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5.3 Folgen und Konvergenz

Definition 5.20 (Folge).

Sei X eine Menge. Eine Folge in X ist eine Abbildung a : X. Das Bild a(n) von n schreibt man auch als an und bezeichnet es als das n-te Folgenglied von a. Anstatt a : X schreibt man auch (a1,a2, ), (an )n , (an )n=1 oder kurz (an)n. Die Menge der Folgen in X wird auch als X bezeichnet. Eine Folge (an)n heisst konstant, falls an = am für alle m, n , und schliesslich konstant, falls ein N existiert mit an = am für alle m, n mit m, n N.

Sei X = V ein Vektorraum über oder . Dann bildet die Menge der Folgen in V zusammen mit den Verknüpfungen

(an)n + (bn)n = (an + bn)n,α (an)n = (αan)n

für α und Folgen (an )n,(bn)n einen Vektorraum. Für V = und V = haben wir dies bereits in den Abschnitten 3.4 und 3.5.1 gesehen (es sind die Vektorräume = F () respektive = F ()).

5.3.1 Konvergenz von Folgen

Für eine schliesslich konstante Folge (an)n in einer Menge X ist A X mit an = A für alle hinreichend grossen n eine besondere Zahl, die wir mit der schliesslich konstanten Folge assoziieren können. Wir wollen diese Assoziation verallgemeinern, wenn X mit einer Metrik d ausgestattet ist. Dabei erlauben wir eine beliebig kleine Fehlerschranke 𝜀 > 0 und suchen wiederum ein A X, so dass für alle hinreichend grossen n das Folgenglied an – bis auf einen Fehler kleiner als 𝜀 – gleich A sein soll.

Definition 5.21 (Konvergenz).

Sei (X, d ) ein metrischer Raum und (an)n eine Folge in X. Wir sagen, dass (an)n gegen einen Punkt A X konvergiert oder strebt, falls es für jedes 𝜀 > 0 ein N gibt, so dass d (an,A) < 𝜀 für alle n N. In diesem Fall nennen wir den Punkt A einen Grenzwert der Folge und schreiben auch lim nan = A. Weiter ist eine Folge in X konvergent, falls sie einen Grenzwert besitzt, und divergent, falls sie keinen Grenzwert besitzt.

Nochmals anders (und etwas weniger genau) formuliert ist eine Folge (an )n nach A konvergent, falls hinreichend späte Folgenglieder der Zahl A beliebig nahe kommen. Wir werden uns vorerst hauptsächlich mit der Untersuchung von Konvergenz in oder wie in folgendem Bild beschäftigen. Doch wollen wir betonen, dass für die Definition und einige wichtige Eigenschaften der axiomatische Kontext des metrischen Raumes mitunter die Diskussion sogar vereinfachen kann, da diese Diskussion nur auf die Axiome aufbauen kann.

PIC

In Prädikatenlogik ist Konvergenz gegen A durch

𝜀 > 0 N n N : d (an,A) < 𝜀

gegeben. Wir bemerken noch, dass eine Folge (an)n in einem metrischen Raum (X,d ) genau dann gegen A X konvergiert, wenn die Folge (d (an,A))n in gegen Null konvergiert.

Lemma 5.22.

Sei (X, d ) ein metrischer Raum. Jede konvergente Folge in X besitzt einen eindeutigen Grenzwert.

Für eine konvergente Folge (an)n in X sprechen wir also von dem Grenzwert lim nan. In Worten lässt sich der formale Beweis, den wir gleich geben werden, wie folgt beschreiben. Besitzt eine konvergente Folge (entgegen der Behauptung des Lemmas) zwei verschiedene Grenzwerte, so muss sie sich schlussendlich beliebig nahe an beiden dieser Grenzwerten aufhalten. Nach der Dreiecksungleichung müssen diese beiden Grenzwerte also beliebig nahe aneinander liegen, was allerdings nicht möglich ist, da sie eine positive Distanz zueinander aufweisen müssen.

Beweis.

Seien per Widerspruch A1,A2 zwei verschiedene Grenzwerte einer konvergenten Folge (an )n . Sei 𝜀 = d (A1 ,A2 ) 2 > 0. Da (an )n gegen A1 konvergiert, existiert ein N1 mit d (an , A1) < 𝜀 für alle n N1 . Genauso existert N2 mit d (an , A2) < 𝜀 für alle n N2 .

Sei N = max {N1,N2}. Dann gilt d (an,A1) < 𝜀 und d (an , A1) < 𝜀 für alle n N. Nach der Dreiecksungleichung gilt

d (A1,A2) d (A1,aN) + d (an,A2) < 2𝜀 = d (A1,A2),

was einen Widerspruch darstellt.   

Wir bemerken noch, dass es reicht, die Eigenschaft in der Definition der Konvergenz für kleine 𝜀 > 0 zu prüfen – siehe folgende Übung.

Übung 5.23.

Sei (an )n eine Folge in einem metrischen Raum (X,d ), sei A X und sei 𝜀0 > 0. Zeigen Sie, dass (an)n genau dann gegen A konvergiert, wenn für alle 𝜀 (0,𝜀0) ein N existiert mit d (an,A) < 𝜀 für alle n N.

Konvergenz lässt sich bequem mit offenen Bällen oder sogenannten Umgebungen beschreiben. Wir erinnern daran, dass für einen metrischen (X, d ), x0 X und 𝜀 > 0 der 𝜀-Ball oder auch die 𝜀-Umgebung um x0 durch

B𝜀(x0) = {x Xd (x,x0) < 𝜀}

gegeben ist (siehe Definition 5.16). Eine allgemeine Umgebung ist wie folgt definiert.

Definition 5.24 (Umgebungen).

Sei (X, d ) ein metrischer Raum. Eine Umgebung von x0 X ist eine Teilmenge U X, die eine 𝜀-Umgebung von x0 für ein 𝜀 > 0 enthält.

Die obige Definition von Umgebungen erlaubt nun eine alternative Formulierung von Konvergenz: Eine Folge (xn )n in einem metrischen Raum (X, d ) konvergiert genau dann gegen x0 X, wenn für jede Umgebung U X von x0 fast alle (das heisst, alle bis auf endlich viele) Folgenglieder von (xn )n in V liegen (wieso?).

Lemma 5.25 (Indexverschiebung).

Für eine Folge (an)n in einem metrischen Raum und 0 ist (an )n genau dann konvergent wenn die Folge (an+)n konvergent ist. In diesem Fall gilt

lim nan = lim nan+.

Übung 5.26.

Beweisen Sie Lemma 5.25.

Da nach Lemma 5.11 jeder normierte Vektorraum (V, ) eine Metrik induziert, erhalten wir einen Konvergenzbegriff für Folgen in V . Explizit ausgedrückt konvergiert dann eine Folge (vn)n in V gegen v0 V , wenn für alle 𝜀 > 0 ein N existiert, so dass für alle n N

vn v0 < 𝜀.

Eine Folge (an)n in einem normierten Vektorraum (V,) heisst beschränkt, falls es ein M > 0 gibt, so dass an M für alle n . Wie in Übung 3.38 kann man zeigen, dass die Menge der beschränkten Folgen in V einen Unterraum des Vektorraums der Folgen in V bildet.

Lemma 5.27 (Beschränktheit).

Jede konvergente Folge in einem normierten Vektorraum (V, ) ist beschränkt.

Beweis.

Sei (an)n eine konvergente Folge und A = lim nan. Dann existiert ein N , so dass an A < 1 für alle n N. Daraus folgt

an = an A + Aan A + A < 1 + A

für alle n N und

an max {a1,a2, ,aN1,1 + A}

für alle n .   

5.3.2 Erste Konsequenzen und Beispiele

Wir empfehlen den Leserinnen und Lesern sich in diesem Unterabschnitt auf Folgen in oder zu konzentrieren.

Beispiel 5.28 (Konvergente und divergente Folgen in oder ).

Eine konstante Folge (an)n mit an = A für alle n konvergiert gegen A. Genauso konvergieren schliesslich konstante Folgen gegen den Wert, den sie schliesslich annehmen.
Die Folge (1 n)n konvergiert gegen Null, das heisst lim n1 n = 0. Denn für alle 𝜀 > 0 existiert nach dem Archimedischen Prinzip (Satz 2.68) ein N mit 1 N < 𝜀 und für jedes n mit n N gilt nun 0 1 n 1 N < 𝜀 (und damit |1 n 0| = 1 n < 𝜀).
Die Folge (an)n gegeben durch an = (1)n für n ist divergent, da die Folgenglieder 1,1,1,1,1,1, zwischen 1 und 1 hin und her wechseln und sich insbesondere keiner bestimmten Zahl nähern.

Formal argumentiert: Für jede Zahl A ist entweder A1 und somit 𝜀 = |A 1| > 0 oder A = 1. Im ersten Fall gibt es für jedes N ein gerades n N mit an = (1)n = 1 und damit |an A| = |A 1| = 𝜀 (anstatt |an A| < 𝜀). Im zweiten Fall gibt es für jedes N ein ungerades n N mit an = (1)n = 1 und |A an| = |1 an| = 2 (anstatt |an A| < 2).

Nach obigem Beispiel könnte man sich die Frage stellen, ob das Konvergenzverhalten einer Folge reeller Zahlen in dasselbe ist, wenn man die Folge als Folge in betrachtet.

Wichtige Übung 5.29 (Reelle Grenzwerte).

Sei (an )n eine konvergente Folge in mit an für alle n . Zeigen Sie, dass der Grenzwert lim nan reell ist.

Hinweis.

Nehmen Sie an, dass A = lim nan und wählen Sie 𝜀 > 0 so, dass der Ball von Radius 𝜀 um A die reelle Zahlengerade nicht schneidet.

Wie schon bei der Stetigkeit von Funktionen möchten wir auch hier nicht jedesmal „von Hand“ mit 𝜀 > 0 und N 1 Grenzwerte berechnen müssen. Dazu ist folgende Proposition hilfreich.

Proposition 5.30 (Additive und multiplikative Eigenschaften des Grenzwerts).

Seien (an)n, (bn )n zwei konvergente Folgen in .

(i)
Die Folge (an)n + (bn)n ist konvergent und es gilt lim n (an + bn) = lim nan + lim nbn.
(ii)
Die Folge (anbn)n ist konvergent und es gilt lim n (anbn) = (lim nan) (lim nbn) .

Insbesondere ist für α die Folge α(an)n konvergent und

lim n (αan) = αlim nan.
(iii)
Angenommen an0 für alle n und lim nan0. Dann ist die Folge ( 1 an)n konvergent und es gilt lim n 1 an = 1 lim nan.

Insbesondere bildet die Menge der konvergenten Folgen in einen Unterraum und der Grenzwert stellt eine lineare Abbildung von diesem Unterraum nach dar.

Beweis.

Wir setzen A = lim nan und B = lim nbn.

Für (i) sei 𝜀 > 0, N1 mit |an A| < 𝜀 2 für alle n N1 und N2 mit |bn B| < 𝜀 2 für alle n N2 . Sei N = max {N1,N2}. Nach der Dreiecksungleichung ist für alle n N

|(an + bn) (A + B)| = |(an A) + (bn B)||an A| + |bn B| < 𝜀,

was die Aussage in (i) impliziert.

Für (ii) bemerken wir zuerst, dass

|anbn AB| = |anbn Abn + Abn AB| |an A||bn| + |A||bn B|

und möchten die letzteren beiden Terme einzeln abschätzen. Dabei müssen wir sicher stellen, dass |bn | für grosse n nicht zu gross wird (siehe auch Lemma 5.27). Sei 𝜀 > 0 und N (ähnlich wie in (i)) so gewählt, dass für n N

|an A| < 𝜀 2(1 + |B|), |bn B| < min { 𝜀 2(1 + |A|),1 }.

Dann gilt insbesondere |bn||bn B| + |B| 1 + |B| für alle n N. Damit ist für n N

|an A||bn| |an A|(1 + |B|) < 𝜀 2, |A||bn B| (1 + |A|)|bn B| < 𝜀 2

was nach obiger Abschätzung für |anbn AB| die Aussage in (ii) beweist.

Die Behauptung in (i) und (ii) implizieren auch die letzte Aussage in der Proposition, womit nur noch (iii) zu beweisen ist. Also angenommen an 0 für alle n und A = lim nan0. Dann gilt

| 1 an 1 A | = |A an| |anA|

Wir sehen also, dass wir erzwingen können, dass |1 an 1 A | klein ist, wenn |A an| klein ist. Dazu müssen wir allerdings verhindern, dass an zu klein wird. Für den formalen Beweis sei 𝜀 > 0. Nach Definition von A = lim nan existiert ein N , so dass

|an A| < min {|A| 2 , 𝜀|A|2 2 }

für alle n N. Für n N gilt dann nach der umgekehrten Dreiecksungleichung

|an| = |an A + A||A||an A| > |A||A| 2 = |A| 2 .

Also wird an nicht zu klein und

| 1 an 1 A | = |A an| |an||A| < |an A| |A|22 < 𝜀|A|22 |A|22 = 𝜀,

was zu zeigen war.   

Übung 5.31.

Vergleichen Sie die Argumente für Proposition 3.50 mit dem Beweis von (i) und (ii) in Proposition 5.30. Erklären Sie auch, welche der bewiesenen Aussagen auch für normierte Vektorräume gelten und wieso.

Übung 5.32 (Rationale Funktionen als Folgen).

(i)
Berechnen Sie folgende Grenzwerte, wenn sie existieren: lim n 7n4 + 15 3n4 + n3 + n 1,lim n n2 + 5 n3 + n + 1,lim nn5 10 n2 + 1 .
(ii)
Formulieren und beweisen Sie allgemeine Versionen von den Beispielen in (i).

Verwenden Sie hier und auch sonst kein früher erlerntes Kochrezept, das Sie nicht begründen können.

Hinweis.

Stattdessen erweitern Sie mit 1 na für ein geeignetes a und argumentieren Sie unter Verwendung des obigen Wissens (Beispiel 5.28 und Proposition 5.30).

Eine konvergente Folge in (oder allgemeiner in einem normierten Vektorraum) mit Grenzwert Null wird auch eine Nullfolge genannt.

Übung 5.33 (Nullfolgen und Divergenz).

Sei (an )n eine komplex-wertige Folge mit an0 für alle n, so dass (an 1)n gegen 0 konvergiert. Zeigen Sie, dass (an)n divergiert.

Beispiel 5.34 (Geometrische Folgen).

Sei q . Die Folge n qn bezeichnen wir als geometrische Folge zum Skalierungsfaktor q. Wir untersuchen nun diese geometrische Folge auf Konvergenz.

(i)
Für q = 1 ist qn = 1 für alle n und lim nqn = 1.
(ii)
Für q = 1 wissen wir bereits, dass die Folge n (1)n divergiert (also keinen Grenzwert hat).
(iii)
Allgemeiner gilt, dass für q mit |q| = 1 und q 1 die Folge (qn)n beschränkt und divergiert ist.
(iv)
Für |q| > 1 ist (qn )n unbeschränkt und daher divergent.
(v)
Für q mit |q| < 1 gilt lim nqn = 0.

Wir müssen noch (iii)-(v) beweisen. Für (iii) argumentieren wir indirekt. Angenommen q {1 } erfüllt |q| = 1 und lim nqn = A. Dann gilt

A = lim nqn = lim nq1qn+1 = q1 lim nqn+1 = q1A

nach Proposition 5.30 und Lemma 5.25. Dies impliziert (q1 1)A = 0 und wegen q 1, dass A = 0. Da aber |qn A| = |qn| = |q|n = 1 gilt, kann A = 0 nicht der Grenzwert der Folge sein.

Für (iv) sei nun q mit |q| > 1. Wir zeigen, dass die Folge (qn )n unbeschränkt ist, womit (iv) aus Lemma 5.27 folgt. Sei M > 0 und x = |q| 1 > 0. Nach dem Archimedischen Prinzip (Satz 2.68) existiert ein N mit 1 + Nx > M. Nun ergibt die Bernoulli-Ungleichung (Lemma 3.5) M < 1 + Nx (1 + x)N = |q|N, womit die Behauptung gezeigt ist.

Für (v) sei q mit |q| < 1 und sei 𝜀 > 0. Falls q = 0 so ist lim nqn = 0. Sei nun q 0. Da |q1 | > 1, existiert wegen (iv) ein N , so dass |q|N > 1 𝜀. Somit gilt für alle n mit n N

|qn 0 | = |q|n |q|N < 𝜀.

Übung 5.35.

Sei q mit |q| < 1. Zeigen Sie, dass lim nnqn = 0.

Hinweis.

Zeigen Sie zuerst mit Hilfe der Bernoulli-Ungleichung, dass (nqn)n beschränkt ist.

Übung 5.36 (Cesàro-Mittel).

Sei (an )n eine konvergente Folge in . Zeigen Sie, dass die Folge der Cesàro-Mittel (auch arithmetische Mittel oder Cauchy-Mittel genannt) (bn)n gegeben durch

bn = 1 n k=1na k

für n konvergiert und denselben Grenzwert wie (an)n hat.

Überzeugen Sie sich auch davon, dass die umgekehrte Implikation nicht gilt, das heisst, dass die Konvergenz der Cesàro-Mittel nicht Konvergenz der Folge impliziert.

Applet 5.37 (Einige Folgen).

Wir betrachten verschiedene Folgen und können mittels Verkleinern der x-Achse die Konvergenz- und Divergenzeigenschaften der Folgen beobachten.

5.3.3 Teilfolgen

Oft möchte man anstelle einer Folge (an)n nur einen „ Teil“ der Folge betrachten, wobei wir im Gegensatz zur Indexverschiebung in Lemma 5.25 manchmal auch unendlich viele Folgenglieder wegstreichen wollen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Folge nicht konvergiert.

Definition 5.38 (Teilfolge).

Wenn (an )n eine Folge in einer Menge X ist und (nk )k : k nk eine streng monoton wachsende Folge ist, dann wird (ank )k eine Teilfolge von (an )n genannt.

Liegt eine Teilfolge einer konvergenten Folge vor, so konvergiert diese gegen denselben Grenzwert wie die Folge.

Lemma 5.39 (Konvergenz von Teilfolgen).

Sei (an )n eine konvergente Folge in einem metrischen Raum (X,d ). Jede Teilfolge (ank)k von (an )n konvergiert und hat denselben Grenzwert lim kank = lim nan.

Wichtige Übung 5.40.

Beweisen Sie Lemma 5.39.

Hinweis.

Für eine streng monoton wachsende Folge (nk )k in gilt nk k (wieso?).

Eine Folge kann konvergente Teilfolgen besitzen, ohne selbst zu konvergieren. Beispielsweise hat die Folge n (1)n die konvergente (konstante) Teilfolge n (1)2n , konvergiert aber nicht, wie wir schon gesehen haben. In der Tat haben wir mit Lemma 5.39 jetzt ein kürzeres Argument. Falls die Folge (an )n = ((1)n) gegen A konvergieren würde, so müssten die beiden konstanten Folgen (a2n )n , (a2n+1 )n auch gegen A konvergieren. Dies ist natürlich nicht möglich, da die eine gegen 1 und die andere gegen 1 konvergiert.

In gewissen Situationen lässt sich aus dem Konvergenzverhalten von Teilfolgen trotzdem etwas über das Konvergenzverhalten der gesamten Folge sagen.

Übung 5.41 (Teilfolgen von Teilfolgen und Konvergenz).

Sei (an )n eine Folge in (X,d ) und sei A X. Zeigen Sie, dass die Folge (an)n genau dann gegen A konvergiert, wenn jede Teilfolge von (an)n eine Teilfolge besitzt, die gegen A konvergiert.

Hinweis.

Betrachten Sie zu 𝜀 > 0 die Menge {n d (an,A) 𝜀} und zeigen Sie indirekt, dass diese endlich sein muss.

Proposition 5.42 (Häufungspunkte einer Folge).

Sei (an )n eine Folge in einem metrischen Raum (X,d ). Ein Punkt A X heisst Häufungspunkt von (an)n, falls die folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt sind.

(a)
Es gibt eine Teilfolge (ank)k, so dass lim kank = A.
(b)
Für alle 𝜀 > 0 und N gibt es ein n N mit d (an , A) < 𝜀.

Beweis.

Angenommen (a) gilt. Sei also (ank)k eine konvergente Teilfolge von (an)n mit Grenzwert A und sei 𝜀 > 0. Dann existiert ein K mit d (ank , A) < 𝜀 für alle k K. Sei nun k K mit nk N. Dann erfüllt n = nk die Bedingung d (an,A) < 𝜀 wie gewollt und (b) ist erfüllt.

Angenommen (b) gilt. Wir möchten rekursiv eine Teilfolge (ank )k finden mit

d (ank,A) < 1 k

für alle k . Diese konvergiert dann gegen A, da für 𝜀 > 0 die Ungleichung d (an,A) < 𝜀 für alle > 1 𝜀 erfüllt ist.

Sei 𝜀 = 1 und N = 1. Dann gibt es ein n1 N = 1 mit d (an1 , A) < 1. Nun nehmen wir an, dass n1 < n2 < < nk bereits konstruiert sind mit

d (an,A) < 1

für = 1, ,k. Wir setzen 𝜀 = 1 k+1 und N = nk + 1. Dann existiert nach Voraussetzung ein nk+1 N > nk mit

d (ank+1,A) < 1 k + 1.

Dies beendet den Induktionsschritt und wir erhalten durch Rekursion die gewünschte Teilfolge (ank )k mit Grenzwert A.   

Bemerkung.

Obiger Beweis ist formal nicht ganz unproblematisch. Denn zum Unterschied von der Rekursion, welche wir am Ende von Abschnitt 2.2.1 besprochen haben, müssen wir hier eigentlich eine Wahl für nk+1 treffen. Da diese Wahl nicht nur einmal notwendig ist, sondern abzählbar oft, so haben wir in obiger Formulierung eigentlich eine (schwache) Version des Auswahlaxioms verwendet. Wir werden uns diese Freiheit hier und auch in ähnlichen Situationen erlauben, ohne dieses Auswahlaxiom genauer zu besprechen. Mit ein Grund dafür ist, dass ein Grossteil der modernen Mathematik an diesem Auswahlaxiom der Axiomatischen Mengenlehre gebunden ist. Es ist aber auch möglich (wenn auch anstrengend) die Verwendung dieses Auswahlaxioms in obigem Beweis zu vermeiden indem man bei jeder Wahl sicherstellt, dass man das minimale nk+1 mit allen gewünschten Eigenschaften verwendet.

5.3.4 Konvergenz in endlich-dimensionalen Vektorräumen

Im Allgemeinen hängt der Konvergenzbegriff auf einer Menge X von der Metrik ab, die man auf X betrachtet. Folgende Übung enthält ein Beispiel.

Übung 5.43 (Manhattan und SNCF sind sehr verschieden).

Sei X = [0,1]2. Finden Sie eine Folge in X, die zwar bezüglich der Manhattanmetrik, aber nicht bezüglich der französischen Eisenbahnmetrik konvergiert (wobei wir 2 mit und damit X mit einer Teilmenge von identifizieren).

Für normierte endlich-dimensionale Vektorräume ist die Situation oft vorteilshafter.

Proposition 5.44.

Sei d , sei (vn )n eine Folge in d , und sei v d . Folgende Aussagen sind äquivalent:

(i)
Die Folge (vn)n konvergiert gegen v bezüglich der Norm .
(ii)
Die Folge (vn)n konvergiert gegen v bezüglich der Norm 1.
(iii)
Die Folge (vn)n konvergiert gegen v bezüglich der Norm 2.
(iv)
Für alle j = 1, ,d konvergiert die Folge der Komponenten (πj (vn)) n gegen πj (v).

Inbesondere gilt diese Äquivalenz auch für eine Folge in d .

In der Tat werden wir später sehen, dass man in obiger Proposition eine beliebige Norm auf d betrachen kann. Auf Grund von Proposition 5.44 werden wir oft von Konvergenz einer Folge in d oder d sprechen, ohne die Norm anzugeben.

Beweis.

Wir beweisen zuerst die Äquivalenz der Aussagen in (i), (ii), und (iii) und verwenden dafür die Ungleichungen

w w1 dw und (5.2) w w2 dw (5.3)

für alle w d. In der Tat behauptet die erste Ungleichung (5.2) bloss, dass der maximale Absolutbetrag kleiner gleich der Summe der Absolutbeträge, und die Summe der Absolutbeträge kleiner gleich d mal dem maximalen Absolutbetrages ist. Die Ungleichung (5.3) ergibt sich analog aus

w2 w 22 = j=1d|π j(w)|2 dw 2

für alle w d.

Unter Verwendung der Ungleichungen in (5.2) und (5.3) ist der Beweis der Äquivalenz der Aussagen in (i), (ii) und (iii) ziemlich direkt. Zur Illustration beweisen wir (i) (ii); alle anderen Implikationen verfiziert man analog. Sei also 𝜀 > 0 und sei N , so dass vn v < 𝜀 d für alle n N (wir verwenden hier, dass (vn )n nach Annahme bezüglich der Norm gegen v konvergiert). Nach (5.2) gilt für alle n N

vn v1 dvn v < 𝜀,

was (i) (ii) beweist.

Zum Schluss beweisen wir nun die Äquivalenz der Aussagen in (i) und (iv). Angenommen (i) gilt. Somit gibt es für 𝜀 > 0 ein N mit vn v < 𝜀 für alle n N. Insbesondere gilt für j = 1, ,d

|πj(vn) πj(v)| = |πj(vn v)|vn v < 𝜀

für alle n N, womit (πj (vn))n gegen πj (v) konvergiert, da 𝜀 > 0 beliebig war.

Wir nehmen nun umgekehrt (iv) an, also dass (πj (vn ))n gegen πj (v) konvergiert für jedes j = 1, ,d. Sei 𝜀 > 0. Dann gibt es zu j {1, ,d} ein Nj mit |πj (vn ) πj(v)| < 𝜀 für alle n Nj . Sei N = max {N1, ,Nd}. Dann gilt für alle n N

vn v = max j=1, ,d |πj(vn) πj(v)| < 𝜀.

Da 𝜀 > 0 beliebig ist, folgt die Konvergenz von (vn)n gegen v, was das Lemma beweist.   

Korollar 5.45 (Reduktion).

Eine komplexwertige Folge (an)n ist genau dann konvergent (mit Grenzwert a ), wenn die beiden reellwertigen Folgen (Re (an))n und (Im (an ))n konvergent sind (mit Grenzwerten Re (a) respektive Im (a)).

Beweis.

Wir identifizieren mit 2 (gewissermassen tautologisch) via der Bijektion

ϕ : x (Re (x),Im (x))t 2.

Dann ist |x y| = ϕ(x) ϕ(y)2 für alle x, y , womit eine Folge (xn)n in genau dann gegen x konvergiert, wenn (ϕ(xn))n gegen ϕ(x) konvergiert. Hiermit folgt das Korollar in der Tat aus Proposition 5.44(iv).   

Übung 5.46.

Sei (an )n eine konvergente Folge in . Zeigen Sie, dass (|an|)n konvergiert und geben Sie den Grenzwert an. Impliziert umgekehrt die Konvergenz von (|an|)n die Konvergenz von (an)n?

Folgende Übung gibt ein Beispiel eines unendlich-dimensionalen Vektorraums V und zweier Normen auf V , die einen unterschiedlichen Konvergenzbegriff definieren.

Übung 5.47 (1-Norm und Konvergenz im Mittel).

Sei K = [a,b] ein kompaktes Intervall mit a < b in . Wir betrachten den Vektorraum V = C([a,b]) mit den Normen und 1 definiert in Abschnitt 5.1.2.

(i)
Sei (fn )n eine Folge in V . Zeigen Sie, dass Konvergenz fn f für n bezüglich für ein f V auch die Konvergenz fn f für n bezüglich 1 impliziert.
(ii)
Finden Sie eine Folge (fn)n in V mit fn 1 0 für n und fn = 1 für alle n .

Konvergenz bezüglich der Norm nennt man auch gleichmässige Konvergenz; wir werden diese später in diesem Semester nochmals einführen und genauer untersuchen. Konvergenz bezüglich der Norm 1 nennt man auch Konvergenz im Mittel. Diese Übung hat also gezeigt, dass Konvergenz im Mittel und gleichmässige Konvergenz verschiedene Begriffe sind.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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