Denn für x gilt (x) + x = 0 nach der Definition der additiven Inversen von x in Axiom (2) und damit ist nach (b) schliesslich (x) = x.
(d)
Additives Kürzen ist erlaubt: Sind x,y,z mit x + y = x + z, so darf man x wegstreichen. (Das heisst, die Aussage x,y,z : x + y = x + zy = z gilt.) In der Tat gilt y = ((x) + x) + y = (x) + (x + y) = (x) + (x + z) = ((x) + x) + z = z,

wobei die Eigenschaft der Null in Axiom (1), Eigenschaft der additiven Inversen in Axiom (2), das Assoziativgesetz in Axiom (3), die Annahme x + y = x + z, das Assoziativgesetz in Axiom (3) und nochmals die Eigenschaft in den Axiomen (2) und (1) verwendet wurden.

Nach dem Assoziativgesetz in Axiom (3) können wir für x, y, z anstelle von (x + y) + z oder x + (y + z) einfach x + y + z schreiben, da diese nach Axiom (3) gleich sind. Anstelle von x + (y) für x, y schreiben wir oft auch die Subtraktion x y und anstelle von (x) + y auch x + y.

Wichtige Übung 2.2.

Zeigen Sie die folgenden Regeln (unter Verwendung der Axiome (1)(4) und der Folgerungen (a)(d) ).

(i)
Es gilt 0 = 0.
(ii)
Für alle x,y gilt (x + y) = (x) + (y) (wobei wir für letzteres auch = x y schreiben).
(iii)
Für alle x,y gilt (x y) = x + y.

Bemerkung.

Wir sagen auch, dass die reellen Zahlen gemeinsam mit der Abbildung (Verknüpfung) + : × eine kommutative oder abelsche Gruppe bilden, da die Axiome (1)-(4) gerade die Axiome einer kommutativen Gruppe bilden.

Axiome (Multiplikation).

Die Multiplikation erfüllt folgende Eigenschaften:

(5)
(Einselement) 1 {0} x : x 1 = 1 x = x
(6)
(Multiplikative Inverse) x {0} (x1) : x (x1) = (x1) x = 1
(7)
(Assoziativgesetz) x,y,z : x (y z) = (x y) z
(8)
(Kommutativgesetz) x,y : x y = y x

Des Weiteren muss bei Kombination der Addition und der Multiplikation folgendes Gesetz gelten.

Axiome (Kompatibilität von + und ).

Wir verlangen das folgenden Axiom:

(9)
(Distributivgesetz) x,y,z : (x + y) z = (x z) + (y z)

Wir werden sehen, dass die Axiome (5)-(9) implizieren, dass × = {0 } mit der Multiplikation eine abelsche Gruppe bildet, die auch die Einheitengruppe von genannt wird. Dies wird uns insbesondere erlauben, die Folgerungen aus den Axiomen (1)-(4) auf die Multiplikation analog anzuwenden.

Folgerungen.

(e)
Es gilt 0 x = x 0 = 0 für alle x . Denn für ein x gilt 0 x + 0 x = (0 + 0) x = 0 x = 0 x + 0

nach dem Distributivgesetz in Axiom (9) und der Eigenschaft der Null. Durch Wegstreichen von 0 x (siehe Folgerung (d)) erhalten wir 0 x = 0. Nach dem Kommutativgesetz in Axiom (8) folgt auch x 0 = 0 und die Behauptung ist gezeigt.

(f)
Es gilt (1) x = x für alle x . Denn für ein x ist x + (1) x = 1 x + (1) x = (1 + (1)) x = 0 x = 0,

was wegen Folgerung (b) die gewünschte Aussage impliziert.

(g)
Es gilt, dass für jedes x × auch jedes Element (x1) wie in Axiom (6) in × liegt. Denn wäre x × mit (x1 ) = 0, so würde 1 = x (x1) = x 0 = 0 gelten, was in Axiom (5) ausgeschlossen wurde.
(h)
Multiplikatives Kürzen ist erlaubt: Sei x × und eine Gleichung der Form x y = x z für y, z gegeben. Dann darf man x wegstreichen und es gilt y = z. In der Tat ist y = 1 y = ((x1) x) y = (x1) (x y) = (x1) (x z) = ((x1) x) z = 1 z = z.
(i)
Es gibt keine Nullteiler: Falls x y = 0 für zwei Elemente x,y gilt, dann ist x = 0 oder y = 0. Denn nimmt man an, dass x0 ist, so folgt aus der Gleichung x y = 0 = x 0, die nach Folgerung (e) und der Voraussetzung gilt, dass y = 0 ist nach Folgerung (h).

Wegen dem Assoziativgesetz in Axiom (7) schreiben wir anstelle von x (y z) oder (x y) z auch x y z für x, y, z . Wir verwenden im Weiteren die Regel „Punkt- vor Strichrechnung“ und lassen den Punkt in der Multiplikation oft auch weg. Insbesondere werden wir das Distributivgesetz in Axiom (9) auch in der Form (x + y)z = xz + yz für alle x, y, z schreiben.

Bemerkung.

Die Axiome (5)-(8) (gemeinsam mit den Folgerungen (g) und (i)) machen × ausgestattet mit (der Einschränkung) der Multiplikation : (×)2 × zu einer kommutativen Gruppe: Nach Folgerung (i) ist die Multiplikation wohldefiniert, nach Axiom (5) existiert ein sogenanntes neutrales Element (hier die Eins, bei der Addition war es die Null), nach Axiom (6) und Folgerung (g) hat jedes Element ein multiplikatives Inverses in {0 }. Das Assoziativgesetz (resp. das Kommutativgesetz) ist wegen Axiom (7) (resp. Axiom (8)) erfüllt. Insbesondere können wir die Folgerungen (a)-(c) übernehmen.

Folgerungen.

(j)
Das Einselement ist durch die Eigenschaft in Axiom (5) eindeutig bestimmt.
(k)
Das (multiplikatives) Inverse x1 × ist für jedes Element x × eindeutig durch x x1 = 1 bestimmt.
(l)
Für alle x × gilt (x1 )1 = x.

Wichtige Übung 2.3.

(i)
Analysieren Sie das Argument in Bemerkung 2.1.1, das Folgerungen (j), (k) und (l) beweist.
(ii)
Leiten Sie die Folgerungen (j),(k) und (l) direkt aus den Axiomen (5)(7) ab, was in diesem Fall nicht viel langsamer als die Argumentation im ersten Teil der Übung ist, aber eine klare Wiederholung der Argumente in Folgerungen (a)(c) darstellt.

Wichtige Übung 2.4.

Seien x, y,z .

(i)
Zeigen Sie, dass die Identität (x)(y) = xy. Überprüfen Sie auch, dass x × und (x)1 = (x1) gilt, falls x × ist.
(ii)
Zeigen Sie, dass das Distributivgesetz für die Subtraktion x(y z) = xy xz

gilt.

Wir verwenden oft die Schreibweise des Quotienten x y = xy1 für alle Zähler x und Nenner y ×. Die Inverse 1 y = y1 von y × nennen wir auch den reziproken Wert oder den Kehrwert von y.

Wichtige Übung 2.5 (Rechenregeln für Quotienten).

(i)
Für alle x,z und y, w × gilt x y = z w genau dann, wenn xw = yz.
(ii)
Für alle x,z und y, w × gilt x y z w = xz yw.
(iii)
Für alle x und y, z, w × gilt x y z w = xw yz .
(iv)
Für alle x,z und y, w × gilt x y + z w = xw + yz yw .

Wichtige Übung 2.6.

Wir definieren a2 = a a für alle a . Zeigen Sie die Gleichungen (a + b)2 = a2 + 2ab + b2, (a b)2 = a2 2ab + b2, und (a + b)(a b) = a2 b2 für alle a, b .

Die Axiome (1)-(9) werden auch die Körperaxiome genannt und machen also zu einem Körper. Diese definieren die üblichen Rechenregeln und sind damit gut als Axiome geeignet. Die Folgerungen (a)-(l), Übung 2.2 und Übungen 2.42.6 gelten für beliebige Körper und nicht nur für die reellen Zahlen.

Beispiel 2.7.

Bevor wir zu den weiteren Axiomen der reellen Zahlen kommen, wollen wir noch weiterere Beispiele von Körpern und ein Gegenbeispiel geben:

(i)
Die rationalen Zahlen , welche man aus den axiomatisch definierten natürlichen Zahlen konstruieren kann (siehe Abschnitt 1.5), bilden einen Körper.
(ii)
Die ganzen Zahlen (siehe Abschnitt 1.5) bilden keinen Körper. (Warum nicht?)
(iii)
Aus den rationalen Zahlen lassen sich viele weitere Körper bilden, zum Beispiel (2) := {a + b2a,b }

mit den natürlichen Rechenoperationen, wobei 2 eine Lösung der Gleichung x2 = 2 ist. (Wir werden dies nochmals genauer besprechen, siehe Abschnitt 2.1.4.)

(iv)
Der kleinst mögliche Körper 𝔽2 besteht aus der Menge {0,1} gemeinsam mit den Rechenoperationen der Addition 0 1 = 1 0 = 1,0 0 = 1 1 = 0

und der Multiplikation

0 1 = 1 0 = 0 0 = 0,1 1 = 1.

Hier sind 0,1 nicht die gewöhnlichen Zahlen (Elemente von ), sondern zwei Elemente der neuen Menge 𝔽2. Auch sind die Operationen und zwei neue Operationen, so dass 𝔽2 mit diesen beiden Operationen die Körperaxiome erfüllt (siehe Abschnitt 2.7.2).

(v)
Der Körper 𝔽2 kann auch als Quotient von bezüglich der Äquivalenzrelation , definiert durch m nn m ist gerade

für m, n , konstruiert werden. Diese Definition kann man für jede Primzahl p erweitern, um damit den Körper 𝔽p zu definieren (siehe wiederum Abschnitt 2.7.2).

Obige Beispiele zeigen, dass die „üblichen Rechenoperationen“ (das wären die Axiome (1)-(9)) von vielen Zahlensystemen erfüllt werden, oder präziser formuliert, dass es viele verschiedene Körper gibt. Wir sind an diesen Körpern hier(!) nicht weiter interessiert und schliessen sie aus, indem wir weitere Axiome einführen.

2.1.2 Angeordnete Körper

Axiome (Anordnung).

Die Relation auf erfüllt die folgenden vier Axiome:

(10)
(Reflexivität) x : x x
(11)
(Antisymmetrie) x,y : ((x y y x)x = y )
(12)
(Transitivität) x,y,z : ((x y y z)x z )
(13)
(Linearität) x,y : (x y y x )

Die Axiome (10)-(12) sind die Axiome einer (partiellen) Ordnung und zusammen mit Axiom (13) bilden sie die Axiome einer linearen (oder auch totalen) Ordnung. Damit die Relation auf dem Körper nützlich ist, benötigen wir die folgenden Axiome, die die Relation mit der Körperstruktur koppeln:

Axiome (Kompatibilität von ).

Wir verlangen die folgenden beiden Axiome:

(14)
( und +) x, y, z : (x yx + z y + z )
(15)
( und ) x, y : ((0 x 0 y)0 x y )

Wie bereits erwähnt wurde, sprechen wir x y als „ x ist kleiner gleich y aus. Wir definieren für x,y auch y x durch x y und sprechen dies als „ y ist grösser gleich x aus. Weiter definieren wir x < y (ausgesprochen als „x ist kleiner als y oder „ x ist echt kleiner als y) durch x y xy. Natürlich definieren wir x > y durch y < x und sagen „ x ist grösser als y oder „ x ist echt grösser als y. Wir verwenden diese Symbole oft auch in „gleich gerichteten Ketten“; beispielsweise steht x y < z = a für x y y < z z = a. Ein Element x ist positiv, falls x > 0 gilt, und negativ, falls x < 0 gilt. Des Weiteren sagen wir ein Element x ist nicht-negativ falls x 0, beziehungsweise nicht-positiv falls x 0.

Folgerungen.

Das Hinzufügen der Axiome (10)(15) hat folgende Konsequenzen:

(m)
(Trichotomie) Für alle x,y gilt entweder x < y, x = y oder x > y. Seien x, y . Nach der Linearität in Axiom (13) gilt x y oder y x. Falls x = y, dann können x > y und x < y nicht gelten (siehe obige Definitionen). Falls umgekehrt xy, dann kann nach der Antisymmetrie in Axiom (11) nur eine der beiden Aussagen x y und y x gelten, wodurch wiederum genau eine der beiden Aussagen x < y und y < x gilt.
(n)
Seien x, y,z . Falls x < y und y z ist, dann gilt auch x < z. Denn wir haben x z nach der Transitivität in Axiom (12) und falls x = z wäre, dann wäre y x und daher x = y nach der Antisymmetrie in Axiom (11) und der Voraussetzung x y, was aber der Annahme widerspricht. Analog sieht man, dass x y und y < z für x, y, z auch x < z impliziert.
(o)
Man darf Ungleichungen folgendermassen addieren: Seien x,y,z,w mit x y und z w. Dann gilt auch x + z y + w. In der Tat, x y impliziert x + z y + z nach der additiven Kompatibilität in Axiom (14) und z w impliziert y + z y + w ebenso nach Axiom (14), was gemeinsam x + z y + w nach der Transitivität in Axiom (12) impliziert. Analog sieht man (unter Verwendung von Folgerung (n)), dass für x,y,z,w mit x < y und z w auch x + z < y + w gilt.
(p)
Seien y, z . Dann gilt y z genau dann, wenn 0 z y gilt. Dies folgt wiederum aus der additiven Kompatibilität in Axiom (14) durch Subtraktion resp. Addition von y.
(q)
Sei x . Dann gilt x 0 x 0. Dies folgt aus (p) mit y = x und z = 0 gemeinsam mit Folgerung (c).
(r)
Des Weiteren ist für jedes x das Element x2 = x x 0 und x2 > 0, falls x 0. Falls x 0 ist, so folgt die erste Aussage aus der multiplikativen Kompatibilität in Axiom (15). Falls x 0 ist, dann ist x 0 nach Folgerung (q) und damit xx = (x)(x) 0 nach Übung 2.4. Falls x2 = 0 ist, dann gilt x = 0 nach Folgerung (i) und die zweite Aussage folgt.
(s)
Es gilt 0 < 1. Denn 1 = 12 0 nach Folgerung (r) und 10 nach Axiom (5).
(t)
Seien x, y,z . Falls x 0 und y z, dann gilt xy xz. Denn unter Verwendung von Folgerung (p), wonach z y 0, und der multiplikativen Kompatibilität in Axiom (15) gilt xz xy = x(z y) 0 und damit folgt die Aussage wiederum aus Folgerung (p).
(u)
Seien x, y,z . Falls x 0 und y z, dann gilt xy xz. In der Tat ist x 0 nach Folgerung (q), z y 0 nach Folgerung (p) und somit xy xz = x(y z) = (x)((y z)) = (x)(z y) 0

nach der multiplikativen Kompatibilität in Axiom (15) und Übungen 2.4 und 2.4.

(v)
Für x, y impliziert 0 < x y, dass 0 < y1 x1. Wir behaupten zuerst, dass x1 > 0 (y1 > 0 folgt analog). Denn falls nicht, dann wäre wegen der Trichotomie in Folgerung (m) und Folgerung (g) x1 < 0. Demnach würde 1 = xx1 < 0 nach Folgerung (t) gelten, was Folgerung (s) widerspricht. Insbesondere ist x1 y1 > 0 und es gilt y1 = xx1y1 yx1y1 = x1.
(w)
Falls 0 x y und 0 z w für x, y, z,w , dann gilt auch 0 xz yw (siehe Übung 2.8).
(x)
In einer Ungleichung der Form x + y x + z für x, y, z darf man x streichen, das heisst, y z folgern (siehe Übung 2.8).
(y)
In einer Ungleichung der Form xy xz für x, y, z darf man x streichen, das heisst, y z folgern, wenn x > 0 ist (siehe Übung 2.8).

Übung 2.8.

(i)
Beweisen Sie die Folgerungen (w),(x),(y). Was geschieht in (y), wenn man die Bedingung x > 0 fallen lässt, das heisst, wenn x < 0 oder x = 0?
(ii)
Formulieren Sie für einige der obigen Folgerungen ähnliche Versionen für die strikte Relation < und beweisen Sie diese.

Obige Axiome, Folgerungen und Aussagen in den Übungen stellen die üblichen Eigenschaften für Ungleichungen dar. Mit Hilfe dieser können wir auch Aufgaben wie in folgender Übung lösen.

Übung 2.9.

Zeigen Sie, dass

{x {0}x + 3 x + 4 0} = {x {0} 3 x 1 x > 0}

Falls ein Körper (der ja per Definition die Axiome (1)-(9) erfüllt) eine Relation besitzt, die auch die Axiome (10)-(15) erfüllt, dann nennen wir den Körper mit der Relation einen angeordneten (oder geordneten) Körper.

Beispiel 2.10 (angeordnete Körper).

(i)
Es gibt keine Relation auf 𝔽2 , so dass dieser einen angeordneten Körper bildet. Nehmen wir per Widerspruch an, dass eine Relation auf 𝔽2 ist, die die Axiome (10) (15) erfüllt. Dann folgt aus 0 < 1 und Folgerung (n) die strikte Ungleichung 0 = 0 + 0 < 1 + 1 = 0, was einen Widerspruch darstellt.
(ii)
Die rationalen Zahlen sowie der Körper (2) aus Beispiel 2.7 bilden mit der üblichen Relation einen angeordneten Körper.

2.1.3 Das Vollständigkeitsaxiom

Für die Analysis sind die Axiome (1)-(15) noch nicht ausreichend; Grund dafür ist, dass man vorerst noch zu viele „ Lücken“ in haben könnte. Wir benötigen also noch ein weiteres Axiom. Gewissermassen hat die Suche nach diesem Axiom mit den Arbeiten der Griechen wie Pythagoras, Euklid und Archimedes begonnen, doch wurde sie erst im 19. Jahrhundert in den Arbeiten zahlreicher Mathematiker, darunter Weierstrass, Heine, Cantor und Dedekind, erfolgreich (siehe auch diesen Link).

Wie wir in Kürze besprechen wollen, ist dieses Axiom trotzdem relativ leicht vorstellbar und wie wir im Laufe des Jahres sehen werden, ist es Grundlage für die ganze Analysis.

Axiom (Vollständigkeit).

Die reellen Zahlen erfüllen folgendes Axiom:

(16)
Zuerst in Worten: Falls X,Y zwei nicht-leere Teilmengen von sind und für alle x X und y Y die Ungleichung x y gilt, dann gibt es ein c , das zwischen X und Y liegt in dem Sinn, als dass für alle x X und y Y die Ungleichung x c y gilt. Formal: X,Y : (X Y x X y Y : x y) ( c x X y Y : x c y)

Wenn  die Axiome (1)–(16) erfüllt, dann sprechen wir auch von einem vollständig angeordneten Körper. Wir werden uns die reellen Zahlen häufig als die Punkte auf einer Geraden vorstellen, wobei wir deswegen die Gerade auch die Zahlengerade nennen.

PIC

Die Relation x < y für x, y interpretieren wir als „auf der Geraden liegt der Punkt y rechts von dem Punkt x, wobei wir „ rechts“ mit einem Pfeil auf der Geraden andeuten. Wir definieren 2 = 1 + 1 > 1 > 0, 3 = 2 + 1 > 2 und so weiter – siehe auch den Abschnitt 2.2.

Was bedeutet in diesem Bild das Vollständigkeitsaxiom? Seien X, Y nicht-leere Teilmengen von , so dass für alle x X und alle y Y die Ungleichung x y gilt. Dann sind alle Elemente von X links von allen Elementen von Y wie im nachfolgenden Bild.

PIC

Nach dem Vollständigkeitsaxiom existiert also ein c, das dazwischen liegt. Die Existenz der Zahl c ist gewissermassen eine Versicherung, dass keine „ Lücken“ hat.

Es ist gut, sich die obigen Axiome und Folgerungen, aber auch alle folgenden Lemmata, Propositionen, Sätze, Theoreme und deren Beweise auf der Zahlengeraden zu veranschaulichen. Doch sollte die Zahlengerade als Motivation und zur Entwicklung einer guten Intuition, aber nicht für die Beweisführung verwendet werden.

Bemerkung.

Wir bemerken, dass es im Vollständigkeitsaxiom notwendig ist, Mengen X, Y zu betrachten und man sich auch nicht auf endliche Mengen beschränken darf. In der Tat, falls die Menge X endlich ist, so kann man mittels der Axiome des angeordneten Körpers (also Axiomen (1)–(15)) ein maximales Element c X finden, welches die gewünschte Existenzaussage im Vollständigkeitsaxiom erfüllt. Ebenso würde ein minimales Element c Y einer endlichen Menge Y die Existenzaussage im Vollständigkeitsaxiom erfüllen. Ein Axiom ist aber nur dann interessant, wenn es nicht aus den vorhergehenden Axiomen folgt. Wie wir in Abschnitt 2.2.3 sehen werden, folgt das Vollständigkeitsaxiom (in obiger Formulierung für beliebige Teilmengen) aber nicht aus den vorhergehenden Axiomen.

2.1.4 Eine erste Anwendung der Vollständigkeit

Wir schliessen diesen Abschnitt indem wir als eine Anwendung des Vollständigkeitsaxioms die Wurzelfunktion auf 0 = {x : x 0} einführen.

Wichtige Übung 2.11 (Existenz der Wurzelfunktion).

In dieser Übung wollen wir die Existenz einer bijektiven Funktion : 0 0,aa mit der Eigenschaft a2 = a2 = a für alle a 0 zeigen.

(i)
Zeigen Sie für alle x,y 0, dass x < yx2 < y2.
(ii)
(Eindeutigkeit) Folgern Sie, dass es für jedes a 0 höchstens ein c 0 mit c2 = a gibt.
(iii)
(Existenz) Zeigen Sie für eine reelle Zahl a > 0, dass die Teilmengen X = {x 0x2 < a},Y = {y 0y2 > a}

die Vorraussetzung des Vollständigkeitsaxioms erfüllen. Wenden Sie nun das Vollständigkeitsaxiom an, um ein c mit x c y für alle x X und y Y zu finden. Verwenden Sie, dass c + 𝜀X für alle 𝜀 mit 0 < 𝜀 < 1 gilt und schliessen Sie auf c2 a (und damit c > 0). Argumentieren sie anschliessend mittels c 𝜀Y für alle 𝜀 mit 0 < 𝜀 < c um c2 a zu zeigen.

Wir bezeichnen für jedes a 0 die durch c2 = a und c 0 eindeutig bestimmte reelle Zahl als c = a und sprechen von der Wurzel von a.

(iv)
(Wachsend) Zeigen Sie für x,y 0 mit x < y die Ungleichung x < y.
(v)
(Bijektion) Zeigen Sie, dass die Wurzelfunktion von 0 nach 0 bijektiv ist.
(vi)
(Multiplikativität) Zeigen Sie, dass für alle x,y 0 gilt xy = xy.
(vii)
(Zwei Lösungen) Zeigen Sie, dass es für a > 0 genau zwei Lösungen der Gleichung x2 = a in x gibt.
Hinweise.

Für (i) genügt es wegen der Trichotomie für alle x, y 0 die Implikation x < yx2 < y2 zu zeigen. Dies impliziert (ii) wegen der Trichotomie. Für die Existenz in (iii) zeigen Sie zuerst, dass sowohl X als auch Y nicht-leer sind. Dann gilt c + 𝜀X wegen der Definition von c und daher a (c + 𝜀)2 = c2 + 2𝜀 + 𝜀2 c2 + 3𝜀 für alle 𝜀 mit 0 < 𝜀 < 1. Daher ist 𝜀 ac2 3 für alle 𝜀 mit 0 < 𝜀 < 1, was aber a c2 impliziert. Argumentiere ähnlich mit Hilfe von Y und c 𝜀 mit 0 < 𝜀 < c um a c2 zu zeigen. Der Fall a = 0 ist getrennt zu untersuchen. Verwende nun (i) und (ii) für den Beweis der verbleibenden Aussagen.

2.1.5 Verwendung der reellen Zahlen und der Axiome

Zusammenfassend gilt, dass die Körperaxiome der reellen Zahlen die üblichen Rechenregeln und Gleichungsumformungen erlauben, wobei (wie gewohnt) Division mit Null nicht gestattet ist. Des Weiteren erfüllen die Relationen und < die üblichen Umformungsgesetze für Ungleichungen, wobei bei Multiplikation mit negativen Zahlen die Ungleichungen natürlich umzudrehen sind. Wir werden diese Gesetze (das wären die Axiome (1)-(15) , die Folgerungen (a)-(y) und die Aussagen in den Übungen) im Folgenden ohne Verweis verwenden. Das Vollständigkeitsaxiom (Axiom (16)) war bereits notwendig für den Beweis der Existenz einer Wurzelfunktion. Die wahre Bedeutung dieses Axioms werden wir hingegen erst sehen, wenn wir es für weitere Aussagen verwenden. Insbesondere werden wir bis auf Weiteres stets darauf verweisen, wenn wir es verwenden.

Wir werden häufig die Variablen a,b,c,s,t,x,y,𝜀,δ verwenden um damit reelle Zahlen zu bezeichnen, werden aber im Sinne der Transparenz und Korrektheit trotzdem immer „ Sei a …“ oder ähnliches schreiben.

Bemerkung.

Wir haben in Obigem die Axiome der reellen Zahlen aufgelistet. Die Tatsache, dass wir von denreellen Zahlen sprechen können, rührt daher, dass es bis auf gewisse Identifikationen nur einen angeordneten Körper gibt, der auch (16) genügt. Eine Analogie dazu findet sich im Schachspiel: Ein Schachbrett mit Schachfiguren ist nicht gleich einem anderen Schachbrett mit Schachfiguren. Für das Schachspiel ist es jedoch egal, welches Schachbrett man benutzt. Deswegen fixieren wir uns einen solchen Körper und nennen ihn den Körper der reellen Zahlen (wir einigen uns auf ein Schachbrett mit den dazugehörigen Figuren). Wir besprechen verschiedene Modelle der reellen Zahlen in Abschnitt A.2 und die behauptete „Eindeutigkeit“ genauer in Abschnitt A.3.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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