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6 Reihen, Funktionenfolgen und Potenzreihen

Wir werden in diesem Kapitel sogenannte Reihen also «Summen von allen Gliedern einer Folge» betrachten, was uns auch zu den Definitionen vieler weiterer Ihnen bekannten Funktionen führen wird.

6.1 – Reihen

Definition 6.1: Reihen

Sei (ak)k(ak)k eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Wir wollen die (unendliche) Reihe k=1akk=1ak betrachten, wobei akak für kNkN das kk-te Glied oder der kk-te Summand der Reihe genannt wird. Für nNnN ist die nn-te Partialsumme der Reihe k=1akk=1ak durch sn=nk=1aksn=nk=1ak gegeben. Wir nennen die Reihe k=1akk=1ak konvergent, falls der Grenzwert

k=1ak=limnnk=1ak=limnsnk=1ak=limnnk=1ak=limnsn

in CC existiert, wobei wir diesen dann als Wert der Reihe bezeichnen. Ansonsten nennen wir die Reihe divergent.

Eine kleine Warnung: Mit «Sei k=1akk=1ak eine Reihe …» meinen wir trotz der Notation nicht wirklich, dass k=1akk=1ak effektiv eine Zahl darstellt. Vor allem bevor wir wissen, ob die Reihe konvergent ist, ist k=1akk=1ak vielmehr als formales Objekt zu verstehen (gewissermassen als die Folge der Partialsummen), dessen Konvergenzeigenschaften wir untersuchen wollen.[1] Der erste Summand der Reihe muss nicht immer dem Index k=1k=1 zugeordnet sein und obige Definition ist in solchen Fällen entsprechend anzupassen.

Eine einfache aber auch sehr wichtige Eigenschaft konvergenter Reihen ist in folgender Proposition enthalten.

Proposition 6.2: Nullfolgen

Falls die Reihe k=1akk=1ak konvergiert, dann ist die Folge (an)n(an)n eine Nullfolge, das heisst limnan=0limnan=0.

Beweis

Nach Annahme haben die Partialsummen sn=nk=1aksn=nk=1ak für nNnN einen Grenzwert limnsn=S=k=1aklimnsn=S=k=1ak und damit gilt ebenso

limnan=limn(snsn1)=SS=0.limnan=limn(snsn1)=SS=0.

Beispiel 6.3: Geometrische Reihe

Die geometrische Reihe n=0qnn=0qn zu qRqR (oder CC) konvergiert genau dann, wenn [latex]|q|

k=0qk=11q.k=0qk=11q.

In der Tat impliziert Konvergenz der Reihe mittels Proposition 6.2, dass [latex]|q|3.8 und der Konvergenz der geometrischen Folge in Beispiel 5.13, dass

nk=0qk=1qn+11q11qnk=0qk=1qn+11q11q

für nn.

Beispiel 6.4: Harmonische Reihe

Die Umkehrung von Proposition 6.2 gilt nicht. Beispielsweise ist die harmonische Reihe k=11kk=11k divergent.

Wir beweisen die Divergenz mit einer konkreten Abschätzung. Sei n=2n=2, dann erfüllt die Partialsumme der harmonischen Reihe für nn die Abschätzung

2k=11k=1+12+13+14+15+16+17+18+19++121+1++121+12+14+14=12+18+18+18+18=12+116++12++12=12=1+2.2k=11k=1+12+13+14+15+16+17+18+19++121+1++121+12+14+14=12+18+18+18+18=12+116++12++12=12=1+2.

Da NN beliebig war, erkennen wir, dass die Partialsummen nicht beschränkt sind, und daher ist die harmonische Reihe divergent.

Wir präsentieren noch eine kleine Anwendung der Divergenz der harmonischen Reihe aus dem Alltag.

Beispiel 6.5: Harmonischer Springturm

Wir wollen am Rande des Zürichsees einen Springturm bauen, der aus einzelnen quaderförmigen Bausteinen (von gleicher Form und gleichem Material) besteht und möglichst weit in den See hineinragen soll. Wie weit können wir kommen, ohne die Bausteine aneinander oder an das ebene, äusserst stabile, am Uferrand liegende Fundament zu befestigen? Wir wollen nn Bausteine von 2 Metern Länge verwenden und rechnen von oben weg jeweils aus, wie weit die Bausteine zueinander verschoben sein dürfen, ohne dass der Turm einstürzt. Für n=1n=1 sehen wir in Figur 6.1, dass der Baustein 1m1m in den See ragen kann.

image

Abbildung 6.1 – Der Schwerpunkt ss des Bausteins muss oberhalb des Ufers liegen, denn sonst kippt der Stein in den See. Wir wollen im Folgenden immer den Grenzfall, wo der Schwerpunkt genau über dem Uferrand liegt, ebenso als stabil erklären.

Wir schieben jetzt einen Baustein von unten ein und wollen beide Bausteine soweit wie möglich in den See schieben.

image

Abbildung 6.2 – Bei beiden Steinen gibt es jetzt auch zwei Punkte, bei denen der Turm kippen und zumindest teilweise in den See stürzen könnte. Der obere Kipppunkt ist kein Problem, da wir beide Steine gemeinsam verschoben haben und somit den Schwerpunkt des oberen Steins genau am Rand des unteren liegt.

Um zu bestimmen, wie weit man beide Steine in Richtung See schieben darf, berechnen wir den Schwerpunkt der beiden Steine gemeinsam. Hierfür verwenden wir ein geeignetes Koordinatensystem; nämlich messen wir nach rechts vom Uferrand (also der linken Kante des unteren Steins) aus — siehe dazu das linke Bild in Figur 6.2. Der Schwerpunkt des oberen Steins hat in diesem Koordinatensystem die Koordinate 00, der untere die Koordinate 11 und damit beide zusammen die Koordinate 12=0+1212=0+12. Also können wir beide 12m12m in Richtung See verschieben und kommen somit total 1m+12m=32m1m+12m=32m in den See hinein.

Wir heben jetzt diese beiden an und fügen einen weiteren Stein so hinzu, dass die linke Kante genau unter dem Schwerpunkt der ersten zwei und damit am Uferrand zu liegen kommt. Wir müssen also wieder den gemeinsamen Schwerpunkt dieser drei Steine bestimmen. Die oberen beiden haben den gemeinsamen Schwerpunkt 00, der untere hat die Koordinate 11 und somit haben alle drei zusammen den Schwerpunkt 13=20+11313=20+113. Wir verschieben also alle drei um 13m13m in Richtung See, was eine totale Verschiebung von 1m+12m+13m1m+12m+13m ergibt, und wiederholen den Vorgang so oft wie wir wollen. Da aber die Partialsummen der harmonischen Reihe unbeschränkt sind, können wir damit beliebig weit in den See hineinbauen. Eine interaktive Darstellung dieses Vorgehens findet man unter diesem Link und ein Video unter diesem.

Für die Praxis ist diese Methode kaum zu empfehlen, zum einen haben wir das Gewicht des Turmspringers ignoriert, und weiters haben wir nicht beschrieben, wie hoch der Turm wirklich wird, wenn wir auch nur 10m10m in den See hineinreichen wollen (da in diesem Fall n=12367n=12367 Bausteine notwendig sind).

Die folgenden drei Lemmata sind einfache Konsequenzen der Definition der Konvergenz von Reihen.

Lemma 6.6: Linearität

Seien k=1akk=1ak, k=1bkk=1bk konvergente Reihen und αCαC. Dann sind die Reihen k=1(ak+bk)k=1(ak+bk), k=1(αak)k=1(αak) konvergent und es gilt

k=1(ak+bk)=k=1ak+k=1bk,k=1(αak)=αk=1ak.k=1(ak+bk)=k=1ak+k=1bk,k=1(αak)=αk=1ak.

Also bilden konvergente Reihen einen Vektorraum über CC und der Wert der Reihe stellt eine lineare Abbildung auf diesem Vektorraum nach CC dar.

Übung 6.7

Beweisen Sie Lemma 6.6.

Lemma 6.8: Indexverschiebung für Reihen

Sei k=1akk=1ak eine Reihe. Für jedes NNNN ist die Reihe k=Nak==1a+N1k=Nak==1a+N1 genau dann konvergent, wenn die Reihe k=1akk=1ak konvergent ist. In diesem Fall gilt

k=1ak=N1k=1ak+k=Nak.k=1ak=N1k=1ak+k=Nak.

Insbesondere zeigt Lemma 6.8, dass das Konvergenzverhalten einer Reihe sich nicht ändert, wenn endlich viele Glieder der Reihe weggelassen, hinzugefügt oder geändert werden. Wir werden diese zentrale Eigenschaft oft und deswegen mitunter auch implizit verwenden.

Beweis

Für nNnN gilt

nk=1ak=N1k=1ak+nk=Nak.nk=1ak=N1k=1ak+nk=Nak.

Insbesondere konvergieren die Partialsummen von k=Nakk=Nak genau dann, wenn die Partialsummen von k=1akk=1ak konvergieren und das Lemma folgt. ∎

Lemma 6.9: Zusammenfassen von benachbarten Gliedern

Sei n=1ann=1an eine konvergente Reihe und (nk)k(nk)k eine streng monoton wachsende Folge natürlicher Zahlen. Definiere A1=a1++an1A1=a1++an1 und Ak=ank1+1++ankAk=ank1+1++ank für k2k2. Dann gilt

k=1Ak=n=1an.k=1Ak=n=1an.
Beweis

Die KK-te Partialsumme von k=1Akk=1Ak ist

Kk=1Ak=(a1++an1)+(an1+1++an2)++(anK1+1++anK)=nKn=1an.Kk=1Ak=(a1++an1)+(an1+1++an2)++(anK1+1++anK)=nKn=1an.

Somit bilden die Partialsummen von k=1Akk=1Ak eine Teilfolge der konvergenten Folge der Partialsummen von n=1ann=1an. ∎

Beispiel 6.10

Die Umkehrung von Lemma 6.9 gilt im Allgemeinen nicht. Beispielsweise ist die Reihe n=1(1)nn=1(1)n nach Proposition 6.2 divergent, aber die Reihe k=1((1)2k1+(1)2k)k=1((1)2k1+(1)2k), die aus zusammengefügten Gliedern von n=1(1)nn=1(1)n besteht, ist konvergent, da jedes Glied Null ist.

6.1.1 – Reihen mit nicht-negativen Gliedern

Für Reihen mit nicht-negativen Gliedern gilt folgende fundamentale Eigenschaft.

Proposition 6.11: Monotone Partialsummen

Für eine Reihe k=1akk=1ak mit nicht-negativen Gliedern ak0ak0 für alle kNkN bilden die Partialsummen sn=nk=1aksn=nk=1ak eine monoton wachsende Folge. Falls diese Folge der Partialsummen beschränkt ist, dann konvergiert die Reihe k=1akk=1ak. Ansonsten gilt

k=1ak=limnsn=.k=1ak=limnsn=.

Insbesondere können wir für die harmonische Reihe in Beispiel 6.4

n=11n=n=11n=

schreiben.

Beweis

Aus an+10an+10 folgt sn+1=sn+an+1snsn+1=sn+an+1sn für alle nNnN. Falls die Partialsummen {snnN}{snnN} zusätzlich noch beschränkt sind, dann sind diese (und damit auch die Reihe) konvergent nach Satz 5.34. ∎

Korollar 6.12: Vergleichssatz

Seien k=1akk=1ak, k=1bkk=1bk zwei Reihen mit der Eigenschaft 0akbk0akbk für alle kNkN. Dann gilt k=1akk=1bkk=1akk=1bk und insbesondere gelten die Implikationen

k=1bk konvergent k=1ak konvergent k=1ak divergent k=1bk divergent .k=1bk konvergent k=1ak konvergent k=1ak divergent k=1bk divergent .

Diese beiden Implikationen treffen auch dann zu, wenn 0anbn0anbn nur für alle hinreichend grossen nNnN gilt.

Man nennt unter den Annahmen des Korollars die Reihe k=1bkk=1bk eine Majorante der Reihe k=1akk=1ak, und letztere auch eine Minorante der Reihe k=1bkk=1bk. Daher spricht man auch von dem Majoranten- und dem Minorantenkriterium.

Beweis

Aus akbkakbk für alle kNkN folgt nk=1aknk=1bknk=1aknk=1bk für alle nNnN. Somit gilt nach Monotonie der Folge der Partialsummen

k=1ak=sup{nk=1aknN}sup{nk=1bknN}=k=1bk.k=1ak=sup{nk=1aknN}sup{nk=1bknN}=k=1bk.

Die letzte Aussage der Proposition ist nun eine Konsequenz von Lemma 6.8 (wieso?). ∎

Übung 6.13

Zeigen Sie, dass die Annahme in Korollar 6.12, dass die Reihen k=1akk=1ak, k=1bkk=1bk nicht-negative Glieder haben, notwendig ist.

Beispiel 6.14: Reihe der Kehrwerte der Quadratzahlen

Die Reihe k=11k2k=11k2 ist konvergent. Tatsächlich gilt ak=1k21k(k1)=bkak=1k21k(k1)=bk für k2k2 und die Reihe k=1bkk=1bk ist konvergent, da deren nn-te Partialsumme unter Auflösen einer Teleskopsumme (siehe Abschnitt 3.1.1) durch

nk=21k(k1)=nk=2(1k11k)=11nnk=21k(k1)=nk=2(1k11k)=11n

gegeben ist.

Beispiel 6.15: Reihenkonvergenz und Folgenasymptotik

Wir betrachten die Reihe

n=12n10n310n+100n=12n10n310n+100

und wollen zeigen, dass diese konvergiert. Für dies bemerken wir, dass an=2n1n310n+100an=2n1n310n+100 im Wesentlichen sich wie 1n21n2 verhalten sollte. Genauer formuliert gilt an=O(1n2)an=O(1n2) für nn (siehe Abschnitt 5.6) da

limnan1/n2=limnn2(2n10)n310n+100=2.limnan1/n2=limnn2(2n10)n310n+100=2.

Daher gibt es ein M>0M>0 mit anMn2anMn2 für alle nNnN (wieso?) und ein NNNN mit 0an0an für alle nNnN. Verwenden wir nun Korollar 6.12 und Beispiel 6.14 ergibt sich die Konvergenz von n=12n10n310n+100n=12n10n310n+100.

Proposition 6.16: Verdichtung

Eine Reihe k=1akk=1ak mit nicht-negativen, monoton abnehmenden Gliedern a1a20a1a20 ist genau dann konvergent, wenn k=12ka2kk=12ka2k konvergent ist.

Beweis

Es gelten auf Grund der angenommenen Monotonie von (an)n(an)n die Ungleichungen

a2a2a12a4a3+a42a222a8a5+a6+a7+a822a4a2a2a12a4a3+a42a222a8a5+a6+a7+a822a4

und allgemeiner

2na2n+1a2n+1++a2n+12na2n2na2n+1a2n+1++a2n+12na2n

für nNnN. Für die Summen ergibt sich daher die Ungleichung

n+1k=12k1a2k2n+1=2ank=02ka2kn+1k=12k1a2k2n+1=2ank=02ka2k

und wir erhalten die Proposition durch den Grenzübergang nn und Korollar 6.12. ∎

Beispiel 6.17: pp-Test

Die Reihe n=11npn=11np für pRpR konvergiert genau dann, wenn p>1p>1. Für p0p0 ist 1np11np1 für alle nNnN und die Reihe nach Proposition 6.2 somit divergent. Für p1p1 gilt 1n1np1n1np für alle nNnN und die Reihe divergiert nach Korollar 6.12, da die harmonische Reihe divergiert. Wir wenden nun Proposition 6.16 an. Für p0p0 ist (1np)n(1np)n eine monoton abnehmende Folge und wir erhalten aus Proposition 6.16, dass n=11npn=11np genau dann konvergiert, wenn

k=12k1(2k)p=k=1(21p)kk=12k1(2k)p=k=1(21p)k

konvergiert. Diese geometrische Reihe konvergiert aber nach Beispiel 6.3 genau dann, wenn p>1p>1 ist.

Übung 6.18

  1. Zeigen Sie für pRpR, dass die Reihe n=21nlog(n)pn=21nlog(n)p genau dann konvergiert, wenn p>1p>1 ist.
  2. Ist die Reihe n=31nlog(n)log(log(n))n=31nlog(n)log(log(n)) konvergent oder divergent?

Übung 6.19: q-äre Darstellungen

Sei qNqN, q>1q>1. In Übung 3.7 haben wir gezeigt, dass jede ganze Zahl eine Ziffernentwicklung zur Basis qq besitzt. In dieser Übung wollen wir die analoge Aussage für reelle Zahlen formulieren und beweisen. Sei xRxR. Wegen Übung 3.7 wollen wir sogar annehmen, dass x[0,1)x[0,1). Zeigen Sie, dass eine Folge von Ziffern (αk)k(αk)k mit αk{1,,q1}αk{1,,q1} für alle kNkN existiert, so dass die Reihe k=1αkqkk=1αkqk konvergiert und xx darstellt im Sinne von

k=1αkqk=x.k=1αkqk=x.

Sind die Ziffern (αk)k(αk)k zu xRxR wie oben eindeutig bestimmt?

Hinweis.

Sei x1=xx1=x und α1=qx1α1=qx1. Dann gilt [latex]|x- \frac {\alpha _1}{q}|

\begin{aligned}[]\bigg |x- \sum _{\ell =1}^k \frac {\alpha _\ell }{q^\ell } \bigg |\begin{aligned}[]\bigg |x- \sum _{\ell =1}^k \frac {\alpha _\ell }{q^\ell } \bigg |

für alle kk.

6.1.2 – Bedingte Konvergenz

Wir sagen, dass eine Reihe n=1ann=1an mit komplexen Summanden absolut konvergiert, falls die Reihe n=1|an|n=1|an| konvergiert. Die Reihe n=1ann=1an ist bedingt konvergent, falls sie konvergiert, aber nicht absolut konvergiert.

Wie wir im nächsten Abschnitt besprechen werden, haben absolut konvergente Reihen, im Gegensatz zu bedingt konvergenten Folgen, sehr robuste Eigenschaften. Inwiefern letztere über gewisse (widersprüchlich erscheinende) Eigenheiten verfügen, wollen wir in diesem Teilabschnitt erklären.

Beispiel 6.20: Alternierende harmonische Reihe

Wir wollen zuerst zeigen, dass die alternierende harmonische Reihe

n=1(1)n+1n=112+1314+15+n=1(1)n+1n=112+1314+15+

bedingt konvergiert. Nach Beispiel 6.4 divergiert die harmonische Reihe

n=11n=n=1|(1)n+1|nn=11n=n=1|(1)n+1|n

(nach unendlich). Wir müssen also nur noch Konvergenz der alternierenden Reihe beweisen. Wir betrachten zuerst zu nNnN die 2n2n-te Partialsumme

s2n=(112)+(1314)++(12n112n)=nk=1(12k112k)=nk=112k(2k1)nk=11k2k=11k2s2n=(112)+(1314)++(12n112n)=nk=1(12k112k)=nk=112k(2k1)nk=11k2k=11k2

Die Folge (s2n)n(s2n)n ist somit monoton wachsend und beschränkt (wegen Beispiel 6.14) und konvergiert damit. Wegen s2n1=s2n12ns2n1=s2n12n konvergiert aber ebenso die Folge (s2n1)n(s2n1)n und gegen den gleichen Limes.[2] Also konvergiert die Reihe n=1(1)n+1nn=1(1)n+1n (wieso?). Des Weiteren folgt n=1(1)n+1n12n=1(1)n+1n12, da nach obigem Argument die Partialsumme s2ns2n als Summe von positiven Summanden geschrieben werden kann, wovon der erste Term gleich 1212 ist.

Folgender Satz mag zuerst überraschend sein und zeigt, dass man mit bedingter Konvergenz vorsichtig umgehen muss, da diese sehr zerbrechliche Eigenschaften besitzt.

Satz 6.21: Riemannscher Umordnungssatz

Sei n=1ann=1an eine bedingt konvergente Reihe mit reellen Gliedern. Dann gibt es zu jedem ARAR eine bijektive Funktion (eine Umordnung) φ:NNφ:NN, so dass die Reihe n=1aφ(n)n=1aφ(n) bedingt konvergiert und n=1aφ(n)=An=1aφ(n)=A ist. Weiters gibt es eine Umordnung der Reihe, die divergiert.

Beispiel 6.22: Umordnen der alternierenden harmonischen Reihe

Wir ordnen die alternierende harmonische Reihe um und erhalten

(112)14+(1316)18+(15110)112+(112)14+(1316)18+(15110)112+

Wir bemerken, dass die so erhaltene Umordnung der alternierenden harmonischen Reihe konvergiert und den halben Wert der alternierenden harmonischen Reihe annimmt. Hierbei sind die Klammern als Hilfestellung gedacht, denn rechnet man die Klammern aus, so erhält man die Reihe in der jeder Summand genau die Hälfte der Summanden der alternierenden harmonischen Reihe ausmacht. Lässt man hingegen die Klammern weg, so erhält man die umgeordnete Reihe der alternierenden harmonischen Reihe. Des Weiteren weiss man für diese Reihe, dass die Teilfolge (s3n)n(s3n)n der Partialsummen konvergiert. Da aber s3n+1s3ns3n+1s3n und s3n+2s3ns3n+2s3n Nullfolgen sind, können wir daraus schliessen, dass die umgeordnete Reihe konvergiert und den halben Wert der ursprünglichen Reihe hat.

Da dieser Satz eher negativer Natur ist, begnügen wir uns mit einer Beweisskizze und verweisen auf [3]. Sei also n=1ann=1an eine bedingt konvergente Reihe (wobei es helfen könnte, an n=1(1)n+1nn=1(1)n+1n zu denken). Dann gilt an0an0 für nn und n=1|an|=n=1|an|= nach Annahme. Wir teilen die natürlichen Zahlen NN in die zwei Mengen

[latex]
\begin{aligned}[]P = \left \lbrace {n \in \mathbb {N}} \mid {a_n \geq 0}\right \rbrace ,\quad N = \left \lbrace {n \in \mathbb {N}} \mid {a_n [/latex]

auf. Dann müssen PP und NN beide unendliche Kardinalität haben, denn wenn zum Beispiel NN endlich wäre, dann würden sich n=1ann=1an und n=1|an|n=1|an| nur um endlich viele Terme unterscheiden. (Für an=(1)n+1nan=(1)n+1n wäre P=2N1P=2N1 und N=2NN=2N.) Wir zählen die Elemente in PP und QQ so auf, dass

[latex]
\begin{aligned}[]P = \left \lbrace {p_1 [/latex]

und

[latex]
\begin{aligned}[]N = \left \lbrace {n_1 [/latex]

Weiters ist k=1apk=+k=1apk=+ und k=1(ank)=+k=1(ank)=+. Denn falls beide Summen endlich wären, dann wäre [latex]\sum _{n=1}^\infty |a_n|

Für ein gegebenes ARAR konstruieren wir die bijektive Abbildung φ:NNφ:NN gemeinsam mit der Reihe k=1aφ(k)k=1aφ(k) auf folgende Weise.

Wir beginnen die Reihe mit den ersten nicht-negativen Gliedern

ap1++apk1ap1++apk1

und wählen k11k11 minimal, so dass die obige Summe grösser als AA ist (was wegenk=1apk=+k=1apk=+ möglich ist). Anschliessend addieren wir die ersten negativen Glieder und wählen 1111, so dass die Summe

ap1++apk1+an1++an1ap1++apk1+an1++an1

kleiner als AA ist. Als nächstes addieren wir, beginnend mit pk1+1pk1+1, nicht-negative Terme, um die Summe grösser als AA werden zu lassen. Wir führen dies fort und weil k=1apk=+k=1apk=+ und k=1(ank)=+k=1(ank)=+ können wir immer wieder nach endlich vielen Summanden von der einen Seite von AA zu der anderen Seite von AA wechseln. Da noch dazu an0an0 für nn gilt, werden die einzelnen Schritte über AA hinweg immer kleiner und wir können auf diese Art AA als Grenzwert der umgeordneten Folge realisieren.

Übung 6.23

Füllen Sie die unterlassenen Schritte am Ende der obigen Beweisskizze ein, um einen vollständigen Beweis von Satz 6.21 zu erhalten.

Falls Sie jetzt denken, dass der Riemann’sche Umordnungssatz (Satz 6.21) einen Widerspruch in der Mathematik darstellt, dann täuschen Sie sich. Denn wir haben eine klare Definition für den Wert einer Reihe in Definition 6.1 ausformuliert. Wir haben auch besprochen, wie sich das Zusammenfassen von benachbarten (!) Gliedern einer Reihe für diese Definition auswirkt (siehe Lemma 6.9) — hierbei geht man von der ursprünglichen Folge der Partialsummen zu einer Teilfolge der Partialsummen über und weder das Konvergenzverhalten noch der Wert ändern sich hier. Was hingegen passiert mit der Folge der Partialsummen, wenn sie die Summanden mittels einer beliebigen Bijektion φ:NNφ:NN permutieren? Dies ist unmöglich zu beantworten, denn es gibt im Allgemeinen überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Folge nk=1aknk=1ak der Partialsummen der ursprünglichen Reihe k=1akk=1ak und der Folge nk=1aφ(k)nk=1aφ(k) der Partialsummen der permutierten Reihe k=1aφ(k)k=1aφ(k) (da der Riemann’sche Umordnungssatz ja zeigt, dass wir das Konvergenzverhalten auf diese Weise komplett ändern können).

Wir sind immer mittels formaler Definitionen und Beweise vorgegangen und versuchen natürlich auch ein intuitives Verständnis für die so entstehenden Theorien zu entwickeln, doch wenn es (wie zum Beispiel hier) zu einer Diskrepanz zwischen unseren Sätzen und unserer Anschauung kommt, dann müssen wir daran arbeiten unsere Anschauung den gegebenen Fakten (also Definitionen und Sätzen) anzupassen. Für den Fall einer bedingt konvergenten Reihe müssen wir uns daran erinnern, dass der Wert der Reihe nicht als die Summe aller Summanden definiert wurde — wie sollen wir denn unendlich viele Additionen gleichzeitig durchführen? Stattdessen wurde der Wert der Reihe als der Grenzwert der Partialsummen definiert und für diese Definition müssen wir die Reihenfolge der Summanden kennen. Ändert sich die Reihenfolge, dann könnte sich dies auf die Definition auswirken (was bei bedingt konvergenten Reihen auf Grund von Satz 6.21 in der Tat der Fall ist).

Bedingt konvergente Reihen sind für uns am Rande interessant, da wir zum Beispiel zeigen werden, dass die alternierende harmonische Reihe den Wert log2log2 hat. Doch die weitaus meisten Reihen, die wir betrachten werden, werden absolut konvergent sein und robusteres Verhalten zeigen.

Applet 6.24: Drei Reihen

Wir stellen in diesem Applet die harmonische Reihe, die alternierende harmonische Reihe und die Reihe mit den reziproken Quadratzahlen gegenüber und sehen drei unterschiedliche Verhaltensweisen. Erklären Sie diese Unterschiede. Wie nennen wir diese Verhaltensweisen?

(*)

Wir schreiben im Fall der alternierenden harmonischen Reihe s+ns+n und snsn für die Summe der positiven beziehungsweise negativen Summanden in der Partialsumme sn=s+n+snsn=s+n+sn für alle nNnN.

6.1.3 – Alternierende Reihen

Das in Beispiel 6.20 aufgetretene Phänomen tritt auch in folgendem Resultat auf (welches wegen der sehr einfachen Abschätzung auch für absolut konvergente Reihen von Interesse sein wird). Für eine Folge (an)n(an)n positiver Zahlen bezeichnen wir die Reihe n=1(1)n+1ann=1(1)n+1an als eine alternierende Reihe.

Proposition 6.25: Leibniz-Kriterium

Gegeben sei eine monoton fallende Folge (an)n(an)n positiver Zahlen, die gegen Null konvergiert. Dann konvergiert die zugehörige alternierende Reihe k=1(1)k+1akk=1(1)k+1ak und es gilt, dass
|k=1(1)k+1akk=1(1)k+1ak|a+1.k=1(1)k+1akk=1(1)k+1aka+1.
für alle NN. Weiters ist

2nk=1(1)k+1akk=1(1)k+1ak2n1k=1(1)k+1ak2nk=1(1)k+1akk=1(1)k+1ak2n1k=1(1)k+1ak

für alle nNnN.

Abschätzungen des Typs (6.1) werden meist auch als Fehlerabschätzungen oder Fehlerschranken bezeichnet. Intuitiv beschreibt man damit, wie gross der Fehler höchstens ist, wenn man anstatt des Wertes der Reihe nur die Summe bis zu einem gewissen Glied (als Approximation gewissermassen) betrachtet.

Beweis

Ähnlich wie in Beispiel 6.20 spielen wir die Folge der Partialsummen zu geraden und ungeraden Indices gegeneinander aus. Für nNnN sei sn=nk=1(1)k+1aksn=nk=1(1)k+1ak. Es gilt

s2n+1=s2n1a2n+a2n+1s2n1,s2n+2=s2n+a2n+1a2n+2s2ns2n+1=s2n1a2n+a2n+1s2n1,s2n+2=s2n+a2n+1a2n+2s2n

für alle nNnN. Insbesondere ist die Folge (s2n1)n(s2n1)n monoton fallend und die Folge (s2n)n(s2n)n ist monoton wachsend. Wegen s2n=s2n1a2ns2n=s2n1a2n und der Monotonieeigenschaften gilt

s2s2ns2n1s1s2s2ns2n1s1

für alle nNnN. Somit ist (s2n)n(s2n)n von oben beschränkt und damit konvergent. Analog ist auch (s2n1)n(s2n1)n von unten beschränkt und konvergent. Wir fassen die erhaltenen Erkenntnisse in folgendem Bild zusammen.

image

Da aber (an)n(an)n gegen Null konvergiert, haben die Folgen (s2n)n(s2n)n und (s2n1)n(s2n1)n wegen s2n=s2n1a2ns2n=s2n1a2n für alle nNnN den gleichen Grenzwert. Insbesondere konvergiert die Reihe k=1(1)k+1ak=SRk=1(1)k+1ak=SR (wieso?).

Wir zeigen nun die Fehlerabschätzung und die behauptete Ungleichung. Für nNnN gilt auf Grund der besprochenen Monotonieeigenschaften, dass

s2nsup{s2mmN}=S=inf{s2m1mN}s2n+1.s2nsup{s2mmN}=S=inf{s2m1mN}s2n+1.

Für =2n=2n ist aber s2n+1s2n=a+1s2n+1s2n=a+1 und wir erhalten (6.1). Für =2n1=2n1 ungerade, gilt ebenso s2n=s2n1a2nSs2n1s2n=s2n1a2nSs2n1 woraus sich (6.1) ergibt. Dies beweist die Fehlerabschätzung sowohl für einen geraden als auch für einen ungeraden Index und damit die Proposition. ∎

6.1.4 – Das Cauchy-Kriterium

Der nächste Satz übernimmt den Grossteil unserer Vorarbeiten über reellwertige und komplexwertige Folgen und gibt uns für den weiteren Aufbau der Theorie ein sehr wichtiges und genaues Kriterium für die Konvergenz von Reihen.

Satz 6.26: Cauchy-Kriterium

Die Reihe k=1akk=1ak konvergiert genau dann, wenn es zu jedem ε>0ε>0 ein NNNN gibt, so dass für nmNnmN

\begin{aligned}[]\bigg | \sum _{k=m}^n a_k \bigg |\begin{aligned}[]\bigg | \sum _{k=m}^n a_k \bigg |

erfüllt ist.

Beweis

Dies folgt aus dem Cauchy-Kriterium für Folgen (Satz 5.48) angewendet auf die Folge der Partialsummen sn=nk=1aksn=nk=1ak, da für nmnm

snsm1=nk=1akm1k=1ak=nk=mak.snsm1=nk=1akm1k=1ak=nk=mak.

Beispiel 6.27: Harmonische Reihe

Um die Divergenz der harmonischen Reihe zu sehen, können wir auch das Cauchy-Kriterium verwenden. Wir setzen dazu ε=12ε=12. Für ein beliebiges NNNN gilt dann

2Nk=N1k=1N+1N+1++12NN+12N>12,2Nk=N1k=1N+1N+1++12NN+12N>12,

was wegen dem Cauchy-Kriterium für Reihen (Satz 6.26) die Divergenz impliziert.

6.2 – Absolute Konvergenz

In diesem Abschnitt wollen wir uns vor allem mit absolut konvergenten Reihen auseinandersetzen und einige Konvergenzkriterien beweisen. Auch möchten wir zeigen, dass absolut konvergente Reihen im Gegensatz zu bedingt konvergenten Reihen stabilere Eigenschaften haben.

Proposition 6.28: Absolute Konvergenz

Eine absolut konvergente Reihe n=1ann=1an ist auch konvergent und es gilt die verallgemeinerte Dreiecksungleichung

|n=1an|n=1|an|.n=1ann=1|an|.
Beweis

Der erste Teil folgt unmittelbar aus zweimaliger Anwendung des Cauchy-Kriteriums für Reihen (Satz 6.26). Da die Reihe n=1|an|n=1|an| konvergiert, gibt es für ε>0ε>0 nach dem Cauchy-Kriterium ein NNNN, so dass für nmNnmN die Abschätzung

\begin{aligned}[]\sum _{k=m}^n |a_k|\begin{aligned}[]\sum _{k=m}^n |a_k|

gilt. Daraus folgt

\begin{aligned}[]\bigg |\sum _{k=m}^n a_k\bigg | \leq \sum _{k=m}^n |a_k|\begin{aligned}[]\bigg |\sum _{k=m}^n a_k\bigg | \leq \sum _{k=m}^n |a_k|

mit der Dreiecksungleichung. Da ε>0ε>0 beliebig war, beweist dies nach dem Cauchy-Kriterium die Konvergenz der Reihe n=1ann=1an. Der zweite Teil folgt nun aus der Ungleichung

|nk=1ak|nk=1|ak|nk=1aknk=1|ak|

für alle nNnN und dem Grenzübergang für nn. ∎

6.2.1 – Hinreichende Kriterien für absolute Konvergenz

Falls sich die Glieder einer Reihe im Absolutbetrag durch die Glieder einer konvergenten Reihe abschätzen lassen, so ist die Reihe konvergent, wie wir in folgendem Korollar des Vergleichssatzes (Korollar 6.12) zeigen.

Korollar 6.29: Majorantenkriterium von Weierstrass

Sei (an)n(an)n eine komplexe und (bn)n(bn)n eine reelle Folge mit |an|bn|an|bn für alle hinreichend grossen nNnN. Falls n=1bnn=1bn konvergiert, dann ist n=1ann=1an absolut konvergent und daher auch konvergent.

Beweis

Nach dem Vergleichssatz (Korollar 6.12) ist n=1ann=1an absolut konvergent und die Konvergenz folgt nun aus Proposition 6.28. ∎

Wir möchten nun zwei Korollare des Majorantenkriteriums diskutieren.

Korollar 6.30: Cauchy-Wurzelkriterium

Sei (an)n(an)n eine Folge komplexer Zahlen und

α=lim supnn|an|R{}.α=limsupnn|an|R{}.

Dann gilt

α1n=1an ist divergent und (an)n ist keine Nullfolge.α1n=1an ist divergent und (an)n ist keine Nullfolge.

Sehr schwammig ausgedrückt lässt sich eine Folge (an)n(an)n für α6.30bisaufendlichvieleGliederundeinenkleinenFehler[latex]ε>0α6.30bisaufendlichvieleGliederundeinenkleinenFehler[latex]ε>0 von oben durch die geometrische Folge (α+ε)n(α+ε)n abschätzen. Somit kann man Korollar 6.29 anwenden. Nun aber genauer.

Beweis

Angenommen [latex]\alpha

\begin{aligned}[]\sup _{k \geq n}\sqrt [k]{|a_k|}\begin{aligned}[]\sup _{k \geq n}\sqrt [k]{|a_k|}

und somit [latex]|a_k|6.29) und der geometrischen Reihe in Beispiel 6.3.

Falls α>1α>1 gilt, gibt es nach Satz 5.44 eine Teilfolge (ank)k(ank)k mit nk|ank|>1nk|ank|>1 für alle kk. Daraus folgt aber |ank|>1|ank|>1. Insbesondere ist (an)n(an)n keine Nullfolge und n=1ann=1an divergiert nach Proposition 6.2. ∎

Beispiel 6.31: Der Fall α=1α=1 in Korollar 6.30

Sei (an)n(an)n eine Folge komplexer Zahlen und α=lim supnn|an|α=limsupnn|an| wie im Wurzelkriterium (Korollar 6.30). Falls α=1α=1, dann kann anhand des Wurzelkriteriums keine Entscheidung über Konvergenz oder Divergenz der Reihe n=1ann=1an getroffen werden.

  • Ist an=1nan=1n für alle nNnN, dann gilt n|an|=1nn1n|an|=1nn1 für nn wegen Beispiel 5.33 und wegen Beispiel 6.4 divergiert die Reihe n=11nn=11n gegen Unendlich.
  • Ist an=1n2an=1n2 für alle nNnN, dann gilt n|an|=1nn21n|an|=1nn21 für nn und n=11n2n=11n2 konvergiert nach Beispiel 6.14.

Korollar 6.32: D’Alemberts Quotientenkriterium

Sei (an)n(an)n eine Folge komplexer Zahlen mit an0an0 für alle nNnN, so dass

α=limn|an+1||an|α=limn|an+1||an|

existiert. Dann gilt

α1n=1an ist divergent und (an)n konvergiert nicht gegen Null.α1n=1an ist divergent und (an)n konvergiert nicht gegen Null.

Wichtige Übung 6.33

Beweisen Sie Korollar 6.32.

Hinweis.

Gehen Sie wie im Beweis von Korollar 6.30 vor. Für [latex]\alpha

Übung 6.34

Wieso kann man im Quotientenkriterium (Korollar 6.32) nicht auch den Limes superior anstelle des Limes verwenden?

Lösung

In der Tat folgt aus lim supn|an+1||an|6.30gezeigtwerdenkann.Dochkannaus[latex]lim supn|an+1||an|>1limsupn|an+1||an|6.30gezeigtwerdenkann.Dochkannaus[latex]limsupn|an+1||an|>1 keine Aussage über die Konvergenz der Reihe getroffen werden. Als Beispiel hierzu betrachten wir die Folge

an={2nfür ungerades nN,3nfür gerades nN.an={2nfür ungerades nN,3nfür gerades nN.

Für diese Folge gilt

lim supn|an+1||an|=limk2(2k+1)32klimk12(32)2k=.limsupn|an+1||an|=limk2(2k+1)32klimk12(32)2k=.

Trotzdem ist aber die Reihe n=1ann=1an konvergent, was unter Verwendung von zwei geometrischen Reihen oder dem Wurzelkriterium schnell folgt.

6.2.2 – Umordnen von Reihen

Im Gegensatz zur bedingten Konvergenz in Teilabschnitt 6.1.2 ist absolute Konvergenz sehr robust. Der erste dieser Robustheitssätze ist folgender positive Umordnungssatz.

Satz 6.35: Umordnen absolut konvergenter Reihen

Sei n=1ann=1an eine absolut konvergente Reihe mit komplexen Gliedern. Sei φ:NNφ:NN eine Bijektion. Dann ist n=1aφ(n)n=1aφ(n) ebenso absolut konvergent und es gilt
n=1an=n=1aφ(n).n=1an=n=1aφ(n).

Beweis

Sei φ:NNφ:NN eine Bijektion und ε>0ε>0. Nach dem Cauchy-Kriterium (Satz 6.26) gibt es ein NNNN, so dass [latex]\sum _{k=m}^n |a_k| 6.28, dass

|k=mak|k=m|ak|εk=makk=m|ak|ε

für alle mNmN. (Es hilft vielleicht für das Folgende diese Abschätzung als «Die Summanden a1,,aNa1,,aN der ursprünglichen Reihe sind wichtig, aber die restlichen Summanden sind weniger wichtig.» zu interpretieren.)

Wir definieren M=max{φ1(k)kN}M=max{φ1(k)kN} und wählen ein nMnM. Dann gilt

\begin{aligned}[]\bigg | \sum _{\ell = 1}^n a_{\varphi (\ell )} -\sum _{k=1}^\infty a_k \bigg | &= \bigg | \sum _{\ell = 1}^n a_{\varphi (\ell )} -\sum _{k=1}^N a_k -\sum _{k=N+1}^\infty a_k \bigg |\\  &\leq \bigg | \sum _{\substack { \ell \leq n,\\  \varphi (\ell ) > N}} a_{\varphi (\ell )}\bigg |+\underbrace {\biggl |\sum _{k=N+1}^\infty a_k\biggr |}_{\leq \varepsilon }\leq \sum _{\substack { \ell \leq n,\\  \varphi (\ell ) > N}} |a_{\varphi (\ell )}|+\varepsilon\begin{aligned}[]\bigg | \sum _{\ell = 1}^n a_{\varphi (\ell )} -\sum _{k=1}^\infty a_k \bigg | &= \bigg | \sum _{\ell = 1}^n a_{\varphi (\ell )} -\sum _{k=1}^N a_k -\sum _{k=N+1}^\infty a_k \bigg |\\  &\leq \bigg | \sum _{\substack { \ell \leq n,\\  \varphi (\ell ) > N}} a_{\varphi (\ell )}\bigg |+\underbrace {\biggl |\sum _{k=N+1}^\infty a_k\biggr |}_{\leq \varepsilon }\leq \sum _{\substack { \ell \leq n,\\  \varphi (\ell ) > N}} |a_{\varphi (\ell )}|+\varepsilon

wobei wir verwendet haben, dass φφ eine Bijektion ist. Insbesondere treten damit und wegen nMnM alle k{1,,N}k{1,,N} genau einmal als φ()φ() für {1,,n}{1,,n} auf und die Differenz n=1aφ()Nk=1akn=1aφ()Nk=1ak enthält nach Wegstreichen dieser Terme nur mehr eine Summe über gewisse akak mit kNkN (welche wir im Sinne obiger Interpretation als «weniger wichtig» betrachten und formal eben insgesamt durch ein εε abschätzen können). Da ε>0ε>0 beliebig war, zeigt dies die Gleichung (6.2).

Wenden wir dasselbe Argument wie oben auf die Reihe n=1|aφ(n)|n=1|aφ(n)| an, ergibt sich auch die absolute Konvergenz von n=1aφ(n)n=1aφ(n). ∎

6.2.3 – Produkte

Wir zeigen nun, dass wir absolut konvergente Reihen gliedweise ausmultiplizieren können.

Satz 6.36: Produktsatz

Seien n=1ann=1an und n=1bnn=1bn zwei absolut konvergente Reihen und φ:NN×Nφ:NN×N eine bijektive Abbildung. Dann ist

n=1aφ(n)1bφ(n)2n=1aφ(n)1bφ(n)2

eine absolut konvergente Reihe, wobei φ(n)=(φ(n)1,φ(n)2)φ(n)=(φ(n)1,φ(n)2) für alle nNnN. Weiters gilt
n=1aφ(n)1bφ(n)2=(n=1an)(n=1bn).n=1aφ(n)1bφ(n)2=(n=1an)(n=1bn).

Informell ausgedrückt kann man schreiben

(m=1am)(n=1bn)=m=1(n=1bn)am=(m,n)N2ambn.(m=1am)(n=1bn)=m=1(n=1bn)am=(m,n)N2ambn.

Die beiden (internen) Indices (m,n)(m,n) würde man nun gerne anders ausdrücken, damit aus der Doppelsumme auf der rechten Seite (die wir eigentlich nicht definiert haben) eine einfache Summe wird. Wählt man eine Bijektion φ:NN×Nφ:NN×N, so durchläuft φ(k)φ(k) alle (m,n)(m,n) und somit wird aus der Doppelsumme eine einfache Summe k=1aφ(k)1bφ(k)2k=1aφ(k)1bφ(k)2. Satz 6.36 besagt nun, dass diese Reihe effektiv konvergiert und gleich dem gewünschten Produkt ist.

Beweis

Wir wählen zuerst die Bijektion φ:NN2φ:NN2 so dass

{φ(1),φ(2),,φ(n2)}={1,2,,n}×{1,2,,n}{φ(1),φ(2),,φ(n2)}={1,2,,n}×{1,2,,n}

für alle nNnN. Zum Beispiel könnte φφ wie im folgenden Bild definiert sein.[4]

image

Für jedes nNnN gilt dann für die Partialsumme bis n2n2 der gliedweise multiplizierten Reihe der Absolutbeträge das (endliche verallgemeinerte) Distributivgesetz

n2k=1|aφ(k)1||bφ(k)2|=(n=1|a|)(nm=1|bm|).n2k=1|aφ(k)1||bφ(k)2|=(n=1|a|)(nm=1|bm|).

Insbesondere folgt also

n2k=1|aφ(k)1||bφ(k)2|(=1|a|)(m=1|bm|)n2k=1|aφ(k)1||bφ(k)2|(=1|a|)(m=1|bm|)

für alle nNnN. Da aber für eine Reihe mit nichtnegativen Termen die Folge die Partialsummen monoton wachsend sind, folgt daraus dass die Reihe k=1|aφ(k)1||bφ(k)2|k=1|aφ(k)1||bφ(k)2| konvergiert und damit die Reihe k=1aφ(k)1bφ(k)2k=1aφ(k)1bφ(k)2 absolut konvergent ist.

Obiges Distributivgesetz gilt auch in der Form

n2k=1aφ(k)1bφ(k)2=(n=1a)(nm=1bm).n2k=1aφ(k)1bφ(k)2=(n=1a)(nm=1bm).

für alle nNnN. Mit Hilfe des Grenzwertübergangs nn erhalten wir daraus

k=1aφ(k)1bφ(k)2=(=1a)(m=1bm).k=1aφ(k)1bφ(k)2=(=1a)(m=1bm).

Betrachten wir eine beliebige Bijektion ψ:NN2ψ:NN2, so ist φ1ψ:NNφ1ψ:NN eine Bijektion und die Formel

k=1aψ(k)1bψ(k)2=(=1a)(m=1bm).k=1aψ(k)1bψ(k)2=(=1a)(m=1bm).

folgt aus obigem und dem Umordnungssatz (Satz 6.35). ∎

Wie wir in Abschnitt 3.2 gesehen haben, lassen sich Polynome mittels der Regel

(Nn=0anxn)(Nn=0bnxn)=2Nn=0(nk=0ankbk)xk(Nn=0anxn)(Nn=0bnxn)=2Nn=0(nk=0ankbk)xk

multiplizieren, wobei wir aN+1==a2N=bN+1==b2N=0aN+1==a2N=bN+1==b2N=0 setzen. Setzt man x=1x=1, erhält man insbesondere

(Nn=0an)(Nn=0bn)=2Nn=0(nk=0ankbk).(Nn=0an)(Nn=0bn)=2Nn=0(nk=0ankbk).

Diese Identität trifft, wie sich herausstellt, analog für Reihen zu, was wir im folgenden Korollar des Produktsatzes (Satz 6.36) festhalten wollen.

Korollar 6.37: Cauchy-Produkt

Falls n=0ann=0an und n=0bnn=0bn absolut konvergente Reihen mit komplexen Gliedern sind, dann gilt

n=0(nk=0ankbk)=(n=0an)(n=0bn),n=0(nk=0ankbk)=(n=0an)(n=0bn),

wobei die Reihe n=0(nk=0ankbk)n=0(nk=0ankbk) absolut konvergent ist.

Beweis

Dies folgt, indem wir die Abzählung φφ von N0×N0N0×N0 aus dem Bild unten auf den Produktsatz (Satz 6.36) anwenden und dann Glieder zusammenfassen (Lemma 6.9).

image

Die absolute Konvergenz folgt ebenso aus Satz 6.36 und

\begin{aligned}[]\sum _{n=0}^\infty \bigg | \sum _{k=0}^n a_{n-k}b_k \bigg | \leq \sum _{n=0}^\infty \sum _{k=0}^n |a_{n-k}b_k|\begin{aligned}[]\sum _{n=0}^\infty \bigg | \sum _{k=0}^n a_{n-k}b_k \bigg | \leq \sum _{n=0}^\infty \sum _{k=0}^n |a_{n-k}b_k|

Beispiel 6.38

Sei qCqC mit [latex]|q|

1(1q)2=(n=0qn)2=n=0nk=0qnkqk=n=0(n+1)qn.1(1q)2=(n=0qn)2=n=0nk=0qnkqk=n=0(n+1)qn.

Auf diese Weise erhalten wir auch eine Summenformel für

n=1nqn=qn=1nqn1=qk=0(k+1)qk=q(1q)2,n=1nqn=qn=1nqn1=qk=0(k+1)qk=q(1q)2,

wobei wir die Indexverschiebung k=n1k=n1 durchgeführt haben.

Übung 6.39

Formal lässt sich auch für bedingt konvergente Reihen n=0ann=0an und n=0bnn=0bn das Cauchy-Produkt n=0(nk=0ankbk)n=0(nk=0ankbk) bilden. Es muss jedoch nicht mehr konvergent sein: Zeigen Sie, dass das Cauchy-Produkts der bedingt konvergenten Reihe

n=0(1)n+1n+1n=0(1)n+1n+1

mit sich selbst divergiert.

6.3 – Konvergenz von Funktionenfolgen

6.3.1 – Punktweise Konvergenz

Definition 6.40: Funktionenfolgen und punktweise Konvergenz

Eine reellwertige (oder komplexwertige) Funktionenfolge auf einer Menge XX ist eine Folge (fn)n(fn)n von Funktionen fn:XRfn:XR (oder fn:XCfn:XC). Wir sagen, dass eine Funktionenfolge (fn)n(fn)n punktweise gegen eine Funktion f:XRf:XR (oder f:XCf:XC) konvergiert, falls fn(x)f(x)fn(x)f(x) für nn und alle xXxX. Wir bezeichnen die Funktion ff als den punktweisen Grenzwert (oder auch Grenzfunktion oder Limes) der Funktionenfolge (fn)n(fn)n. In Prädikatenlogik ist punktweise Konvergenz durch

\begin{aligned}[]\forall x \in X\  \forall \varepsilon > 0\  \exists N \in \mathbb {N}\  \forall n \in \mathbb {N}: \big ( n \geq N \implies |f_n(x)-f(x)|\begin{aligned}[]\forall x \in X\  \forall \varepsilon > 0\  \exists N \in \mathbb {N}\  \forall n \in \mathbb {N}: \big ( n \geq N \implies |f_n(x)-f(x)|

gegeben.

Übung 6.41: Eindeutigkeit

Sei (fn)n(fn)n eine Funktionenfolge auf einer Menge XX. Zeigen Sie, dass der Grenzwert ff einer Funktionenfolge eindeutig bestimmt ist, falls er existiert.

Wir haben in Abschnitt 5.3 bereits ein Beispiel einer punktweise konvergenten Funktionenfolge gesehen, da wir die reelle Exponentialabbildung expexp durch

exp(x)=limn(1+xn)nexp(x)=limn(1+xn)n

für xRxR definiert haben.

Wir betrachten einige weitere Beispiele, die die Nachteile der punktweisen Konvergenz aufzeigen werden.

Beispiel 6.42: Punktweise konvergent

Sei X=[0,1]X=[0,1] und fn:x[0,1]xnRfn:x[0,1]xnR. Dann konvergieren die stetigen Funktionen fnfn punktweise gegen die Funktion f:[0,1]Rf:[0,1]R gegeben durch

\begin{aligned}[]f(x) = \mathds {1}_{\left \lbrace {1} \right \rbrace }(x) = \lim _{n \to \infty } f_n(x) = \lim _{n \to \infty } x^n = \left \lbrace \begin{array}{ll} 0 & \text {für } x\begin{aligned}[]f(x) = \mathds {1}_{\left \lbrace {1} \right \rbrace }(x) = \lim _{n \to \infty } f_n(x) = \lim _{n \to \infty } x^n = \left \lbrace \begin{array}{ll} 0 & \text {für } x

für x[0,1]x[0,1], die nicht mehr stetig ist.

image

Beispiel 6.43: Punktweise konvergent

Sei wiederum X=[0,1]X=[0,1] und definiere fn:[0,1]Rfn:[0,1]R durch

fn(x)={n2xfür x[0,12n]n2(1nx)für x[12n,1n]0für x[1n,1]fn(x)=⎪ ⎪ ⎪⎪ ⎪ ⎪n2xfüx[0,12n]n2(1nx)füx[12n,1n]0füx[1n,1]

für x[0,1]x[0,1] und nNnN. Dann ist fnfn stetig (und somit auch Riemann-integrierbar) und konvergiert punktweise gegen die stetige Funktion f:x[0,1]limnfn(x)=0f:x[0,1]limnfn(x)=0.

Es gilt jedoch für alle nNnN

10fn(x)dx=140=10f(x)dx.10fn(x)dx=140=10f(x)dx.

Also ist der Grenzwert der Integrale nicht gleich dem Integral der Limesfunktion, obwohl alle Funktionen stetig sind und die Limesfunktion stetig ist.

image

Beispiel 6.44: Punktweise konvergent

Sei wieder X=[0,1]X=[0,1] und Q[0,1]={q1,q2,}Q[0,1]={q1,q2,} eine Abzählung. Dann ist für jedes nNnN die charakteristische Funktion

fn=\mathds1{q1,,qn}fn=\mathds1{q1,,qn}

der ersten nn rationalen Zahlen {q1,,qn}{q1,,qn} in [0,1][0,1] Riemann-integrierbar mit 10fn(x)dx=010fn(x)dx=0. Die Limesfunktion der Folge (fn)n(fn)n ist aber die charakteristische Funktion \mathds1Q[0,1]\mathds1Q[0,1], die nach Beispiel 4.17 nicht Riemann-integrierbar ist.

Zusammenfassend hat also der Begriff der punktweisen Konvergenz weder für die Stetigkeit noch für das Riemann-Integral besonders gute Eigenschaften. Wir wenden uns deswegen einem neuen Konvergenzbegriff zu.

6.3.2 – Gleichmässige Konvergenz

Definition 6.45: Gleichmässige Konvergenz

Sei (fn)n(fn)n eine komplexwertige Funktionenfolge auf einer Menge XX und ff eine weitere komplexwertige Funktion auf XX. Wir sagen, fnfn strebt gleichmässig gegen ff für nn, oder dass ff der gleichmässige Grenzwert der Funktionenfolge (fn)n(fn)n ist, falls es zu jedem ε>0ε>0 ein NNNN gibt, so dass für alle nNnN und alle xXxX die Abschätzung

\begin{aligned}[]|f_n(x)-f(x)|\begin{aligned}[]|f_n(x)-f(x)|

gilt. In Prädikatenlogik ist gleichmässige Konvergenz durch

\begin{aligned}[]\forall \varepsilon > 0\  \exists N \in \mathbb {N}\  \forall n \in \mathbb {N}: \big ( n \geq N \implies (\forall x \in X: |f_n(x)-f(x)|\begin{aligned}[]\forall \varepsilon > 0\  \exists N \in \mathbb {N}\  \forall n \in \mathbb {N}: \big ( n \geq N \implies (\forall x \in X: |f_n(x)-f(x)|

gegeben.

Im Gegensatz zur punktweisen Konvergenz von Funktionenfolgen nimmt man bei der gleichmässigen Konvergenz also an, dass ein NNNN existiert, so dass [latex]|f_n(x)-f(x)|

Übung 6.46: Gleichmässige Konvergenz

Sei (fn)n(fn)n eine komplexwertige Funktionenfolge auf einer Menge XX und ff eine weitere komplexwertige Funktion auf XX.

  1. Zeigen Sie, dass fnfn genau dann gleichmässig gegen ff konvergiert, wenn
    supxX|fn(x)f(x)|0supxX|fn(x)f(x)|0

    für nn.

  2. Zeigen Sie, dass fnffnf gleichmässig für nn auch fnffnf punktweise für nn impliziert.
  3. Zeigen Sie, dass die punktweise konvergenten Funktionenfolgen aus den Beispielen 6.42, 6.43 und 6.44 nicht gleichmässig konvergieren. Insbesondere ist punktweise Konvergenz eine schwächere Forderung als gleichmässige Konvergenz.

Für reellwertige Funktionen fn,ffn,f, ε>0ε>0 und xx im Definitionsbereich ist die Abschätzung [latex]|f_n(x)-f(x)|

image

Abbildung 6.3 – Die Funktionenfolge fnfn konvergiert also gleichmässig gegen ff, wenn für jedes ε>0ε>0 die Graphen von fnfn für alle hinreichend grossen nn im «εε-Schlauch» rund um ff (also in dem Bereich zwischen den Graphen von fεfε und f+εf+ε liegen.

Applet 6.47: Punktweise und Gleichmässige Konvergenz

Wir betrachten nochmals die Funktionenfolge aus Beispiel 6.42. Versuchen Sie anhand des Applets zu erkennen, dass durch Einschränkung auf geeignete Teilintervalle [a,b][0,1][a,b][0,1] man gleichmässige Konvergenz der Funktionenfolge erreichen kann. Können Sie dies auch formal beweisen?

Gleichmässige Konvergenz hat für stetige Funktionen gute Eigenschaften.

Satz 6.48: Gleichmässige Konvergenz und Stetigkeit

Sei DCDC und fn:DCfn:DC eine Funktionenfolge stetiger Funktionen. Falls (fn)n(fn)n gleichmässig gegen f:DCf:DC konvergiert, dann ist ff ebenso stetig.

Beweis

Sei x0Dx0D und ε>0ε>0. Dann existiert ein nNnN, so dass

\begin{aligned}[]|f_n(x)-f(x)|\begin{aligned}[]|f_n(x)-f(x)|

für alle xDxD. Da fnfn bei x0x0 stetig ist, existiert ein δ>0δ>0, so dass

\begin{aligned}[]|x-x_0|\begin{aligned}[]|x-x_0|

für alle xDxD gilt. Unter dem Strich gilt nun für alle xDxD mit [latex]|x-x_0|

\begin{aligned}[]|f(x)-f(x_0)| \leq |f(x)-f_n(x)|+|f_n(x)-f_n(x_0)|+|f_n(x_0)-f(x_0)|\begin{aligned}[]|f(x)-f(x_0)| \leq |f(x)-f_n(x)|+|f_n(x)-f_n(x_0)|+|f_n(x_0)-f(x_0)|

Da ε>0ε>0 beliebig war, ist ff bei x0x0 stetig. Da x0Dx0D beliebig war, folgt der Satz. ∎

Gleichmässige Konvergenz hat auch für die Integrierbarkeit gute Eigenschaften.

Satz 6.49: Gleichmässige Konvergenz und Riemann-Integrierbarkeit

Sei [a,b][a,b] ein kompaktes Intervall und fn:[a,b]Rfn:[a,b]R eine Funktionenfolge Riemann-integrierbarer Funktionen. Falls (fn)n(fn)n gleichmässig gegen f:[a,b]Rf:[a,b]R konvergiert, dann ist ff Riemann-integrierbar und
limnbafndx=balimnfndx=bafdx.limnbafndx=balimnfndx=bafdx.

Bei gleichmässig konvergenten Folgen Riemann-integrierbarer Funktionen darf man also Integration und Grenzwert vertauschen. Dies gilt analog auch für Integrale von komplexwertigen oder vektorwertigen Funktionen (siehe Abschnitt 5.7.6), doch werden wir hier nur den Fall von reellwertigen Funktionen betrachten.

Beweis

Sei ε>0ε>0. Dann gibt es ein NN mit fεfnf+εfεfnf+ε für alle nNnN. Da fnfn nach Annahme Riemann-integrierbar ist, gibt es Treppenfunktionen u,ou,o auf [a,b][a,b] mit ufnoufno und [latex]\int _a^b (u-o)\thinspace {\rm {d}} x

u=uεfnεffn+εo+ε=ou=uεfnεffn+εo+ε=o

ist und

\begin{aligned}[]\int _a^b (o'-u')\thinspace {\rm {d}} x = \int _a^b (o-u)\thinspace {\rm {d}} x + 2\varepsilon (b-a)\begin{aligned}[]\int _a^b (o'-u')\thinspace {\rm {d}} x = \int _a^b (o-u)\thinspace {\rm {d}} x + 2\varepsilon (b-a)

ist. Da ε>0ε>0 beliebig war, folgt die Riemann-Integrierbarkeit von ff aus Proposition 4.12.

Für die zweite Aussage sei wiederum ε>0ε>0 und NNNN, so dass fεfnf+εfεfnf+ε für alle nNnN gilt. Aus der Monotonie des Riemann-Integrals in Satz 4.24 folgt nun

bafdxε(ba)=ba(fε)dxbafndxba(f+ε)dx=bafdx+ε(ba),bafdxε(ba)=ba(fε)dxbafndxba(f+ε)dx=bafdx+ε(ba),

was zu

|bafdxbafndx|ε(ba)bafdxbafndxε(ba)

äquivalent ist. Dies beweist die Konvergenz in Gleichung (6.4) und damit den Satz. ∎

Übung 6.50: Gleichmässige Konvergenz auf Teilmengen

Sei (fn)n(fn)n eine komplexwertige Funktionenfolge auf einer Menge XX und ff eine weitere komplexwertige Funktion auf XX.

  1. Angenommen X=X1X2X=X1X2 für zwei Teilmengen, fn|X1fn|X1 strebt gleichmässig gegen f|X1f|X1 für nn und fn|X2fn|X2 strebt gleichmässig gegen f|X2f|X2 für nn. Zeigen Sie, dass dann auch fnfn gleichmässig gegen ff strebt für nn.
  2. Zeigen Sie, dass sich Teil (i) im Allgemeinen nicht für unendliche Vereinigungen X=kNXkX=kNXk verallgemeinern lässt.

Übung 6.51: Funktionenkonvergenz und Beschränktheit

Sei (fn)n(fn)n eine komplexwertige Funktionenfolge auf einer Menge XX und ff eine weitere komplexwertige Funktion auf XX. Wir nehmen nun an, dass die Funktionen fnfn für jedes nNnN beschränkt ist.

  1. Zeigen Sie, dass falls fnfn gleichmässig gegen ff strebt für nn, dann ist auch ff eine beschränkte Funktion.
  2. Finden Sie ein Beispiel für XX und beschränkte Funktionen, die punktweise gegen ff streben für nn, so dass ff nicht beschränkt ist.

Übung 6.52: Funktionenkonvergenz und Auswertung entlang einer konvergenten Folge

Sei DCDC und fn:DCfn:DC für nNnN eine Funktionenfolge stetiger Funktionen und f:DCf:DC eine weitere Funktion. Sei z0Dz0D und znDznD eine Folge mit znz0znz0 für nn.

  1. Zeigen Sie fn(zn)f(z0)fn(zn)f(z0) für nn unter der Annahme, dass fnfn gleichmässig gegen ff konvergiert für nn.
  2. Finden Sie ein Beispiel, wo zwar fnfn punktweise gegen ff konvergiert für nn, aber fn(zn)fn(zn) nicht gegen f(z0)f(z0) konvergiert für nn.

Übung 6.53: Gleichmässige Konvergenz und gleichmässige Stetigkeit

Sei DCDC und fn:DCfn:DC für nNnN eine Funktionenfolge, die für nn gleichmässig gegen f:DCf:DC strebt. Angenommen fnfn ist gleichmässig stetig für alle nNnN. Zeigen Sie, dass ff ebenso gleichmässig stetig ist.

6.4 – Potenzreihen

Definition 6.54: Potenzreihe

Für jedes nN0nN0 sei anCanC. Dann ist der formale Ausdruck
n=0anznn=0anzn
eine Potenzreihe in der Variable zz.

Es drängt sich bei obiger Definition ein Vergleich zur Definition eines Polynoms in Definition 3.13 auf. Im Gegensatz zur Diskussion von Polynomen ist aber eine Potenzreihe vorerst nur ein formaler Ausdruck. Es ist nicht klar, bei welchen komplexen Zahlen man eine Potenzreihe auswerten darf. Insbesondere wissen wir (noch) nicht, ob wir diesem formalen Ausdruck überhaupt eine Funktion auf CC oder einer bestimmten Teilmenge von CC zuordnen können. Diese Frage hängt stark von den Koeffizienten (an)nN0(an)nN0 ab und wird in Satz 6.56 beantwortet.

Wie schon bei Polynomen in Definition 3.11 ist auch hier die Definition (3.2) äusserst sinnvoll, damit die Potenzreihe (6.5) bei z=0z=0 auf jeden Fall konvergiert und den Wert a0a0 hat.

6.4.1 – Konvergenzradius

Definition 6.55

Sei n=0anznn=0anzn eine Potenzreihe mit komplexen Koeffizienten (an)nN0(an)nN0. Wir definieren den Konvergenzradius durch

R=1lim supnn|an|,R=1limsupnn|an|,

wobei wir 1+=01+=0 setzen und hier (aber auch nur hier) die Vereinbarung 10=+10=+ treffen.

Satz 6.56: Über den Konvergenzradius

Sei n=0anznn=0anzn eine Potenzreihe und RR ihr Konvergenzradius. Dann konvergiert die Reihe n=0anznn=0anzn für alle zCzC mit |z|R|z|R. Weiters konvergiert die Funktionenfolge Nn=0anznNn=0anzn gleichmässig gegen n=0anznn=0anzn auf jeder Kreisscheibe der Form [latex]B_S(0) = \left \lbrace {z \in \mathbb {C}} \mid {|z|

zBR(0)n=0anznC.zBR(0)n=0anznC.
image
Beweis

Wir verwenden das Wurzelkriterium aus Korollar 6.30 für ein beliebiges zCzC und die Reihe n=0anznn=0anzn und berechnen deswegen

lim supnn|anzn|=lim supnn|an||z|=|z|lim supnn|an|=|z|R.limsupnn|anzn|=limsupnn|an||z|=|z|limsupnn|an|=|z|R.

Nach dem Wurzelkriterium konvergiert die Reihe also absolut für |z|R1|z|R1. Die Fälle R=0R=0 und R=+R=+ ergeben sich aus dem gleichen Argument (wieso?).

Sei nun S(0,R)S(0,R). Für den Beweis der gleichmässigen Konvergenz auf BS(0)BS(0) bemerken wir, dass nach obigem bereits n=0|an|Sn0n=0|an|Sn0 ein NNNN mit [latex]\sum _{n=N}^\infty |a_n|S^n

\begin{aligned}[]\left |\sum _{k=0}^na_kz^k-\sum _{k=0}^\infty a_kz^k\right |=\left |\sum _{k=n+1}^\infty a_k z^k\right | \leq \sum _{k=N}^\infty |a_k|S^k\begin{aligned}[]\left |\sum _{k=0}^na_kz^k-\sum _{k=0}^\infty a_kz^k\right |=\left |\sum _{k=n+1}^\infty a_k z^k\right | \leq \sum _{k=N}^\infty |a_k|S^k

Dies beweist die gleichmässige Konvergenz der stetigen Funktionenfolge nk=0akzknk=0akzk auf BS(0)BS(0) gegen k=0akzkk=0akzk und damit die Stetigkeit von zBS(0)k=0akzkCzBS(0)k=0akzkC nach Satz 6.48.

Insbesondere ist die Funktion zBR(0)n=0anznCzBR(0)n=0anznC stetig an jedem Punkt, da es zu zBR(0)zBR(0) ein [latex]S

Beispiel 6.57: Nicht gleichmässige Konvergenz

Man könnte denken, dass Satz 6.56 eigentlich sagt, dass die Partialsummen nk=0akzknk=0akzk der Potenzreihe auf ganz BR(0)BR(0) gleichmässig gegen die durch die Potenzreihe definierte Funktion zBR(0)k=0akzkzBR(0)k=0akzk streben, da ja [latex]S6.50), wie wir hier kurz anhand der geometrischen Reihe zeigen wollen.

Für n=0znn=0zn ist der Konvergenzradius R=1R=1 und die mittels der Potenzreihe definierte Funktion ist zB1(0)11zzB1(0)11z. Falls die Konvergenz auf ganz B1(0)B1(0) gleichmässig wäre, dann gäbe es für ε=1ε=1 ein NN so dass für alle nNnN und zB1(0)zB1(0) die Abschätzung

\begin{aligned}[]\biggl |\sum _{k=0}^nz^k-\frac 1{1-z}\biggr |\begin{aligned}[]\biggl |\sum _{k=0}^nz^k-\frac 1{1-z}\biggr |

gelten würde. Wir setzen n=Nn=N und erhalten mittels der Dreiecksungleichung daraus

\begin{aligned}[]\bigg |\frac 1{1-z}\bigg |\begin{aligned}[]\bigg |\frac 1{1-z}\bigg |

für alle zB1(0)zB1(0). Dies ist aber ein Widerspruch, da

limx111x=+.limx111x=+.

Übung 6.58: Konvergenzradien

Finden Sie für jedes R[0,){}R[0,){} eine Potenzreihe mit Konvergenzradius RR.

Hinweis.

Für R=0R=0 müssen Sie eine Potenzreihe mit sehr schnell wachsenden Koeffizienten verwenden.

Übung 6.59

Berechnen Sie den Konvergenzradius RR der Potenzreihe

n=1(n2+nn2+1)nn2xnn=1(n2+nn2+1)nn2xn

und zeigen Sie Konvergenz der Potenzreihe bei den Punkten R,RRR,RR.

Lemma 6.60: Konvergenzradius via Quotientenkriterium

Sei n=0anznn=0anzn eine Potenzreihe mit an0an0 für alle nNnN. Der Konvergenzradius RR ist gegeben durch

R=1limn|an+1||an|=limn|an||an+1|R=1limn|an+1||an|=limn|an||an+1|

falls dieser Grenzwert existiert.

Übung 6.61

Zeigen Sie Lemma 6.60.

Hinweis.

Wiederholen Sie den Beweis von Satz 6.56.

6.4.2 – Addition und Multiplikation

Proposition 6.62: Summen und Produkte

Seien n=0anznn=0anzn und n=0bnznn=0bnzn zwei Potenzreihen mit Konvergenzradius RaRa respektive RbRb. Dann gilt für alle zCzC mit [latex]|z|

n=0anzn+n=0bnzn=n=0(an+bn)zn(n=0anzn)(n=0bnzn)=n=0(nk=0ankbk)zn.n=0anzn+n=0bnzn=n=0(an+bn)zn(n=0anzn)(n=0bnzn)=n=0(nk=0ankbk)zn.

Insbesondere ist der Konvergenzradius der Potenzreihen auf der rechten Seite mindestens min{Ra,Rb}min{Ra,Rb}.

Beweis

Die erste Eigenschaft folgt aus Linearität des Grenzwerts. Die zweite verwendet noch Korollar 6.37. ∎

Beispiel 6.63

Falls n=0anznn=0anzn mindestens Konvergenzradius 11 hat, so gilt
11zn=0anzn=n=0(a0++an)zn.11zn=0anzn=n=0(a0++an)zn.
für alle zCzC mit [latex]|z|6.6) aus Proposition 6.62 folgt.

Übung 6.64

Berechnen Sie n=1n2nn=1n2n.

Hinweis.

Der Wert von n=0qnn=0qn für alle qCqC mit [latex]|q|

6.4.3 – Stetigkeit bei Randpunkten

Wir wollen nun eine Potenzreihe n=0anxnn=0anxn betrachten, wobei wir anCanC für nNnN erlauben, aber nur reelle Zahlen xx einsetzen wollen. Nach Satz 6.56 existiert ein R>0R>0, so dass die Funktion

f:x(R,R)n=0anxnCf:x(R,R)n=0anxnC

wohldefiniert und stetig ist, aber n=0anxnn=0anxn für alle xRxR mit |x|>R|x|>R divergiert. Wir nehmen nun weiter an, dass R(0,)R(0,) und n=0anRnn=0anRn ebenfalls konvergiert. Satz 6.56 sagt in diesem Fall überhaupt nichts über die erweiterte Funktion

ˉf:x(R,R]n=0anxnC¯f:x(R,R]n=0anxnC

aus.

Satz 6.65: Abelscher Grenzwertsatz

Unter obigen Annahmen ist auch ˉf¯f stetig. Das heisst,

n=0anRn=ˉf(R)=limxRˉf(x)=limxRn=0anxnn=0anRn=¯f(R)=limxR¯f(x)=limxRn=0anxn

Eine analoge Aussage gilt, falls n=0an(R)nn=0an(R)n konvergiert.

Beispiel 6.66: Zwei alternierende Potenzreihen

  1. Für a0=0a0=0 und an=(1)n+1nan=(1)n+1n für alle nNnN ist der Konvergenzradius der Potenzreihe n=0anznn=0anzn durch R=1R=1 gegeben und n=1(1)n+1nn=1(1)n+1n konvergiert, womit der Abelsche Grenzwertsatz (Satz 6.65) angewendet werden kann (sobald wir die Funktion f(x)=n=1(1)n+1nxnf(x)=n=1(1)n+1nxn für [latex]|x|
  2. Für an=(1)nan=(1)n für alle nN0nN0 ist R=1R=1 und der Abelsche Grenzwertsatz (Satz 6.65) kann nicht angewendet werden, da n=0(1)nn=0(1)n divergiert.

Bemerkung

Hierzu eine historische Anmerkung: Euler (1707-1783) und seine Zeitgenossen hatten noch einen anderen Zugang zu Reihen und wiesen auf Grund der Gleichung n=0(1)nxn=11+xn=0(1)nxn=11+x für [latex]|x| 6.2) widerspricht.

Beweis des Abelschen Grenzwertsatzes

Wir nehmen ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass der Konvergenzradius 11 ist (sonst ersetzt man anan mit anRnanRn für alle nn). Nach Beispiel 6.63 gilt

11xn=0anxn=n=0(a0++an)xn.11xn=0anxn=n=0(a0++an)xn.

für alle x(1,1)x(1,1). Wir definieren An=a0++anAn=a0++an, A=limnAn=n=0anA=limnAn=n=0an (was nach Annahme existiert) und erhalten mit bn=AnAbn=AnA für nNnN die Gleichung

f(x)=n=0anxn=(1x)n=0Anxn=(1x)n=0(bn+A)xn=(1x)n=0bnxn+Af(x)=n=0anxn=(1x)n=0Anxn=(1x)n=0(bn+A)xn=(1x)n=0bnxn+A

für alle x(1,1)x(1,1). Obige Formelmanipulationen mögen vielleicht vom Himmel gefallen sein; ab jetzt wird das Argument jedoch wenig Überraschungen bieten. Sei ε>0ε>0. Dann existiert ein NNNN mit [latex]|b_n|

|f(x)A|=|(1x)n=0bnxn||(1x)Nn=0bnxn|+(1x)εn=N+1xn|(1x)Nn=0bnxn|+ε.|f(x)A|=(1x)n=0bnxn(1x)Nn=0bnxn+(1x)εn=N+1xn(1x)Nn=0bnxn+ε.

Da aber das Polynom (1x)Nn=0bnxn(1x)Nn=0bnxn auf RR stetig ist und bei 11 verschwindet, gibt es weiters ein δ>0δ>0, so dass

\begin{aligned}[]x\in (1-\delta ,1) \implies \bigg |(1-x) \sum _{n=0}^N b_n x^n \bigg |\begin{aligned}[]x\in (1-\delta ,1) \implies \bigg |(1-x) \sum _{n=0}^N b_n x^n \bigg |

Daher gilt [latex]|f(x)-A|

Übung 6.67

Wo wurde im obigen Beweis verwendet, dass xx reell ist?

Hinweis.

Für zB1(0)zB1(0) ist mitunter 1|z|1|z| kleiner als |1z||1z|, doch gilt 1x=|1x|=1|x|1x=|1x|=1|x| für x(0,1)x(0,1).

6.5 – Die (komplexe) Exponentialabbildung

Wir haben in Abschnitt 5.3 die reelle Exponentiabbildung gesehen und ihre wichtigsten Eigenschaften gezeigt. Insbesondere haben wir verifiziert, dass

exp(x)=limn(1+xn)n=limnnk=01k!xkk1=0(1n).exp(x)=limn(1+xn)n=limnnk=01k!xkk1=0(1n).

für alle xRxR. Wir zeigen nun, dass wir die Exponentialabbildung alternativ durch die Potenzreihe
exp(x)=k=01k!xkexp(x)=k=01k!xk
mit unendlichem Konvergenzradius definieren können und dadurch auf die gesamte komplexe Ebene fortsetzen können. Die Darstellung der Exponentialabbildung als Potenzreihe (6.7) ist gewissermassen flexibler als die Darstellung als Grenzwert wie in Proposition 5.54. Sie wird uns später in diesem Kapitel beispielsweise dabei helfen, das Riemann-Integral der Exponentialfunktion zu berechnen (siehe Korollar 6.86).

6.5.1 – Darstellung durch die Potenzreihe

Für ein festes zCzC gilt

1(k+1)!|z|k+11k!|z|k=|z|k+101(k+1)!|z|k+11k!|z|k=|z|k+10

für kk, was wegen dem Quotientenkriterium beweist, dass die Reihe k=01k!zkk=01k!zk konvergiert. Da zCzC beliebig war, ist der Konvergenzradius der Potenzreihe k=01k!zkk=01k!zk in der Tat unendlich (siehe Satz 6.56).

Sei nun xRxR, ε>0ε>0 und NNNN, so dass

\begin{aligned}[]\sum _{k=N+1}^\infty \frac {1}{k!} |x|^k\begin{aligned}[]\sum _{k=N+1}^\infty \frac {1}{k!} |x|^k

Für dieses NN gilt dann
\begin{aligned}[]\label{eq:reihe-exppotestimate1} \bigg |\sum _{k=0}^N \frac {1}{k!} x^k -\sum _{k=0}^\infty \frac {1}{k!} x^k \bigg |\leq \bigg |\sum _{k=N+1}^\infty \frac {1}{k!} x^k \bigg | \leq \sum _{k=N+1}^\infty \frac {1}{k!} |x|^k\begin{aligned}[]\label{eq:reihe-exppotestimate1} \bigg |\sum _{k=0}^N \frac {1}{k!} x^k -\sum _{k=0}^\infty \frac {1}{k!} x^k \bigg |\leq \bigg |\sum _{k=N+1}^\infty \frac {1}{k!} x^k \bigg | \leq \sum _{k=N+1}^\infty \frac {1}{k!} |x|^k
und für nNnN ebenso

|Nk=01k!xknk=01k!xkk1=0(1n)|Nk=01k!|x|k(1k1=0(1n))+ε.Nk=01k!xknk=01k!xkk1=0(1n)Nk=01k!|x|k(1k1=0(1n))+ε.

Wir fixieren nun NN und verwenden limn(1k1=0(1n))=0 für alle k{0,,N}, woraus folgt, dass

|Nk=01k!xkexp(x)|ε.

Gemeinsam mit (6.8) erhalten wir

|k=01k!xkexp(x)|2ε.

Da ε>0 beliebig war, folgt (6.7).

Die Darstellung der Exponentialfunktion als Potenzreihe liefert durch Betrachten von nur endlich vielen Termen eine Approximation von exp durch Polynome.

image

6.5.2 – Die komplexe Exponentialreihe

Wir verwenden nun die Potenzreihe aus (6.7), um die Exponentialfunktion exp:CC auf der komplexen Zahlenebene zu definieren.

Satz 6.68: Komplexe Exponentialabbildung

Für zC definieren wir

exp(z)=k=01k!zk,

womit eine stetige Erweiterung exp:CC der reellen Exponentialabbildung definiert wird. Des Weiteren gilt für alle z,wC die Additionsformel
exp(z+w)=exp(z)exp(w)
und die Formel
|exp(z)|=exp(Re(z))
für den Absolutbetrag. Insbesondere gilt |exp(iy)|=1 für alle yR.

Auf Grund der Diskussion in Abschnitt 6.5.1 ist der Konvergenzradius der Reihe k=01k!zk unendlich. Wiederum nach Satz 6.56 ist damit exp:CC eine stetige Funktion, welche wegen Abschnitt 6.5.1 die reelle Exponentialfunktion erweitert. (Wir verwenden zwar das gleiche Symbol exp für die reelle und komplexe Exponentialfunktion, doch müssen wir diese unterscheiden, wenn wir Eigenschaften von Funktionen wie zum Beispiel Injektivität besprechen wollen.)

Für eine positive Basis aR>0 und zC setzen wir des Weiteren

az=exp(zlog(a)),

was wegen obigem mit der in Abschnitt 5.3.8 eingeführten Notation kompatibel ist. Insbesondere gilt ez=exp(z) für alle zC.

Übung 6.69: Grenzwertformel

Zeigen Sie, dass

exp(z)=limn(1+zn)n

für alle zC.

6.5.3 – Die Additionsformel

Wir wollen nun die Additionsformel (6.9) beweisen. In der Tat folgt für beliebige z,wC aus der Cauchy-Produktformel (Korollar 6.37), dass

exp(z)exp(w)=(n=01n!zn)(n=01n!wn)=n=0nk=01k!1(nk)!zkwnk=n=01n!nk=0n!k! (nk)!zkwnk=n=01n!nk=0(nk)zkwnk=n=01n!(z+w)n=exp(z+w).

6.5.4 – Der Absolutbetrag der Exponentialabbildung

Es verbleibt für den Beweis von Satz 6.68 die Formel (6.10) für den Absolutbetrag zu beweisen. In der Tat gilt, da die Konjugation auf C stetig ist (wieso?), dass

¯exp(z)=¯limnnk=01k!zk=limn¯nk=01k!zk=limnnk=01k!¯zk=exp(¯z).

Insbesondere ist nach der Additionsformel

|exp(z)|2=exp(z)¯exp(z)=exp(z)exp(¯z)=exp(z+¯z)=exp(2Re(z))=exp(Re(z))2

womit die Formel |exp(z)|=exp(Re(z)) nach Wurzelziehen folgt.

Übung 6.70

Zeigen Sie für alle zC mit [latex]|z|

Applet 6.71: Komplexe Exponentialabbildung

Wir stellen die komplexe Exponentialabbildung dar. Da der Graph dieser in C2 liegt, können wir den Graph wohl kaum auf dem Bildschirm darstellen. Stattdessen visualisieren wir die Abbildung anhand eines bewegbaren Punktes z=s+φiC und dessen Bildpunkt exp(z)=esexp(φi)C.

6.6 – Trigonometrische Funktionen

Wir definieren die Sinusfunktion bei zC durch
sin(z)=zz33!+z55!+=n=0(1)n(2n+1)!z2n+1
und die Kosinusfunktion bei zC durch
cos(z)=1z22!+z44!+=n=0(1)n(2n)!z2n.

Wir sagen, dass eine Funktion f auf C gerade ist, wenn f(z)=f(z) für alle zC und ungerade ist, wenn f(z)=f(z) für alle zC. (Diese Begriffe werden analog für Funktionen mit Definitionsbereich R oder Intervallen der Form [a,a] für a>0 verwendet.)

Satz 6.72: Sinus- und Kosinusfunktionen

Die Potenzreihe (6.11) definiert die ungerade stetige Sinusfunktion sin:CC und die Potenzreihe (6.12) definiert die gerade stetige Kosinusfunktion cos:CC. Die Einschränkungen dieser Funktionen auf R sind reellwertig und werden ebenso also Sinusfunktion und Kosinusfunktion bezeichnet. Des Weiteren bestehen für alle zC die Beziehungen

exp(iz)=cos(z)+isin(z)sin(z)=eizeiz2icos(z)=eiz+eiz2

zu der Exponentialfunktion und es gelten die trigonometrischen Additionsformeln
sin(z+w)=sin(z)cos(w)+cos(z)sin(w)cos(z+w)=cos(z)cos(w)sin(z)sin(w)
für alle z,wC.

Eine kurze Rechnung (zum Beispiel wie schon in Abschnitt 6.5.1 unter Verwendung des Quotientenkriteriums) zeigt, dass die Reihen (6.11)–(6.12) für alle zC konvergieren. Nach Satz 6.56 haben diese Potenzreihen daher unendlichen Konvergenzradius, und Satz 6.56 besagt nun, dass sin und cos auf ganz C definiert und stetig sind. Für die Partialsummen sn(z) der Reihe in (6.11) gilt sn(z)=sn(z) für alle zC, und daher ist sin eine ungerade Funktion. Analog ergibt sich, dass cos eine gerade Funktion definiert. Da die Koeffizienten der Potenzreihen sin und cos in R liegen, gilt sin(R)R und cos(R)R.

Applet 6.73: Potenzreihen

Wir betrachten die ersten Partialsummen der Potenzreihen, welche exp, sin und cos (beziehungsweise sinh, cosh vom nächsten Abschnitt) definieren. Durch Vergrössern des Ausschnittes können Sie die Qualität der Annäherungen der Partialsummen überprüfen. Bei den trigonometrischen Funktionen kann man auch im Bild gut erkennen, dass die Potenzreihe alternierende Reihen bilden.

Wir beweisen nun den Zusammenhang zur Exponentialabbildung. Für zC gilt

eiz=1+izz22!iz33!+z44!+iz55!=cos(z)+isin(z)

und analog

eiz=cos(z)isin(z).

für alle zC. Lösen wir diese beiden Gleichungen nach sin(z) und cos(z) auf, so ergeben sich die Formeln im Satz.

6.6.1 – Additionsformeln

Wir wollen nun für alle z,wC die trigonometrischen Additionsformeln in Satz 6.72 beweisen. Hierzu multiplizieren wir eiz und eiw und erhalten auf Grund der Additionsformel (6.9) für die Exponentialabbildung

ei(z+w)=cos(z+w)+isin(z+w)=eizeiw=(cos(z)+isin(z))(cos(w)+isin(w))=cos(z)cos(w)sin(z)sin(w)+i(sin(z)cos(w)+sin(w)cos(z))

und ebenso

ei(z+w)=cos(z+w)isin(z+w)=eizeiw=(cos(z)isin(z))(cos(w)isin(w))=cos(z)cos(w)sin(z)sin(w)i(sin(z)cos(w)+sin(w)cos(z)).

Auf Grund dieser beiden Gleichungen erhalten wir die Formeln (6.13)–(). (Für z,wR würde die erste der beiden Gleichungen ausreichen indem wir Real- und Imaginärteile betrachten. Aber für z,wC erhalten wir zum Beispiel () durch Addition obiger Gleichungen.) Dies beendet den Beweis von Satz 6.72.

Für z=wC ergeben sich insbesondere die Winkelverdoppelungsformeln

sin(2z)=2sin(z)cos(z),cos(2z)=cos2(z)sin2(z),

wobei wir die Notation cos2(z)=(cos(z))2 und sin2(z)=(sin(z))2 für zC verwendet haben und auch für andere Funktionen und andere Potenzen des Öfteren verwenden werden. Des Weiteren folgt für w=z aus () und der Tatsache, dass der Sinus ungerade und der Kosinus gerade ist, die Kreisgleichung für Sinus und Kosinus

1=cos2(z)+sin2(z)

für alle zC.

6.6.2 – Die Kreiszahl

Wir können nun die Kreiszahl π definieren.

Satz 6.74: Pi

Es gibt genau eine Zahl π(0,4) mit sin(π)=0. Für diese Zahl gilt weiters

e2πi=cos(2π)+isin(2π)=1,eπi=cos(π)=1,e12πi=cos(π2)+isin(π2)=i,e32πi=cos(3π2)+isin(3π2)=i,e14πi=cos(π4)+isin(π4)=12+i2.
Beweis

Aus dem Leibniz-Kriterium (Proposition 6.25) und der Monotonie der Folge (xnn!)n für alle x(0,1] folgt, dass

sin(x)xx33!0

und

1>1x22+x424cos(x)1x22>0

für alle x(0,1]. Für x=0 ist sin(0)=0 und für x=1 ergibt sich

sin2(1)(116)2=2536>12

und wegen Positivität von sin(1) damit sin(1)>12. Daher existiert nach dem Zwischenwertsatz (Satz 3.59) eine Zahl p(0,1) mit sin(p)=12. Wegen sin2(p)+cos2(p)=1 und cos(p)>0 folgt ebenso cos(p)=12. Wir definieren π=4p. Die weiteren Formeln im Satz folgen aus den Additionsformeln (und den Winkelverdopplungsformeln).

Es verbleibt die Eindeutigkeit von π wie im Satz zu zeigen. Für dies zeigen wir zuerst, dass es keine Nullstelle r(0,2] von der Sinusfunktion geben kann. Wir nehmen indirekt an, dass r(0,2] die Gleichung sin(r)=0 erfüllt. Dann gilt cos(r)=eri{1,1} und somit er2i{1,1,i,i}. Da aber r2 in (0,1] liegt, verfügen wir bereits über die Ungleichungen [latex]0

Angenommen s(0,4){π} erfüllt ebenso sin(s)=0. Dann gilt nach obigem, dass s(2,4). Wir definieren

\begin{aligned}[]r = \left \lbrace \begin{array}{ll} \pi -s & \text {falls } 2

Dann gilt r(0,2] und sin(r)=0 (wieso?), was aber obigem Argument widerspricht. Daher ist π(0,4) durch die Gleichung sin(π)=0 eindeutig bestimmt. ∎

Aus den Additionsformeln erhält man folgendes Korollar.

Korollar 6.75: Periodizität

Es gelten

sin(z+π)=sin(z),cos(z+π)=cos(z),sin(z+2π)=sin(z),cos(z+2π)=cos(z),

und cos(z)=sin(z+π2) für alle zC.

Insbesondere sind die Werte des Sinus und des Kosinus auf R durch die Werte auf dem Intervall [0,π2] eindeutig bestimmt (wieso?). Dieses Prinzip überträgt sich unter anderem auf die Nullstellen von Sinus und Kosinus.

Wichtige Übung 6.76: Nullstellen von sin und cos

Zeigen Sie, dass die Nullstellen von sin genau die Punkte in πZC sind und dass die Nullstellen von cos genau die Punkte in πZ+π2 sind.

Hinweis.

Überzeugen Sie sich zuerst davon, dass der Sinus nur reelle Nullstellen hat. Verwenden Sie die Periodizität des Sinus und die Definition von π, um die Nullstellen von sin zu bestimmen. Anschliessend können Sie Korollar 6.75 für die Aussage über den Kosinus benutzen.

Übung 6.77: Monotonie von Sinus

Zeigen Sie die Formel

sin(z)sin(w)=2cos(z+w2)sin(zw2)

für alle z,wC. Verwenden Sie dies, um zu zeigen, dass der eingeschränkte Sinus

sin:[π2,π2][1,1]

strikt monoton wachsend und bijektiv ist.

Übung 6.78

Zeigen Sie, dass die Zahl cos(π7) algebraisch ist.

Übung 6.79: Abschätzungen für π

Zeigen Sie π(3,4) oder sogar [latex]3.1

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6.6.3 – Tangens und Cotangens

Wir definieren die Tangensfunktion tan durch

tan(z)=sin(z)cos(z)

für alle zC mit cos(z)0, was nach Übung 6.76 gerade alle zC(πZ+π2) sind. Analog ist die Cotangensfunktion cot durch

cot(z)=cos(z)sin(z)

für alle zC mit sin(z)0 (oder äquivalent alle zCπZ nach Übung 6.76) definiert.

Übung 6.80: Additionsformel für den (Co-)Tangens

Zeigen Sie, dass für z,wC die Additionsformel

tan(z+w)=tan(z)+tan(w)1tan(z)tan(w)

gilt, wo definiert. Finden und beweisen Sie eine analoge Additionsformel für den Cotangens.

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6.6.4 – Polarkoordinaten und Multiplikation auf den komplexen Zahlen

Die Beschreibung eines Punktes zC durch Polarkoordinaten besteht aus einem Radius r0 und einem «Winkel» θR mit

z=reiθ=r(cos(θ)+isin(θ)).

Wir bezeichnen hier den reellen Parameter θ als Winkel, obwohl wir diesem noch keine geometrische Bedeutung formal zuweisen. Wir werden dies korrigieren, sobald wir die Definition der Bogenlänge einer Kurve kennen.

Ist eine derartige Darstellung von zC gegeben, so gilt r=|r|=|z| womit r den Abstand von z zum Ursprung darstellt. Die Menge der Elemente mit Absolutbetrag Eins

S1={zC|z|=1}={eiθθR}

wird als der Einheitskreis in C bezeichnet (wobei S1 auch für die 1-dimensionale Sphäre steht).

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Lemma 6.81: Existenz von Polarkoordinaten

Für alle zC existiert ein eindeutig bestimmtes r0 und ein Winkel θ[0,2π) mit z=reiθ. Des Weiteren ist der Winkel θ eindeutig bestimmt, falls z0.

Beweis

Für z=0 gibt es nichts zu zeigen. Also nehmen wir z0 an. Nach Division mit |z| können wir des Weiteren r=|z|=1 annehmen. Wir betrachten zuerst den Fall Im(z)0 und behaupten, dass ein θ[0,π] existiert, so dass z=eiθ. In der Tat ist z=x+yi für ein x[1,1] und es gilt cos(0)=1 und nach Satz 6.74 auch cos(π)=1. Insbesondere existiert nach dem Zwischenwertsatz ein θ[0,π] mit Re(z)=x=cos(θ). Nun gilt aber auch

sin(θ)=1cos2(θ)=1Re(z)2=y=Im(z)

da wir y=Im(z)0 angenommen haben, und somit

z=Re(z)+Im(z)i=cos(θ)+sin(θ)i=eiθ.

Falls [latex]\operatorname {Im}(z)

Sind θ,θ[0,2π) mit z=eiθ=eiθ, dann gilt ei(θθ)=1 und daher auch sin(θθ)=0. Aus der Eindeutigkeit von π in Satz 6.74 und der Formel sin(x+π)=sin(x) für alle xR in Korollar 6.75 ergibt sich daraus, dass θθ{π,0,π}. Falls θθ{π,π}, dann ist aber ei(θθ)=1, und daher muss θ=θ gelten. ∎

In Polarkoordinaten lässt sich die Multiplikation auf C neu interpretieren. Sind z=reiθ und w=seiψ in C, dann ist zw=rsei(θ+ψ). Multiplikation mit z streckt also um den Faktor r und rotiert um den Winkel θ, oder anders formuliert bei Multiplikation der Vektoren z,wC multiplizieren sich die Längen der Vektoren und addieren sich die Winkel. Diese geometrische Erklärung der Multiplikation hat in der Geschichte der komplexen Zahlen die komplexen Zahlen ausgehend von einem etwas mysteriösen rein algebraischem Objekt zu einem eigenständigen Zahlenbegriff verwandelt. Daraufhin hat dieser Zahlenbegriff schnell Einzug in die weitere Entwicklung der Mathematik gefunden. Wir verweisen hierfür auf einen weiteren BBC Podcast.

Applet 6.82: Geometrische Bedeutung der Komplexen Zahlen

Wir können anhand der eingezeichneten Polarkoordinatenlinien die geometrische Bedeutung der Multiplikation von komplexen Zahlen und der Inversen und der Wurzeln einer vorgegebenen Zahl erkennen. Bei Bewegung von z um den Ursprung im Wurzelmodus ist ersichtlich, warum eine stetige Definition von Wurzelfunktionen nicht möglich ist.

image

Darstellung der Abbildung zCz2C. Wir möchten illustrieren, wie sich die Abbildung zCz2C auf Kreisen in der komplexen Ebene verhält. Dazu teilen wir die komplexe Ebene in die obere und die untere Halbebene auf und färben die Kreise (hier für Radien in {12,1,2}) entsprechend ein.

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Wir betrachten die beiden Hälften nun gesondert. Zusätzlich zu den bestehenden Halbkreisen zeichnen wir von Null ausgehende Strahlen zu verschiedenen Winkeln ein.

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Die Abbildung zz2 öffnet nun obige Bilder, die an Fächern erinnern, in die eingezeichnete Richtung auf. Genauer werden die Radien quadriert (und liegen somit in {14,1,4}) und die Winkel in die eingezeichnete Richtung verdoppelt. Das erhaltene Bild ist in beiden Fällen dasselbe; das Bild der gesamten Abbildung stellt sich also wie folgt dar. Insbesondere hat also jeder Punkt in C× genau zwei Quadratwurzeln.

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Abgesehen von dieser geometrischen Interpretation der Multiplikation können Polarkoordinaten verwendet werden, um Nullstellen von Polynomen zu bestimmen. Dies trifft in einem gewissen Sinn auch für allgemeine Polynome im Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra zu, doch wollen wir hier zuerst nur folgende Spezialfälle betrachten.

Übung 6.83: Wurzeln

Sei w=reiθ. Zeigen Sie, dass die Nullstellen des Polynoms p(z)=znw (die n-ten Wurzeln von w) gerade durch

nreiθn, nreiθn+i2πn, ,nreiθn+i2π(n1)n

gegeben sind und dass diese paarweise verschieden sind. Die n-ten Wurzeln von 1 nennen sich die n-ten Einheitswurzeln.

Zeigen Sie des Weiteren für alle natürlichen Zahlen n2 die Identität

n1k=0ei2πkn=0.

Übung 6.84: Quadratische Formel

Verallgemeinern Sie Übung 3.18 und zeigen Sie, dass jedes komplexe Polynom vom Grad 2 als Produkt zweier komplexen Polynomen mit Grad 1 geschrieben werden kann.

6.6.5 – Zwei Logarithmen auf der komplexen Zahlenebene

Wir erinnern daran, dass wir den reellen Logarithmus als die inverse Abbildung von der bijektiven Abbildung exp:RR>0 definierten. Wir wollen dies nun wiederholen und den Logarithmus für komplexe Zahlen definieren. Leider gibt es hier aber ein fundamentales Problem: die Exponentialabbildung ist auf der komplexen Zahlenebene ganz und gar nicht bijektiv, da beispielsweise exp(2nπi)=1 für alle nZ.

Aus diesem Grund müssen wir die Exponentialabbildung auf eine geeignete Teilmenge D von C einschränken, so dass die eingeschränkte Abbildung exp|D:DC× bijektiv ist. Dies kann durch viele verschiedene Teilmengen erreicht werden. Wir wollen hier zwei Möglichkeiten ansprechen.

Zum Beispiel könnten wir die Teilmenge

DPolar=R×[0,2π)={x+yixR, y[0,2π)}

betrachten. In diesem Fall entsprechen xR und y[0,2π) mit exp(x+yi)=zC× der Polarkoordinatendarstellung von z=reθiC× in Lemma 6.81 mit r=exp(x) und θ=y. Da die Polarkoordinatendarstellung von jedem zC× eindeutig bestimmt ist, ist die Einschränkung exp|DPolar:DPolarC× bijektiv. Der Nachteil dieser Abbildung ist, dass die entsprechende Umkehrabbildung bei jeder positiven Zahl in (0,) unstetig ist (wieso?).

Die Unstetigkeit des komplexen Logarithmus lässt sich zwar nicht vermeiden (zumindest dann nicht, wenn man Bijektivität der Logarithmusabbildung bewahren will), doch können wir diese mit der anderen Wahl D «etwas besser verstecken». Wir definieren

DHaupt=R×(π,π]={x+yixR, y(π,π]}.

Man sieht auf die gleiche Weise wie oben, dass

exp|DHaupt:DHauptC×

bijektiv ist. In der Tat entspricht dies leicht veränderten Polarkoordinaten, wo wir einen Winkel θ[0,π] unverändert lassen aber einen Winkel θ(π,2π) durch θ2π(π,0) ersetzen (welcher wegen e(θ2π)i=eθi den gleichen Zweck wie θ erfüllt). Die entsprechende Umkehrabbildung wird der Hauptzweig des Logarithmus

log:C×DHaupt={x+yixR, y(π,π]}

genannt. Er ist auf der negativen Halbachse [latex]\mathbb {R}_{

Wir bemerken noch, dass wir keine Potenzen zw mit komplexer (oder auch nur negativer) Basis z und komplexen (oder auch nur reellen) Exponenten w definieren. Der Grund dafür ist, dass diese Definition von einer Wahl eines geeigneten Logarithmus abhängen würde und aus diesem Grunde nicht natürlich wäre.

Die Abbildung exp|DPolar in Bildern Wir stellen zuerst die Teilmenge Dpolar dar.

image

In obigem Bild sind die blauen Linien bei y{0,π6,π4,2π5,π2,2π3,π,4π3,7π4} eingezeichnet. Wir wenden nun auf der x-Koordinate die Exponentialabbildung an und erhalten folgendes Bild in den Koordinaten r=ex, θ=y.

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Man beachte, dass die grüne Linie von der Abbildung nicht getroffen wird. Jetzt weisen wir jedem Punkt mit Koordinaten (r,θ) die komplexe Zahl zu, die diese Polarkoordinaten hat. Die blaue Linie beim Wert θ wird damit auf den von 0 ausgehenden Strahl mit Winkel θ abgebildet. Die rote Linie beim Wert r wird auf den Kreis mit Radius r abgebildet. Die grüne Linie wird auf den Punkt 0 kollabiert.

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6.7 – Integration von Potenzreihen

Wir haben in den Abschnitten 6.5 und 6.6 einige sehr wichtige, durch Potenzreihen definierte Funktionen gesehen. Daher drängt sich die Frage auf, ob wir das Riemann-Integral über diese Funktionen berechnen können. Die positive Antwort ist eine direkte Anwendung der Resultate in Abschnitt 6.3.

Satz 6.85: Integration von Potenzreihen

Sei f(x)=n=0cnxn eine Potenzreihe mit komplexen Koeffizienten (cn)nN0 und Konvergenzradius R. Dann definiert F(x)=n=0cnn+1xn+1 eine Potenzreihe mit demselben Konvergenzradius R und es gilt

baf(x)dx=F(b)F(a)

für alle a,b(R,R).

Man spricht in diesem Zusammenhang auch von gliedweiser Integration der Potenzreihe, da wir einfach jeden Summanden getrennt integrieren und damit das richtige Ergebnis erhalten.

Beweis

Wir beweisen zuerst die Behauptung über den Konvergenzradius R. Sei S der Konvergenzradius der Reihe =1c1x=n=0cnn+1xn+1. Falls n=0cnxn absolut konvergiert, dann konvergiert n=0cnn+1xn+1 ebenfalls absolut, da

|cnn+1xn+1||x||cnxn|

für alle nN0. Dies beweist SR auf Grund der Eigenschaften des Konvergenzradiuses in Satz 6.56.

Falls umgekehrt n=0cnn+1xn+1 konvergiert, dann gibt es ein M>0 mit |cnn+1xn|M für alle nN0. Für y(x,x) ist dann

|cnyn|=|cnn+1xn| (n+1)|yx|nM(n+1)|yx|n

und daher

\begin{aligned}[]\limsup _{n \to \infty }\sqrt [n]{|c_n| y^n} \leq \lim _{n \to \infty } \sqrt [n]{M (n+1) \left |\frac {y}{x}\right |^n } = \left |\frac {y}{x}\right |

Aus dem Wurzelkriterium (Korollar 6.30) folgt daher die Konvergenz von n=0cnyn. Dies beweist die umgekehrte Ungleichung SR (siehe wiederum Satz 6.56). Daher gilt S=R und der erste Teil des Satzes ist bewiesen.

Seien nun a,b(R,R) mit [latex]a4.37, um

bafN(x)dx=Nn=0cnn+1bn+1Nn=0cnn+1an+1

zu erhalten. Auf Grund von Satz 6.56 konvergiert die Funktionenfolge fN(x) der Partialsummen der Potenzreihe gleichmässig gegen f(x) auf [a,b]. Lässt man nun N gegen Unendlich gehen, ergibt sich unter Verwendung von Satz 6.49, dass

baf(x)dx=limNbafN(x)dx=F(b)F(a).

Wenden wir obigen Satz auf die uns mittlerweile wohlbekannten Potenzreihen an, erhalten wir folgende Formeln.

Korollar 6.86

Für alle a,bR gelten die Integrationsformeln

baexp(x)dx=[exp(x)]ba=exp(b)exp(a)basin(x)dx=[cos(x)]ba=cos(b)+cos(a)bacos(x)dx=[sin(x)]ba=sin(b)sin(a).
Beweis

Wir verwenden Satz 6.85 und erhalten zum Beispiel

baexp(x)dx=n=01n!n+1bn+1n=01n!n+1an+1=n=01(n+1)!bn+1n=01(n+1)!an+1=exp(b)exp(a).

Die Beweise der anderen beiden Formeln sind ähnlich (siehe Übung 6.87). ∎

Übung 6.87

Beweisen Sie die letzten beiden Formeln in Korollar 6.86.

Applet 6.88: Integration von transzendenten Funktionen

Wir stellen obige Integrationsgesetze (und jene vom nächsten Unterabschnitt) grafisch dar.

6.7.1 – Die hyperbolischen Funktionen

In Analogie zu den Winkelfunktionen sind manchmal auch folgende Funktionen, die in engem Zusammenhang mit der Hyperbel {(x,y)R2x2y2=1} stehen, nützlich. Wir definieren den Sinus Hyperbolicus durch

sinh(z)=ezez2=z+z33!+z55!+=k=01(2k+1)!z2k+1

für alle zC, den Kosinus Hyperbolicus durch

cosh(z)=ez+ez2=1+z22!+z44!+=k=01(2k)!z2k

für alle zC und den Tangens Hyperbolicus durch

tanh(z)=sinh(z)cosh(z)=ezezez+ez

für alle zC.

Die Funktionen sinh und tanh sind ungerade und cosh ist gerade. Es gelten die Additionsformeln

sinh(z+w)=sinh(z)cosh(w)+cosh(z)sinh(w),cosh(z+w)=cosh(z)cosh(w)+sinh(z)sinh(w)

für alle z,wC und weiters

cosh2(z)sinh2(z)=1,cosh(z)+sinh(z)=ez

für alle zC.

Auf Grund der Definitionen von Sinus und Kosinus Hyperbolicus und Korollar 6.86 ergibt sich nun

basinh(x)dx=[cosh(x)]ba=cosh(b)cosh(a)bacosh(x)dx=[sinh(x)]ba=sinh(b)sinh(a).

Übung 6.89

Beweisen Sie ausgehend von den Definitionen des hyperbolischen Sinus und des hyperbolischen Kosinus die obigen Formeln.

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6.8 – Ziffernentwicklungen und fraktale Konstruktionen*

Für jede natürliche Zahl p2 und jede reelle positive Zahl x>0 gibt es eine Ziffernentwicklung zur Basis p. Genauer formuliert existiert ein Z mit x[latex]x=n=dnpn.
Um dies zu sehen, nehmen wir, da die Ziffernentwicklung auf N0 ja bereits bekannt ist (siehe Übung 3.7), ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass =1 und also x=x0(0,1). Wir können dann die rekursiv definierten Zahlen

d1=px0{0,1,2,,p1},x1={px0}(0,1)d2=px1{0,1,2,,p1},x2={px1}(0,1)

und weiter

dn+1=pxn{0,1,2,,p1},xn+1={pxn}(0,1)

für jedes nN betrachten. Insbesondere ist pxn=dn+1+xn+1 für alle nN und damit ergibt sich mittels Induktion

xNn=1dnpn=pNxN

für alle NN. Daraus folgt die Fehlerabschätzung

\begin{aligned}[]\bigg |x- \sum _{n=1}^Nd_np^{-n}\bigg |\leq p^{-N}|x_N|

und mit dem Grenzübergang N auch (6.14). Wir möchten an dieser Stelle erwähnen, dass obiges Vorgehen eine explizite Variante (einen Algorithmus) liefert, um die Ziffernentwicklung einer Zahl zur Basis p zu finden.

Übung 6.90

Finden Sie eine Ziffernentwicklung von 17 zur Basis 3.

In den meisten, aber nicht allen Fällen ist die Ziffernentwicklung eindeutig. Es ist zum Beispiel

n=1(p1)pn=p1pn=0pn=p1p11p1=1.

Im Spezialfall p=10 kennt man dies in der Form 0.˙9=1.

Wir behaupten, dass diese Rechnung gewissermassen der einzige Grund für eine Zweideutigkeit in der Ziffernentwicklung sein kann. Angenommen

x=n=dnpn=n=dnpn

sind zwei verschiedene Ziffernentwicklungen einer Zahl x>0 zur Basis p. Dann können wir, notfalls unter Hinzufügen von Nullen, annehmen, dass = ist. Falls k> die kleinste Zahl ist mit dn=dn für [latex]\ell \leq n

x=n=dnpndp+n=+1(p1)pn=(d+1)pn=dnpn=x,

was aber d+1=d, dn=p1 und dn=0 für alle n+1 impliziert (wieso?). Insbesondere sind somit die Zahlen mit nicht eindeutiger Ziffernentwicklung genau jene (rationale Zahlen), die eine abbrechende Ziffernentwicklung besitzen.

Übung 6.91: Zahlen mit schliesslich periodischer Ziffernentwicklung

Eine Folge (dn)n für N heisst periodisch, falls ein N existiert mit dn+N=dn für alle n. Sie heisst schliesslich periodisch, falls es ein k und ein NN gibt mit dn+N=dn für alle nk. Wir wollen hier zeigen, dass die Zahlen mit einer schliesslich periodischen Ziffernentwicklung gerade die rationalen Zahlen sind. Sei x>0 eine reelle und p2 eine natürliche Zahl. Unterscheiden Sie folgende Fälle:

  1. Angenommen x hat eine schliesslich periodische Ziffernentwicklung. Zeigen Sie, dass x rational ist.
  2. Zeigen Sie, dass x genau dann eine abbrechende (und damit schliesslich periodische) Ziffernentwicklung hat, wenn x von der Form npk für k,nN0 ist (und damit rational ist).
  3. Angenommen xQ hat keine abbrechende Ziffernentwicklung. Dann ist insbesondere die Ziffernentwicklung von x eindeutig bestimmt. Sei o.B.d.A. x(0,1) und seien xk,dk für kN wie in der Konstruktion der Ziffernentwicklung nach (6.14). Nach Annahme ist x=mn für (m,n)N2 teilerfremd und mn. Zeigen Sie nun, dass xk{1n,,n1n} ist für alle kN und wenden Sie das Schubfachprinzip an.

Übung 6.92: Mächtigkeit der reellen Zahlen

Zeigen Sie [0,1]P(N) sowie RP(N).

Hinweis.

Verwenden Sie die Ziffernentwicklung zur Basis 2 und die Abbildung x[0,1](dn)n{0,1}N, wobei d1,d2, definiert sind wie in der Konstruktion nach (6.14). Bei abzählbar vielen Punkten im Definitionsbereich und Wertebereich verwenden Sie am besten eine andere Bijektion.

6.8.1 – Die Cantor-Menge

Wir haben die Cantor-Menge bereits in Abschnitt 2.6.5 kurz besprochen. Wir möchten nun die Cantor-Menge neu, jetzt deutlich einfacher, mit Hilfe der Ziffernentwicklung zur Basis 3 charakterisieren. Die Cantor-Menge ist

C={x[0,1]es gibt (dn)n{0,2}N mit x=n=1dn3n}.

Übung 6.93: Cantor-Menge in Basis 3

Zeigen Sie, dass diese Beschreibung der Cantor-Menge zutrifft.

Insbesondere hat jeder Punkt xC eine eindeutig bestimmte Ziffernentwicklung zur Basis 3 mit Ziffern in {0,2}. Jede Ziffernentwicklung (dn)n{0,2}N bestimmt einen eindeutig bestimmten Punkt xC.

Übung 6.94: «Gesamtlänge» der Cantor-Menge

Zeigen Sie, dass die charakteristische Funktion der Cantor-Menge \mathds1C auf [0,1] Riemann-integrierbar ist und 10\mathds1Cdx=0 ist. In diesem Sinne hat C sozusagen «Gesamtlänge» 0 und [0,1]C hat «Gesamtlänge» 1.

6.8.2 – Cantors Teufelstreppe

Wir wollen hier kurz die Cantor Funktion f:[0,1][0,1] besprechen, die monoton wachsend und surjektiv ist. Der Graph von f wird auch die Teufelstreppe genannt und ist unten im Bild dargestellt.

image

Die teuflische Eigenheit dieser Funktion ist die Tatsache, dass jeder Punkt in [0,1]C eine Umgebung besitzt, auf der f konstant ist und [0,1]C in einem gewissen Sinne fast das ganze Intervall ausmacht (siehe Übung 6.94). Trotzdem schafft es die Cantor Funktion auf stetige Weise von 0 zu 1 anzuwachsen.

Wir definieren f zuerst auf der Cantormenge C und beschreiben dann, wie f von C auf ganz [0,1] fortgesetzt werden kann. Wie in Abschnitt 6.8.1 beschrieben wurde, hat jede Zahl xC eine eindeutig bestimmte Ziffernentwicklung x=n=1dn3n zur Basis 3 mit dn{0,2} für alle nN. Auf dem Punkt x definieren wir nun den Wert von f mittels der Ziffernentwicklung als

f(x)=n=1dn22n.

Das heisst, wir ersetzen jede Ziffer 2 durch die Ziffer 1 und ersetzen die Basis 3 durch die Basis 2. Daraus folgt, dass f:C[0,1] surjektiv ist, da jede Zahl y[0,1] eine Ziffernentwicklung y=n=1en2n zur Basis 2 hat und wir durch dn=2en für alle nN und x=n=1dn3n einen Punkt mit f(x)=y finden können.

Per Definition ist f:C[0,1] monoton wachsend. Des Weiteren ist f nicht streng monoton wachsend (wieso?), aber da eine Zahl in [0,1] höchstens zwei verschiedene Ziffernentwicklungen zur Basis 2 besitzt, gibt es zu xC höchstens einen weiteren Punkt xC mit f(x)=f(x).

Um f auf ganz [0,1] zu definieren, finden wir zu einem Punkt xC den grössten Punkt x links von x in der Cantormenge und den kleinsten Punkt x+ rechts von x in der Cantormenge. Wir werden unten zeigen, dass die Punkte x und x+ eindeutig durch x bestimmt sind und f(x)=f(x+) gilt. Nun definieren wir f(x)=f(x)=f(x+). Dies erweitert also f zu einer Abbildung [0,1][0,1]. Des Weiteren ist f für jedes x[0,1]C konstant in der Umgebung [x,x+] von x (und damit auch stetig auf (x,x+)).

Formal können wir dies wie folgt beschreiben. Sei

x=k1n=1dn3n+13k+n=k+1dn3nC,

wobei kN die kleinste Zahl mit dk=1 ist. Dann setzen wir

x=k1n=1dn3n+13k=k1n=1dn3n+n=k+123nCx+=k1n=1dn3n+23kC,

womit xxx+ erfüllt ist. Damit gilt

f(x)=k1n=1dn22n+n=k+12n=k1n=1dn22n+2k=f(x+)

wie gewünscht.

Übung 6.95: Cantor-Funktion

Zeigen Sie, dass die Cantor-Funktion f:[0,1][0,1] monoton wachsend und stetig ist.

6.8.3 – Peanos raumfüllende Kurve

Wir wollen nun dem ursprünglichen Argument von Peano ([5]) folgend eine stetige, surjektive Funktion (die sogenannte Peano-Kurve)

f:[0,1][0,1]2

konstruieren. Dabei werden wir von der Cantormenge ausgehen.

Für x=n=1dn(x)3nC mit dn(x){0,2} für alle nN definieren wir
fC(x)=(f1(x),f2(x))t=(n=1d2n1(x)22n,n=1d2n(x)22n)t.
Wir behaupten nun, dass die Abbildung fC:C[0,1]2 surjektiv ist. Für (y1,y2)t[0,1]2 existiert eine Ziffernentwicklung der Komponenten yj=n=1ej,n2n für j{1,2} zur Basis 2, wobei ej,n{0,1} für alle nN und j{1,2}. Wir definieren nun d2n1=2e1,n und d2n=2e2,n für alle nN, womit dn{0,2} für alle nN gilt. Sei x=n=1dn3nC das Element der Cantormenge mit diesen Ziffern. Dann gilt (y1,y2)t=fC(x)fC(C) wie gewünscht. Da (y1,y2)t[0,1]2 beliebig war, ist fC surjektiv.

Lemma 6.96: Stetigkeit

Für jedes nN ist die Abbildung xCdn(x){0,2} stetig. Insbesondere ist die Abbildung fC:C[0,1]2 stetig.

Beweis

Für n=1, x,yC und [latex]|x-y|

image

Abbildung 6.4 – Zwei Punkte x,yC mit |xy|<13 sind entweder beide links (und erfüllen also d1(x)=d2(x)=0) oder beide rechts (und erfüllen d1(x)=d2(x)=1) in der Cantormenge.

Dies zeigt die Stetigkeit von d1:C{0,2} (δ=13 tut’s für jedes ε>0). Mittels Induktion folgt damit, dass für n>1 die Abbildung

xdn(x)=d1(3n1(x(d1(x)31++dn1(x)3(n1)))

als Verknüpfung von stetigen Funktionen wiederum stetig ist (siehe Proposition 3.51 und Proposition 3.53). Für jedes NN sind die Abbildungen

xCNn=1d2n1(x)22n,xCNn=1d2n(x)22n

als Verknüpfung von stetigen Funktionen stetig. Wegen

|Nn=1d2n1(x)22nn=1d2n1(x)22n|=|n=N+1d2n1(x)22n|n=N+12n=2N

für alle xC, konvergieren die Abbildungen xCNn=1d2n1(x)22n gleichmässig gegen f1:C[0,1]. Damit folgt aus Satz 6.48, dass f1 stetig ist. Analog zeigt man, dass f2 stetig ist und somit ist auch fC stetig. ∎

Wir wollen nun fC zu einer stetigen Abbildung fP:[0,1][0,1]2 fortsetzen, wobei wir stückweise affine Abbildungen auf [0,1]C verwenden wollen. Das heisst, für xC definieren wir fP(x)=fC(x) und für xC setzen wir fP(x) wie folgt fest. Ist xC der eindeutige Punkt in der Cantormenge links neben x und x+C der eindeutige Punkt in der Cantormenge rechts neben x wie in Abschnitt 6.8.2, so setzen wir s(x)=xxx+x(0,1) und
fP(x)=fC(x)+s(x)(fC(x+)fC(x))=(x+x)1((x+x)fC(x)+(xx)fC(x+))
unter Verwendung von x=x+s(x)(x+x).

Proposition 6.97: Existenz einer raumfüllenden Kurve

Die Abbildung fP:[0,1][0,1]2 ist stetig und surjektiv.

Beweis

Da fC:C[0,1]2 surjektiv ist und fP|C=fC gilt, ist auch fP surjektiv. Daher müssen wir nur noch die Stetigkeit von fP überprüfen.

Für Punkte, die nicht in C liegen, ist dies einfacher zu sehen. Intuitiv ausgedrückt liegt dies daran, dass die Funktionen xx+ und xx auf dem Komplement von C «lokal konstant» sind. Nun genauer. Sei also x0[0,1]C und seien x0,,x0,+C wie oben. Dann gilt (x0,,x0,+)[0,1]C, wie in Abschnitt 6.8.2 erklärt wurde. Für alle x(x0,,x0,+) erfüllen x0, und x0,+ dieselbe Rolle für x wie für x0, das heisst x=x0, und x+=x0,+. Damit ist xs(x)=xxx+x=xx0,x0,+x0, stetig auf dem Intervall (x0,,x0,+). Es folgt die Stetigkeit von fP bei x0.

Sei nun x0C. Falls x0 ein «rechter Endpunkt» von C ist, also von der Form x0=y für ein y[0,1]C ist, dann gilt

fP(x)=(y+y)1((y+x)fC(x0)+(xx0)fC(y+))

für alle x(x0,y+). Daraus folgt gemeinsam mit fP(x0)=fC(x0) die rechtsseitige Stetigkeit von fP bei x0.

Sei also nun x0 kein rechter Endpunkt von C, womit eine streng monoton fallende Folge (xn)n in C existiert, die gegen x0 konvergiert. Sei ε>0, dann gibt es wegen der Stetigkeit von fC ein δ>0, so dass für alle yC

\begin{aligned}[]|y-x|

gilt. Weiter gibt es ein xnC(x0,x0+δ). Für x(x0,xn) unterscheiden wir zwei Fälle. Wenn x in C liegt, gilt [latex]|\mathbf {{f}}_P(x)-\mathbf {{f}}_P(x_0)| = |\mathbf {{f}}_C(x)-\mathbf {{f}}_C(x_0)|

\begin{aligned}[]|\mathbf {{f}}_P(x)-\mathbf {{f}}_P(x_0)| &= \big | (x_+-x_-)^{-1}((x_+-x)\mathbf {{f}}_C(x_-)+(x-x_-)\mathbf {{f}}_C(x_+)) - \mathbf {{f}}_C(x_0)\big |\\  &= \frac {1}{x_+-x_-} \big | (x_+-x)\mathbf {{f}}_C(x_-)+(x-x_-)\mathbf {{f}}_C(x_+) - (x_+-x_-)\mathbf {{f}}_C(x_0) \big |\\  &= \frac {1}{x_+-x_-} \big | (x_+-x)(\mathbf {{f}}_C(x_-)-\mathbf {{f}}_C(x_0))+(x-x_-)(\mathbf {{f}}_C(x_+)-\mathbf {{f}}_C(x_0))\big |\\  &

Somit gilt nun |fP(x)fP(x0)|0 beliebig war, ist fP rechsseitig stetig bei x0. Das Argument für die linksseitige Stetigkeit ist analog. ∎

Bemerkung: Approximative Darstellung der Peano-Kurve

Auf Grund der Surjektivität der Kurve fP macht es wenig Sinn, diese darstellen zu wollen. Stattdessen stellt man eine Approximation der Peano-Kurve dar. Für NN setzt man

f(N)C(x)=(f(N)1(x),f(N)2(x))t=(n:2n1Nd2n1(x)22n,n:2nNd2n(x)22n)t

für alle xC und erweitert anschliessend die Funktion f(N)C:C[0,1]2 zu einer stetigen Funktion fP:[0,1][0,1]2 in Analogie zu (6.16). Die Funktionenfolge (f(N)C)N konvergiert, wie man zeigen kann, gleichmässig gegen fC.

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Abbildung 6.5 – Das Bild der approximativen Peano-Kurven f(N)C für N{6,8,10}.

Wir bemerken noch, dass eine stetige, surjektive Funktion f:[0,1][0,1]2 nie injektiv sein kann. Dies ist eine Manifestation der Tatsache, dass [0,1] und [0,1]2 geometrisch verschiedene Objekte sind. Aussagen dieser Form sind Teil der (algebraischen) Topologie, doch der vorliegende konkrete Fall benötigt keine allzu grosse Theorie (siehe Übung 6.98).

Übung 6.98: Kein Homöomorphismus

Wir wollen hier zeigen, dass es keine stetige und bijektive Funktion von [0,1] nach [0,1]2 gibt. Wir nehmen indirekt an, dass f:[0,1][0,1]2 stetig und bijektiv sei.

  1. Wir wissen bereits, dass f konvergente Teilfolgen auf konvergente Teilfolgen abbildet. Zeigen Sie, dass f1:[0,1]2[0,1] dies ebenfalls tut.
    Hinweis.

    Sei (xn)n eine Folge in [0,1], so dass (f(xn))n gegen f(x) konvergiert. Zeigen Sie, dass jede konvergente Teilfolge von (xn)n gegen x konvergieren muss. Schliessen Sie daraus, dass (xn)n konvergiert.

  2. Finden Sie eine stetige Abbildung (eine Kurve) g:[0,1][0,1]2{f(12)} mit g(0)=f(14) und g(1)=f(34).
  3. Zeigen Sie, dass die Abbildung f1g:[0,1][0,1]{12} stetig ist und schliessen Sie mit dem Zwischenwertsatz auf einen Widerspruch.

Übung 6.99: Stetiges Füllen der Ebene

Finden Sie eine stetige, surjektive Funktion f:RR2.

Hinweis.

Überdecken Sie R mit abgeschlossenen Intervallen der Form [n,n+1] für nZ und R2 mit Quadraten der Form [n,n+1]×[m,m+1] für n,mZ.

Die hier besprochene Konstruktion einer fraktalen raumfüllenden Kurve mag auf dem ersten Blick unnatürlich und auf jeden Fall weltfremd anmuten. Doch enthält die mathematischen Modellierung der Brownschen Bewegung ähnliche fraktale Kurven, die typischerweise nicht raumfüllend aber genauso wie die Peano-Kurve stetig und «sehr zittrig» sind. Wie man das Gegenteil «schön glatt» von «sehr zittrig» mathematisch formulieren kann, besprechen wir im nächsten Kapitel.

6.9 – Weitere Lernmaterialien

6.9.1 – Verwendung des Kapitels

Wie wir gesehen haben, sind Potenzreihen, deren Konvergenzradius und Konvergenzverhalten fundamentale Werkzeuge für die Definition von vielen Ihnen bereits bekannten Funktionen (und auch weiteren). Wir werden also ab nun sowohl die komplexe Exponentialfunktion, die trigonometrischen Funktionen auf R und auf C, als auch die hyperbolischen Funktionen gemeinsam mit den wichtigsten Eigenschaften dieser Funktionen (meist ohne Verweise) verwenden. (Die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen werden wir erst im nächsten Kapitel einführen.)

Für den Begriff der Potenzreihe benötigten wir die grundlegenden Definitionen der Reihe und der Funktionenfolgen. Für Reihen ist die Unterscheidung der bedingten und absoluten Konvergenz fundamental, da gewisse Operationen (Umordnen, Cauchy-Produkt) nur für den letzteren Konvergenzbegriff erlaubt sind. Dabei ist es sehr hilfreich, dass für Potenzreihen im Inneren des Konvergenzbereichs absolute Konvergenz vorliegt und damit alle Operationen erlaubt sind. Die folgenden Konvergenzkriterien sind für Beispiele aber auch für die Theorie unabdingbar:

  • die geometrische Reihe in Beispiel 6.3,
  • Majoranten- und Minorantenkriterium für Reihen mit positiven Gliedern in Korollar 6.12 und Korollar 6.29,
  • Verdichtung in Proposition 6.16,
  • p-Test in Beispiel 6.17,
  • Leibniz-Kriterium in Proposition 6.25 (welches vor allem für bedingt konvergente aber wegen der Fehlerabschätzung auch für absolut konvergente Reihen nützlich sein kann),
  • Cauchy-Kriterium in Satz 6.26 (meist als theoretisches Hilfsmittel),
  • Wurzelkriterium in Korollar 6.30 (als theoretisches und praktisches Hilfsmittel),
  • Quotientenkriterium in Korollar 6.32 (meist als praktisches Hilfsmittel, da es oft einfacher anwendbar ist, aber im Gegensatz zu dem Wurzelkriterium zum Beispiel für Potenzreihen weniger allgemein einsetzbar ist),
  • aber wenn sonst nichts zum Erfolg führt, sollte man nicht vergessen, dass auf Grund von Proposition 6.2 die Folgenglieder einer konvergenten Reihe eine Nullfolge bilden.

Wir bemerken noch, dass diese Kriterien sehr hilfreich sind für die Entscheidung ob Konvergenz oder Divergenz bei einer Reihe vorliegt, doch haben wir sehr wenige allgemeine Gesetze um den Grenzwert von Reihen zu bestimmen.

Wie bereits erwähnt war der Begriff der Funktionenfolge auch für die Besprechung der Potenzreihen notwendig. Für Funktionenfolgen haben wir zwei unterschiedliche Konvergenzbegriffe besprochen. Der Begriff der punktweisen Konvergenz mag zwar als der natürliche Konvergenzbegriff für Funktionen betrachtet werden, doch hat dieser keine guten Eigenschaften (weder für Stetigkeit noch für das Riemann-Integral). Sie sollten die entsprechenden Gegenbeispiele im Gedächtnis behalten. Dies motivierte die Definition der gleichmässigen Konvergenz, welche wegen den guten Eigenschaften für Stetigkeit und das Riemann-Integral für uns immer wieder wichtig sein wird. Die Unterscheidung dieser Konvergenzbegriffe ist wohlgemerkt keine Spitzfindigkeit.

6.9.2 – Übungen

Übung

Sei k=1ak eine konvergente Reihe. Falls (ak)k eine monoton fallende Folge ist, so ist nicht nur (ak)k, sondern auch (kak)k eine Nullfolge. Beweisen Sie dies.

Hinweis.

Überzeugen Sie sich von der Ungleichung

(nm+1)annk=mak

für n>m.

Übung

Sei f:NN eine bijektive Abbildung. Konvergiert die Reihe n=1f(n)n2?

Hinweis.

Für jedes nN gilt [latex]|\left \lbrace {k\in \mathbb {N}} \mid {2^n\leq k

Übung: Raabes Quotientenkriterium

Sei (an)n eine Folge komplexer Zahlen mit an0 für alle nN, so dass limn|an+1||an|=1 und

Q=limnn(1|an+1||an|)

existiert. Zeigen Sie, dass die Reihe n=1an konvergiert, falls Q>1. (J. Raabe war einer der ersten Mathematikprofessoren an der ETH Zürich.)

Hinweis: Finden Sie ein p>1, so dass für alle bis auf endlich viele n

\begin{aligned}[]\frac {|a_{n+1}|}{|a_n|}

gilt. Verwenden Sie die kontinuierliche Bernoulli-Ungleichung aus Übung 5.61, um zu zeigen, dass

|an+1||an|(11n)p=(n1)pnp.

Schliessen Sie nun auf die Aussage unter Verwendung von Korollar 6.29 und Beispiel 6.17.

Übung: Vertauschung der Summationsreihenfolge

Wie schon vor dem Beweis des Produktsatzes (Satz 6.36) angedeutet, ist der Produktsatz stark mit Vertauschbarkeit von Summationsreihenfolge verwandt. Wir wollen dies hier genauer formulieren. Dazu betrachten wir eine doppelt indizierte Folge (a(m,n))(m,n)N2.

  1. Um zu sehen, dass die Vertauschbarkeit der Summationsreihenfolge für Reihen nicht immer gilt, definieren wir
    a(m,n)={1falls m=n1falls m+1=n0sonst .

    für alle (m,n)N2. Zeigen Sie, dass die Doppelreihen

    m=1(n=1a(m,n)),n=1(m=1a(m,n))

    konvergieren, aber verschieden sind.

  2. Angenommen (a(m,n))(m,n)N2 erfüllt [latex]\sum _{m=1}^\infty \big (\sum _{n=1}^\infty |a_{(m,n)}|\big )

Übung: Zerlegung in gerade und ungerade Funktionen

Sei f:CC eine Funktion. Zeigen Sie, dass sich f als Summe einer geraden und einer ungeraden Funktion schreiben lässt.

Übung

Seien a,bR . Zeigen Sie, dass es ein θR gibt, so dass

asin(φ)+bcos(φ)=a2+b2sin(φ+θ)

für alle φR.

Hinweis.

Betrachten Sie a2+b2(aa2+b2sin(φ)+ba2+b2cos(φ)) und finden Sie eine reelle Zahl θ mit cos(θ)=aa2+b2 und sin(θ)=ba2+b2.

Übung: Irrationalität der Eulerschen Zahl

Zeigen Sie, dass e=k=01k! irrational. Nehmen Sie indirekt an, dass e rational ist und verwenden Sie die Exponentialreihe.

Hinweis.

Nehmen Sie indirekt an, dass e1=pq für p,qN. Nun vergleichen Sie, e=p(q1)!q! mit der Partialsumme qn=0(1)nn!. Vergleichen Sie den Fehler im Leibniz-Kriterium und die Aussage, dass zwei rationale Zahlen mit dem gleichem Nenner Q entweder gleich oder Mindestabstand 1Q haben.

Übung

Wir wollen einen (spielsüchtigen) Kasinobesucher und ein unübliches, den Spieler bevorzugendes, Spiel betrachten. Das Spiel besteht aus einem einfachen Münzwurf mit zwei möglichen gleich wahrscheinlichen Ergebnissen, nämlich Kopf und Zahl. Bei Kopf gewinnt das Kasino den Einsatz des Spielers und bei Zahl gewinnt der Spieler das Vierfache seines Einsatzes. Wir wollen die verschiedenen Ergebnisse des iterierten Spieles anhand einer Funktion auf [0,1] beschreiben. Hierbei verwenden wir die binäre Zifferndarstellung reeller Zahlen, wobei wir die Nichteindeutigkeit einfach ignorieren, da diese für sich gesehen extrem unwahrscheinlichen Ergebnissen des iterierten Spieles entsprechen.[6] Wir interpretieren die Ziffer 0 als Kopf und die Ziffer 1 als Zahl, womit die reelle Zahl 0.100101 für die wiederholten Würfe der Münze mit den Ergebnissen Zahl-Kopf-Kopf-Zahl-Kopf-Zahl und so weiter steht (und die Null vor dem Komma ignoriert wird).

  1. Bestimmen Sie eine Funktion fn:[0,1]R, die den Gewinn nach n Wiederholungen des Spiels beschreibt, wobei der Spieler mit einem Franken das Spiel beginnt und bei Gewinn jeweils sein Gesamtvermögen im nächsten Spiel wieder einsetzt.
  2. Bestimmen Sie den Erwartungswert für den Spieler, wenn dieser das Spiel n mal wiederholt (also das Integral von fn).
  3. Wir nehmen nun an, dass der Spieler spielsüchtig ist und auch bei Gewinn von wirklich grossen Summen nicht aufhören kann zu spielen. Bestimmen Sie die Funktion, die den Gewinn des Spielers beschreibt. Sie sollten bemerken, dass dies der punktweise Grenzwert der Funktion fn ist.
  4. Bestimmen Sie den Erwartungswert des unbeschränkt langen Spiels für den spielsüchtigen Spieler.

Übung: Der Fall der absoluten Konvergenz am Rand

Sei n=0anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R(0,). Sei des Weiteren [latex]\sum _{n=0}^\infty |a_n|R^n

z¯BR(0)={zC|z|R}n=0anzn

wohldefiniert und stetig ist.

Übung: Bestimmte Divergenz am Rand

Sei n=0anxn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R(0,) und nicht-negativen Koeffizienten an0 für alle nN. Sei des Weiteren n=0anRn=. Zeigen Sie, dass in diesem Fall

limxRn=0anxn=.

Übung: Challenge

Wir betrachten das Gitter N2 in der Ebene R2 und fixieren uns ein Quadrat darin, Q=[1,15]2N2. Auf den Punkten (1,1), (2,1), (3,1), (1,2), (2,2), (1,3) platzieren wir nun jeweils eine Münze und beginnen dann folgendes Spiel. Sie als Spieler dürfen jeweils eine der Münzen entfernen, worauf Sie eine Münze oberhalb und eine Münze rechts von der entfernten Münze platzieren. Dieser Zug ist aber nur dann erlaubt, wenn die Plätze rechts und oberhalb der zu entfernenden Münze noch frei sind. Ihre Aufgabe besteht nun darin, nach endlich vielen Zügen keine Münzen mehr innerhalb des Quadrat Q liegen zu haben. Ist das möglich?

Hinweis.

Die Antwort ist nein. Um dies zu beweisen, suchen Sie nach einer Funktion f:N2N, so dass die Summe von f über die Positionen der Münzen im n-ten Schritt nicht von n oder von der gewählten Strategie abhängt. In anderen Worten soll diese Summe unter der in der Aufgabenstellung beschriebenen Operation erhalten bleiben.

6.9.3 – Lernkarten

Sie können wiederum die Lernkarten oder den Graphen für Ihre Wiederholung der Themen des Kapitels verwenden.

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  1. Manche Autoren verwenden in diesem Zusammenhang auch nan für die Reihe als formales Objekt, welches mit der Folge der Partialsummen identifiziert werden kann, und n=1an für den Wert der Reihe.
  2. Wir werden den Wert dieser Reihe erst später berechnen können.
  3. W. Walter: Analysis 1 (Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2004)
  4. Wir verwenden hier das Bild um uns eine sonst eher langweilige formale Definition der Abbildung φ zu ersparen. Sie sollten sich aber davon überzeugen, dass man diese Definition durchaus formal machen kann oder einfach formal mittels Induktion nach n die Existenz einer Bijektion mit der gewünschten Eigenschaft zeigen kann. Wir verwenden hier also das Bild als eine Abkürzung für einen formalen Beweis und nicht als einen Ersatz.
  5. G. Peano: Sur une courbe, qui remplit toute une aire plane (Mathematische Annalen, 1890)
  6. Dies genauer und mathematisch exakt zu formulieren würde hier zu weit führen.

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Analysis-Skript CHAB MATH PHYS: 18/19 Copyright © by Manfred Einsiedler and Andreas Wieser. All Rights Reserved.

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