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8.6 Weitere Lernmaterialien

8.6.1 Verwendung des Kapitels

Der Begriff der Ableitung und die Ableitungsregel sind fundamentales Grundwissen für alle weitere Untersuchungen in der Analysis I/II-Vorlesung und vielen Anwendungen in Physik und anderen Wissenschaften. Die Berechnung der Ableitung einer vorgegebenen Funktion ist meist ziemlich einfach, da die wenigen Regeln für alle üblichen algebraischen Verknüpfungen von bekannten Funktionen anwendbar sind. Bloss wenn eine Funktion durch eine Fallunterscheidung definiert wird, müssen wir mitunter auf die ursprüngliche Definition zurückgreifen und können damit vielleicht die Ableitung bei den Problempunkten berechnen. Wir empfehlen Ihnen dies zu üben bis Sie Ableitungen mit 100%-iger Sicherheit berechnen können.

Wie wir gesehen haben, ist der Mittelwertsatz der Differentialrechnung das Hilfsmittel für den Zusammenhang zwischen der Ableitung und dem Verhalten der ursprünglichen Funktion auf einem Intervall. Für den Beweis des Mittelwertsatzes benötigten wir (über den Umweg des Satzes von Rolle) den Satz über die Existenz des Maximums auf einem kompakten Intervall, wo wiederum das Supremum und damit die Vollständigkeit der reellen Zahlen notwendig waren. Insbesondere bildet der Mittelwertsatz die Grundlage von allen Kurvendiskussionen, welche Monotonieeigenschaften aber auch Krümmungseigenschaften in der Form von Konvexität und Konkavität einer vorgegebenen Funktion beschreiben. Obwohl viele Ableitungsregeln und auch viele weitere Eigenschaften, die eine Funktion mit ihrer Ableitung verknüpft, auch für komplex-wertige Funktionen gelten, gilt der Mittelwertsatz nicht für komplex-wertige Funktionen.

Die Kurvenbesprechung verwendeten wir zum Beispiel für den Sinus, den Kosinus und den Tangens, was zu der Definition der inversen Funktionen Arkussinus, Arkusconsinus und Arkustangens führte. Wir werden diese Funktionen, deren Eigenschaften, Definitionsbereiche und Ableitungen ab nun auch ohne Verweise auf Abschnitt 8.3 verwenden. Wir haben damit die üblichen Funktionen eingeführt und kennen auch die Ableitungen von all diesen Funktionen.† Wir meinen mit „ üblichen Funktionen“ solche, die sowohl auf den meisten Taschenrechnern vorhanden sind und auch im Gymnasium unterrichtet werden. Abgesehen davon unterscheiden sich diese Funktionen aber kaum von anderen Funktionen, die wir zum Teil noch kennenlernen werden und sich vielleicht nicht durch die üblichen Funktionen ausdrücken lassen. Wir werden aber auch noch weiteren Ihnen wahrscheinlich unbekannten, aber in gewissen Anwendungen wichtigen Funktionen begegnen.

Des Weiteren haben wir mit der Regel von de l’Hôpital das Hilfsmittel für die Berechnung von Grenzwerten gefunden. Dies ist hilfreich, da die Berechnung von Ableitungen im Vergleich sehr einfach ist. In gewissen Fällen wie zum Beispiel lim x0x log (x) erfordert die Anwendung der Regel von de l’Hôpital ein wenig Geschick, da man zuerst den Ausdruck x log (x ) als einen Bruch darstellen muss. Doch auch dies ist mit ein wenig Übung nicht schwierig, da man hier einfach der „schwierigeren Funktion log (x) den Vortritt gibt“ um stattdessen log (x) x1 zu betrachten und dies nach einmaliger Anwendung der Regel von de l’Hôpital zum Erfolg führt. Dies ist auch hilfreich zur Berechnung von Grenzwerten von Folgen, falls diese durch eine konkrete Formel f(n) definiert ist und für diese Formel der Grenzwert lim xf (x) berechnet werden kann.

Wir haben auch den Begriff der Differentialgleichung eingeführt und einige erste Anfangswertprobleme lösen können. Diese Begriffe sind ebenso von fundamentaler Bedeutung für die Physik und viele weitere Wissenschaften. Denn immer wenn eine Grösse y von einem Zeitparamter t abhängt und gewisse Gesetzmässigkeiten für das Änderungsverhalten (t) in Abhängigkeit von y(t) und dem Zeitparameter t bekannt sind, ergibt sich daraus eine gewöhnliche Differentialgleichung. Wir werden im zweiten Semester nochmals zu diesem Thema zurückkehren, die Frage der eindeutigen Lösbarkeit von Anfangswertproblemen aufwerfen und in grosser Allgemeinheit positiv beantworten können.

8.6.2 Übungen

Übung.

Finden Sie eine differenzierbare Funktion auf einem offenen Intervall I, so dass ein Punkt x0 I mit f (x0 ) = 0 existiert, aber f in x0 kein lokales Extremum annimmt.

Übung (Vielfachheit von Nullstellen).

Sei f [T] ein Polynom und sei k . Wir erinnern daran, dass eine k-fache Nullstelle von f ein z ist mit der Eigenschaft, dass (T z)k das Polynom f teilt, aber (T z)k+1 das Polynom f nicht teilt. Zeigen Sie, dass folgende Eigenschaften für einen Punkt x0 äquivalent sind:

(i)
x0 ist eine k-fache Nullstelle von f.
(ii)
f() (x0 ) = 0 für alle 0 mit k 1 und f(k) (x0)0.

Daraus folgt beispielsweise, dass eine k-fache Nullstelle von f eine k 1-fache Nullstelle von f ist (wieso?). Die zweite Eigenschaft (ii) lässt sich direkt auf beliebige, glatte Funktionen f : erweitern. Mit etwas mehr stimmt dies auch für (i) und man erhält wiederum eine äquivalente Charakterisierung.

Allerdings muss nicht jede Nullstelle einer von Null verschiedenen, glatten Funktion f : eine endliche Vielfachheit besitzen. Finden Sie ein nicht-triviales Beispiel einer solchen Funktion. Das heisst, finden Sie eine glatte Funktion f : mit einer Nullstelle x0 , so dass f(k) (x0) = 0 für alle k 0, aber f|U 0 für alle Umgebungen U von x0 .

Übung (Satz von Darboux).

Sei [a, b] ein kompaktes Intervall mit Endpunkten a < b und sei f : [a,b] eine differenzierbare Funktion. Dann nimmt f zwischen a und b alle Werte zwischen f(a) und f (b) an.

Gehen Sie wie folgt vor, um einen Beweis zu erhalten.

(i)
Sei c zwischen f(a) und f (b). Betrachten Sie die Funktion x [a,b]f(x) cx um zu argumentieren, dass man ohne Beschränkung der Allgemeinheit f(a) 0, f (b) 0 sowie c = 0 annehmen kann.
(ii)
Verwenden Sie nun den Extremwertsatz (Korollar 3.71) und Proposition 8.17 um zu zeigen, dass ein Punkt x [a,b] mit f (x) = 0 existiert.

Übung.

Zeigen Sie, dass die Funktion

f : x { exp ( 1 1x2 )falls |x| < 1 0 falls |x| 1

glatt ist.

Übung.

Sei f : D eine Funktion auf einer Teilmenge D und sei a D Häufungspunkt. Wir erinnern daran, dass f bei a differenzierbar ist, falls der Grenzwert lim xaf(x)f(a) xa existiert. Zeigen Sie, dass f genau dann bei a differenzierbar ist, wenn Re (f) und Im (f) bei a differenzierbar sind.

Übung (Challenge).

In dieser Übung möchten wir eine differenzierbare Funktion f auf [0, 1] konstruieren, deren Ableitung an allen (und insbesondere überabzählbar vielen) Punkten in der Cantor-Menge nicht stetig ist. Als Ausgangspunkt betrachten wir dazu die Funktion

φ : [0,1] ,x { x2(1 x)2 sin ( 1 x(1x) )falls x (0,1) 0 falls x {0,1} .

Zeigen Sie, dass φ differenzierbar ist, aber dass φ bei 0 und 1 nicht stetig ist.

Sei C die Cantor-Menge. Wir verwenden die Notation x+,x zu x [0, 1] C aus Abschnitt 7.8.2 und definieren damit f : [0,1] durch f(x) = 0 für x C und

f (x) = (x+ x)3 2 φ ( x x x+ x)

für x [0, 1] C. Zeigen Sie, dass f differenzierbar ist und dass f bei keinem Punkt in C stetig ist.

Hinweis.

Es lohnt sich jeweils, zu unterscheiden, ob x ein rechter (resp. linker) Endpunkt in C ist oder nicht (vergleiche Abschnitt 7.8).

In der folgenden Übung möchten wir eine zahlentheoretische Anwendung des Mittelwertsatzes präsentieren. Wir erinnnern uns daran, dass in Abschnitt 3.2 der Begriff der algebraischen und transzendenten Zahlen eingeführt wurde. Dabei heisst eine komplexe Zahl algebraisch, wenn sie die Nullstelle eines von Null verschiedenen Polynoms mit rationalen Koeffizienten ist, und transzendent sonst. Wir möchten in folgender Übung zeigen, dass die Zahl

n=010n!

oder Zahlen mit ähnlichen Eigenschaften transzendent sind.

Übung.

Eine irrationale reelle Zahl α ist eine Liouville-Zahl, falls für jedes n eine rationale Zahl p q existiert mit

|α p q | < 1 qn.

In einem gewissen Sinne ist eine Liouville-Zahl also eine irrationale Zahl, die sich sehr gut durch rationale Zahlen approximieren lässt.

(i)
Zeigen Sie, dass n=010n! eine Liouville-Zahl ist. Verwenden Sie die Ziffernentwicklung zur Basis 10 und Übung 7.91.

Wir wollen nun zeigen, dass jede Liouville-Zahl (und damit auch n=010n!) transzendent ist. Dazu behaupten wir, dass es für jede algebraische Zahl β eine Konstante A > 0 und ein n gibt, so dass

|β p q | A qn (8.19)

für alle p q .

(ii)
Sei f [x] mit f(β) = 0 und Grad n 1. Sei weiters p q [β 1,β + 1] keine Nullstelle von f. Zeigen Sie, dass |f (p q )| 1 qn.
(iii)
Argumentieren Sie mit dem Mittelwertsatz, dass |f (p q )| = |f (ξ)| |β p q | für ein ξ zwischen β und p q. Schliessen Sie, dass es ein a > 0 gibt mit |f(x)| a für alle x [β 1,β + 1] und folgern Sie (8.19).
(iv)
Zeigen Sie, dass jede Liouville-Zahl transzendent ist.

Übung (Konvexität und Mittelpunktseigenschaft).

Sei I ein Intervall und f : I eine stetige Funktion. Zeigen Sie, dass f genau dann konvex ist, wenn für alle x,y I die Ungleichung

f (x + y 2 ) f(x) + f(y) 2

gilt. Begründen Sie auch intuitiv, wieso letztere Ungleichung implizit in (8.6) enthalten ist und somit (zumindest auf den ersten Blick) die schwächere Annahme ist. Sie können dazu mit einem Bild arbeiten. Zeigen Sie unter Verwendung obiger Charakterisierung, dass x |x| eine konvexe Funktion ist.

Übung.

In dieser Übung möchten wir zeigen, dass konvexe Funktionen fast überall differenzierbar sind. Sei I ein nicht-leeres Intervall und sei f : I konvex.

(i)
Zeigen Sie, dass die links- und rechtsseitigen Ableitungen f(x) f+(x) von f bei jedem x I ausser vielleicht bei den Endpunkten von I existieren.
(ii)
Zeigen Sie, dass f, möglicherweise abgesehen von den Endpunkten von I, stetig ist.
(iii)
Zeigen Sie, dass es eine höchstens abzählbare Ausnahmemenge A I gibt, so dass f bei jedem x I A differenzierbar ist.

Hinweis: Für (i) können Sie Lemma 8.39 verwenden, um eine Monotonie der Differenzenquotienten zu zeigen. Für (ii) können Sie folgendes Bild als Hinweis verwenden.

PIC

Für (iii) verwenden Sie Übung 3.81 für f,f+.

Übung (Newton-Verfahren für konvexe Funktionen).

Seien a < b zwei reelle Zahlen und sei f : [a,b] eine differenzierbare, konvexe Funktion mit f(a) > 0 und f(b) < 0.

(i)
Zeigen Sie, dass f eine eindeutig bestimmte Nullstelle z in [a, b] besitzt.

Wir betrachten nun das Newton-Verfahren zur numerischen Bestimmung von Nullstellen. Sei x0 = a und xn+1 = xn f(xn) f(xn) für n 0 . Dabei ist xn+1 die Nullstelle der Tangente an f durch xn für jedes n ; siehe dazu folgendes Bild.

PIC

Nun wollen wir zeigen, dass die Folge (xn)n gegen z konvergiert.

b)
Zeigen Sie, dass die Folge (xn)n Grenzwert z hat, falls sie konvergiert.
c)
Zeigen Sie, dass die Folge (xn)n monoton wachsend ist und dass xn z und somit auch xn [a,b] für alle n erfüllt ist. Schliessen Sie damit auf die Konvergenz des Newton-Verfahrens mit Startpunkt a.

Wir werden später mit Hilfe zusätzlicher Werkzeuge das Newton-Verfahren in einem allgemeineren Kontext besprechen können – siehe Beispiel 9.53.

Hinweis.

Verwenden Sie Lemma 8.39 für (i) und (iii).

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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