9.5 Numerische Integration
Wie bereits erwähnt wurde, gibt es Integrale, die sich nicht in Ausdrücken der üblichen (den uns bisher bekannten) Funktionen darstellen lassen. Besonderes in diesen Fällen sind folgende Abschätzungen zur approximativen Berechnung von Integralen sehr nützlich. Im nächsten Abschnitt werden wir weitere Beispiele sehen, die die zugrundeliegende Idee des folgenden Satzes in anderen Überlegungen gewinnbringend einsetzen.
Satz 9.56.
Seien reelle Zahlen, eine Funktion, , die Schrittweite und für .
- (a)
- (Rechtecksregel) Falls stetig differenzierbar ist, dann gilt
wobei der Fehler durch beschränkt ist.
- (b)
- (Sehnentrapezregel) Falls zweimal stetig differenzierbar ist, dann gilt
wobei der Fehler durch beschränkt ist.
- (c)
- (Simpson-Regel) Falls viermal stetig differenzierbar ist und gerade ist, dann gilt
wobei der Fehler durch beschränkt ist.
Insbesondere verhält sich der Fehler für das Rechtecksverfahren wie für , für das Sehnentrapezverfahren wie für und für das Simpson-Verfahren wie für .
Wir möchten anmerken, dass die Konstanten in obigen Abschätzungen nicht optimal sind. Alle drei obigen Approximationsverfahren sind sogenannte Newton-Cotes-Verfahren. Die wesentliche Idee eines solchen Verfahrens ist die folgende: zuerst schreibt man nach Intervalladditivität
Nun approximiert man jedes obige Integralstück durch einen Ausdruck der Form für Gewichte mit und Stützpunkte . Beispielsweise nimmt man für die Sehnentrapezregel zwei Stützpunkte (), nämlich die beiden Endpunkte des Intervalls , mit den Gewichten .
Die Summe der Fehler, die auf den Stücken zustandekommen, ergeben dann den Gesamtfehler der Approximation. Obiger Satz gibt demnach an, wie dieser Fehler kontrolliert werden kann.
Vor dem Beweis des obigen Satzes möchten wir kurz erklären, wie sich die Simpson-Regel als Newton-Cotes-Verfahren auffassen lässt. Für die äquidistante Zerlegung des Intervalles mit den Punkten für betrachtet man auf die Gewichte , und und die Stützpunkte , und . Das dazugehörige Newton-Cotes-Verfahren ist genau das Simpson-Verfahren (wieso?). Wir wenden uns nun dem Beweis des obigen Satzes zu.
Beweis.
Für (a) verwenden wir den Mittelwertsatz, wonach es zu und ein gibt mit . Insbesondere gilt
Damit erhalten wir
Durch Summation, Intervalladditivität des Integrals und die Dreiecksungleichung erhalten wir
Für (b) betrachten wir zuerst zu die Endpunkte und und den Mittelpunkt des Intervalls . Des Weiteren definieren wir den Wert . Nach Korollar 9.47 gilt für die Approximation durch das erste Taylor-Polynom um
für alle . Wir verwenden dies für die Endpunkte und des Intervalls und erhalten aus der Dreiecksungleichung
da sich der lineare Term wegen aufhebt.
Aus demselben Grund erhalten wir
Zusammenfassend gilt also für und
Wir multiplizieren (9.14) mit und summieren sowohl (9.14) als auch (9.15) über in . Daraus folgt mit Intervalladditivität des Riemann-Integrals
Für (c) betrachten wir wieder zuerst zu die Endpunkte und und den Mittelpunkt des Intervalls und verwenden Korollar 9.47 bei . Dies ergibt für
wobei . Durch Integration über erhalten wir
oder auch
Setzen wir und in Gleichung (9.16), so erhalten wir
da sich die linearen und kubischen Terme gegenseitig aufheben. Daher gilt
Nach Summation über ergibt sich die Folge der Gewichte für die Funktionswerte in der Simpson-Regel wie im Satz und die Abschätzung genau wie im Beweis von (b) oben.
Übung 9.57.
Erklären Sie unter Verwendung der Simpson-Regel, wie man auf beliebig viele Dezimalstellen genau bestimmen kann.
9.5.1 Landau-Notation II
Wie in obigem Beweis der Simpson-Regel ersichtlich wurde, ist das genaue Buchführen der Konstanten relativ anstrengend und der eigentliche Wert, den man zum Schluss erhält, steckt nicht so sehr in der konkreten Konstante sondern in den anderen Ausdrücken. Wir möchten nun deswegen ein weiteres Stück Notation einführen, welche uns erlaubt bei Abschätzungen unsere Denkleistung auf das Wesentliche zu fokussieren.
Sei eine Menge und seien zwei Funktion. Wir schreiben
falls eine Konstante existiert mit für alle .
Die obige Notation kann leicht mit der Landau-Notation aus Abschnitt 6.6 verwirrt werden, weswegen wir uns Mühe geben werden, den Zusatz „für “ auch immer anzugeben. In einem gewissen Sinne ist die Aussage eine „globale Aussage“, da alle Zahlen in betroffen sind. Hingegen ist eine „lokale Aussage“ , da nur Zahlen betroffen sind, die gross genug sind (das heisst nahe genug bei unendlich sind, siehe Abschnitt 6.6).
In gewissen Situation bedeutet die Notation aber dasselbe, wie folgende Übung zeigt.
Übung 9.58.
Sei und seien zwei stetige Funktionen mit für alle . Zeigen Sie, dass die Aussagen
äquivalent sind.
Die Gross-O-Notation ist per Definition also insbesondere dann nützlich, wenn wir Konstanten „verstecken“ wollen. Beispielsweise ist . Damit die Notation auch in Rechnungen nützlich ist, erlauben wir auch arithmetische Operationen mit ihr (vergleiche auch Abschnitt 6.6): Ist eine Menge und sind drei Funktionen, dann bedeutet
dass für oder intuitiv ausgedrückt, dass die Differenz von und durch kontrolliert ist. Des Weiteren folgt aus für , auch für .
Die Gross-O-Notation wird auch dazu verwendet, Unabhängigkeiten von gewissen Parametern zum Ausdruck zu bringen. Wir möchten dies an einem Beispiel illustrieren.
Beispiel 9.59 (Parameterabhängigkeit bei Landau-Notation).
Sei und .
- (a)
- Nach Taylorapproximation im Sinne von Korollar 9.47 gilt
für . Insbesondere gilt
wobei die in versteckte implizite Konstante also nicht vom Parameter abhängt.
- (b)
- Hängt die implizite Konstante, nicht wie in (a) oben, von einem Parameter ab, so indizieren wir den Parameter bei . Ein konkretes Beispiel: Wenn , dann gilt
für auf Grund der Taylorapproximation in Korollar 9.47.
- (c)
- Auch eine Abhängigkeit des Definitionsbereichs vom Parameter ist denkbar und oft nützlich. Für alle Zahlen gilt und daher
auf Grund der Taylorapproximation in Korollar 9.47.
Im Allgemeinen sollte man die Landau-Notation sorgfältig verwenden, da sich hier oft Fehler einschleichen insbesondere bei der Frage der Abhängigkeit der impliziten Konstanten.