5.1 Normierte Vektorräume
In Kapitel 2 (siehe die Abschnitte 2.4.2 und 2.4.3) haben wir bereits gesehen, wie man Distanzen auf oder messen kann. In Analogie dazu möchten wir hier verschiedene Varianten von Normen definieren, welche die Rolle des Absolutbetrags übernehmen und Abstände in Vektorräumen messen werden. Insbesondere werden wir hier die Vektorräume oder für eine im ganzen Abschnitt fixierte Dimension betrachten. Wir schreiben Vektoren in oder in der Form
wobei die „ Transposition“ des platzsparenden Zeilenvektors zu einem Spaltenvektor bezeichnet.
Definition 5.1 (Normen).
Sei ein Vektorraum über (oder ). Eine Norm auf ist eine Abbildung , die folgende drei Eigenschaften erfüllt.
Man nennt gemeinsam mit der Norm auch einen normierten Vektorraum.
Das einfachste Beispiel eines normierten Vektorraum ist wahrscheinlich (als -dimensionaler Vektorraum über ) mit dem Absolutbetrag (siehe Abschnitt 2.4.2). Genauso ist mit dem Absolutbetrag ein normierter Vektorraum (als Vektorraum über oder ). Folgendes Beispiel ist vielleicht interessanter.
Beispiel 5.2 (Maximumsnorm und Einsnorm).
Sei . Zu bezeichnen wir mit die Projektion
auf die -te Komponente. Die Maximumsnorm oder Unendlichnorm ist definiert durch
für und die –Norm ist definiert durch
für . Die Maximumsnorm und die -Norm auf sind durch die gleichen Formeln definiert (oder äquivalent dazu durch Einschränkung auf ). Wir überlassen Ihnen die Überprüfung der Eigenschaften in Definition 5.1.
5.1.1 Die euklidsche Norm
Sei . Wir möchten nun eine für die sogenannte „Euklidische Geometrie“ natürliche Norm auf definieren und besprechen. Das Euklidische innere Produkt (oder Skalarprodukt) von
ist definiert durch
Dieses erfüllt folgende Eigenschaften:
Wir bemerken, dass das Wort „sesqui“ für eineinhalb steht: das innere Produkt ist linear im ersten Argument und „halblinear“ im zweiten Argument. Das reelle innere Produkt auf ist durch dieselbe Formel definiert und erfüllt an Stelle der Sesquilinearität die Bilinearität, also die Linearität in beiden Argumenten (bei festgehaltenem anderem Argument).
Den Beweis der Sesquilinearität und der Symmetrie überlassen wir als Übung. Wir beweisen Definitheit. Sei also . Dann gilt
Wenn ist, dann ist auch . Wenn ist, dann muss jeder Summand verschwinden. Also gilt für alle und damit .
Unter Verwendung der obigen Eigenschaften des Euklidschen inneren Produkts lässt sich nun eine Norm definieren. Die Euklidsche Norm auf ist gegeben durch
für alle . Sie wird auch die 2-Norm genannt und dementsprechend als geschrieben.
Wir möchten im Folgenden zeigen, dass die Euklidsche Norm in der Tat eine Norm ist. Definitheit und Homogenität des Euklidschen Norm folgen direkt aus den Eigenschaften des Euklidschen inneren Produkts (wieso?). Um die Dreiecksungleichung zu beweisen, benötigen wir folgende fundamentale Abschätzung.
Proposition 5.3 (Cauchy-Schwarz Ungleichung).
Sei und . Dann gilt für alle die Ungleichung
Des Weiteren gilt Gleichheit in (5.1) genau dann, wenn linear abhängig sind (das heisst, wenn ein existiert mit oder ).
Das innere Produkt zweier Vektoren lässt sich also durch die „Normen“ der beiden Vektoren auf eine konkrete Art und Weise kontrollieren. Wir merken an, dass der folgende Beweis nur die „Axiome“ des inneren Produktes Sesquilinearität, Symmetrie und Definitheit und nicht die konkrete Formel in der Definition des Euklidschen inneren Produktes verwendet.
Beweis.
Falls oder ist, so steht auf beiden Seiten von (5.1) Null und die Vektoren sind linear abhängig. Wir nehmen also an, dass und . Dann gilt für
Der Ausdruck ist aber nicht-negativ und es folgt
Somit folgt , was die gewünschte Ungleichung (5.1) impliziert. Gleichheit gilt genau dann, wenn und somit ist.
Alternativ lässt sich die Cauchy-Schwarz-Ungleichung auch wie folgt beweisen.
Übung 5.4 (Cauchy-Ungleichung mit einem ).
Sei . Zeigen Sie, dass alle die Abschätzung
erfüllen und schliessen Sie daraus auf die Cauchy-Schwarz Ungleichung (5.1).
Hinweis.
Für gilt . Schreiben Sie diese Ungleichung anders und addieren Sie über . Nun ersetzen Sie zuerst durch und durch , und setzen Sie anschliessend für und den Zahlenwert ein.
Beweis.
Es verbleibt die Dreiecksungleichung zu beweisen. Seien . Wir schätzen direkt ab unter Verwendung der Cauchy-Schwarz-Ungleichung
womit die Aussage nach Ziehen der Wurzel folgt.
Durch Einschränkung auf erhalten wir auch das Euklidische innere Produkt und die Euklidische Norm auf . Alle oben bewiesenen Aussagen gelten analog für .
5.1.2 Der Raum der stetigen Funktionen
Wir kennen bereits einige Normen auf endlich-dimensionalen Vektorräumen und werden noch weitere kennenlernen. Für die Analysis sind allerdings nicht nur endlich-dimensionale normierte Vektorräume interessant, sondern oft auch unendlich-dimensionale. Häufig (zum Beispiel bei der Diskussion von Differentialgleichungen) werden dabei sogenannte Funktionenräume untersucht.
Als Beispiel hierfür betrachten wir in diesem Unterabschnitt ein kompaktes Intervall mit in und den den Vektorraum der stetigen reellwertigen Funktionen auf .
Übung 5.6.
Zeigen Sie, dass der Vektorraum unendlich-dimensional ist.
Hinweis.
Eine Möglichkeit ist die folgende. Betrachten Sie für jedes die stetige Funktion mit für und für . Zeigen Sie, dass diese linear unabhängig sind. Alternativ können sie Polynomfunktionen verwenden.
In diesem Abschnitt definieren wir zwei verschiedene Normen auf – die Supremumsnorm und die -Norm.
Beispiel 5.7 (Supremumsnorm).
Wir definieren für
unter Verwendung von Satz 3.69. Wir behaupten nun, dass eine Norm auf ist. Es gilt Definitheit, denn für alle ist per Definition von und genau dann, wenn . Für und gilt des Weiteren
und somit Homogenität von . Schlussendlich gilt für auch
womit wir die Dreiecksungleichung bewiesen haben und gezeigt haben, dass eine Norm auf ist.
Beispiel 5.8 (-Norm).
Setze für
Hier verwenden wir, dass stetig ist nach Proposition 3.52 und dass stetige Funktionen Riemann-integrierbar sind (Satz 4.42). Dann ist eine Norm auf .