4.6 Integration von Polynomen
Wir betrachten wiederum ein Intervall [a,b][a,b] mit Endpunkten a<ba<b.
Satz 4.37 (Riemann-Integrierbarkeit von Polynomen).
Die Einschränkung einer reellen Polynomfunktion auf [a,b][a,b] ist Riemann-integrierbar. Für alle Monome xdxd mit d∈ℕ0d∈N0 gilt
∫baxddx=1d+1(bd+1−ad+1).∫baxddx=1d+1(bd+1−ad+1).Beweis.
Dass Polynomfunktionen eingeschränkt auf [a,b][a,b] Riemann-integrierbar sind, folgt, wie schon diskutiert, aus der Linearität des Riemann-Integrals (Satz 4.19) und der Riemann-Integrierbarkeit von stückweise monotonen Funktionen (Korollar 4.34). Die zweite Aussage behandeln wir hier nur im Spezialfall 0=a<b0=a<b. Der Spezialfall a<b=0a<b=0 ist analog und die allgemeine Aussage ergibt sich aus diesen beiden Spezialfällen und Satz 4.26 (siehe Übung 4.38).
Da x∈[0,b]↦xd∈ℝx∈[0,b]↦xd∈R monoton wachsend ist, können wir dieselbe Methode wie im Beweis von Satz 4.24 (und daher auch wie in Proposition 1.1) verwenden. Sei also n∈ℕn∈N und u,ou,o Treppenfunktionen auf [0,b][0,b] mit Zerlegung in Konstanzintervalle
ℨ={0=x0<x1<…<xn},Z={0=x0<x1<…<xn},wobei xk=knbxk=knb für k∈{1,…,n}k∈{1,…,n}, und Konstanzwert xdk−1xdk−1 respektive xdkxdk auf (xk−1,xk)(xk−1,xk) für k∈{1,…,n}k∈{1,…,n} (siehe Beweis von Satz 4.24). Es ergibt sich
∑n−1k=0(knb)dbn≤∫b0xddx≤∑nk=1(knb)dbn∑n−1k=0(knb)dbn≤∫b0xddx≤∑nk=1(knb)dbnoder äquivalent
bd+1nd+1∑n−1k=1kd≤∫b0xddx≤bd+1nd+1∑nk=1kd(4.14)bd+1nd+1∑n−1k=1kd≤∫b0xddx≤bd+1nd+1∑nk=1kd(4.14)Nach Proposition 3.32 gilt
∑nk=1kd=nd+1d+1+cdnd+cd−1nd−1+…+c0für gewisse Koeffizienten cd,…,c0∈ℚ. Damit möchten wir die linke und die rechte Summe in (4.14) nach unten respektive nach oben abschätzen. Wir erhalten für die Summe auf der rechten Seite
∑nk=1kd≤nd+1d+1+|cd|nd+|cd−1|nd−1+…+|c0|≤nd+1d+1+(|cd|+|cd−1|+…+|c0|)nd.Für die Summe auf der linken Seite von (4.14) erhalten wir analog
∑n−1k=1kd=∑nk=1kd−nd=nd+1d+1+(cd−1)nd+cd−1nd−1+…+c0≥nd+1d+1−|cd−1|nd−|cd−1|nd−1−…−|c0|≥nd+1d+1−(|cd−1|+|cd−1|+…+|c0|)ndWir definieren
c−=(|cd−1|+|cd−1|+…+|c0|),c+=(|cd|+|cd−1|+…+|c0|)und setzen die oben erhaltenen Ungleichungen mit (4.14) zusammen. Wir erhalten
bd+1d+1−c−bd+1n≤∫b0xddx≤bd+1d+1+c+bd+1n.(4.15)Aus dem Archimedischen Prinzip (Satz 2.68) folgt nun, dass ∫b0xddx=bd+1d+1.
Übung 4.38 (Allgemeine Grenzen).
Beweisen Sie Satz 4.26 für a<b=0 und dann allgemein.
Wir wollen noch bemerken, dass Satz 4.37 gewissermassen ein „kontinuierliches Analog“ zu Proposition 3.32 darstellt. Dabei mag es aber überraschen, dass dieses kontinuierliche Analog sogar einfacher ist. Denn in Satz 4.37 tauchen im Gegensatz zu Proposition 3.32 keine „gewisse Koeffizienten c0,…,cd“ auf, stattdessen gibt es eine einfache konkrete Formel. Dieses Phänomen, dass „kontinuierliche Versionen“ oft einfacher sind, ist ein Grund für die Bedeutung der Analysis für die Mathematik und ebenso für Anwendungen der Mathematik.
Applet 4.39 (Integral eines Polynoms).
Wir betrachten nochmals das partikuläre Integral, wobei wir diesmal mit einer Polynomfunktion beginnen und dadurch Satz 4.37 anwenden können.
Beispiel 4.40.
Als Anwendung von Satz 4.37 berechnen wir
∫21(x4+5x2−x+1)dx=∫21x4dx+5∫21x2dx−∫21xdx+1=[x55]21+5[x33]21−[x22]21+1=25−15+523−13−22−12+1=52130,wobei wir für eine Funktion f, deren Definitionsbereich [a,b] enthalten sollte, die Notation [f(x)]ba=f(b)−f(a) verwendet haben.
Übung 4.41 (Integration der Wurzelfunktion).
Sei [a,b] ein beschränktes, abgeschlossenes Intervall mit 0≤a<b. Zeigen Sie zuerst, dass x∈[a,b]↦x1m∈ℝ für m∈ℕ Riemann-integrierbar ist. In dieser Übung möchten wir des Weiteren das Riemann-Integral von x∈[0,1]↦x1m∈ℝ berechnen. Dazu betrachten wir für n∈ℕ und 𝜀>0 die Zerlegung von [0,1] aus dem Beweis von Satz 4.24 und die dort definierten Treppenfunktionen u,o für das Polynom xm.
- (i)
- Finden Sie von u respektive o ausgehend eine Treppenfunktion o′respektive eine Treppenfunktion u′ mit u′(x)≤x1m≤o′(x) für x∈[0,1] und ∫10u(x)dx+∫10o′(x)dx=1,∫10o(x)dx+∫10u′(x)dx=1.
- (ii)
- Zeigen Sie, dass ∫10xmdx+∫10x1mdx=1
und berechnen Sie damit das Integral ∫10x1mdx.
Hinweis.
Betrachten Sie den Graphen von xm auf [0,1] und spiegeln Sie ihn an der Diagonalen. Die so erhaltene Funktion ist gerade die Funktion x∈[0,1]↦x1m∈ℝ, deren Fläche unter dem Graphen vor Spiegelung also durch folgendes Bild gegeben ist.
Versuchen Sie insbesondere bei (i) zuerst informell vorzugehen und sich an obigem Bild zu veranschaulichen, was die Zuweisungen u nach o′ und o nach u′ sein sollten.