FALL 2.1 Herzklopfen
Mann erhält aufgrund eines Zungengrundkarzinoms eine kombinierte Radiochemotherapie. Zwei Wochen nach Therapieende verspürt er plötzlich Palpitationen. Im EKG ist eine supraventrikuläre Tachykardie mit einer Frequenz von 160 Schlägen/min zu sehen. Bei der Untersuchung ist der Patient in leicht reduziertem Allgemeinzustand. Vitalparameter: Temperatur 36,5°C, Blutdruck 100/60 mmHg, Puls 160/min regelmäßig. Die Schilddrüse ist palpatorisch nicht vergrößert, die Muskeleigenreflexe sind mittellebhaft und symmetrisch auslösbar.
2.1.1 Als ersten diagnostischen Schritt bestimmen Sie die Schilddrüsenfunktionsparameter. Wie interpretieren Sie die Werte?[1]
Lösung 2.1.1
Bei dem Patienten besteht eine manifeste primäre Hyperthyreose (TSH ↓, fT4 ↑). Die negativen TRAK schließen einen Morbus Basedow weitgehend aus. Die Hyperthyreose erklärt die kardiale Rhythmusstörung.
2.1.2 Da die Genese der Hyperthyreose unklar ist, veranlassen Sie als Nächstes eine Szintigrafie der Schilddrüse. Wie interpretieren Sie den Befund?
Lösung 2.1.2
Die Schilddrüse zeigt keinerlei Aufnahme des Radiopharmakons Technetium.
Die Hyperthyreose bei diesem Patienten ist deshalb nicht durch eine de-novo Synthese von Schilddrüsenhormonen bedingt. Die Szintigrafie kann daher eine fokale oder diffuse Autonomie und einen (seltenen) Antikörper-negativen Morbus Basedow ausschließen.
2.1.3 Nennen Sie mögliche Ursachen einer Hyperthyreose, die zu dem Szintigrafiebefund in Abb. D-2.1 führen!
Lösung 2.1.3
Primär kommen alle Formen der Hyperthyreose in Betracht, bei denen keine de-novo Synthese von Schilddrüsenhormonen stattfindet. Dazu zählen z. B. die jodinduzierte Thyreoiditis (z. B. durch Amiodaron), das hyperthyreote Stadium einer subakuten Thyreoiditis und eine exogene Levothyroxineinnahme (faktitielle Hyperthyreose).
2.1.4 Die Anamnese ergibt, dass der Patient während der Radiochemotherapie tägliche Mundspülungen mit einer jodhaltigen Lösung durchführte. Es kann daher die Diagnose einer jodinduzierten Hyperthyreose gestellt werden. Mit welcher Maßnahme können Sie verhindern, dass noch mehr Jod in die Schilddrüse aufgenommen wird?
Lösung 2.1.4
Eine weitere Jodaufnahme kann durch die Gabe von Perchlorat verhindert werden, das die Jodaufnahme in die Thyreozyten blockiert.
2.1.5 Wie sollte der Patient von kardialer Seite her behandelt werden?
Lösung 2.1.5
Aufgrund der Tachykardie sollte ein β-Blocker verordnet werden, um die kardialen Wirkungen der Schilddrüsenhormone zu hemmen.
2.1.6 Worauf muss bei diesem Patienten mit Z. n. Bestrahlung im Halsbereich im Verlauf besonders geachtet werden?
Lösung 2.1.6
Eine Bestrahlung schädigt das Schilddrüsengewebe häufig dauerhaft und kann zu einer postaktinischen Hypothyreose führen.
Weiterer Verlauf
Der Patient entwickelt im Verlauf eine postaktinische Hypothyreose und muss mit Levothyroxin substituiert werden.
Weitere Informationen: Schilddrüsenhormonsynthese, Diagnostik bei Schilddrüsenerkrankungen, Hyperthyreose, Hypothyreose
FALL 2.2 Herzklopfen
Eine 34-jährige Patientin sucht ihren Gynäkologen in der 11. Schwangerschaftswoche wegen Nausea, rezidivierender Emesis, Palpitationen und vermehrtem Hitzegefühl auf. Sie hat außerdem in den letzten vier Wochen 11 kg an Gewicht verloren. In der persönlichen Anamnese ist eine primäre Sterilität bekannt. Zur Fertilitätsbehandlung wurde eine ICSI (Intracytoplasmatic Sperm Injection) mit Embryonentransfer durchgeführt, die zu einer intakten Zwillingsschwangerschaft führte. Der Vater der Patientin leidet unter einer chronisch-lymphozytären Thyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis).
In der klinischen Untersuchung präsentiert sich eine Patientin in leicht reduziertem Allgemeinzustand mit klinischen Dehydratationszeichen. Der Blutdruck beträgt 102/68 mmHg, der Puls 92/min regelmäßig. Palpatorisch ist die Schilddrüse nicht vergrößert, die Muskeleigenreflexe sind symmetrisch auslösbar, es besteht kein Fingertremor.
2.2.1 Welchen klinischen Verdacht haben Sie und welche Untersuchungen ordnen Sie an?
Lösung 2.2.1
Wegen des vermehrten Hitzegefühls und der Palpitationen muss eine Schilddrüsenüberfunktion vermutet werden. Zeigt die Laborbestimmung eine primäre Hyperthyreose an, sollten aufgrund des Alters und der positiven Familienanamnese für eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung auch die TSH-Rezeptorantikörper (TRAK) bestimmt werden, um einen Morbus Basedow abzuklären.
2.2.2 Wie interpretieren Sie die Befunde der Patientin (Tab. D-2.2)?
Lösung 2.2.2
Das supprimierte TSH und die normalen Werte für fT3 und fT4 qualifizieren diese Schilddrüsenfunktionsstörung als primäre, subklinische Hyperthyreose.
2.2.3 Würden Sie zur weiteren Abklärung in diesem Fall eine Schilddrüsenszintigrafie empfehlen?
Lösung 2.2.3
Nein. Die Schilddrüsenszintigrafie ist in der Schwangerschaft kontraindiziert.
2.2.4 Würde bei der Patientin ein Morbus Basedow bestehen, welche typischen klinischen Befunde würden Sie erwarten?
Lösung 2.2.4
Typische klinische Befunde bei Morbus Basedow:
- Struma diffusa: Die Schilddrüse ist diffus vergrößert, palpatorisch jedoch indolent. Bei schwerer Hyperthyreose lässt sich häufig ein Schwirren palpieren oder auskultieren.
- endokrine Orbitopathie (bis zu 50 % aller Patienten mit Morbus Basedow): Die Patienten klagen über ein Druckgefühl und Schmerzen im Bulbus oder über Doppelbilder. Typische Befunde sind ein Exophthalmus mit Lidretraktion, Motilitätsstörungen der Augen, eine Bindehautchemose, eine konjunktivale Injektion und eine periorbitale Schwellung.
- zirkumskriptes Myxödem (selten): plaqueartige Verdickung der Haut mit Orangenhaut-ähnlichem Aspekt, meist prätibial lokalisiert
- Onycholyse (selten): Ablösung der Nagelplatte vom Nagelbett
- Akropachie (selten): Auftreibung der Endphalangen der Finger oder Zehen durch appositionelles Knochenwachstum und Weichteilschwellung
2.2.5 Wie würden Sie die Patientin behandeln, wenn Sie einen Morbus Basedow hätte?
Lösung 2.2.5
Bei dieser schwangeren Patientin käme nur die Behandlung mit einem Thyreostatikum (Propylthiouracil) zur Hemmung der Schilddrüsenhormonsynthese infrage. Weitere Optionen bei nicht schwangeren Patientinnen wären die totale Thyreoidektomie und die Radiojodtherapie. Die kardialen Symptome werden mit einem β-Blocker kupiert.
2.2.6 Wie wirken Thionamide?
Lösung 2.2.6
Thionamide blockieren die Thyroideaperoxidase (TPO), das Schlüsselenzym der Schilddrüsenhormonsynthese.
2.2.7 Welche Nebenwirkungen der Thionamide kennen Sie?
Lösung 2.2.7
Die wichtigsten Nebenwirkungen der Thionamide sind eine Agranulozytose, eine medikamentös-induzierte Hepatitis und ein makulopapulöses Exanthem.
2.2.8 Zurück zum Fallbeispiel: Die fehlenden klinischen Zeichen und die negativen TRAK machen einen Morbus Basedow unwahrscheinlich. Es wird die Verdachtsdiagnose einer β-HCG-assoziierten Hyperthyreose gestellt, die typischerweise in der 2. Hälfte des 1. Trimenons auftritt. Im Serum findet sich eine massiv erhöhte β-HCG-Konzentration.
Können Sie erklären, warum β-HCG die Schilddrüse stimulieren und so zu einer Hyperthyreose führen kann?
Lösung 2.2.8
β-HCG ist ein Peptidhormon, das aus je einer α- und einer β-Untereinheit besteht. Die β-Untereinheit ist spezifisch für β-HCG, die α-Untereinheit jedoch identisch mit der von TSH, LH und FSH. Durch diese Strukturhomologie kann β-HCG die Schilddrüse über den TSH-Rezeptor stimulieren.
Weiterer Verlauf
Die Patientin wird mit einem β-Blocker behandelt, die Beschwerden bessern sich rasch. Innerhalb von 4 Wochen normalisiert sich die Schilddrüsenfunktion komplett.
Weitere Informationen: Diagnostik bei Schilddrüsenerkrankungen, Hyperthyreose
FALL 2.3 Herzklopfen
Bei einer 32-jährigen Patientin treten rund drei Wochen nach einem Infekt der oberen Luftwege plötzlich Schweißausbrüche, Nachtschweiß, eine ausgeprägte innere Unruhe und Palpitationen auf.
Sie fühlt sich müde, abgeschlagen und hat Gliederschmerzen. Seit einigen Tagen hat sie Fieber bis 39°C und Schüttelfrost. Der Infekt der Atemwege ist abgeheilt und die Patientin ist diesbezüglich beschwerdefrei (kein Husten, kein Schnupfen). Sie klagt über starke Schmerzen im Bereich der Schilddrüse mit Ausstrahlung bis in beide Ohren sowie über Schmerzen beim Kauen. Die persönliche Anamnese und die übrige Systemanamnese sind unauffällig, die Patientin nimmt keine Medikamente ein.
Klinisch ist der Allgemeinzustand reduziert, Temperatur 38,5 °C, Blutdruck 140/90 mmHg, Puls 120/min regelmäßig. Die Muskeleigenreflexe sind symmetrisch gesteigert, das Integument ist warm und feucht und es besteht ein feinschlägiger Fingertremor. Die Untersuchung der Augen ist unauffällig ohne Hinweise auf eine endokrine Orbitopathie. Die Schilddrüse ist diffus vergrößert und beidseitig extrem druckschmerzhaft.
2.3.1 Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?
Lösung 2.3.1
Aufgrund von Anamnese und Klinik kann die Verdachtsdiagnose einer subakuten Thyreoiditis (de Quervain) gestellt werden. Dafür sind folgende Punkte typisch:
- relativ akuter Beginn der Erkrankung einige Wochen nach einem Infekt (typischerweise virale Infektion der oberen Luftwege)
- klinisch ausgeprägte Zeichen der Hyperthyreose, meist Verschlechterung des Allgemeinzustands mit Allgemeinsymptomen (Abgeschlagenheit, Myalgien), evtl. Fieber
- klinisch vergrößerte und druckdolente Schilddrüse
2.3.2 Was ist die Ursache einer subakuten Thyreoiditis?
Lösung 2.3.2
Bisher gibt es keine allgemein akzeptierte Ursache. Es wird jedoch eine virale Genese im Sinne eines parainfektiösen Mechanismus postuliert (u. a. Adeno-,Coxsackie-, Influenza-Viren). Typischerweise ist in der Anamnese vorausgehend ein meist viral bedingter Infekt zu finden.
2.3.3 Welche Laboruntersuchungen ordnen Sie an?
Lösung 2.3.3
Auf jeden Fall müssen die Schilddrüsenfunktionsparameter und die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) oder das CRP bestimmt werden.
2.3.4 Wie interpretieren Sie die Laborbefunde der Patientin (Tab. D-2.3)?
Lösung 2.3.4
Bei der Patientin besteht eine manifeste primäre Hyperthyreose. Die erhöhte Senkung ist typisch für die Initialphase einer subakuten Thyreoiditis.
2.3.5 Die Schilddrüsensonografie (Abb. D-2.2) zeigt das typische Bild der subakuten Thyreoiditis: Beidseitig vergrößerte Schilddrüsenlappen, durchsetzt mit hypoechogenen und unscharf begrenzten Arealen (Pfeile). Mithilfe der Laborbefunde haben Sie die Diagnose „subakute Thyreoiditis“ untermauert. Sie benötigen keine weiteren Untersuchungen. Falls Sie trotzdem eine Szintigrafie bei der Patientin veranlassen würden, welche Befunde hätten Sie zu erwarten?
Lösung 2.3.5
Eine Szintigrafie würde einen fehlenden bzw. stark verminderten uptake des Radiopharmakons zeigen. Die Hyperthyreose ist durch eine Destruktion des Schilddrüsengewebes, nicht durch eine de-novo-Synthese bedingt. In diesem Fall wäre der uptake erhöht.
2.3.6 Wie behandeln Sie die Patientin?
Lösung 2.3.6
Die subakute Thyreoiditis verläuft selbstlimitierend und wird symptomatisch mit einem β-Blocker und entzündungshemmend mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) therapiert, in schweren Fällen mit systemischen Glukokortikoiden.
2.3.7 Warum geben Sie der Patientin keine Thyreostatika, z. B. Carbimazol?
Lösung 2.3.7
Thyreostatika wirken nur bei Hyperthyreose-Formen aufgrund einer gesteigerten Neusynthese von Schilddrüsenhormonen (z. B. fokale Autonomie, Morbus Basedow). Die Freisetzung von Schilddrüsenhormonen kann durch Thyreostatika nicht gebremst werden, sie sind bei der Behandlung der subakuten Thyreoiditis wirkungslos.
Weiterer Verlauf
Die Patientin erhält einen β-Blocker und Diclofenac. Nach 3 Wochen sind die Schmerzen und die Allgemeinsymptome komplett verschwunden. 10 Wochen nach der Erstvorstellung hat sich die Schilddrüsenfunktion ebenfalls vollständig normalisiert.
Zusatzinformationen zum Fall
Eine subakute Thyreoiditis verläuft klassischerweise in 3 Stadien: In der ersten Phase werden gespeicherte Schilddrüsenhormone durch die Destruktion von Schilddrüsengewebe rasch freigesetzt. Es resultiert eine Hyperthyreose. Die Depletion der Hormonspeicher führt in der Folge meist zu einer Hypothyreose, die nach einigen Wochen wieder in eine Euthyreose übergeht.
Weitere Informationen: Diagnostik bei Schilddrüsenerkrankungen, Hyperthyreose, Thyreoiditis
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