1.7 Endliche und abzählbare Mengen
In diesem Abschnitt diskutieren wir die Bedeutung von „Endlichkeit“, „Abzählbarkeit“ und „Überabzählbarkeit“ für Mengen. Letztere dienen innerhalb der Mathematik als Möglichkeit, die „Grösse“ einer Menge anzugeben. Auf den genauen Begriff der Kardinalität wollen wir hier nicht eingehen und verweisen stattdessen auf die Vorlesung „Grundstrukturen“ im Frühlingssemester.
Intuitiv ist eine endliche Menge eine Menge, deren Elemente sich „in endlich vielen Schritten“ auflisten lassen, also eine Menge der Form für ein (wobei wir aber auch die leere Menge erlauben werden). Folgende Definition formalisiert diese Intuition.
Definition 1.74 (Endliche Mengen).
Wir sagen, dass die Kardinalität der leeren Menge Null ist und schreiben . Für definieren wir und auch den eigenartigen Fall . Sei nun eine beliebige Menge und eine natürliche Zahl. Die Menge hat Kardinalität , falls eine Bijektion
existiert. In diesem Fall schreiben wir .
Des Weiteren ist eine endliche Menge, falls für eine nicht-negative ganze Zahl . In diesem Fall sagen wir auch, dass endliche Kardinalität hat und wir schreiben .
Ist keine endliche Menge, so nennen wir eine unendliche Menge (oder sagen, dass unendliche Kardinalität hat) und schreiben .
Man beachte, dass nach der Definition noch nicht klar ist, ob die Kardinalität einer endlichen Menge wohldefiniert ist; in der Tat, falls es eine Bijektion zwischen und für für gäbe, würde diese ungünstige Situation eintreffen.
Proposition 1.75 (Schubfachprinzip).
Seien und endliche Mengen mit und . Falls , dann gibt es keine injektive Abbildungen von nach . Insbesondere ist die Kardinalität einer endlichen Menge eine eindeutig bestimmte Zahl in und für je zwei endliche Mengen und existiert genau dann eine Bijektion wenn .
Wir bemerken, dass die Aussage des Schubfachprinzips sehr anschaulich ist. Angenommen man hat Körbe und Äpfel, welche man in die Körbe legen will. Dann besagt das Schubfachprinzip, dass es immer einen Korb geben wird, in dem sich mindestens 2 Äpfel befinden werden und dies unabhängig davon, mit welcher Methode man die Äpfel in die Körbe verteilt. Auch wenn die Aussage von Proposition 1.75 intuitiv äusserst klar ist, werden wir einen Beweis mittels dem Induktionsprinzip durchführen.
Beweis.
Wir nehmen im Folgenden an, dass eine Menge mit ist, und schreiben – dies entspricht der Wahl einer Bijektion . Analog sei eine Menge mit und . Wir beweisen nun das Schubfachprinzip mittels Induktion nach , also dass es für keine injektive Abbildung gibt.
Falls ist, dann ist die leere Menge. In diesem Fall gibt es für eine Menge mit keine einzige Abbildung . Inbesondere gibt es für den Fall (mit der einzige Möglichkeit ) nichts zu beweisen. Des Weiteren dürfen wir im Folgenden immer annehmen dürfen.
Sei nun und damit . In diesem Fall gibt es nur die konstante Funktion von nach . Da aber und , erhalten wir, dass nicht injektiv ist. Dies beweist das Schubfachprinzip für .
Angenommen und das Schubfachprinzip ist für einen Definitionsbereich mit bereits bekannt. Seien also mit und
eine beliebige Funktion. Falls es ein mit gibt, so sehen wir bereits, dass nicht injektiv ist. Also nehmen wir nun an, dass für alle . In diesem Fall definieren wir mit , mit Formal sollten wir dies begründen, indem wir eine Bijektion zwischen und angeben: Sei so dass , dann definiert für und für eine derartige Bijektion, die auf abbildet., und als die Einschränkung von auf und den Wertebereich . Aus der Induktionsannahme erhalten wir wegen , dass nicht injektiv ist. Dies beweist aber auch (auf Grund der Definition von mittels ), dass nicht injektiv sein kann. Dies schliesst den Beweis des Induktionsschritts und wir erhalten damit das Schubfachprinzip.
Die verbleibenden Aussagen folgen nun unmittelbar. Für und die Identität impliziert obiges Schubfachprinzip inbesondere, dass die Kardinalität eindeutig durch bestimmt ist. Falls und endliche Mengen sind und eine Bijektion ist, so erhalten wir ebenso zuerst (da injektiv ist) und (da injektiv ist). Falls ist, so können wir die Aufzählungen und verwenden, um die Bijektion zu definieren.
Übung 1.76 (Schubfachprinzip mittels surjektiven Funktionen).
Seien und endliche Mengen mit und . Falls , dann gibt es keine sujektiven Abbildungen von nach .
Hinweis.
Sie können versuchen der Beweismethode von Proposition 1.75 und Induktion nach zu folgen: Falls und so erkennen wir bereits, dass nicht surjektiv ist. Ansonsten können wir die Induktionsannahme auf anwenden.
Übung 1.77.
Sei eine endliche Menge und eine Abbildung.
- (i)
- Beweisen Sie, dass Injektivität, Surjektivität und Bijektivität von äquivalent sind.
- (ii)
- Sei nun bijektiv. Zeigen Sie, dass es eine natürliche Zahl gibt mit .
Eine Teillösung für (i).
Sei für eine natürliche Zahl . Angenommen ist injektiv. Falls nicht surjektiv und wäre, so könnte man eine injektive Funktion definieren, was im Widerspruch zum Schubfachprinzip steht.
Ein Hinweis für (ii).
Verwenden Sie für ein festes das Schubfachprinzip für die Abbildung . Anschliessend kann man Bijektivität von benutzen, um ein mit zu finden mit zu finden.
Übung 1.78 (Funktionenräume für endliche Mengen).
Seien und endliche Mengen. Wir erinnern daran, dass die Menge aller Funktionen bezeichnet. Zeigen Sie, dass gilt. Verwenden Sie dazu vollständige Induktion nach der Kardinaliät .
Wie schon am Beispiel der Menge aller natürlichen Zahlen zu sehen ist, sind nicht alle Mengen endlich. An dieser Stelle kann man sich fragen, ob sich unendliche Menge auch nach Grösse unterscheiden lassen. In der Tat existiert auch für unendliche Menge eine sogenannte Kardinalität; wir werden hier nicht genauer auf diese eingehen und verweisen stattdessen auf die Vorlesung „Grundstukturen“ des Frühlingssemester. Für uns ist hier ausreichend, jene Mengen zu identifizieren, die „gleich gross“ sind wie die Menge der natürlichen Zahlen.
Definition 1.79.
Eine Menge heisst abzählbar unendlich (oder kurz abzählbar), falls eine Bijektion zwischen und existiert. Eine Menge, die weder endlich noch abzählbar unendlich ist, nennt man auch überabzählbar.
Die Definition wiederspiegelt die Anschauung, dass abzählbare Mengen gerade jene sein sollten, die sich „ abzählen lassen“.
Lemma 1.80 (Teilmengen von abzählbaren Mengen).
Sei eine abzählbar unendliche Menge und eine Teilmenge. Dann ist entweder endlich oder selbst auch abzählbar unendlich.
Beweis.
Wenn eine Bijektion ist, so ist die Einschränkung von auf eine Bijektion von nach . Aus diesem Grund genügt es den Fall einer Teilmenge zu untersuchen.
Wir definieren eine Funktion durch
Wir zeigen zuerst, dass injektiv ist. Seien also mit . Falls , dann gilt
und damit auch . Der Fall ergibt sich analog, und damit ist die Injektivität von bewiesen.
Wir behaupten nun, dass entweder endlich (und ) ist oder dass die Bildmenge gleich ist. Gemeinsam mit obiger Injektivität ergibt sich aber damit genau die erwünschte Aussage des Lemmas für die Teilmenge .
Für den Beweis der Behauptung wollen wir zuerst zeigen, dass für jedes
gilt. Wir beweisen (1.11) mittels vollständiger Induktion nach . Für gibt es zwei Fälle: Falls , so ist und beide Seiten sind gleich . Falls hingegen , so sind beide Seiten die leere Menge.
Angenommen (1.11) ist nun für bereits bekannt. Für gibt es ebenso zwei Fälle zu unterscheiden: Falls , so ist
nach Induktionsvorraussetzung und der Definition von
Falls hingegen , so ist
Dies schliesst den Induktionsschritt, womit (1.11) für alle bewiesen ist.
Falls eine endliche Menge und das grösste Element von ist, so ist (1.11) für dieses genau die Aussage .
Sei also eine unendliche Menge. In diesem Fall betrachten wir die Vereingung beider Seiten von (1.11) über alle . Links erhalten wir dabei genau die Bildmenge . Und rechts erhalten wir als Vereinigung ganz . Um letzteres zu sehen, wählen wir ein beliebiges . Da unendlich ist, gibt es paarweise verschiedene Elemente . Wir wollen hier annehmen. Falls dies nicht erfüllt ist, nummerieren wir unsere Elemente entsprechend um, um dies zu erreichen† Dies ist ein Beispiel für den Formulierung „ohne Beschränkung der Allgemeinheit“.. Auf Grund der Definition von ist damit und wie behauptet. Also erhalten wir durch Vereinigung beider Seiten von (1.11) die Aussage , womit abzählbar unendlich ist.
Übung 1.81 (Gitterpunkte in der Ebene).
Zeigen Sie, dass abzählbar unendlich ist.
Hinweis.
Zeichnen Sie sich ein Bild von in der Ebene und betrachten Sie einen schlangenförmigen Weg durch diese Gitterpunkte.
Die folgende Übung zeigt, dass „abzählbar unendlich“ gewissermassen die kleinste unendliche Kardinalität ist.
Bemerkung.
Im Beweis von Übung 1.82 werden Sie wahrscheinlich abzählbar oft eine Wahl treffen müssen. Formal verwendet dies das sogenannte Auswahlaxiom der Mengenlehre (Axiom of Choice), welches wir implizit erlauben werden.