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Klinische Fälle

87 Störungen der Sexualfunktion

FALL 5.1 Libidoverlust

Bei einem 53-jährigen Patienten besteht seit rund drei Jahren ein ausgeprägter Libidoverlust. Er wurde dafür zeitweise mit Testosteronersatzpräparaten behandelt. Seit einem halben Jahr bemerkt er nun ein verschwommenes Sehen auf dem linken Auge. Der Augenarzt stellt in der Perimetrie bitemporale Gesichtsfeldausfälle fest. Abgesehen von einer vermehrten Müdigkeit bestehen keine anderen Beschwerden. Der Patient nimmt keine Medikamente ein und die persönliche Anamnese ist bland.

5.1.1 Wie würden Sie nun diagnostischverfahren?[1]

Lösung 5.1.1

Bei einer bitemporalen Hemianopsie muss immer an eine Affektion des Chiasmaopticum (z. B. Kompression durch einen Hypophysentumor) gedacht werden. Eine Bildgebung (MRT) ist in einer solchen Situation deshalb obligat.

5.1.2 Der nächste diagnostische Schritt ist eine MRT des Schädels und der Sellaregion (Abb. D-5.1). Wie interpretieren Sie denBefund?

Lösung 5.1.2

Auf der T1-gewichteten, koronaren MRT ist ein großer, polyzyklisch begrenzter und hyperintenser Tumor zu sehen, der von der Sella turcica ausgehend nachsuprasellär wächst. Der supraselläre Anteil komprimiert das Chiasma opticum (Pfeile in Abb. D-5.1.).

5.1.3  Nachdem die Diagnose eines Hypophysenmakroadenoms mit Chiasmakompression gestellt ist, wird der Patient dem Endokrinologen zugewiesen. Welche Tumoren kennen Sie, die vom Hypophysenvorderlappen ausgehen?

Lösung 5.1.3

Vom Hypophysenvorderlappen gehen hormoninaktive Hypophysenadenome (Gonadotrophzell- oder Null-Zell-Adenome), Prolaktinome, somatotrope Adenome (→ Akromegalie), kortikotrope Adenome (→ Morbus Cushing) und TSH-produzierende Adenome (TSH-ome) aus.

5.1.4  Welche dieser Tumoren können primär medikamentös behandelt werden?

Lösung 5.1.4

Das Prolaktinom kann als einziger Hypophysentumor primär medikamentös mit Dopaminagonisten behandelt werden. Die übrigen Tumorarten werden meist operiert.

5.1.5  In der klinischen Untersuchung achten Sie insbesondere auf Zeichen einer hormonellen Überproduktion. Worauf richten Sie in der klinischen Untersuchung bei diesem Patienten besonders Ihr Augenmerk?

Lösung 5.1.5

Die Zeichen der folgenden hormonellen Störungen werden am häufigsten bei hormonaktiven Tumoren der Hypophyse beobachtet:

  • Hyperprolaktinämie: Galaktorrhö, Zeichen der Feminisierung (Ausfall der männlichen Sekundärbehaarung, evtl. Gynäkomastie)
  • Wachstumshormonüberschuss (Akromegalie): z. B. typische Veränderungen von Gesicht, Extremitäten, Kiefer und Zahnstellung, Makroglossie
  • Hyperkortisolismus (Cushing-Syndrom): z. B. zentral-betonte Fettverteilung, Hautatrophie, easy bruising, proximale Myopathie bzw. Muskelatrophie, Hirsutismus (Frauen)

5.1.6  Welche Laboruntersuchungen veranlassen Sie?

Lösung 5.1.6

Neben den üblichen Routinebestimmungen sollten die Funktionen des Hypophysenvorderlappens abgeklärt werden:

  • Schilddrüsenhormonachse: TSH und fT4
  • Nebennierenrindenachse: Kortisolbasal und stimuliert
  • Gonadenachse: Testosteron und LH
  • Wachstumshormonachse: IGF-1
  • Prolaktin

5.1.7  In der klinischen Untersuchung findet sich ein Patient in gutem Allgemeinzustand, Gewicht 87 kg, Größe 187 cm. Der Blutdruck beträgt 120/70 mmHg, Puls 72/ min, regelmäßig. Die kardiopulmonale Auskultation ist unauffällig, die Prüfung der Okulo- und Pupillomotorik ist ebenfalls normal. Bei der Fingerperimetrie zeigen sich beidseitig temporale Gesichtsfeldausfälle. In der weiteren Untersuchung finden sich keine Zeichen eines Cushing-Syndroms oder einer Akromegalie. Es besteht keine Gynäkomastie oder Galaktorrhö.

Tab. D-5.1 zeigt die Ergebnisse der Laboruntersuchung. Welche Diagnose können Sie aufgrund der klinischen Untersuchung und der Laborresultate nun stellen?

Lösung 5.1.7

Die Laboruntersuchung zeigt einen hypogonadotropen (sekundären) Hypogonadismus. Die übrigen Hypophysenachsen sind intakt.

Am ehesten handelt es sich in diesem Fall um ein hormoninaktives Makroadenom des Hypophysenvorderlappens. Es gibt keine Anhaltspunkte für ein Cushing-Syndrom oder eine Akromegalie. Der normale Prolaktinwert schließt ein Prolaktinom aus.

5.1.8  Wie würden Sie den Patienten nun behandeln?

Lösung 5.1.8

Aufgrund der Chiasmakompression mit Gesichtsfeldausfällen ist eine möglichst rasche Operation mit transnasaler/trans-sphenoidaler Exstirpation des Adenoms anzustreben.

Weiterer Verlauf

Der Patient wird in der Folge operiert und das Adenom kann entfernt werden. Die Diagnose eines hormoninaktiven Hypophysenadenoms wird histologisch bestätigt. Die Gesichtsfeldausfälle bilden sich in der Folge komplett zurück. Die persistierende Insuffizienz der Gonadenachse macht eine Testosteronersatztherapie notwendig.

Weitere Informationen: Hypophysenerkrankungen, Akromegalie, Cushing-Syndrom, Hyperprolaktinämie

 

FALL 5.2 Amenorrhö

Eine 33-jährige Patientin kommt aufgrund einer Amenorrhö in Ihre Sprechstunde. Bis vor vier Monaten bestand ein jeweils regelmäßiger Zyklus. Sie fühlt sich gut und leistungsfähig und gibt keine Beschwerden an. Das Ausbleiben der Menstruation ist für sie nicht störend, es steht jedoch ein Kinderwunsch im Vordergrund, weshalb eine endokrinologische Untersuchung gewünscht wird. Die Patientin nimmt keine Medikamente – auch keine Kontrazeptiva – ein, die persönliche Anamnese und die übrige Systemanamnese sind unauffällig.

5.2.1  Klassifizieren Sie die Amenorrhö als primär oder sekundär?

Lösung 5.2.1

Bei der Patientin besteht eine sekundäre Amenorrhö, also ein Ausbleiben derMenstruation > 3 Monate bei vorher regelmäßigem Zyklus.

5.2.2  Wie können Sie die Pathogenese der sekundären Amenorrhö einteilen?

Lösung 5.2.2

Folgende Ursachen kommen für eine sekundäre Amenorrhö infrage:

  • hypothalamisch-hypophysäre Ursachen (77–92 %)

– funktionell: z. B. bei Depression, Anorexia nervosa oder großer psychischer Belastung
–  Schädel-Hirn-Trauma
–  Hypophysentumoren: z. B. hormoninaktiver Hypophysentumor, Prolaktinom
– Sheehan-Syndrom

  • ovarielle Ursachen (5–9 %)

– ovarieller Hyperandrogenismus: PCO-Syndrom, androgenproduzierende Tumoren
– primäre, vorzeitige Ovarialinsuffizienz
– Z. n. Ovarektomie

  • uterine Ursachen (1–5%)

– Z. n. Hysterektomie
– Erkrankungen des Endometriums: z. B. Endometritis, Z. n. radikaler Kürettage

  • extragenitale Ursachen

– adrenale Erkrankungen: Cushing- Syndrom, adrenogenitales Syndrom, androgenproduzierende Tumoren
– Schilddrüsenfunktionsstörungen
– schwere Allgemeinerkrankungen: z. B. Sepsis

5.2.3  Auf welche Befunde achten Sie bei der klinischen Untersuchung besonders, wenn Sie eine Hyperandrogenämie als Ursache der sekundären Amenorrhö vermuten?

Lösung 5.2.3

Typische Zeichen einer Hyperandrogenämie bei Frauen sind Akne, Hirsutismus, androgenetische Alopezie und Zeichen der Virilisierung (Klitorishypertrophie, tiefe Stimme).

5.2.4  Die klinische Untersuchung ergibt folgenden Befund: Patientin in gutem Allgemeinzustand, Gewicht 58 kg, Größe 164 cm (BMI 21,6 kg/m2), Blutdruck 110/70 mmHg, Puls 60/min, regelmäßig. Kein Hirsutismus, keine Akne. Das Gesichtsfeld ist fingerperimetrisch intakt. Die Schilddrüse ist palpatorisch nicht vergrößert, das Abdomen palpatorisch unauffällig. Die gynäkologische Untersuchung zeigt sonografisch einen Normalbefund von Ovarien und Uterus. Die Untersuchung beider Mammae ist unauffällig ohne provozierbare Galaktorrhö. Der Schnelltest auf β-HCG schließt eine Schwangerschaft aus.

Mit welchem einfachen Test können Sie nun eine Störung von Hypothalamus bzw. Hypophyse und Ovarien in dieser Situation ausschließen?

Lösung 5.2.4

Der nächste diagnostische Schritt ist ein Gestagentest: Eine intakte Funktion der Steuerungszentren (Hypothalamus/Hypophyse) und der Ovarien bewirkt eine ausreichende Östrogenisierung und damit Proliferation des Endometriums. Wird in dieser Situation über 10 Tage ein orales Gestagen zugeführt, wandelt sich unter dessen Einfluss das Endometrium sekretorisch um. 2–4 Tage nach Absetzen des Gestagens kommt es zu einer Abbruchblutung (Gestagentest positiv).

5.2.5  Der Gestagentest fällt bei der Patientin negativ aus. Welche Laboruntersuchungen sollten Sie nun veranlassen?

Lösung 5.2.5

Als Nächstes sollten Prolaktin, LH und FSH, Östradiol sowie TSH und fT4 im Serum bestimmt werden.

5.2.6  Wie interpretieren Sie die Befunde derPatientin (Tab. D-5.2)?

Lösung 5.2.6

Prolaktin ist erhöht (Hyperprolaktinämie) und es besteht ein hypogonadotroper Hypogonadismus (sekundärer Hypogonadismus), der die sekundäre Amenorrhö erklärt. Die Schilddrüsenfunktion ist normal.

5.2.7  Wie würden Sie die Patientin weiter abklären?

Lösung 5.2.7

Da die Patientin keine Medikamente einnimmt, fällt eine medikamentös bedingte Hyperprolaktinämie als Ursache aus. Es muss also bildgebend nach einem Tumor der Hypophyse gesucht werden.

5.2.8  Durch welche Mechanismen können Hypophysentumoren eine Hyperprolaktinämie auslösen?

Lösung 5.2.8

Die tumorbedingte Hyperprolaktinämie kann auf 2 Arten entstehen:

  • durch einen Prolaktinproduzierenden Tumor (Prolaktinom)
  • durch Kompression des Hypophysenstiels (z. B. durch ein Hypophysenmakroadenom) mit Wegfall der Sekretionshemmung durch Dopamin (= prolactin-inhibiting factor, PIF)

5.2.9  Die MRT zeigt ein 7 mm großes Adenom in der linken Hypophysenhälfte (Abb. D-5.2), vereinbar mit einem Mikroprolaktinom (Pfeile). Wie würden Sie die Patientin behandeln?

Lösung 5.2.9

Bei dieser Patientin sollte eine Therapie mit einem Dopaminagonisten (Cabergolin, Bromocriptin) eingeleitet werden.

Weiterer Verlauf

Bei der Patientin wird eine Therapie mit Cabergolin eingeleitet. Gut 3 Monate nach Therapiebeginn haben sich die Prolaktinwerte weitgehend normalisiert. Es tritt wieder eine regelmäßige Menstruation auf.

Weitere Informationen: Amenorrhö, PCO-Syndrom, Diagnostik bei Hypophysenerkrankungen, Hyperprolaktinämie


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