1.4 Mengenlehre und Abbildungen
1.4.1 Naive Mengenlehre
Georg Cantor definierte 1895 in [Can95] den Begriff einer Menge wie folgt:
„Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denken (welche Elemente von genannt werden) zu einem Ganzen.“
Also sind die zentralen Annahmen der naiven Mengenlehre (oder Cantorschen Mengenlehre) die folgenden Punkte.
- (1)
- Eine Menge besteht aus beliebigen unterscheidbaren Elementen. Etwaige Vielfachheiten werden ignoriert.
- (2)
- Eine Menge ist unverwechselbar durch ihre Elemente bestimmt.
- (3)
- Jede Eigenschaft definiert die Menge der Objekte , die diese Eigenschaft besitzen (das heisst, die Aussage erfüllen).
Manchmal beschreiben wir eine Menge durch eine konkrete Auflistung ihrer Elemente (zum Beispiel in der Form ). Die leere Menge, geschrieben als oder auch , ist die Menge, die keine Elemente enthält. Mengen werden teilweise auch Familien (oder Kollektionen, Ansammlungen) genannt. Wir schreiben „“, falls ein Element der Menge ist. Je nach Zusammenhang nennen wir die Elemente mitunter auch Punkte, Zahlen oder Vektoren. Falls kein Element der Menge ist (also ), so schreiben wir auch .
Definition 1.14 (Inklusionen).
Wir sagen, dass eine Menge Teilmenge einer Menge ist und schreiben , falls für alle auch gilt (in Prädikatenlogik ). Wir sagen, dass eine echte Teilmenge von ist und schreiben , falls eine Teilmenge von ist, aber nicht gleich ist. Wir schreiben , falls keine Teilmenge von ist (also gilt).
Äquivalente Formulierungen für „ ist eine Teilmenge von “ sind „ ist in enthalten“ und „ ist eine Obermenge von “, was wir auch als „“ schreiben. Die Bedeutung der Aussage „ ist eine echte Obermenge von “, geschrieben , ergibt sich nun implizit.
Für eine Menge und eine Aussage „“ über Elemente schreiben wir auch
für die Teilmenge aller für die die Aussage „“ gilt.
Übung 1.15.
Seien Mengen. Formuliere die Aussagen „ ist eine echte Teilmenge von “ und „ ist keine Teilmenge von “ in Prädikatenlogik.
Teillösung.
„ ist eine echte Teilmenge“ ist durch „“ definiert.
Wegen der zweiten Annahme der naiven Mengenlehre sind zwei Mengen genau dann gleich, wenn und gelten. Insbesondere könnte gelten, falls ist. Also gibt es für Elemente einer Menge keine Vielfachheiten, aber es ist prinzipiell erlaubt ein Element mehrmals als Element einer Menge aufzulisten. Im Folgenden führen wir geläufige Konstruktionen von Mengen aus gegebenen Mengen ein.
Definition 1.16 (Mengenoperationen).
Seien zwei Mengen. Der Durchschnitt , die Vereinigung , das relative Komplement und die symmetrische Differenz sind durch
definiert. Wenn aus dem Zusammenhang klar ist, dass alle betrachteten Mengen Teilmengen einer gegebenen (Grund-) Menge sind, dann ist das Komplement von (in ) definiert durch . Dies ist alles in den Bildern 1.4 und 1.5 veranschaulicht.
Im Zusammenhang dieser Definitionen wollen wir noch erwähnen, dass man der Komplementbildung zu einer Grundmenge immer die höchste Priorität und der Vereinigungsoperation die geringste Priorität zuordnet. Also sollte man für Teilmengen einer Grundmenge zum Beispiel den Ausdruck als lesen. Im Zweifel schreibt man aber lieber eine Klammer zu viel um Verwirrungen zu vermeiden.
Übung 1.17 (Distributivgesetze).
Zeigen Sie die folgenden Distributivgesetze:
- (i)
- Seien Aussagen. Zeigen Sie
- (ii)
- Seien Mengen. Zeigen Sie
Können Sie auch Kommutativ- und Assoziativgesetze formulieren?
Eine Teillösung.
Als Illustration davon, wie man hier vorgehen kann, wollen wir den ersten Teil von (i) lösen. Angenommen die Aussage ist wahr. Dann stimmt und es stimmt oder . Angenommen stimmt. Dann ist wahr und somit auch die Aussage . Genauso geht man vor, wenn stimmt.
Angenommen die Aussage ist wahr. Dann gilt oder . In erstem Fall stimmen die Aussagen (und damit auch ) und und also folgt . Der zweite Fall ist analog.
Die Kommutativgesetze der Aussagenlogik lauten
Die Assoziativgesetze lauten
Übung 1.18 (Gesetze von De Morgan).
Seien Teilmengen einer Grundmenge . Zeigen Sie den folgenden Spezialfall der De Morganschen Gesetze:
Erläutern Sie Ihr Vorgehen an einem Bild im Stile von Figuren 1.4 und 1.5.
Wir verallgemeinern nun zwei Begriffe aus Definition 1.16:
Definition 1.19 (Beliebige Vereinigungen und Schnitte).
Sei eine Kollektion von Mengen. Dann definieren wir die Vereinigung der Mengen in als
Falls eine nicht-leere Kollektion von Mengen ist, so definieren wir auch den Durchschnitt über alle Mengen in durch
Falls wir die Vereinigung nicht über alle Mengen in nehmen wollen, sondern nur über solche, die eine gewisse Eigenschaft erfüllen, dann schreiben wir dafür auch und analog für den Durchschnitt. Falls , dann schreiben wir auch
und
Wir bemerken, dass wir den Durchschnitt nicht definieren wollen. Würden wir obige Definition in diesem Fall anwenden, so erhielten wir die „Zusammenfassung aller Objekte unserer Anschauung und unseres Denkes“ im Sinne des eingangs erwähnten Zitats von Georg Cantor. Wir wollen diese Zusammenfassung nicht betrachten und auch kein Symbol dafür einführen. Falls wir aber im Rahmen einer Diskussion nur Teilmengen einer bestimmten vorgegebenen Grundmenge betrachten, so werden wir den Durchschnitt als definieren. Dies ist mit den Aussagen in folgender Übung kompatibel.
Wichtige Übung 1.20 (De Morgansche Gesetze).
Sei eine Kollektion von Teilmengen einer Grundmenge . Zeigen Sie die allgemeine Form der De Morganschen Gesetze:
Hinweis.
Dieses Gesetz entspricht der Dualität der Quantoren und in (1.7).
Übung 1.21.
Was ist die Menge
wobei wie in Definition 1.19 über alle natürlichen Zahlen läuft, und wie nennen wir dies?
Hinweis.
Wir haben dieses Prinzip bereits in Abschnitt 1.1 kurz besprochen.
Für unsere Zwecke wird folgende Definition ebenfalls nützlich sein:
Definition 1.22 (Disjunktheit).
Zwei Mengen heissen disjunkt, falls . In diesem Fall wird ihre Vereinigung disjunkte Vereinigung genannt und auch als geschrieben. Für eine Kollektion von Mengen, sagen wir, dass die Mengen in paarweise disjunkt sind, falls für alle mit gilt . Die Vereinigung der Mengen in wird dann auch disjunkte Vereinigung genannt und wird in diesem Fall auch oft als geschrieben.
Wir wenden uns nun einer weiteren, intuitiv vielleicht bekannten, Mengenkonstruktion zu:
Definition 1.23 (Kartesisches Produkt).
Für zwei Mengen und ist das kartesische Produkt die Menge aller geordneten Paare wobei und . In Symbolen,
Allgemeiner ist das kartesische Produkt von -Mengen definiert als
Weiters definieren wir , für eine natürliche Zahl , als das -fache kartesische Produkt von mit sich selbst. Das heisst, , und so weiter.
Graphisch (meist schematisch) wird das kartesische Produkt zweier Mengen , wie in folgendem Bild dargestellt.
Wir wollen kurz ein paar Beispiele dieser Konstruktion erwähnen.
Beispiel 1.24 (Einige kartesische Produkte).
Falls ist, dann ist
Falls die Menge der Buchstaben im Alphabet ist, so kann man mit der Menge aller möglichen (potenziell sinnfreien) Wörter der Länge identifizieren. Die Menge der deutschen Wörter der Länge bildet eine echte Teilmenge von unter dieser Identifikation.
Übung 1.25 (Digitale Uhr).
Die Menge der von einer digitalen Uhr angezeigten Uhrzeiten lässt sich als kartesisches Produkt zweier Mengen auffassen. Wie?
Übung 1.26 (Schnitte von Rechtecken).
Seien Mengen und Teilmengen von , Teilmengen von . Zeigen Sie die Formel
Überzeugen Sie sich auch davon, dass es keine ähnliche Formel für die Vereinigung gibt.
Unsere vorerst letzte Konstruktion von Mengen ist in der nächsten Definition gegeben:
Definition 1.27 (Potenzmenge).
Für eine Menge ist die Potenzmenge durch die Menge all ihrer Teilmengen gegeben, das heisst
Übung 1.28.
Bestimmen Sie und .
Eine Lösung zu Ersterem.
Ist eine Teilmenge von , so muss jedes Element, das in liegt, auch in liegen. Also muss die leere Menge sein. Umgekehrt ist die leere Menge natürlich in der leeren Menge enthalten. Also besteht die Potenzmenge der leeren Menge genau aus der Menge , die ein Element enthält.
Wir empfehlen Ihnen, analog zu Abschnitt 1.3.3 eine Übersicht aller Abkürzungen in der Mengenlehre zusammenzustellen.
Der Grund, warum Obiges die naive Mengenlehre genannt wird, ist, dass sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts durch die axiomatische Mengenlehre (ZF- oder ZFC-Mengenlehre abhängig von einem weiteren Axiom – ZF steht für Zermelo-Fraenkel) ersetzt wurde. Denn die naive Mengenlehre kann sehr schnell zu Widersprüchen geführt werden:
Beispiel 1.29 (Russell 1903).
Sei die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, also
Stellt man nun die Frage, ob selbst zu gehören kann, so erhält man „“. Dies kann aber nicht gelten und ist also ein Widerspruch der naiven Mengenlehre (siehe [Rus03]).
Dieses Beispiel wird Russell-Paradox genannt (siehe auch diesen Link) und ist eine Version des sogenannten Lügner-Paradoxons („Dieser Satz ist falsch.“ oder „Ich lüge immer.“). Es entstand, da wir ohne vernünftige Einschränkungen das Bilden beliebiger neuer Mengen erlaubten. In der axiomatischen Mengenlehre werden nur gewisse Konstruktionen (wie zum Beispiel die Potenzmenge oder die Definition einer Teilmenge in (1.8) anstelle der dritten Annahme der naiven Mengenlehre) erlaubt, was dazu führt, dass die Menge aus dem Russell-Paradox keine Menge mehr ist. Dies löst den Widerspruch auf: kann sich somit nicht selbst enthalten, da ja nur Mengen enthält. wird in der axiomatischen Mengenlehre eine Klasse genannt. Weiters dürfen Klassen nicht als Elemente von Mengen oder Klassen auftreten.
Im folgenden bedienen wir uns der naiven Mengenlehre, da wir die Zeit nicht aufbringen können, die axiomatische Mengenlehre ausreichend zu besprechen und da wir auf jeden Fall nur “vernünftige” Mengenkonstruktionen verwenden werden. (Dies macht vom streng logischen Standpunkt wenig Sinn, ist aber ein notwendiger Kompromiss.)
Übung 1.30 (Der Barber aus Sevilla).
Bart, der Barber in dem Dorf Sevilla, rasiert alle Männer von Sevilla, die sich nicht selbst rasieren. Sonst rasiert Bart aber niemanden. Rasiert Bart sich selbst?
Hinweis.
Die Aussage ist nicht paradox und der zu findende Ausweg ist analog zur obigen Auflösung des Russell-Paradoxes.
1.4.2 Abbildungen
Der Begriff der Funktion ist für die Analysis, die Lineare Algebra, die Mathematik allgemein und ihre Anwendungen unentbehrlich.
Definition 1.31 (Funktionen und erste dazugehörige Begriffe).
In Worten ausgedrückt ist eine Funktion von der Menge nach der Menge eine Zuordnung, die jedem ein eindeutig bestimmtes zuweist. Wir schreiben für eine Funktion von nach , für die Zuordnung, und sprechen manchmal auch von einer Abbildung oder einer Transformation. Zu einer Funktion wird der Definitionsbereich von und der Wertebereich (oder Zielbereich) von genannt. Im Zusammenhang mit der Funktion wird ein Element des Definitionsbereichs auch Argument und ein von der Funktion angenommenes Element für ein auch Wert der Funktion genannt.
Zwei Funktionen und gelten nur dann als gleich, falls die Definitionsbereiche übereinstimmen, die Wertebereiche übereinstimmen, und natürlich auch für alle gilt.
Das Bild einer Funktion ist die Menge
Falls eine Funktion und eine Teilmenge von ist, dann definieren wir die Einschränkung durch für alle . Umgekehrt wird die Abbildung auch als eine Fortsetzung der Funktion bezeichnet. Des Weiteren definieren wir das Bild der Teilmenge unter als
Oft, aber bei weitem nicht immer, wird eine Funktion durch eine Formel wie zum Beispiel definiert. Wir wollen aber betonen, dass ohne Angabe des Definitionsbereichs und des Wertebereichs die Definition der Funktion unvollständig wäre (siehe auch Beispiel 1.35). Wir diskutieren hier kurz geläufige Art und Weisen, diesen Mangel zu beheben. Ist eine Funktion, so schreibt man auch
oder
wobei eine konkrete Formel sein könnte. Beispielsweise wäre eine vollständig definierte Funktion in dieser Notation. Alternativ schreibt man auch
also zum Beispiel , und hat auch hier Definitions- und Wertebereich angegeben. Wir sprechen „“ unter anderem als „wird abgebildet auf“ aus.
Wir wollen auch noch kurz den Begriff „wohldefiniert“ erwähnen. Angenommen wir wollen als Definitionsbereich und als Wertebereich verwenden und haben auch bereits ausgesprochen, wie wir jedem ein zuordnen wollen. Aber vielleicht wissen wir noch nicht genau, ob oder warum diese Zuordnung für jedes auch wirklich ein zugeordnets findet. Oder vielleicht wissen wir noch nicht, warum dieses auch durch eindeutig bestimmt wird. Beides sind aber fundamentale notwendige Forderung an einer Funktion . Also wird einer der nächsten Schritte der Diskussion der Beweis dieser Forderungen sein. In diesem Zusammenhang sagen wir, dass wohldefiniert ist, wenn wir eben zeigen konnten, dass die gewählte Zuordnung tatsächlich jedem ein eindeutig bestimmtes zuordnet.
Also wenn wir von einer wohldefinierten Funktion sprechen, dann wollen wir damit die notwendige Eigenschaft einer Funktion, dass diese jedem ein eindeutig bestimmtes zuordnet, betonen. Aber formal gesehen kann das Wort „wohldefiniert“ in der Aussage „ ist eine wohldefinierte Funktion.“ ersatzlos gestrichen werden, ohne dass sich der logische Inhalt der Aussage ändern würde.
Beispiel 1.32 (Erste Funktionen).
- (a)
- Sei eine Menge. Die Identitätsabbildung ist die Funktion definiert durch für alle .
- (b)
- Seien Mengen und sei . Dann ist definiert durch für alle eine Funktion. Solche Funktionen werden konstante Funktionen genannt.
- (c)
- Sei eine Teilmenge. Die Funktion
wird die charakteristische Funktion von genannt. Das Bild von ist genau dann ganz , wenn die Menge weder leer noch ganz ist In der Tat ist genau dann falls es ein (wie in der ersten Zeile der Definition von ) gibt, und genau dann wenn es ein (wie in der zweiten Zeile) gibt.. Eine zweite ebenso übliche Notation für eine characteristische Funktion ist .
- (d)
- Für zwei Mengen definieren wir die Projektionen
und
Das Bild von ist , falls nicht leer ist, und ebenso ist , falls . Wir schreiben manchmal auch anstelle von und anstelle von .
Definition 1.33 (Drei Eigenschaften von Funktionen).
Sei eine Funktion.
Eine Funktion ist also nicht injektiv, falls zwei verschiedene Elemente existieren mit . Des Weiteren ist surjektiv genau dann wenn das Bild der Funktion (siehe Definition 1.31) gleich ist.
Applet 1.34 (Funktionen auf Mengen mit höchstens drei Elementen).
In diesem Applet kann man verschiedene Funktionen von einer Menge mit höchstens drei Elementen nach einer Menge mit höchstens drei Elementen definieren. Hierbei kommt es zu verschiedenen Eigenschaften der Funktion.
(*)
Die vielleicht eigenartigste Frage ist, welche Eigenschaften die Funktion von der leeren Menge zur leeren Menge besitzt. Folgt man stur der Definition der Begriffe (was sonst sollte man machen) so erkennt man, dass diese Funktion injektiv, surjektiv, und daher auch bijektiv ist. Doch ist diese Funktion auch konstant? Dies hängt davon ab, welche der beiden Aussagen man als die Definition für eine konstante Funktion ansieht:
Diese beiden Aussagen über eine Funktion sind äquivalent, sobald nicht die leere Menge ist, und könnten beide als Definition des Begriffs „konstant“ angesehen werden. Doch für den eigenartigen Spezialfall der „leeren Funktion“, welche auf der leeren Menge definiert ist und Werte in der leeren Menge annimmt, sind diese beiden Aussagen unterschiedlich. Da wir ab nun diesen höchst eigenartigen Spezialfall einfach ignorieren und nur Funktionen auf nicht-leeren Mengen betrachten wollen, müssen wir uns nicht für eine der beiden Definitionen entscheiden.
Im folgenden Beispiel schreiben wir für die Menge der nicht-negativen reellen Zahlen.
Beispiel 1.35 (Ist Quadrieren bijektiv?).
Ist injektiv, surjektiv oder bijektiv? Diese Frage macht wie oben erklärt (noch) keinen Sinn, da weder Definitionsbereich noch Wertebereich festgelegt wurden und wir diese zur Beantwortung der Frage kennen müssen. Folgende Beobachtungen bestätigen, dass die Antwort zur Frage in der Tat von der Wahl des Definitionsbereichs und des Wertebereichs abhängt:
- (a)
- Die Funktion ist injektiv, denn falls zwei nicht-negative Zahlen mit sind, so gilt auch . Genauso folgt aus , dass ist. Sie ist jedoch nicht surjektiv: ist nicht Element des Bildes von , da Quadrate von reellen Zahlen niemals negativ sind.
- (b)
- Die Funktion ist surjektiv (es existiert eine Wurzel), sie ist aber nicht injektiv, denn .
- (c)
- Die Funktion ist weder injektiv noch surjektiv.
- (d)
- Die Funktion ist bijektiv.
Wir werden diese Aussagen später noch ausführlicher beweisen (d.h. auf die noch einzuführenden Axiome der reellen Zahlen zurückführen).
Sei eine bijektive Funktion. Dann existiert zu jedem ein eindeutig bestimmtes , so dass : Da surjektiv ist, existiert ein solches und da injektiv ist, kann es höchstens ein solches geben. Daher rührt auch die Bezeichnung „eineindeutige Abbildung“ für eine Bijektion. Insbesondere kann man wie folgt eine Abbildung definieren.
Definition 1.36 (Umkehrabbildung).
Sei eine Bijektion. Die Umkehrabbildung (Inverse Abbildung oder auch kurz invers) von ist die Abbildung, welche jedem das eindeutig bestimmte Element mit zuweist.
An dieser Stelle sollte man noch erwähnen, dass nicht durch eine Formel gegeben sein muss, selbst wenn durch eine Formel definiert war. Des Weiteren wollen wir anmerken, dass sich allgemeiner für eine injektive Funktion eine Umkehrabbildung mit eingeschränktem Definitionsbereich definieren lässt. In der Tat ist die Funktion (also „ mit eingeschränktem Wertebereich“) bijektiv.
Definition 1.37 (Verknüpfung).
Angenommen und sind Funktionen. Dann ist die Verknüpfung (gesprochen nach oder Ring ) für alle durch definiert.
Wir bemerken, dass für eine bijektive Abbildung und ihre Umkehrabbildung die Identitäten
erfüllt sind – eben per Konstruktion von (siehe auch Übung 1.42).
Beispiel 1.38 (Assoziativgesetz für Verknüpfungen).
Seien , , Funktionen. Dann können wir sowohl die Funktion als auch die Funktion betrachten. Glücklicherweise sind die Klammern irrelevant, denn es gilt
für alle . Deswegen schreiben wir einfach .
Beispiel 1.39 (Verknüpfung ist nicht kommutativ).
Für zwei Funktionen und macht zwischen und im Allgemeinen nur Sinn, da nicht auf definiert sein muss. Dies kann man sich mit einer Analogie aus der Informatik illustrieren. Seien zwei Programme gegeben, so dass eine Zahl als Input und einen Zeichenkette als Output hat und eine Zeichenkette als Input und eine Zeichenkette als Output hat. In diesem Fall kann man den Output von als Input übergeben; umgekehrt jedoch kann man den Output von nicht übergeben, da nur mit einer Zahl etwas anzufangen weiss.
Nimmt man nun an, dass , so dass sowohl als auch Sinn machen und beide Abbildungen auf definiert sind, dann gilt die Gleichheit im Allgemeinen trotzdem nicht. Wir nennen ein geometrisches Beispiel. Seien , die Spiegelung um die -Achse und die Verschiebung (Translation) um in positiver Richtung entlang der -Achse. Der Ursprung wird unter auf abgebildet und unter auf abgebildet, also gilt .
Sowohl die Eigenschaften in Definition 1.33 als auch die Verknüpfung in Definition 1.37 sind so grundlegend, dass wir nicht umhin kommen, einige fundamentale Tatsachen zu beweisen:
Lemma 1.40 (Eigenschaften von Verknüpfungen).
Seien und Funktionen.
- (i)
- Falls und injektiv sind, dann ist auch injektiv.
- (ii)
- Falls und surjektiv sind, dann ist auch surjektiv.
- (iii)
- Falls und bijektiv sind, dann ist auch bijektiv und es gilt .
Beweis.
(i): Angenommen und sind injektiv und für Elemente . Wegen und muss gelten, da injektiv ist. Da injektiv ist, folgt (aus ). Wir haben also gesehen, dass und impliziert, dass . Dies bedeutet aber genau, dass injektiv ist.
(ii): Angenommen und sind surjektiv und ist ein beliebiges Element. Da surjektiv ist, können wir ein mit wählen. Da auch surjektiv ist, gibt es ein mit und damit . Also existiert für jedes Element ein Element mit und daher ist surjektiv.
(iii): Angenommen und sind bijektiv. Der erste Teil von (iii) folgt direkt, denn nach (i) ist injektiv und nach (ii) surjektiv. Wir verifizieren nun die behauptete Formel. Sei . Wir müssen zeigen, dass ein Punkt (und damit der Punkt) ist, der unter auf abgebildet wird. Tatsächlich erfüllen die Inversen and die Aussagen für alle und für alle . Weswegen und
für alle gilt. Damit ist nun auch (iii) bewiesen.
Mit ein wenig Übung und dem aktiven Wissen, wie denn eigentlich Injektivität, Surjektivität, und Bijektivität (in Definition 1.33) definiert sind, schreibt sich obiger Beweis fast von selbst: Wenn wir zum Beispiel im Beweis von (i) zeigen wollen, dass injektiv ist, dann beginnen wir automatisch auf Grund der Definition (der zu zeigenden Aussage) mit der Annahme für . Zu diesem Zeitpunkt können wir aber nur eine einzige Annahme, nämlich die Injektivität von verwenden, um zu erhalten. Danach haben wir eine einzige Annahme noch nicht verwendet, nämlich die Injektivität von , und dies ist auch genau die Annahme aus der wir die gewünschte Aussage schliessen können. Der Beweis von (ii) ergibt sich auf ähnliche Weise. Gewissermassen sind die Definitionen für die Begriffe in derartigen Beweise einfach gebaute Bauteile oder Schichten, die eigentlich nur auf eine Art und Weise zu einem Ganzem – dem Beweis – zusammgengebaut werden können.
Wir werden klare Fälle (und nur ganz klare Fälle) von solchen Beweisen hier im eSkript mittels dem Emoji matrbeweis als „Matrjoschkabeweise“ kennzeichnen, sie sollten dies als Einladung sehen diese Beweise nach Wiederholung der Definitionen selbst zu schreiben.
In der folgenden Übung kombinieren wir die Begriffe aus den Definitionen 1.33 und 1.37 ein weiteres Mal:
Wichtige Übung 1.41 (Weitere Eigenschaften von Verknüpfungen).
Seien und Funktionen.
- (i)
- Zeigen Sie, dass surjektiv ist, falls surjektiv ist. Überzeugen Sie sich davon, dass in diesem Fall nicht unbedingt surjektiv sein muss.
- (ii)
- Zeigen Sie, dass surjektiv ist, falls surjektiv und injektiv ist.
- (iii)
- Zeigen Sie, dass injektiv ist, falls injektiv ist. Überzeugen Sie sich davon, dass in diesem Fall nicht unbedingt injektiv sein muss.
- (iv)
- Zeigen Sie, dass injektiv ist, falls injektiv ist und surjektiv ist.
Teillösung.
Angenommen ist surjektiv wie in (i). Dann existiert für jedes ein mit , womit auch für gilt. Dies beweist die allgemeine Behauptung in (i). Falls nun zusätzlich injektiv ist wie in (ii), so ist bijektiv und Lemma 1.40 (ii) zeigt, dass surjektiv ist. Bei genauer Untersuchung von diesem Argument lässt sich auch ein einfaches Beispiel wie in (i) finden, wobei man sogar und setzen kann.
Wichtige Übung 1.42 (Bijektivität und Existenz einer Umkehrabbildung).
Sei eine Funktion. Wenn bijektiv ist, dann gelten und , wie schon bemerkt wurde. Wir zeigen hier die „Umkehrung“: Angenommen es existiert eine Funktion , so dass und . Zeigen Sie unter Verwendung der letzten Übung, dass bijektiv ist und dass gilt. Des Weiteren, überprüfen Sie, dass ebenfalls bijektiv ist. Was ist die Umkehrabbildung von ?
Lösung.
Wir nehmen an, dass und sowohl als auch erfüllen. Nach Übung 1.41 folgt, dass daher bijektiv ist. Des Weiteren gilt für und , dass und daher auch . Da dies für alle gilt, erhalten wir . Vertauschen wir die Rollen von und , so erhalten wir, dass bijektiv ist und
Gewisse Objekte bezeichnet man als kanonisch oder natürlich, wenn sie unabhängig von jeglicher Wahl sind. Dieser Begriff drängt sich insbesondere in der Linearen Algebra auf. Wir möchten dies an einem Beispiel erläutern.
Beispiel 1.43 (Kanonische Abbildungen).
Sei eine Menge und eine Teilmenge. Wir betrachten injektive Abbildungen und versuchen darunter eine kanonische auszumachen. Da eine Teilmenge ist, ist die injektive Abbildung , die man am schnellsten hinschreiben kann, die Inklusionsabbildung
am natürlichsten. Denn wir mussten dazu weder spezifische Elemente von noch von wählen. Es gibt nun aber ganz viele andere injektive Abbildungen von nach . Diese involvieren jedoch alle eine (recht zufällige) Regel.
Wir untersuchen das konkrete Beispiel und . Dann gibt es verschiedene injektive Abbildungen . Nebst der Inklusionsabbildung (die auf abbildet) sind dies
Für diese beiden Abbildungen mussten wir jedoch die Menge kennen und spezifische Elemente von (das wären ) auswählen, was bei der Inklusionsabbildung nicht der Fall war. In diesem Sinne ist die Inklusionsabbildung unter den injektiven Abbildungen die natürliche, die kanonische.
Ein weiteres interessanteres Beispiel bilden die in Beispiel 1.32 definierten kanonischen Projektionen und für zwei Mengen .
Für zwei Mengen wird die Menge aller Abbildungen von nach als geschrieben, formaler
Grund für die Notation ist unter anderem die folgende Behauptung: Falls und endliche Mengen sind mit resp. Elementen für zwei natürliche Zahlen , so hat genau Elemente (siehe auch Abschnitt 1.7).
1.4.3 Graph einer Abbildung
Mit Hilfe des folgenden Begriffs lässt sich der Funktionsbegriff, der in Definition 1.31 in Worten eingeführt wurde, formalisieren und auch besser visualisieren:
Der Graph einer Funktion enthält viel Information über die Funktion selbst. Unter anderem lässt sich aus dem Graphen bereits erkennen, ob die Funktion wohldefiniert ist (das heisst in der Tat eine Funktion ist) oder nicht. Beispielsweise kann folgende Teilmenge von nicht der Graph einer Funktion von nach sein:
Welche Teilmengen von Graphen einer Funktion sein können und welche nicht, wollen wir im Folgenden erklären. Wir beginnen damit, das in Figur 1.7 aufgetauchte Problem formal zu interpretieren:
Übung 1.45 (Graphen und Projektion auf den Definitionsbereich).
- (i)
- Sei eine Funktion. Wie in Beispiel 1.32 bezeichnen wir mit die Projektion auf , die durch definiert ist und mit die Projektion auf . Zeigen Sie, dass bijektiv ist und finden Sie die Umkehrabbildung. Beweisen Sie des Weiteren die Identität
welche erklärt, wie man aus dem Graphen einer Funktion, die Funktion zurückerhalten kann.
- (ii)
- Zeigen Sie, dass eine Teilmenge genau dann ein Graph einer Funktion ist, wenn bijektiv ist. Verifizieren Sie auch, dass in diesem Fall eindeutig bestimmt ist.
Hinweis.
Die Aussagen sind im Wesentlichen eine Umformulierung der Definition einer Funktion.
Auch die Eigenschaften aus Definition 1.33 lassen sich im Graphen erkennen. Unter anderem ist ersichtlich, ob eine Funktion injektiv ist oder nicht:
Genauso lässt sich beurteilen, ob eine Funktion surjektiv ist oder nicht – siehe Figuren 1.10 und 1.11. Wir formalisieren dies in Übung 1.47.
Applet 1.46 (Einschränkungen einer Funktion).
Wir betrachten eine Funktion , die auf einem Intervall in definiert ist. Durch Einschränken der Funktion auf Teilintervalle des Definitionsbereichs oder durch Einschränken des Wertebereichs auf ein Intervall können wir mitunter Injektivität, Surjektivität, oder auch Bijektivität der neuen Funktion erreichen.
Wichtige Übung 1.47 (Eigenschaften des Graphen unter Projektion auf den Wertebereich).
Sei eine Funktion.
Hinweis.
Die Aufgabe lässt sich entweder direkt oder unter Verwendung von Übung 1.45(i) lösen. Den Graph von erhält man, indem man die Koordinaten jedes Punktes vertauscht.
1.4.4 Bild- und Urbildmengen
Sei eine Funktion und eine Teilmenge. Wir verwenden manchmal auch die Notation für das Bild der Teilmenge wie in Definition 1.31. Ebenso schreiben wir auch
wobei irgend eine Aussage über Elemente von sein kann. In dieser Gleichung haben wir rechts genau nach dem Schema in der dritten Annahme an die Mengenlehre (siehe Abschnitt 1.4.1) eine Menge definiert und verwenden dies, um den kürzeren (und übersichtlicheren) Ausdruck links zu definieren.
Folgende Definition der Urbildmengen ist auch für nicht bijektive Funktionen nützlich:
Definition 1.48 (Urbilder bezüglich einer Funktion).
Für eine Funktion und eine Teilmenge definieren wir das Urbild von unter als
Beispielsweise gilt für eine Funktion , dass und . In der nächsten Übung prüfen wir einige Eigenschaften von Bildmengen und Urbildmengen.
Wichtige Übung 1.49 (Verhalten von Bildern und Urbildern unter Mengenoperationen).
Gegeben sei eine Funktion und Teilmengen und .
- (i)
- Zeigen Sie, dass gilt. Unter welcher Bedingung an gilt auf jeden Fall Gleichheit?
- (ii)
- Zeigen Sie, dass gilt. Unter welcher Bedingung an gilt auf jeden Fall Gleichheit?
- (iii)
- Zeigen Sie die Gleichungen
- (iv)
- Zeigen Sie, dass und dass Gleichheit gilt, wenn injektiv ist. Verifzieren Sie, dass in diesem Fall auch gilt.
- (v)
- Zeigen Sie, dass und gelten.
- (vi)
- Verallgemeinern Sie die Regeln und für beliebige Vereinigungen resp. Schnitte.
Zusammenfassend sollten Sie sich merken, dass die Urbildoperation mit allen von uns besprochenen mengentheoretischen Operationen (unter anderem Vereinigung, Durchschnitt und Komplement) verträglich ist, während dies die Bildoperation nur für die Vereinigung oder unter gewissen Bedingungen erfüllt.
Teillösung.
Wir beweisen Teil (iv). Sei eine Funktion, Teilmengen des Definitionsbereichs und , dann gilt . Dies beweist bereits . Wir nehmen nun zusätzlich an, dass injektiv ist. Angenommen für ein und . Da injektiv ist, impliziert dies und damit . Wir erhalten daher .
Wir nehmen weiterhin an, dass injektiv ist. Für gilt dann . In der Tat, da injektiv ist, folgt aus für ein die Gleichheit . Da erhalten wir daraus . Falls umgekehrt , dann existiert ein mit und es muss des Weiteren gelten, was impliziert.
Applet 1.50 (Bilder und Urbilder).
Wir betrachten eine Funktion , die auf einem Intervall in definiert ist. Je nach Einstellung des Applets wird entweder das Bild eines Teilintervalls oder das Urbild eines Intervalls dargestellt.
1.4.5 Partitionen
Der folgende Begriff kann für die Definition von Funktionen durch „Fallunterscheidung“ nützlich sein.
Definition 1.51 (Partition).
Sei eine Menge und eine Familie von nicht-leeren, paarweise disjunkten Teilmengen von , so dass . Dann wird eine Partition von genannt.
Folgendes Lemma beschreibt, unter welchen Bedingungen man eine Funktion aus Funktionen auf Teilmengen „ zusammensetzen“ kann:
Lemma 1.52 (Funktionen durch Fallunterscheidungen).
Seien und Mengen und sei eine Partition von . Angenommen es ist für jedes eine Funktion gegeben. Dann existiert eine eindeutige Funktion , so dass für jedes gilt.
Beweis.
Wir definieren die gewünschte Funktion wie folgt: Sei . Dann existiert genau ein mit , da eine Partition ist. Wir setzen nun und haben also eine Funktion definiert. Diese erfüllt nach Konstruktion.
Wir zeigen noch die Eindeutigkeit von . Sei also eine weitere Funktion mit für alle . Sei ein beliebiges Element und das Partitionselement mit . Dann gilt
Da dies für alle gilt, erhalten wir .
Übung 1.53 (Funktionen durch Fallunterscheidungen).
Zeigen Sie, dass die Bedingung in Lemma 1.52, dass eine Partition ist, notwendig ist, durch Auffinden geeigneter Beispiele:
1.4.6 Iterationen
Eine Funktion, für die Wertebereich gleich dem Definitionsbereich ist, lässt sich auch mit sich selbst verknüpfen.
Definition 1.54 (Iterationen einer Funktion).
Sei eine Funktion von einer Menge auf sich selbst. Wir definieren die Iterationen der Funktion durch
und rekursiv auch
für alle natürlichen Zahlen . Wir sprechen auch als „ hoch “ aus und setzen des Weiteren .
Wir bemerken, dass man die Iteration einer Funktion oft einfach auch durch bezeichnet.† Wir wollen zumindest anfangs die Notation verwenden, um Verwirrungen mit der -ten Potenz einer reellwertigen Funktion zu vermeiden.
Übung 1.55 (Beispiele und eine Eigenschaft von Iterationen).
- (i)
- Sei eine Menge mit verschiedenen Elementen und die Funktion definiert durch und . Zeigen Sie, dass bijektiv ist. Beschreiben Sie die Umkehrabbildung und alle Iterationen von explizit.
- (ii)
- Iterieren Sie die Funktion und beschreiben Sie intuitiv, wie sich für ein und verschiedene verhält.
- (iii)
- Iterieren Sie die Funktion und beschreiben Sie intuitiv, wie sich für ein und verschiedene verhält.
- (iv)
- Sei eine Menge und eine Transformation auf . Zeigen Sie, dass für alle gilt .
Eine Teillösung.
Wir erklären hier die Lösung zum letzten Teil. Falls oder gilt, gibt es nichts zu zeigen, da definiert wurde. Wir verwenden zuerst das Assoziativgesetz in Beispiel 1.38 und die Definition der Iteration um
(1.9) |
zu zeigen. Die erste Gleichung ist bloss unsere Definition der Iteration. Die zweite Gleichung wollen wir mittels vollständiger Induktion beweisen und gilt für , was den Induktionsanfang darstellt. Falls nun (1.9) bereits für ein gilt, so erhalten wir gemeinsam mit der Definition
Dies beweist (1.9) für alle mittels vollständiger Induktion.
Wir behaupten nun
(1.10) |
für alle und wollen wiederum vollständige Induktion verwenden. Genauer formuliert, wollen wir vollständige Induktion nach für die Aussage
verwenden.
Nach (1.9) gilt (1.10) für alle und , was den Induktionsanfang darstellt. Angenommen (1.10) gilt bereits für alle und ein . Dann erhalten wir
für alle , womit der Induktionsschritt und damit auch (1.10) für alle bewiesen ist.
1.4.7 Das Hilbert Hotel
Für eine Abbildung auf einer endlichen Menge sind Injektivität und Surjektivität äquivalent (siehe Abschnitt 1.7). Für unendliche Mengen ergeben sich jedoch weitere Möglichkeiten, die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen könnten.
Beispiel 1.56 (Hilbert Hotel).
Die Abbildung
ist zwar injektiv aber nicht surjektiv, denn . Dies kann man sich zur Veranschaulichung wie folgt vorstellen: Angenommen ein Hotel (das sogenannte Hilbert Hotel) ist voll belegt und hat für jede natürliche Zahl ein Hotelzimmer mit der Türnummer (entlang eines wirklich sehr langen Ganges der Reihe nach nummeriert). Dann kann man trotzdem noch einen Gast unterbringen. Dazu muss die Rezeption bloss dem Gast im ersten Zimmer einen Brief mit folgender Botschaft aushändigen:
„Wir bedauern, Ihnen mitzuteilen, dass wir Ihnen ein neues Zimmer zuweisen müssen. Bitte packen Sie ihre Sachen, übergeben Sie diesen Brief dem Gast im nächsten Zimmer und übernehmen Sie dieses Zimmer, sobald es frei ist.“
Daraufhin wird das erste Zimmer frei sein, wo dann der neue Gast untergebracht werden kann. Ebenso bekommen alle alten Gäste jeweils ein neues Zimmer.
Genauso gibt es auch surjektive Abbildungen , die nicht injektiv sind, zum Beispiel
Das Gedankenspiel von Hilberts Hotel lässt sich durchaus erweiteren. Wir verweisen dazu auf die nächste Übung und diesen Kurzfilm, der folgende Übung auflöst und erweitert.
Übung 1.57 (Hilberts Bus).
Wir setzen das Gedankenspiel von Hilberts Hotel fort: Stellen Sie sich vor, dass ein sehr langer, voll besetzter Bus mit Gästen vor Hilberts vollem Hotel auffährt, der für jede natürliche Zahl einen entsprechend nummerierten Sitzplatz aufweist. Wie können Sie die neuen Gäste alle im Hotel unterbringen? Welche Abbildung können Sie verwenden, um im Hotel Platz zu beschaffen?