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1.5 Zahlenmengen

Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht,
alles andere ist Menschenwerk.
leicht adaptiert nach Kronecker (1823-1891)

In diesem Abschnitt wollen wir wahrscheinlich schon bekannte Zahlenmengen kurz besprechen. Informell wäre man wahrscheinlich dazu verleitet, folgende bekannte Mengen zu definieren:

= {1,2,3, }, 0 = {0,1,2,3, }, = { ,2,1,0,1,2, }, = {m n : m ,n }, = {alle „Lücken“}.

Bereits am Beispiel der Menge der natürlichen Zahlen lässt sich erkennen, dass dies im Sinne der Mathematik keine Definition ist oder sein kann. In der Tat, was bedeuten die Punkte in obigen Formeln genau? Vielleicht deuetet aber obiger „Versuch einer Definition“ an, dass jede natürliche Zahl einen Nachfolger besitzen soll. Zum Beispiel ist 2 der Name des Nachfolgers von 1 und 3 der Name des Nachfolgers von 2.

Weiter sollten die natürlichen Zahlen mit einer Addition und einer Multiplikation ausgestattet sein, die die üblichen Assoziativ- und die Distributivregeln erfüllen sollten. Formal sind die natürlichen Zahlen durch folgendes Axiomensystem definiert. Die Existenz und Eigenschaften der Addition und Multiplikation kann überraschenderweise bereits aus diesem äussert minimalen Axiomensystem abgeleitet werden.

Peano Axiome.

Die natürlichen Zahlen sind (in einem gewissen Sinne eindeutig) durch die folgenden Eigenschaften charakterisiert:

(i)
Es existiert ein ausgezeichnetes Element 1 und eine injektive Abbildung ν : , auch Nachfolgerfunktion genannt, so dass 1ν().
(ii)
erfüllt das Induktionsaxiom: Ist A eine Teilmenge von , die 1 enthält und für alle n die Eigenschaft n Aν(n) A erfüllt, dann gilt A = .

Die Nachfolgerfunktion ν sollte man sich als die Abbildung n n + 1 vorstellen, nur kennt man die Addition auf noch nicht. Wir können aber die Nachfolgerfunktion verwenden um zum Beispiel 2 = ν(1), 3 = ν(2), 4 = ν(3) und 5 = ν(4) zu definieren. Für eine detailliertere Diskussion dieses Axiomensystems verweisen wir auf [AE06]; wir möchten bloss an einem elementaren Beispiel demonstrieren, wie man das Induktionsaxiom verwenden kann.

Behauptung (Nachfolgerzahlen).

Sei n eine natürliche Zahl verschieden von 1. Dann ist n ν().

Beweis.

Wir betrachten die Menge A = ν() {1}. Dann gilt 1 A per Definition und für n A gilt ν(n) A wieder per Definition von A. Nach dem Induktionsaxiom ist also A = und die Behauptung folgt.   

Man kann ausgehend von den Peano-Axiomen sowohl Addition und Multiplikation mittels vollständiger Induktion (oder äquivalenterweise mittels Rekursion) definieren. Kennt man die natürlichen Zahlen, so lassen sich aus diesen die Zahlenmengen 0 , , und auch konstruieren. In dieser Vorlesung werden wir die reellen Zahlen in Kapitel 2 axiomatisch einführen und dann die Zahlenmengen , 0 , , als Teilmengen von nochmals ausführlich definieren. Insbesondere werden wir sehen, dass die Menge der reellen Zahlen nebst den rationalen Zahlen viele weitere Zahlen wie zum Beispiel 2, π, e , …enthält† Wir werden im Laufe des ersten Semesters all diese Zahlen definieren.. Es wird sich auch herausstellen, dass eine „typische“ reelle Zahl nicht rational (also irrational) ist. Historisch gesehen wurden die reellen Zahlen lange verwendet bevor eine rigorose Definition überhaupt vorhanden war. Insbesondere wurde ein Grossteil der klassischen Analysis, so wie sie in dieser Vorlesung besprochen wird, vor der ersten lückenfreien Definition der reellen Zahlen durch Cantor im zweiten Teil des 19ten Jahrhunderts entwickelt.

Wie bereits im letzten Abschnitt wollen wir auch im Rest des Kapitels annehmen, dass wir die üblichen Zahlenmengen mit allen üblichen Eigenschaften bereits kennen.

Bemerkung.

Eigentlich lautet das Zitat (siehe Seite 15 in [Web92]) von Kronecker zu Beginn dieses Abschnitts

Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.

Es kann jedoch sein, dass Kronecker eigentlich die natürlichen Zahlen gemeint hat. Auf jeden Fall wollen wir hier den Mönch und Historiker William of Malmesbury (ca. 1095-1143), der die ganze Zahl 0 als „ dangerous Saracen magic“ bezeichnet hat, als grössere Autorität in dieser Frage ansehen. Scherz beiseite, die Menschheit (und inbesondere Europa) hat in der Tat sehr lange gebraucht, um mit der Null und den negativen Zahlen zurecht zu kommen. Für einen geschichtlichen Exkurs zur „Zahl 0 verweisen wir auf diesen Podcast der BBC, und zum Thema „Negative Zahlen“ auf die ersten 1020 Minuten eines weiteren Podcasts der BBC.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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