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2.3 Die komplexen Zahlen

Unter Verwendung der reellen Zahlen können wir die Menge der komplexen Zahlen als

= 2 = {(x,y)x,y }

definieren. Wir schreiben ein Element z = (x,y) viel häufiger in der Form z = x + yi , wobei das Symbol i als die imaginäre Einheit bezeichnet wird. Man beachte, dass bei dieser Identifikation + vorerst als Ersatz für das Komma zu verstehen ist. Die Zahl x wird als der Realteil von z bezeichnet und man schreibt x = Re (z); die Zahl y = Im (z) ist der Imaginärteil von z. Die Elemente von mit Imaginärteil 0 bezeichnet man auch als reell und die Elemente mit Realteil 0 als rein imaginär. Via der injektiven Abbildung x x + 0i identifizieren wir mit der Teilmenge der reellen Elemente von (der „ x-Achse“).

PIC

Die Menge (inklusive deren graphische Darstellung wie oben) wird ganz im Sinne der Identifikation = 2 auch komplexe Ebene (alternativ Gausssche Zahlenebene oder auch Argand-Ebene) genannt. In der geometrischen Denkweise wird die Menge der reellen Punkte als die reelle Achse und die Menge der rein imaginären Punkte als die imaginäre Achse bezeichnet.

Wie Sie vielleicht schon erwartet haben, soll i eine Wurzel von 1 sein. Formal ausgedrückt, wollen wir, dass einen Körper darstellt, in dem die Rechenoperationen von „verallgemeinert“ werden, und dass i 2 = i i = 1 gilt. Die Addition auf definieren wir „komponentenweise“ durch

(x1 + y1 i ) + (x2 + y2 i ) = (x1 + x2) + (y1 + y2)i

für x1 , x2 , y1,y2 . Die Multiplikation auf definieren wir hingegen durch

(x1 + y1 i ) (x2 + y2 i ) = (x1x2 y1y2) + (x1y2 + y1x2)i

für x1 , x2 , y1,y2 . Insbesondere gilt (0 + 1 i )2 = 1 + 0i und die Addition und Multiplikation auf  erweitern die entsprechenden Operationen auf .

Proposition 2.33 (Komplexe Zahlen).

Mit den oben definierten Verknüpfungen definiert einen Körper, den Körper der komplexen Zahlen. Hierbei ist die Null gleich 0 + 0i und die Eins gleich 1 + 0i .

Für die Geschichte der komplexen Zahlen verweisen wir auf den Podcast der BBC (zum Beispiel ab der 14. oder 20. Minute).

Übung 2.34.

Wäre 2 mit obiger Addition und mit der (komponentenweisen) Multiplikation definiert durch (a, b) × (c, d) = (ac,bd) für a, b, c, d auch ein Körper? Genauer: Welche Körperaxiome gelten in diesem Fall?

Beweis von Proposition 2.33.

Wir verifizieren die Körperaxiome. Wie wir sehen werden, folgen die Eigenschaften der Addition auf aus den Eigenschaften der Addition auf . Wir beginnen mit der Kommutatitivität der Addition (da dies die Überprüfung der anderen Axiome ein wenig vereinfacht): Seien x1,x2,y1,y2 . Dann gilt

(x1 + y1 i ) + (x2 + y2 i ) = (x1 + x2) + (y1 + y2)i = (x2 + x1) + (y2 + y1)i = (x2 + y2 i ) + (x1 + y1 i ).

Das Element 0 + 0i ist ein (und schlussendlich also das) Nullelement der Addition, denn

(x + yi ) + (0 + 0i) = (x + 0) + (y + 0)i = x + yi

für alle x, y . Die additive Inverse eines Elements x + yi für x, y ist (x) + (y)i , denn

(x + yi ) + ((x) + (y)i ) = (x + (x)) + (y + (y))i = 0 + 0i .

Die Addition ist assoziativ: Seien xk,yk für k {1, 2,3}. Dann gilt

((x1 + y1 i )+ (x2 + y2 i )) + (x3 + y3 i ) = ((x1 + x2) + (y1 + y2)i ) + (x3 + y3 i ) = (x1 + x2 + x3) + (y1 + y2 + y3)i = ... = (x1 + y1 i ) + ((x2 + y2 i ) + (x3 + y3 i )).

Die Eigenschaften der Multiplikation fordern etwas mehr Aufwand. Wir zeigen zuerst, dass die Multiplikation kommutativ ist. Für x1,x2,y1,y2 haben wir

(x1 + y1 i ) (x2 + y2 i ) = (x1x2 y1y2) + (x1y2 + y1x2)i = (x2x1 y2y1) + (x2y1 + y2x1)i = (x2 + y2 i ) (x1 + y1 i ).

Das Element 1 + 0i ist ein Einselement, denn 1 + 0i 0 + 0i und für x, y gilt

(x + yi ) (1 + 0i ) = (x 1 y 0) + (x 0 + y 1)i = x + yi .

Wir geben nun die multiplikative Inverse eines Elements x + y i , wobei x, y und x + y i 0 + 0i (das heisst x 0 oder y 0), an. Wir bemerken zuerst, dass x2 + y2 > 0: Nehmen wir vorerst an, dass x0, dann ist x2 > 0 und y2 0 und damit x2 + y2 > 0. Für y 0 gilt ebenso x2 0 und y2 > 0 und damit x2 + y2 > 0. Die multiplikative Inverse ist gegeben durch x x2+y2 + y x2+y2 i , denn

(x + yi ) ( x x2 + y2 + y x2 + y2 i ) = (x x x2 + y2 y y x2 + y2 ) + (y x x2 + y2 + x y x2 + y2 ) i = 1 + 0i

Die verbleibenden beiden Axiome (Assoziativität der Multiplikation und Distributivität) lassen sich durch abstraktere Argumente beweisen, die aber auch etwas mehr Wissen benötigen. Wir bestätigen diese Axiome deswegen durch zwei konkrete Rechnungen.

Die Multiplikation ist assoziativ: Seien xk,yk für k {1, 2,3}. Nun berechnet man

((x1 + y1 i ) (x2 + y2 i )) (x3 + y3 i ) =((x1x2 y1y2) + (x1y2 + y1x2)i ) (x3 + y3 i ) = (x1x2x3 y1y2x3 x1y2y3 y1x2y3) + (x1y2x3 + y1x2x3 + x1x2y3 y1y2y3)i = (x1 + y1 i ) ((x2x3 y2y3) + (y2x3 + x2y3)i ) = (x1 + y1 i ) ((x2 + y2 i ) (x3 + y3 i ))

Es bleibt nur noch die Distributivität: Seien also xk , yk für k {1, 2, 3 }. Dann gilt

(x1 + y1 i ) ((x2 + y2 i ) + (x3 + y3 i )) = (x1 + y1 i ) ((x2 + x3) + (y2 + y3)i ) = (x1x2 + x1x3 y1y2 y1y3) + (y1x2 + y1x3 + x1y2 + x1y3)i =((x1x2 y1y2) + (y1x2 + x1y2)i ) +((x1x3 y1y3) + (y1x3 + x1y3)i ) = (x1 + y1 i ) (x2 + y2 i ) + (x1 + y1 i ) (x3 + y3 i ),

womit gezeigt wäre, dass zusammen mit der oben definierten Addition und der oben definierten Multiplikation ein Körper ist.   

Applet 2.35 (Komplexe Zahlen).

Wir betrachten die Körperoperationen (Addition, Multiplikation, multiplikatives Inverse) auf den komplexen Zahlen. Die wahre geometrische Bedeutung der Multiplikation und des multiplikativen Inversen lässt sich hier bereits erahnen, doch werden wir diese erst später besprechen.

Bemerkung (Andere Konstruktionen der komplexen Zahlen).

(i)
Wenn Sie die ersten Eigenschaften der Matrixmultiplikation kennen, lässt sich obiger Beweis deutlich vereinfachen. In diesem Fall lässt sich x + y i mit ( xy y x ) Mat 2,2()

identfizieren. Die Multiplikation auf entspricht dann der Multiplikation der Matrizen in Mat 2,2() und insbesondere folgt beispielsweise die Assoziativität der Multiplikation auf aus der Assoziativität der Matrixmultiplikation. Gleiches gilt für die Distributivität. (Kommutativität der Multiplikation und die Existenz der multiplikativen Inversen müssen aber nach wie vor direkt überprüft werden, da diese beiden Eigenschaften im Allgemeinen nicht für die Matrixmultiplikation gelten.)

(ii)
Ebenso lässt sich aus konstruieren, wenn man den Ring der Polynome mit reellen Koeffizienten kennt (siehe Abschnitt 3.2).

Wie schon zuvor angedeutet, wollen wir als eine Teilmenge von auffassen. Vielmehr nennt man auch einen Unterkörper, da Addition und Multiplikation auf eingeschränkt auf die Addition und Multiplikation auf ergeben. Wir werden deswegen von nun an für alle x kürzer x = x + 0i und x i = 0 + x i schreiben. Insbesondere wollen wir auch 1 = 1 + 0i , 0 = 0 + 0 i und i = 0 + 1 i schreiben. Per Definition der Multiplikation gilt nun i 2 = 1 wie gewünscht.

Wir wollen ebenso bemerken, dass die komplexen Zahlen keinen angeordneten Körper bilden – unabhängig davon, welche Ordnung man auf wählt. Angenommen es gäbe eine Ordnung  , so dass mit ein angeordneter Körper ist. In einem angeordneten Körper sollte 1 < 0 gelten, was aber 1 = i 2 0 widerspricht (siehe Abschnitt 2.1.2).

An dieser Stelle möchten wir uns kurz fragen, wieso die komplexen Zahlen überhaupt von Interesse sind. Während eine der schönen Eigenschaften der reellen Zahlen deren vollständige Ordnung ist, so zeichnen sich die komplexen Zahlen unter anderem durch algebraische Schönheit aus. Auf hat nicht nur die Gleichung x2 + 1 = 0 eine Lösung, sondern auch jede andere Gleichung der Form an xn + ... + a1x + a0 = 0 für n und a0 , a1 , ..., an mit an 0 und n > 0. Diese Tatsache („ ist algebraisch abgeschlossen“) ist Inhalt des sogenannten Fundamentalsatzes der Algebra, den wir im zweiten Semester beweisen werden. Intuitiv sollte man in Analogie zu „ ist vollständig, da keine Lücken hat“ den Fundamentalsatz der Algebra lesen als „ hat algebraisch keine Lücken“.

Zum Abschluss dieses ersten Exkurses in das Reich der komplexen Zahlen wollen wir die komplexe Konjugation definieren. Diese ist im Wesentlichen nichts anderes als eine Spiegelung um die reelle Zahlengerade (und wird zum Beispiel in der Linearen Algebra in der Untersuchung von komplexen inneren Produkten unentbehrlich sein).

Definition 2.36 (Konjugation).

Die komplexe Konjugation ist die Abbildung

¯ : ,z = x + yi z¯ = x yi .

Im Beweis von Proposition 2.33 wurde die komplexe Konjugation indirekt schon verwendet: die multiplikative Inverse eines von Null verschiedenen Elements x + y i ist

(x + yi )1 = x x2 + y2 y x2 + y2 i = x yi x2 + y2 = x + yi ¯ x2 + y2.

Lemma 2.37 (Eigenschaften der Konjugation).

Die komplexe Konjugation erfüllt folgende Eigenschaften:

(i)
Für alle z ist zz¯ und zz¯ 0. Des Weiteren gilt für alle z , dass zz¯ = 0 genau dann, wenn z = 0.
(ii)
Für alle z,w gilt z + w ¯ = z¯ + w¯.
(iii)
Für alle z,w gilt z w ¯ = z¯ w¯.

Beweis.

Wir überlassen der Leserin/dem Leser Teil (i) als Übung. Seien z = x1 + y1 i und w = x2 + y2 i für x1 , y1 , x2,y2 . Dann gilt

z + w¯ = (x1 + x2) (y1 + y2)i = (x1 y1 i ) + (x2 y2 i ) = z¯ + w¯

und

z w¯ = (x1x2 y1y2) (x1y2 + y1x2)i = (x1 y1 i ) (x2 y2 i ) = z¯ w¯,

was zu zeigen war.   

Wichtige Übung 2.38.

Zeigen Sie (i) in Lemma 2.37.

Wie schon angemerkt wurde, gelten die Folgerungen (a)-(l) in Abschnitt 2.1.1 für alle Körper und insbesondere auch für .

Wichtige Übung 2.39.

Zeigen Sie für alle z,w die Rechenregeln

Re (z) + Re (w) = Re (z + w),Im (z) + Im (w) = Im (z + w)

sowie

Re (zw) = Re (z)Re (w) Im (z)Im (w),Im (zw) = Re (z)Im (w) + Re (w)Im (z).

Übung 2.40.

Zeigen Sie die Identitäten

Re (z) = z + z¯ 2 ,Im (z) = z z¯ 2i

für alle z . Schliessen Sie insbesondere, dass = {z z = z¯}. Was bedeutet diese Gleichheit geometrisch?

Bemerkung.

Wie wir gesehen haben, lässt sich auf keine Ordnung definieren, die zur Addition und zur Multiplikation kompatibel ist. Dennoch lässt sich auf den komplexen Zahlen Analysis betreiben, was zum Teil in diesem Kurs aber vor allem im Kurs „Funktionentheorie“ im zweiten Studienjahr des Mathematik- und Physikstudiums thematisiert wird. Grund dafür ist, dass eine Verallgemeinerung des Vollständigkeitsaxiom erfüllt (welches wir erst nach etwas mehr Theorie besprechen können).

2.3.1 Verwendung der komplexen Zahlen

Unsere Konstruktion von  aus  mag etwas formal gewesen sein, doch muss man sich eigentlich nur merken, dass i 2 = 1 und sonst alle gewöhnlichen Eigenschaften für die Addition und Multiplikation gelten. Sogar die Formel für das multiplikative Inverse von z muss man nicht auswendig lernen wenn man sich stattdessen merkt, dass man den Bruch 1 z mit dem konjugierten Element z¯ erweitert. Sie werden der komplexen Konjugation noch öfter und insbesondere in der Linearen Algebra-Vorlesung in der Diskussion von „inneren Produkten auf Vektorräumen über  “ begegnen. Wir bemerken noch, dass wir manchmal die Variable i (zum Beispiel als Indexvariable) verwenden werden. Man sollte dies allerdings vermeiden, wenn gleichzeitig komplexen Zahlen eine wesentliche Rolle in der Diskussion spielen.

Wir verwenden häufig die Variablen z und w für Elemente der komplexen Zahlen.

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Analysis I (Kap. 1-9) Copyright © by Manfred Einsiedler. All Rights Reserved.

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