6.5 Riemann-Summen
Riemann gab eine formale Definition des Integrals mit Hilfe sogenannter Riemann-Summen und eines „Grenzübergangs“, dessen Definition Ähnlichkeiten zu den Definitionen des Grenzwertes einer Folge und des Grenzwertes einer Funktion aufweist. Wie in Kapitel 4 sei im Folgenden eine reellwertige Funktion auf einem kompakten Intervall mit .
Definition 6.46 (Riemann-Summen).
Für eine Zerlegung von definieren wir die Maschenweite der Zerlegung als . Weiters bezeichnen wir als eine erlaubte Wahl von Zwischenpunkten der Zerlegung , falls für . Für eine reellwertige Funktion auf , eine Zerlegung von und eine erlaubte Wahl von Zwischenpunkten definieren wir die Riemann-Summe durch
Das heisst, wir betrachten beliebige Punkte , die Funktionswerte an diesen Punkten und hoffen, dass diese halbwegs repräsentativ für die Funktionswerte von sind. Diese Hoffnung mag zwar nicht in allen Teilintervallen immer zutreffen, trotzdem ist die Riemann-Summe eine Approximation des Riemann-Integrals in folgendem Sinne.
Satz 6.47 (Riemann-Integral über Riemann-Summen).
Sei eine Riemann-integrierbare reellwertige Funktion auf . Dann ist der Grenzwert der Riemann-Summen , wenn die Maschenweite der Zerlegung gegen Null geht. Formal geschrieben gilt also
wobei über die Zerlegungen von läuft und über die erlaubten Wahlen von Zwischenpunkten der Zerlegung (wie in Definition 6.46) läuft.
Bemerkung.
Die Konvergenz der Riemann-Summen wie in obigem Satz ist sogar eine Charakterisierung der Riemann-Integrierbarkeit – siehe Übung 6.49. Es gibt auch noch weitere, äquivalente Bedingungen, aber wir begnügen uns mit der Aussage in Satz 6.47.
Beweis von Satz 6.47.
Wir beweisen den Satz zuerst unter der zusätzlichen Annahme, dass stetig ist. Dank dem Sandwich-Kriterium für Riemann-Integrierbarkeit aus Proposition 4.44 wird sich dies als ausreichend herausstellen.
Sei also stetig und . Nach Satz 3.77 ist gleichmässig stetig, womit existiert mit für alle welche erfüllen. Sei eine Zerlegung mit Maschenweite und eine erlaubte Wahl von Zwischenpunkten. Dann gilt für alle wegen der Dreiecksungleichung für das Riemann-Integral in Satz 4.24
In der Tat is , wegen und somit für alle . Insbesondere ist
Da , die Zerlegung mit sowie die erlaubten Zwischenpunkte beliebig waren, beweist dies die Proposition für alle stetigen Funktionen .
Sei nun eine beliebige Riemann-integrierbare Funktion und sei . Nach Proposition 4.44 existieren mit und . Nach der oben schon bewiesenen Aussage sei mit der Eigenschaft, dass für alle Zerlegungen mit und für alle erlaubten Zwischenpunkte
und genauso für . Nun gilt
und unter Verwendung von auf ähnliche Weise . Damit ist der Satz bewiesen.
Applet 6.48 (Riemann-Summen für die Parabel).
Wir sehen Riemann-Summen für die Parabel aus Abschnitt 1.1, wobei die Zwischenpunkte zufällig gewählt werden.
Übung 6.49 (Charakterisierung).
Seien reellen Zahlen und . Zeigen Sie die Umkehrung zu Satz 6.47, also dass die Konvergenz der Riemann-Summen für zu einer Zahl (wie in Satz 6.47) die Riemann-Integrierbarkeit von und die Gleichung impliziert.
Hinweis.
Wählen Sie für ein ein wie in der Konvergenz der Riemann-Summen. Sei eine Zerlegung mit Maschenweite . Betrachten Sie nun das Infimum und das Supremum aller Riemannsummen zu erlaubten Wahlen von Zwischenpunkten der Zerlegung , und verknüpfen Sie dies mit einer Untersumme und einer Obersumme.
Übung 6.50 (Riemann-Integrierbarkeit stetiger Funktion).
Nach Übung 6.49 hätten wir die Konvergenz der Riemann-Summen als Definition für Riemann-integrierbare Funktionen verwenden können. Zeigen Sie, dass stetige Funktionen Riemann-integrierbar sind in diesem Sinne (ohne Satz 4.42 zu verwenden).
Hinweis: Betrachten Sie hierzu zuerst eine Folge von Zerlegungen mit der Eigenschaft, dass feiner ist als für alle . Da uns der Grenzwert einer Folge von Riemann-Summen a priori nicht bekannt ist, kann man eher zeigen, dass die Folge eine Cauchy-Folge ist.
6.5.1 Vektorwertige Integrale
Unsere ursprüngliche Definition des Riemann-Integrals in Kapitel 4 verwendete die Ungleichung in in zentraler Weise und kann deswegen nicht auf diese Weise für vektorwertige Funktionen verallgemeinert werden. Riemann-Summen lassen sich hingegen leicht verallgemeinern. Für , eine Zerlegung von und eine zulässige Wahl von Zwischenpunkten gemäss Definition 6.46 setzen wir wie zuvor
Des Weiteren sagen wir, dass Riemann-integrierbar ist, falls
für alle , und die Komponentenfunktionen für Riemann-integrierbar sind (man vergleiche dies zu Proposition 5.44). Das Riemann-Integral wird dann komponentenweise definiert durch
Satz 6.47 gilt nun analog für Riemann-integrierbare Funktionen von nach . In der Tat gilt genau dann, wenn für alle die Ungleichung erfüllt ist, was wir gemäss Satz 6.47 für genügend kleine Maschenweiten von erzielen können.
Des Weiteren gilt auch die Dreiecksungleichung (vergleiche zu Satz 4.24) für vektorwertige Integrale: Für eine stetige Funktion ist Riemann-integrierbar (da stetig) und es gilt
Die analoge Ungleichung gilt auch für andere Normen.
Wichtige Übung 6.51 (Dreiecksungleichung für vektorwertige Integrale).
Beweisen Sie Ungleichung 6.12.
Hinweis.
Verwenden Sie die Tatsache, dass Satz 6.47 auch für vektorwertige Funktionen gültig ist.
Obige Diskussion enthält mit auch den Fall von komplexwertigen Funktionen
welche also genau dann Riemann-integrierbar sind, wenn und Riemann-integrierbar sind. Das Riemann-Integral ist in diesem Fall gegeben durch