7.2 Absolute Konvergenz
In diesem Abschnitt wollen wir uns vor allem mit absolut konvergenten Reihen auseinandersetzen und einige Konvergenzkriterien beweisen. Auch möchten wir zeigen, dass absolut konvergente Reihen im Gegensatz zu bedingt konvergenten Reihen stabilere Eigenschaften haben.
Proposition 7.28 (Absolute Konvergenz).
Eine absolut konvergente Reihe ist auch konvergent und es gilt die verallgemeinerte Dreiecksungleichung
Beweis.
Der erste Teil folgt unmittelbar aus zweimaliger Anwendung des Cauchy-Kriteriums für Reihen (Satz 7.26): Da die Reihe konvergiert, gibt es für nach dem Cauchy-Kriterium ein , so dass für die Abschätzung
gilt. Daraus folgt
mit der Dreiecksungleichung. Da beliebig war, beweist dies nach dem Cauchy-Kriterium die Konvergenz der Reihe .
Der zweite Teil folgt nun aus der Ungleichung
für alle und dem Grenzübergang für .
7.2.1 Hinreichende Kriterien für absolute Konvergenz
Falls sich die Glieder einer Reihe im Absolutbetrag durch die Glieder einer konvergenten Reihe abschätzen lassen, so ist die Reihe konvergent, wie wir in folgendem Korollar des Vergleichssatzes (Korollar 7.12) zeigen.
Korollar 7.29 (Majorantenkriterium von Weierstrass).
Sei eine komplexe und eine reelle Folge mit für alle hinreichend grossen . Falls konvergiert, dann ist absolut konvergent und daher auch konvergent.
Wir möchten nun zwei Korollare des Majorantenkriteriums diskutieren.
Sehr schwammig ausgedrückt lässt sich eine Folge für wie in Korollar 7.30 bis auf endlich viele Glieder und einen kleinen Fehler von oben durch die geometrische Folge abschätzen. Somit kann man Korollar 7.29 anwenden. Nun aber genauer.
Beweis.
Angenommen . Dann gibt es ein mit
und somit für alle . Die Reihe konvergiert somit absolut wegen dem Majorantenkriterium (Korollar 7.29) und der geometrischen Reihe in Beispiel 7.3.
Falls gilt, gibt es nach Satz 6.15 eine Teilfolge mit für alle . Daraus folgt aber . Insbesondere ist keine Nullfolge und divergiert nach Proposition 7.2.
Beispiel 7.31 (Der Fall in Korollar 7.30).
Sei eine Folge komplexer Zahlen und wie im Wurzelkriterium (Korollar 7.30). Falls , dann kann anhand des Wurzelkriteriums keine Entscheidung über Konvergenz oder Divergenz der Reihe getroffen werden.
Korollar 7.32 (D’Alemberts Quotientenkriterium).
Sei eine Folge komplexer Zahlen mit für alle , so dass
existiert. Dann gilt
Wichtige Übung 7.33.
Beweisen Sie Korollar 7.32.
Hinweis.
Gehen Sie wie im Beweis von Korollar 7.30 vor. Für finden Sie ein , so dass für alle bis auf endlich viele .
Übung 7.34.
Wieso kann man im Quotientenkriterium (Korollar 7.32) nicht auch den Limes superior anstelle des Limes verwenden?
Lösung.
In der Tat folgt aus , dass die Reihe absolut konvergiert, was ebenso ähnlich wie im Beweis von Satz 7.30 gezeigt werden kann. Doch kann aus keine Aussage über die Konvergenz der Reihe getroffen werden. Als Beispiel hierzu betrachten wir die Folge
Für diese Folge gilt
Trotzdem ist aber die Reihe konvergent, was unter Verwendung von zwei geometrischen Reihen oder dem Wurzelkriterium schnell folgt.
7.2.2 Umordnen von Reihen
Im Gegensatz zur bedingten Konvergenz in Teilabschnitt 7.1.2 ist absolute Konvergenz sehr robust. Der erste dieser Robustheitssätze ist folgender positive Umordnungssatz.
Satz 7.35 (Umordnen absolut konvergenter Reihen).
Sei eine absolut konvergente Reihe mit komplexen Gliedern. Sei eine Bijektion. Dann ist ebenso absolut konvergent und es gilt
Beweis.
Sei eine Bijektion und . Nach dem Cauchy-Kriterium (Satz 7.26) gibt es ein , so dass für alle natürliche Zahlen . Daher gilt auch nach der Dreiecksungleichung in Proposition 7.28, dass
für alle . (Es hilft vielleicht für das Folgende diese Abschätzung als „Die Summanden der ursprünglichen Reihe sind wichtig, aber die restlichen Summanden sind weniger wichtig.“ zu interpretieren.)
Wir definieren und wählen ein . Dann gilt
wobei wir verwendet haben, dass eine Bijektion ist. Insbesondere treten damit und wegen alle genau einmal als für auf und die Differenz enthält nach Wegstreichen dieser Terme nur mehr eine Summe über gewisse mit (welche wir im Sinne obiger Interpretation als „weniger wichtig“ betrachten und formal eben insgesamt durch ein abschätzen können). Da beliebig war, zeigt dies die Gleichung (7.2).
Wenden wir dasselbe Argument wie oben auf die Reihe an, ergibt sich auch die absolute Konvergenz von .
7.2.3 Produkte
Wir zeigen nun, dass wir absolut konvergente Reihen gliedweise ausmultiplizieren können.
Satz 7.36 (Produktsatz).
Seien und zwei absolut konvergente Reihen und eine bijektive Abbildung. Dann ist
eine absolut konvergente Reihe, wobei für alle . Weiters gilt
Informell ausgedrückt kann man schreiben
Die beiden (internen) Indices würde man nun gerne anders ausdrücken, damit aus der Doppelsumme auf der rechten Seite (die wir eigentlich nicht definiert haben) eine einfache Summe wird. Wählt man eine Bijektion , so durchläuft alle und somit wird aus der Doppelsumme eine einfache Summe . Satz 7.36 besagt nun, dass diese Reihe effektiv konvergiert und gleich dem gewünschten Produkt ist.
Beweis.
Wir wählen zuerst die Bijektion so dass
für alle . Zum Beispiel könnte wie im folgenden Bild definiert sein.† Wir verwenden hier das Bild um uns eine sonst eher langweilige formale Definition der Abbildung zu ersparen. Sie sollten sich aber davon überzeugen, dass man diese Definition durchaus formal machen kann oder einfach formal mittels Induktion nach die Existenz einer Bijektion mit der gewünschten Eigenschaft zeigen kann. Wir verwenden hier also das Bild als eine Abkürzung für einen formalen Beweis und nicht als einen Ersatz.
Für jedes gilt dann für die Partialsumme bis der gliedweise multiplizierten Reihe der Absolutbeträge das (endliche verallgemeinerte) Distributivgesetz
Insbesondere folgt also
für alle . Da aber für eine Reihe mit nicht-negativen Termen die Folge die Partialsummen monoton wachsend sind, folgt daraus dass die Reihe konvergiert und damit die Reihe absolut konvergent ist.
Obiges Distributivgesetz gilt auch in der Form
für alle . Mit Hilfe des Grenzwertübergangs erhalten wir daraus
Betrachten wir eine beliebige Bijektion , so ist eine Bijektion und die Formel
folgt aus obigem und dem Umordnungssatz (Satz 7.35).
Wie wir in Abschnitt 3.2 gesehen haben, lassen sich Polynome mittels der Regel
multiplizieren, wobei wir setzen. Setzt man , erhält man insbesondere
Diese Identität trifft, wie sich herausstellt, analog für Reihen zu, was wir im folgenden Korollar des Produktsatzes (Satz 7.36) festhalten wollen.
Korollar 7.37 (Cauchy-Produkt).
Falls und absolut konvergente Reihen mit komplexen Gliedern sind, dann gilt
wobei die Reihe absolut konvergent ist.
Beispiel 7.38.
Sei mit . Dann konvergiert absolut. Wenden wir das Cauchy-Produkt auf diese Reihe und sich selbst an, so erhalten wir
Auf diese Weise erhalten wir auch eine Summenformel für
wobei wir die Indexverschiebung durchgeführt haben.
Übung 7.39.
Formal lässt sich auch für bedingt konvergente Reihen und das Cauchy-Produkt bilden. Es muss jedoch nicht mehr konvergent sein: Zeigen Sie, dass das Cauchy-Produkt der bedingt konvergenten Reihe
mit sich selbst divergiert.