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5.4 Stetigkeit

5.4.1 Definition und Charakterisierungen

Wir möchten nun den Stetigkeitsbegriff auf metrische Räume verallgemeinern. Wie wir sehen werden, lässt sich dieser auch ausschliesslich mittels Folgen charakterisieren. Wir definieren zuerst zwei a priori verschiedene Begriffe in folgender Definition und zeigen danach, dass diese Begriffe doch gleich sind.

Definition 5.48 (Stetigkeit bei einem Punkt).

Seien (X,d X),(Y,d Y ) zwei metrische Räume und sei f : X Y eine Funktion. Wir sagen, dass f bei x0 X 𝜀δ-stetig ist, falls für alle 𝜀 > 0 ein δ > 0 existiert, so dass für alle x Bδ(x0) auch f(x) B𝜀(f(x0)) gilt.

Wir sagen, dass f bei x0 X folgenstetig ist, falls für jede konvergente Folge (xn )n in X mit Grenzwert lim nxn = x0 die Folge (f(xn ))n konvergiert und Grenzwert lim nf (xn) = f (x0) hat.

Wie in obiger Definition und vielleicht schon in den letzten zwei Abschnitten ersichtlich wurde, ist eine explizite Bezeichnung d der Metrik in (X,d ) nicht immer notwendig (da man zum Beispiel oft stattdessen nur Bälle betrachtet) und führt nur zu zusätzlicher Notation. Wir werden deswegen in Zukunft schlicht X als metrischen Raum bezeichnen, wobei die Metrik also implizit ist, keinen „Namen“ hat und wenn nötig einfach mit d (,) bezeichnet wird.

Lemma 5.49 (Stetigkeit bei einem Punkt).

Seien X und Y zwei metrische Räume, f : X Y eine Funktion und x0 X ein Punkt. Dann ist f genau dann bei x0 𝜀δ-stetig, wenn f bei x0 folgenstetig ist.

Auf Grund der Aussage des obigen Lemma sagen wir auch kurz, dass f bei x0 stetig ist, falls f bei x0 𝜀δ-stetig ist. Des Weiteren ist f stetig, wenn f bei jedem Punkt in X stetig ist. In Proposition 5.50 werden weitere wichtige Charakterisierungen von Stetigkeit folgen.

Beweis.

Angenommen f ist bei x0 𝜀δ-stetig. Sei (xn )n eine Folge in X mit Grenzwert x0 X und sei 𝜀 > 0. Dann existiert ein δ > 0, so dass f(x) B𝜀(f(x0)) für alle x Bδ(x0). Da (xn )n gegen x0 konvergiert, existiert nun ein N mit xn Bδ(x0) für alle n N. Insbesondere gilt für n N also f(xn ) B𝜀(f(x0)). Da 𝜀 > 0 beliebig war, gilt somit lim nf (xn) = f (x0) und f ist bei x0 folgenstetig wie gewünscht.

Angenommen f ist bei x0 nicht 𝜀δ-stetig. Dann existiert ein 𝜀 > 0, so dass es für jedes δ > 0 ein x Bδ (x0) gibt mit f(x) B𝜀 (f(x0)). Wir wählen nun für jedes n und δ = 1 n ein solches xn B 1 n (x0). Die Folge (xn )n konvergiert somit gegen x0 und es gilt f(xn ) B𝜀(f(x0)) für alle n . Insbesondere konvergiert (f(xn))n nicht gegen f(x0) und f ist nicht folgenstetig.   

Wir wollen nun die a priori verschiedenen Begriffe der Stetigkeit zueinander in Beziehung bringen.

Proposition 5.50 (Charakterisierungen der Stetigkeit).

Seien X,Y zwei metrische Räume und f : X Y eine Funktion. Dann sind folgende Bedingungen äquivalent:

(i)
Die Funktion f ist stetig.
(ii)
Für jedes x X ist f bei x 𝜀δ-stetig.
(iii)
Für jedes x X ist f bei x folgenstetig.
(iv)
Für jedes x X und für jede Umgebung U Y von f(x) ist f1 (U) eine Umgebung von x.

🪆Die einzelnen Implikationen sind Matrjoschka-Beweise.

Beweis.

Per Definition der Stetigkeit und Lemma 5.49 sind (i), (ii) und (iii) äquivalent. Wir zeigen als nächsten Schritt die Äquivalenz von (i) und (iv).

Sei f stetig, sei x X und sei U Y eine Umgebung von y = f(x). Per Definition des Umgebungsbegriffes gibt es ein 𝜀 > 0 mit B𝜀 (f(x)) U. Da f bei x 𝜀δ-stetig ist, gibt es ein δ > 0 mit f(Bδ (x)) B𝜀(f(x)) U und somit Bδ (x) f1(U). Also ist f1 (U) eine Umgebung von x, was die Implikation (i)(iv) beweist.

Angenommen f erfüllt die Bedingung in (iv). Sei x0 X und 𝜀 > 0. Wir wissen, dass U = B𝜀(f(x0)) eine Umgebung von f(x0 ) ist. Also ist f1 (B𝜀 (f(x0))) eine Umgebung von x0 , womit per Definition ein δ > 0 existiert mit Bδ(x0) f1(B𝜀(f(x0))) oder äquivalenterweise f(Bδ(x0)) B𝜀(f(x0)). Also ist f bei x0 𝜀δ-stetig, was die Implikation (iv)(i) beweist.   

Nach Proposition 5.50 verfügen wir nun über zwei Varianten, wie wir Stetigkeit (oder Nicht-Stetigkeit) einer Funktion nachweisen können: mit der Definition (dem 𝜀, δ-Spiel) oder mit Konvergenz von Folgen. Letztere Variante kann unter anderem sehr nützlich sein, wenn man Nicht-Stetigkeit einer Funktion zeigen will, da man demnach bloss eine spezielle Folge konstruieren muss, die auf eine nicht-konvergente Folge abgebildet wird.

Übung 5.51.

Sei D eine Teilmenge und f : D eine stetige Funktion. Angenommen (an)n ist eine Folge in D, so dass (f(an))n konvergiert. Muss auch (an)n konvergieren?

Hinweis.

Betrachten Sie die einfachste stetige Funktion aus Beispiel 3.47.

5.4.2 Zwei stärkere Stetigkeitsbegriffe

Wie wir bereits gesehen haben, sind manchmal folgende Stetigkeitseigenschaften nützlich.

Definition 5.52.

Seien (X,d X) und (Y, d Y ) zwei metrische Räume und f : X Y eine Funktion. Dann heisst f gleichmässig stetig, falls es zu jedem 𝜀 > 0 ein δ > 0 gibt, so dass für alle x1,x2 X mit d X (x1 ,x2) < δ auch d Y(f(x1 ), f(x2)) < 𝜀 gilt. Des Weiteren heisst f Lipschitz-stetig, falls es eine sogenannte Lipschitz-Konstante L 0 gibt mit

d Y (f(x1),f(x2)) Ld X(x1,x2)

für alle x1 ,x2 X.

Per Definition sind gleichmässig stetige Funktionen stetig und wie wir schon gesehen haben, sind stetige Funktionen nicht zwingend gleichmässig stetig. Des Weiteren sind Lipschitz stetige Funktionen gleichmässig stetig. (Wieso?Wir können für jedes 𝜀 > 0 einfach δ = 1 L+1𝜀 verwenden. (Wobei wir L + 1 im Zähler verwenden um auch im eigenartigen Fall L = 0 eine vernünftige Definition für δ zu erhalten.)). Unter gewissen Bedingungen an den metrischen Raum X sind stetige Funktionen gleichmässig stetig (zum Beispiel falls X ein kompaktes Intervall ist); wir werden im zweiten Semester darauf zurückkommen.

5.4.3 Konstruktion von stetigen Funktionen

Wie schon in Abschnitt 3.5 lassen sich für stetigen Funktionen verschiedene Operationen durchführen, die wiederum zu weiteren stetigen Funktionen führen.

Proposition 5.53 (Stetige Funktionen).

Seien X,Y,Z metrische Räume.

(i)
Falls f : X Y und g : Y Z stetig sind, dann ist auch g f : X Z stetig.
(ii)
Eine Funktion f : X d ist genau dann stetig, wenn die Komponenten fj = πj f : X

für j = 1, ,d stetig sind, wobei πj : (z1, ,zd)t dzj für j {1, , d} die Projektion auf die j-te Koordinate bezeichnet.

(iii)
Die Addition + : 2 ist stetig.
(iv)
Die Multiplikation : 2 ist stetig.
(v)
Die Kehrwertfunktion ()1 : z ×z1 ist stetig.

Beweis.

Wir verwenden im Beweis mehrmals die Charakterisierung von Stetigkeit mittels Folgen aus Proposition 5.50.

Für (i) sei (xn)n eine konvergente Folge in X mit Grenzwert x0 X. Da f stetig ist, konvergiert die Folge (f(xn))n (nach Proposition 5.50) gegen f(x0). Nach Stetigkeit von g konvergiert (g(f(xn))n = (g f(xn))n gegen g f(x0). Dies aber impliziert die Aussage in (i) wegen Proposition 5.50.

Für (ii) bemerken wir zuerst, dass die Projektion πj : d wegen |πj (v w)| v w für v, w d Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante 1 ist (bezüglich der Metrik auf d induziert durch ). Daher folgt aus (i) und Stetigkeit von f : X d, dass auch πj f : X C stetig ist für jedes j {1, ,d}. Sei nun umgekehrt πj f : X für jedes j {1, ,d} stetig. Sei (xn )n eine konvergente Folge in X mit Grenzwert x X. Also konvergiert (πj f(xn))n = (πj(f(xn)))n für alle j {1, ,d} nach πj (f(x)), was nach Proposition 5.44 impliziert, dass (f(xn))n nach f(x) konvergiert. Dies beweist (ii).

Für (z0 ,w0)t,(z,w)t 2 gilt

| (z + w) (z0 + w0)| |z z0| + |w w0| 2(z,w)t (z 0,w0)t.

Daher ist die Addition Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante 2, und (iii) folgt.

Für (z0 ,w0)t,(z,w)t 2 gilt

|zw z0w0||zw z0w| + |z0w z0w0| = |w||z z0| + |z0||w w0|.

Sei nun 𝜀 > 0 und

(z,w)t (z 0,w0)t < δ = min {1, 1 2𝜀 (max {|z0|,1 + |w0|})1} .

Dann gilt |w||w w0| + |w0| 1 + |w0| und daher

|zw z0w0| (1 + |w0|)|z z0| + |z0||w w0| < 𝜀.

Dies zeigt Stetigkeit der Multiplikation in (iv).

Für z0 ×, 𝜀 > 0 und z × mit |z z0 | < 1 2 min {|z0|,𝜀|z0|2} gilt

|z| |z0| |z z0| > 1 2 |z0|

und daher

|z1 z 01| = |zz 0|1|z 0 z| < 2|z0|21 2𝜀|z0|2 = 𝜀.

Da 𝜀 > 0 beliebig war, zeigt dies die Stetigkeit der Kehrwertabbildung in (v).   

Wichtige Übung 5.54 (Distanzfunktionen).

Sei (X, d ) ein metrischer Raum. In dieser Übung möchten wir den Abstand von Teilmengen von X zu Punkten diskutieren. Zu x X und A X nicht-leer definieren wir

d (x,A) = inf aA d (x,a).

Zeigen Sie, dass die Funktion x Xd (x,A) Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante 1 ist.

Hinweis.

Sie können Übung 5.14 verwenden.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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