Wie bereits erwähnt wurde, werden wir uns in diesem und in allen folgenden Kapiteln an den üblichen Aufbau mathematischer Theorien halten und alle Aussagen aus den gegebenen Axiomen ableiten. In unserem Fall sind letztere die Axiome der reellen Zahlen, die wir gemeinsam mit der naiven Mengenlehre (inklusive Funktionen und Relationen) verwenden werden, um die Analysis aufzubauen. Wir werden diesen Aufbau in Etappen erledigen und nach jeder Etappe klarstellen, was wir erreicht haben und in Zukunft verwenden dürfen.
2.1 – Die Axiome der reellen Zahlen
2.1.1 – Körperaxiome
Definition 2.1
Eine Menge RR gemeinsam mit einer Abbildung
die wir Addition nennen, einer Abbildung
die wir Multiplikation nennen, und einer Relation ≤≤ auf RR, die wir kleiner gleich nennen, wird als Menge der reellen Zahlen bezeichnet, falls die in diesem Abschnitt 2.1 aufgelisteten 1616 Axiome erfüllt sind.
Die Addition erfüllt folgende Eigenschaften:
An dieser Stelle kann man sich einige Fragen stellen. Beispielsweise ist nicht klar, wieso die Notation (−x)(−x) für die additive Inverse eines Elements x∈Rx∈R gerechtfertigt ist; a priori könnte es ja mehrere additive Inverse eines Elements geben. Deswegen sollte (−x)(−x) vorerst als der Name eines Elements in RR gesehen werden und nicht als ein eindeutig bestimmtes, zu xx gehörendes Element. Fragen wie diese möchten wir in Kürze beantworten.
Bemerkung
Um formal korrekt zu sein, müsste man schreiben
- ∃z∈R ∀x∈R:x+z=z+x=x∃z∈R ∀x∈R:x+z=z+x=x und
- ∀x∈R ∃y∈R ∀w∈R:(x+y)+w=w+(x+y)=(y+x)+w=w+(y+x)=w∀x∈R ∃y∈R ∀w∈R:(x+y)+w=w+(x+y)=(y+x)+w=w+(y+x)=w.
Dies sind die formal korrekten Version der Axiome (1) und (2): In (1′) haben wir nicht ein «unbekanntes Symbol 00» verwendet, sondern die Existenz eines Elements mit einer bestimmten Eigenschaft gefordert. Dadurch wird es klarer, dass bei der gefordeten Existenz a priori nicht klar ist, ob es nur ein oder mehrere derartige Elemente gibt. Analog haben wir in (2′) die Verwendung dieses unbekannten Symbols und auch der verfrühten Notation (−x)(−x) vermieden.
Wir haben bei der Formulierung der obigen Axiome versucht einen Kompromiss zwischen Lesbarkeit und formaler Korrektheit zu treffen, damit die Axiome auf den ersten Blick intuitiv Sinn machen und über jeden Zweifel erhaben sind. Formal sollten Sie die Symbole 00 und (−x)(−x), wie bereits angedeutet, vorerst als seltsame aussehende Variablen interpretieren.
Alternativ hätten wir in der Formulierung der Axiome gleich zu Beginn fordern können, dass es neben der Addition auch noch ein ausgezeichnetes Element 0∈R0∈R und eine weitere Abbildung −:R→R−:R→R gibt, und in den ersten beiden Axiomen die Eigenschaften dieser zusätzlichen Objekte beschreiben können. Dies widerspricht aber dem Wunsch an einem Axiomensystem minimal zu sein und nur die nötigsten Objekte, die sich nicht unter Verwendung anderer Objekte definieren lassen, einzuführen.
- Das Nullelement 00 (auch die Null genannt) ist durch das Axiom (1) eindeutig bestimmt. Insbesondere ergibt der Begriff «das Nullelement» Sinn und es ist akzeptabel, dass 00 in Axiom (2) vorkommt, ohne dass man vorher eine Null wählen musste. In der Tat, sind 01,02∈R01,02∈R zwei Elemente, die die Eigenschaft in Axiom (1) erfüllen, dann gilt also
01=01+02=02.01=01+02=02.
(Für welche x∈Rx∈R wurde die Eigenschaft in Axiom (1) verwendet und wie?
Hinweis.
Zuerst wurde x=01x=01 in Axiom (1) für 0202 eingesetzt.
)
Das Negative −x∈R−x∈R ist für jedes x∈Rx∈R durch die Eigenschaft x+(−x)=0x+(−x)=0 eindeutig bestimmt. Insbesondere können wir von der additiven Inversen eines Elements sprechen und die Abbildung −:x∈R↦−x∈R−:x∈R↦−x∈R ist wohldefiniert. In der Tat, falls y,z∈Ry,z∈R zu x∈Rx∈R die Identitäten x+y=x+z=0x+y=x+z=0 erfüllen, dann gilt
y=y+0=y+(x+z)=(y+x)+z=(x+y)+z=0+z=z,y=y+0=y+(x+z)=(y+x)+z=(x+y)+z=0+z=z,
nach der Eigenschaft der Null in Axiom (1), der Annahme für zz, dem Assoziativgesetz in Axiom (3), dem Kommutativgesetz in Axiom (4), der Annahme für yy und wiederum die Eigenschaft der Null in Axiom (1).
Wegen der Eindeutigkeit der additiven Inversen gilt −(−x)=x−(−x)=x für jedes x∈Rx∈R. Denn für x∈Rx∈R gilt (−x)+x=0(−x)+x=0 nach der Definition der additiven Inversen von xx in Axiom (2) und damit ist nach () schliesslich −(−x)=x−(−x)=x.
«Additives Kürzen» ist erlaubt: Sind x,y,z∈Rx,y,z∈R mit x+y=x+zx+y=x+z, so darf man xx wegstreichen. (Das heisst, die Aussage ∀x,y,z∈R:x+y=x+z⟹y=z∀x,y,z∈R:x+y=x+z⟹y=z gilt.) In der Tat gilt
y=((−x)+x)+y=(−x)+(x+y)=(−x)+(x+z)=((−x)+x)+z=z,y=((−x)+x)+y=(−x)+(x+y)=(−x)+(x+z)=((−x)+x)+z=z,
wobei die Eigenschaft der Null in Axiom (1), Eigenschaft der additiven Inversen in Axiom (2), das Assoziativgesetz in Axiom (3), die Annahme x+y=x+zx+y=x+z, das Assoziativgesetz in Axiom (3) und nochmals die Eigenschaft in den Axiomen (2) und (1) verwendet wurden.
Nach dem Assoziativgesetz in Axiom (3) können wir für x,y,z∈Rx,y,z∈R anstelle von (x+y)+z(x+y)+z oder x+(y+z)x+(y+z) einfach x+y+zx+y+z schreiben, da diese nach Axiom (3) gleich sind. Anstelle von x+(−y)x+(−y) für x,y∈Rx,y∈R schreiben wir oft auch die Subtraktion x−yx−y und anstelle von (−x)+y(−x)+y auch −x+y−x+y.
Wichtige Übung 2.3
Zeigen Sie die folgenden Regeln (unter Verwendung der Axiome (1)-() und der Folgerungen ()-()).
- Es gilt −0=0−0=0.
- Für alle x,y∈Rx,y∈R gilt −(x+y)=(−x)+(−y)−(x+y)=(−x)+(−y) (wobei wir für letzteres auch =−x−y=−x−y schreiben).
- Für alle x,y∈Rx,y∈R gilt −(x−y)=−x+y−(x−y)=−x+y.
Bemerkung
Wir sagen auch, dass die reellen Zahlen RR gemeinsam mit der Abbildung (Verknüpfung) +:R×R→R+:R×R→R eine kommutative oder abelsche Gruppe bilden, da die Axiome (1)-() gerade die Axiome einer kommutativen Gruppe bilden.
Die Multiplikation erfüllt folgende Eigenschaften:
- (Einselement) ∃1∈R∖{0} ∀x∈R:x⋅1=1⋅x=x∃1∈R∖{0} ∀x∈R:x⋅1=1⋅x=x.
- (Multiplikative Inverse) ∀x∈R∖{0} ∃(x−1)∈R:x⋅(x−1)=(x−1)⋅x=1∀x∈R∖{0} ∃(x−1)∈R:x⋅(x−1)=(x−1)⋅x=1
- (Assoziativgesetz) ∀x,y,z∈R:x⋅(y⋅z)=(x⋅y)⋅z∀x,y,z∈R:x⋅(y⋅z)=(x⋅y)⋅z.
- (Kommutativgesetz) ∀x,y∈R:x⋅y=y⋅x∀x,y∈R:x⋅y=y⋅x.
Des Weiteren muss bei Kombination der Addition und der Multiplikation folgendes Gesetz gelten.
Wir verlangen
- (Distributivgesetz) ∀x,y,z∈R:(x+y)⋅z=(x⋅z)+(y⋅z)∀x,y,z∈R:(x+y)⋅z=(x⋅z)+(y⋅z)
Wir werden sehen, dass die Axiome ()-() implizieren, dass R×=R∖{0}R×=R∖{0} mit der Multiplikation eine abelsche Gruppe bildet, die auch die Einheitengruppe von RR genannt wird. Dies wird uns insbesondere erlauben, die Folgerungen aus den Axiomen (1)-() auf die Multiplikation analog anzuwenden.
Folgerungen
- Es gilt 0⋅x=x⋅0=00⋅x=x⋅0=0 für alle x∈Rx∈R. Denn für ein x∈Rx∈R gilt
0⋅x+0⋅x=(0+0)⋅x=0⋅x=0⋅x+00⋅x+0⋅x=(0+0)⋅x=0⋅x=0⋅x+0
nach dem Distributivgesetz in Axiom () und der Eigenschaft der Null. Durch Wegstreichen von 0⋅x0⋅x (siehe Folgerung ()) erhalten wir 0⋅x=00⋅x=0. Nach dem Kommutativgesetz in Axiom () folgt auch x⋅0=0x⋅0=0 und die Behauptung ist gezeigt.
Es gilt (−1)⋅x=−x(−1)⋅x=−x für alle x∈Rx∈R. Denn für ein x∈Rx∈R ist
x+(−1)⋅x=1⋅x+(−1)⋅x=(1+(−1))⋅x=0⋅x=0,x+(−1)⋅x=1⋅x+(−1)⋅x=(1+(−1))⋅x=0⋅x=0,
was wegen Folgerung () die gewünschte Aussage impliziert.
Es gilt, dass für jedes x∈R×x∈R× auch jedes Element (x−1)(x−1) wie in Axiom () in R×R× liegt. Denn wäre x∈R×x∈R× mit (x−1)=0(x−1)=0, so würde 1=x⋅(x−1)=x⋅0=01=x⋅(x−1)=x⋅0=0 gelten, was in Axiom () ausgeschlossen wurde.
«Multiplikatives Kürzen» ist erlaubt: Sei x∈R×x∈R× und eine Gleichung der Form x⋅y=x⋅zx⋅y=x⋅z für y,z∈Ry,z∈R gegeben. Dann darf man xx wegstreichen und es gilt y=zy=z. In der Tat ist
y=1⋅y=((x−1)⋅x)⋅y=(x−1)⋅(x⋅y)=(x−1)⋅(x⋅z)=((x−1)⋅x)⋅z=1⋅z=z.y=1⋅y=((x−1)⋅x)⋅y=(x−1)⋅(x⋅y)=(x−1)⋅(x⋅z)=((x−1)⋅x)⋅z=1⋅z=z.
Es gibt keine «Keine Nullteiler» : Falls x⋅y=0x⋅y=0 für zwei Elemente x,y∈Rx,y∈R gilt, dann ist x=0x=0 oder y=0y=0. Denn nimmt man an, dass x≠0x≠0 ist, so folgt aus der Gleichung x⋅y=0=x⋅0x⋅y=0=x⋅0, die nach Folgerung () und der Voraussetzung gilt, dass y=0y=0 ist nach Folgerung ().
Wegen dem Assoziativgesetz in Axiom () schreiben wir anstelle von x⋅(y⋅z)x⋅(y⋅z) oder (x⋅y)⋅z(x⋅y)⋅z auch x⋅y⋅zx⋅y⋅z für x,y,z∈Rx,y,z∈R. Wir verwenden im Weiteren die Regel «Punkt- vor Strichrechnung» und lassen den Punkt in der Multiplikation oft auch weg. Insbesondere werden wir das Distributivgesetz in Axiom () auch in der Form (x+y)z=xz+yz(x+y)z=xz+yz für alle x,y,z∈Rx,y,z∈R schreiben.
Bemerkung
Die Axiome ()-() (gemeinsam mit den Folgerungen () und ()) machen R×R× ausgestattet mit (der Einschränkung) der Multiplikation ⋅:(R×)2→R×⋅:(R×)2→R× zu einer kommutativen Gruppe: Nach Folgerung () ist die Multiplikation wohldefiniert, nach Axiom () existiert ein sogenanntes neutrales Element (hier die Eins, bei der Addition war es die Null), nach Axiom () und Folgerung () hat jedes Element ein multiplikatives Inverses in R∖{0}R∖{0}. Das Assoziativgesetz (resp. das Kommutativgesetz) ist wegen Axiom () (resp. Axiom ()) erfüllt. Insbesondere können wir die Folgerungen ()-() übernehmen.
- Das Einselement ist durch die Eigenschaft in Axiom () eindeutig bestimmt.
- Das (multiplikatives) Inverse x−1∈R×x−1∈R× ist für jedes Element x∈R×x∈R× eindeutig durch x⋅x−1=1x⋅x−1=1 bestimmt.
- Für alle x∈R×x∈R× gilt (x−1)−1=x(x−1)−1=x.
Wichtige Übung 2.4
- Analysieren Sie das Argument in Bemerkung , das Folgerungen (), () und () beweist.
- Leiten Sie die Folgerungen (),() und () direkt aus den Axiomen ()-() ab, was in diesem Fall nicht viel langsamer als die Argumentation im ersten Teil der Übung ist, aber eine klare Wiederholung der Argumente in Folgerungen ()-() darstellt.
Wichtige Übung 2.5
Seien x,y,z∈Rx,y,z∈R.
- Zeigen Sie, dass die Identität (−x)(−y)=xy(−x)(−y)=xy. Überprüfen Sie auch, dass −x∈R×−x∈R× und (−x)−1=−(x−1)(−x)−1=−(x−1) gilt, falls x∈R×x∈R× ist.
- Zeigen Sie, dass das Distributivgesetz für die Subtraktion
x(y−z)=xy−xzx(y−z)=xy−xz
gilt.
Wir verwenden oft die Schreibweise des Quotienten xy=xy−1xy=xy−1 für alle Zähler x∈Rx∈R und Nenner y∈R×y∈R×. Die Inverse 1y=y−11y=y−1 von y∈R×y∈R× nennen wir auch den reziproken Wert oder den Kehrwert von yy.
Wichtige Übung 2.6: Rechenregeln für Quotienten
- Für alle x,z∈Rx,z∈R und y,w∈R×y,w∈R× gilt xy=zwxy=zw genau dann, wenn xw=yzxw=yz.
- Für alle x,z∈Rx,z∈R und y,w∈R×y,w∈R× gilt
xyzw=xzyw.xyzw=xzyw.
- Für alle x∈Rx∈R und y,z,w∈R×y,z,w∈R× gilt
xy zw=xwyz. xy zw=xwyz.
- Für alle x,z∈Rx,z∈R und y,w∈R×y,w∈R× gilt
xy+zw=xw+yzyw.xy+zw=xw+yzyw.
Wichtige Übung 2.7
Wir definieren a2=a⋅aa2=a⋅a für alle a∈Ra∈R. Zeigen Sie die Gleichungen (a+b)2=a2+2ab+b2(a+b)2=a2+2ab+b2, (a−b)2=a2−2ab+b2(a−b)2=a2−2ab+b2, und (a+b)(a−b)=a2−b2(a+b)(a−b)=a2−b2 für alle a,b∈Ra,b∈R.
Die Axiome (1)-() werden auch die Körperaxiome genannt und machen also RR zu einem Körper. Diese definieren die üblichen Rechenregeln und sind damit gut als Axiome geeignet. Die Folgerungen ()-(), Übung 2.3 und Übungen 2.5—2.7 gelten für beliebige Körper und nicht nur für die reellen Zahlen.
Beispiel 2.8
Bevor wir zu den weiteren Axiomen der reellen Zahlen kommen, wollen wir noch weiterere Beispiele von Körpern und ein Gegenbeispiel geben:
- Die rationalen Zahlen QQ, welche man aus den axiomatisch definierten natürlichen Zahlen NN konstruieren kann (siehe Abschnitt 1.5), bilden einen Körper.
- Die ganzen Zahlen ZZ (siehe Abschnitt 1.5) bilden keinen Körper. (Warum nicht?)
- Aus den rationalen Zahlen lassen sich viele weitere Körper bilden, zum Beispiel
Q(√2):={a+b√2∣a,b∈Q}Q(√2):={a+b√2∣a,b∈Q}
mit den natürlichen Rechenoperationen, wobei √2√2 eine Lösung der Gleichung x2=2x2=2 ist. (Wir werden dies nochmals genauer besprechen, siehe Abschnitt 2.1.4.)
- Der kleinst mögliche Körper F2F2 besteht aus der Menge {0,1}{0,1} gemeinsam mit den Rechenoperationen der Addition
0+\raisebox−.5ex$F2$1=1+\raisebox−.5ex$F2$0=1,0+\raisebox−.5ex$F2$0=1+\raisebox−.5ex$F2$1=00+\raisebox−.5ex$F2$1=1+\raisebox−.5ex$F2$0=1,0+\raisebox−.5ex$F2$0=1+\raisebox−.5ex$F2$1=0
und der Multiplikation
0⋅\raisebox−.5ex$F2$1=1⋅\raisebox−.5ex$F2$0=0⋅\raisebox−.5ex$F2$0=0,1⋅\raisebox−.5ex$F2$1=1.0⋅\raisebox−.5ex$F2$1=1⋅\raisebox−.5ex$F2$0=0⋅\raisebox−.5ex$F2$0=0,1⋅\raisebox−.5ex$F2$1=1.Hier sind 0,10,1 nicht die gewöhnlichen Zahlen (Elemente von RR), sondern zwei Elemente der neuen Menge F2F2. Die Operationen +\raisebox−.5ex$F2$+\raisebox−.5ex$F2$ und ⋅\raisebox−.5ex$F2$⋅\raisebox−.5ex$F2$ sind zwei neue Operationen, so dass F2F2 mit diesen beiden Operationen die Körperaxiome erfüllt (siehe Abschnitt 2.8.2).
- Der Körper F2F2 kann auch als Quotient von ZZ bezüglich der Äquivalenzrelation ≡≡, definiert durch
m≡n⟺n−m ist geradem≡n⟺n−m ist gerade
für m,n∈Zm,n∈Z, konstruiert werden. Diese Definition kann man für jede Primzahl p∈Np∈N erweitern, um damit den Körper FpFp zu definieren (siehe wiederum Abschnitt 2.8.2).
Obige Beispiele zeigen, dass die «üblichen Rechenoperationen» (das wären die Axiome (1)-()) von vielen Zahlensystemen erfüllt werden, oder präziser formuliert, dass es viele verschiedene Körper gibt. Wir sind an diesen Körpern hier(!) nicht weiter interessiert und schliessen sie aus, indem wir weitere Axiome einführen.
2.1.2 – Angeordnete Körper
Die Relation ≤≤ auf RR erfüllt die folgenden vier Axiome
- (Reflexivität) ∀x∈R:x≤x∀x∈R:x≤x
- (Antisymmetrie) ∀x,y∈R:((x≤y∧y≤x)⟹x=y)∀x,y∈R:((x≤y∧y≤x)⟹x=y)
- (Transitivität) ∀x,y,z∈R:((x≤y∧y≤z)⟹x≤z)∀x,y,z∈R:((x≤y∧y≤z)⟹x≤z)
- (Linearität) ∀x,y∈R:(x≤y∨y≤x)∀x,y∈R:(x≤y∨y≤x)
Die Axiome ()-() sind die Axiome einer Ordnung und zusammen mit Axiom () bilden sie die Axiome einer linearen (oder auch totalen) Ordnung. Damit die Relation ≤≤ auf dem Körper RR nützlich ist, benötigen wir die folgenden Axiome, die die Relation mit der Körperstruktur koppeln:
Wir verlangen
- (≤≤ und ++) ∀x,y,z∈R:(x≤y⟹x+z≤y+z)∀x,y,z∈R:(x≤y⟹x+z≤y+z).
- (≤≤ und ⋅⋅) ∀x,y∈R:((0≤x∧0≤y)⟹0≤x⋅y)∀x,y∈R:((0≤x∧0≤y)⟹0≤x⋅y).
Wie bereits erwähnt wurde, sprechen wir x≤yx≤y als «xx ist kleiner gleich yy» aus. Wir definieren für x,y∈Rx,y∈R auch y≥xy≥x durch x≤yx≤y und sprechen dies als «yy ist grösser gleich xx» aus. Weiter definieren wir xkleinerals[latex]yxkleinerals[latex]y» oder «xx ist echt kleiner als yy» ) durch x≤y∧x≠yx≤y∧x≠y. Natürlich definieren wir x>yx>y durch ygrösserals[latex]yygrösserals[latex]y» oder «xx ist echt grösser als yy» . Wir verwenden diese Symbole oft auch in «gleich gerichteten Ketten» ; beispielsweise steht x≤ypositiv,falls[latex]x>0x≤ypositiv,falls[latex]x>0 gilt, und negativ, falls xnichtnegativfalls[latex]x≥0xnichtnegativfalls[latex]x≥0, beziehungsweise nichtpositiv falls x≤0x≤0.
Das Hinzufügen der Axiome ()-() hat folgende Konsequenzen:
- (Trichotomie) Für alle x,y∈Rx,y∈R gilt entweder [latex]x
y[/latex]. Seien x,y∈Rx,y∈R. Nach der Linearität in Axiom (13)(13) gilt x≤yx≤y oder y≤xy≤x. Falls x=yx=y, dann können x>yx>y und [latex]x - Seien x,y,z∈Rx,y,z∈R. Falls xDennwirhaben[latex]x≤zxDennwirhaben[latex]x≤z nach der Transitivität in Axiom () und falls x=zx=z wäre, dann wäre y≤xy≤x und daher x=yx=y nach der Antisymmetrie in Axiom (11)(11) und der Voraussetzung x≤yx≤y, was aber der Annahme widerspricht. Analog sieht man, dass x≤yx≤y und [latex]y
- Man darf Ungleichungen folgendermassen addieren: Seien x,y,z,w∈Rx,y,z,w∈R mit x≤yx≤y und z≤wz≤w. Dann gilt auch x+z≤y+wx+z≤y+w. In der Tat, x≤yx≤y impliziert x+z≤y+zx+z≤y+z nach der additiven Kompatibilität in Axiom (14)(14) und z≤wz≤w impliziert y+z≤y+wy+z≤y+w ebenso nach Axiom (14)(14), was gemeinsam x+z≤y+wx+z≤y+w nach der Transitivität in Axiom (12)(12) impliziert. Analog sieht man (unter Verwendung von Folgerung ()), dass für x,y,z,w∈Rx,y,z,w∈R mit [latex]x
- Seien y,z∈Ry,z∈R. Dann gilt y≤zy≤z genau dann, wenn 0≤z−y0≤z−y gilt. Dies folgt wiederum aus der additiven Kompatibilität in Axiom () durch Subtraktion resp. Addition von yy.
- Sei x∈Rx∈R. Dann gilt x≥0⟺−x≤0x≥0⟺−x≤0. Dies folgt aus () mit y=−xy=−x und z=0z=0 gemeinsam mit Folgerung (c).
- Des Weiteren ist für jedes x∈Rx∈R das Element x2=x⋅x≥0x2=x⋅x≥0 und x2>0x2>0, falls x≠0x≠0. Falls x≥0x≥0 ist, so folgt die erste Aussage aus der multiplikativen Kompatibilität in Axiom (). Falls x≤0x≤0 ist, dann ist −x≥0−x≥0 nach Folgerung () und damit xx=(−x)(−x)≥0xx=(−x)(−x)≥0 nach Übung 2.5. Falls x2=0x2=0 ist, dann gilt x=0x=0 nach Folgerung () und die zweite Aussage folgt.
- Es gilt 0Denn[latex]1=12≥00Denn[latex]1=12≥0 nach Folgerung () und 1≠01≠0 nach Axiom ().
- Seien x,y,z∈Rx,y,z∈R. Falls x≥0x≥0 und y≤zy≤z, dann gilt xy≤xzxy≤xz. Denn unter Verwendung von Folgerung (), wonach z−y≥0z−y≥0, und der multiplikativen Kompatibilität in Axiom () gilt xz−xy=x(z−y)≥0xz−xy=x(z−y)≥0 und damit folgt die Aussage wiederum aus Folgerung ().
- Seien x,y,z∈Rx,y,z∈R. Falls x≤0x≤0 und y≤zy≤z, dann gilt xy≥xzxy≥xz. In der Tat ist −x≥0−x≥0 nach Folgerung (), z−y≥0z−y≥0 nach Folgerung () und somit
xy−xz=x(y−z)=(−x)(−(y−z))=(−x)(z−y)≥0xy−xz=x(y−z)=(−x)(−(y−z))=(−x)(z−y)≥0
nach der multiplikativen Kompatibilität in Axiom () und Übungen 2.5 und .
Für x,y∈Rx,y∈R impliziert 0Wirbehauptenzuerst,dass[latex]x−1>00Wirbehauptenzuerst,dass[latex]x−1>0 (y−1>0y−1>0 folgt analog). Denn falls nicht, dann wäre wegen der Trichotomie in Folgerung () und Folgerung () x−10x−10 und es gilt
y−1=xx−1y−1≤yx−1y−1=x−1.y−1=xx−1y−1≤yx−1y−1=x−1.
Falls 0≤x≤y0≤x≤y und 0≤z≤w0≤z≤w für x,y,z,w∈Rx,y,z,w∈R, dann gilt auch 0≤xz≤yw0≤xz≤yw (siehe Übung 2.9).
In einer Ungleichung der Form x+y≤x+zx+y≤x+z für x,y,z∈Rx,y,z∈R darf man xx streichen, das heisst, y≤zy≤z folgern (siehe Übung 2.9).
In einer Ungleichung der Form xy≤xzxy≤xz für x,y,z∈Rx,y,z∈R darf man xx streichen, das heisst, y≤zy≤z folgern, wenn x>0x>0 ist (siehe Übung 2.9).
Obige Axiome, Folgerungen und Aussagen in den Übungen stellen die üblichen Eigenschaften für Ungleichungen dar. Mit Hilfe dieser können wir auch Aufgaben wie in folgender Übung lösen.
Übung 2.10
Zeigen Sie, dass
Falls ein Körper (der ja per Definition die Axiome (1)-() erfüllt) eine Relation ≤≤ besitzt, die auch die Axiome ()-() erfüllt, dann nennen wir den Körper mit der Relation einen angeordneten (oder geordneten) Körper.
Beispiel 2.11: angeordnete Körper
- Es gibt keine Relation ≤≤ auf F2F2, so dass dieser einen angeordneten Körper bildet. Nehmen wir per Widerspruch an, dass ≤≤ eine Relation auf F2F2 ist, die die Axiome (10)−(15)(10)−(15) erfüllt. Dann folgt aus [latex]0
- Die rationalen Zahlen QQ sowie der Körper Q(√2)Q(√2) aus Beispiel 2.8 bilden mit der üblichen Relation ≤≤ einen angeordneten Körper.
2.1.3 – Das Vollständigkeitsaxiom
Für die Analysis sind die Axiome (1)-() noch nicht ausreichend; Grund dafür ist, dass man vorerst noch zu viele «Lücken» in RR haben könnte. Wir benötigen also noch ein weiteres Axiom. Gewissermassen hat die Suche nach diesem Axiom mit den Arbeiten der Griechen wie Pythagoras, Euklid und Archimedes begonnen, doch wurde sie erst im 19. Jahrhundert in den Arbeiten zahlreicher Mathematiker, darunter Weierstrass, Heine, Cantor und Dedekind, erfolgreich (siehe auch diesen Link).
Wie wir in Kürze besprechen wollen, ist dieses Axiom trotzdem relativ leicht vorstellbar und wie wir im Laufe des Jahres sehen werden, ist es Grundlage für die ganze Analysis.
Axiom (Vollständigkeit)
Die reellen Zahlen erfüllen folgendes Axiom:
- Zuerst in Worten: Falls X,YX,Y zwei nicht-leere Teilmengen von RR sind und für alle x∈Xx∈X und y∈Yy∈Y die Ungleichung x≤yx≤y gilt, dann gibt es ein c∈Rc∈R, das zwischen XX und YY liegt in dem Sinn, als dass für alle x∈Xx∈X und y∈Yy∈Y die Ungleichung x≤c≤yx≤c≤y gilt. Formal:
∀X,Y⊆R: ((X≠∅∧Y≠∅∧∀x∈X ∀y∈Y:x≤y)⟹(∃c∈R∀x∈X ∀y∈Y:x≤c≤y))∀X,Y⊆R: ((X≠∅∧Y≠∅∧∀x∈X ∀y∈Y:x≤y)⟹(∃c∈R∀x∈X ∀y∈Y:x≤c≤y))
Wenn RR die Axiome (1)–() erfüllt, dann sprechen wir auch von einem vollständig angeordneten Körper. Wir werden uns die reellen Zahlen häufig als die Punkte auf einer Geraden vorstellen, wobei wir deswegen die Gerade auch die Zahlengerade nennen.
Die Relation [latex]x
Was bedeutet in diesem Bild das Vollständigkeitsaxiom? Seien X,YX,Y nicht-leere Teilmengen von RR, so dass für alle x∈Xx∈X und alle y∈Yy∈Y die Ungleichung x≤yx≤y gilt. Dann sind alle Elemente von XX links von allen Elementen von YY wie im nachfolgenden Bild.
Nach dem Vollständigkeitsaxiom existiert also ein cc, das dazwischen liegt. Die Existenz der Zahl cc ist gewissermassen eine Versicherung, dass RR keine «Lücken» hat.
Es ist gut, sich die obigen Axiome und Folgerungen, aber auch alle folgenden Lemmata, Propositionen, Sätze, Theoreme und deren Beweise auf der Zahlengeraden zu veranschaulichen. Doch sollte die Zahlengerade als Motivation und zur Entwicklung einer guten Intuition, aber nicht für die Beweisführung verwendet werden.
2.1.4 – Eine erste Anwendung der Vollständigkeit
Wir schliessen diesen Abschnitt indem wir als eine Anwendung des Vollständigkeitsaxioms die Wurzelfunktion auf R≥0={x∈R:x≥0}R≥0={x∈R:x≥0} einführen.
Wichtige Übung 2.12: Existenz der Wurzelfunktion
In dieser Übung wollen wir die Existenz einer bijektiven Funktion √⋅:R≥0→R≥0, a↦√a√⋅:R≥0→R≥0, a↦√a mit der Eigenschaft √a2=a√a2=a für alle a∈R≥0a∈R≥0 zeigen.
- Zeigen Sie für alle x,y∈R≥0x,y∈R≥0, dass [latex]x
- (Eindeutigkeit) Folgern Sie, dass es für jedes a∈R≥0a∈R≥0 höchstens ein c∈R≥0c∈R≥0 mit c2=ac2=a gibt.
- (Existenz) Betrachten Sie für eine reelle Zahl a>0a>0 die nicht-leeren Teilmengen
X={x∈R≥0∣x2a}.X={x∈R≥0∣x2a}.
Wenden Sie nun das Vollständigkeitsaxiom an, um ein c∈Rc∈R mit x≤c≤yx≤c≤y für alle x∈Xx∈X und y∈Yy∈Y zu finden. Verwenden Sie, dass für alle ε∈Rε∈R mit [latex]0
Wir bezeichnen für jedes a≥0a≥0 die durch c2=ac2=a und c≥0c≥0 eindeutig bestimmte reelle Zahl als c=√ac=√a und sprechen von der Wurzel von aa.
- (Wachsend) Zeigen Sie für x,y∈R≥0x,y∈R≥0 mit [latex]x
- (Bijektion) Zeigen Sie, dass die Wurzelfunktion von R≥0R≥0 nach R≥0R≥0 bijektiv ist.
- (Multiplikativität) Zeigen Sie unter Verwendung von (ii), dass für alle x,y∈R≥0x,y∈R≥0 gilt √xy=√x√y√xy=√x√y.
- (Zwei Lösungen) Zeigen Sie, dass es für a>0a>0 genau zwei Lösungen der Gleichung x2=ax2=a in x∈Rx∈R gibt.
Hinweis.
Für (i) genügt es wegen der Trichotomie für alle x,y∈Rx,y∈R die Implikation [latex]x
2.1.5 – Verwendung der reellen Zahlen und der Axiome
Zusammenfassend gilt, dass die Körperaxiome der reellen Zahlen die üblichen Rechenregeln und Gleichungsumformungen erlauben, wobei (wie gewohnt) Division mit Null nicht gestattet ist. Des Weiteren erfüllen die Relationen ≤≤ und [latex](1)-(), die Folgerungen ()-() und die Aussagen in den Übungen) im Folgenden ohne Verweis verwenden. Das Vollständigkeitsaxiom (Axiom (16)) war bereits notwendig für den Beweis der Existenz einer Wurzelfunktion. Die wahre Bedeutung dieses Axioms werden wir hingegen erst sehen, wenn wir es für weitere Aussagen verwenden. Insbesondere werden wir bis auf Weiteres stets darauf verweisen, wenn wir es verwenden.
Wir werden häufig die Variablen a,b,c,s,t,x,ya,b,c,s,t,x,y verwenden um damit reelle Zahlen zu bezeichnen, werden aber im Sinne der Transparenz trotzdem immer «Sei a∈Ra∈R …» oder ähnliches schreiben.
Bemerkung
Wir haben in obigem die Axiome der reellen Zahlen aufgelistet. Die Tatsache, dass wir von den reellen Zahlen sprechen können, rührt daher, dass es bis auf gewisse Identifikationen nur einen angeordneten Körper gibt, der auch () genügt. Eine Analogie dazu findet sich im Schachspiel: Ein Schachbrett mit Schachfiguren ist nicht gleich einem anderen Schachbrett mit Schachfiguren. Für das Schachspiel ist es jedoch egal, welches Schachbrett man benutzt. Wir werden die erwähnte Eindeutigkeit etwas später genauer formulieren und auch beweisen können; für den Moment fixieren wir uns aber einen solchen Körper und nennen ihn den Körper der reellen Zahlen (wir einigen uns auf ein Schachbrett mit den dazugehörigen Figuren).
2.2 – Die natürlichen Zahlen
Da wir alle unsere Diskussionen auf den Axiomen der reellen Zahlen in Abschnitt 2.1 aufbauen werden, wollen wir jetzt die natürlichen, die ganzen und die rationalen Zahlen innerhalb der reellen Zahlen finden und die wichtigsten elementaren und geometrischen Eigenschaften dieser Zahlen beweisen.
2.2.1 – Definition der natürlichen Zahlen und vollständige Induktion
Definition 2.13: Induktive Teilmengen
Eine Teilmenge M⊆RM⊆R ist induktiv, falls folgende zwei Eigenschaften gelten:
- 1∈M1∈M
- Für alle x∈Rx∈R gilt x∈M⟹x+1∈Mx∈M⟹x+1∈M.
Beispielsweise ist RR eine induktive Menge (gewissermassen die grösste solche). Die «kleinste» induktive Menge sollen die natürlichen Zahlen sein.
Definition 2.14: Natürliche Zahlen
Wir definieren die Teilmenge der natürlichen Zahlen N⊆RN⊆R als Durchschnitt aller induktiven Teilmengen von RR
Aus der Definition folgt unmittelbar, dass NN in jeder induktiven Teilmenge von RR enthalten ist und dass 1∈N1∈N, da jede induktive Teilmenge die Eins enthalten muss und NN der Durchschnitt aller induktiven Teilmengen ist. Des Weiteren können wir folgern, dass für alle n∈Nn∈N die Ungleichung n≥1n≥1 gilt. In der Tat ist die Teilmenge {x∈R∣x≥1}{x∈R∣x≥1} induktiv (überprüfen Sie dies) und enthält somit NN.
Lemma 2.15: Kleinste induktive Menge
Die natürlichen Zahlen NN bilden eine induktive und somit die kleinste induktive Teilmenge der reellen Zahlen.
Beweis
Wir haben oben bereits gesehen, dass 1∈N1∈N ist. Falls nun n∈Nn∈N ist und M⊆RM⊆R eine beliebige induktive Teilmenge ist, dann gilt auch n∈Mn∈M (wegen der Definition von NN). Da MM induktiv ist, gilt n+1∈Mn+1∈M. Da MM aber eine beliebige induktive Teilmenge war, liegt n+1n+1 in jeder induktiven Teilmenge und somit auch in NN per Definition von NN. Wir haben für NN also beide Eigenschaften einer induktiven Teilmenge nachgewiesen und das Lemma folgt. ∎
Wir können nun das Prinzip der vollständigen Induktion als Konsequenz unserer Definition der natürlichen Zahlen (und der Axiome der reellen Zahlen) beweisen.
Satz 2.16: Vollständige Induktion
Falls für eine Aussage A(n)A(n) über die natürlichen Zahlen n∈Nn∈N
- (Induktionsanfang) A(1)A(1) und
- (Induktionsschritt) ∀n∈N:(A(n)⟹A(n+1))∀n∈N:(A(n)⟹A(n+1))
gelten, dann gilt A(n)A(n) für alle n∈Nn∈N.
Beweis
Wir definieren E={n∈N∣A(n)}E={n∈N∣A(n)}, womit folgende Aussagen gelten.
- 1∈E1∈E, da A(1)A(1) auf Grund des Induktionsanfanges gilt.
- Für alle x∈Rx∈R gilt, dass x∈Ex∈E nach Definition x∈Nx∈N und auf Grund des Induktionsschrittes auch x+1∈Ex+1∈E impliziert.
Daher ist EE eine induktive Menge und es folgt, dass N⊆EN⊆E nach Definition von NN. Also gilt A(n)A(n) für alle natürlichen Zahlen n∈Nn∈N. ∎
Übung 2.17: Peano-Axiome
Zeigen Sie, dass die oben definierte Teilmenge N⊆RN⊆R die Peano-Axiome (siehe Abschnitt 1.5) erfüllt, wobei ν:n∈N↦n+1∈Nν:n∈N↦n+1∈N die Nachfolgerfunktion ist.
Wir untersuchen nun weitere algebraische und geometrische Eigenschaften von NN. Die Bedeutung der folgenden Diskussionen liegt nicht so sehr in den behaupteten Aussagen, die anschaulich klar sind. Vielmehr zeigen Sie, dass unsere Axiome von RR und unsere Definition von NN auch in der Lage sind, diese natürlichsten Eigenschaften von NN zu beweisen, die wiederum Grundlage für die weiteren Diskussionen bilden.
Beweis
Sei A(n)A(n) die Aussage ∀m∈N:m+n∈N∀m∈N:m+n∈N. Dann gilt A(1)A(1), denn falls m∈Nm∈N, dann gilt auch m+1∈Nm+1∈N, da NN induktiv ist wegen Lemma 2.15. Dies ist der Induktionsanfang. Für den Induktionsschritt nehmen wir also an, dass A(n)A(n) für n∈Nn∈N gilt oder in anderen Worten, dass für alle m∈Nm∈N auch m+n∈Nm+n∈N gilt. Wegen Lemma 2.15 impliziert letzteres aber auch m+n+1∈Nm+n+1∈N für alle m∈Nm∈N und wir erhalten die Aussage A(n+1)A(n+1). Vollständige Induktion zeigt daher ∀n∈N:A(n)∀n∈N:A(n), was gerade die Aussage ∀m,n∈N:m+n∈N∀m,n∈N:m+n∈N ist.
Für die Multiplikation definieren wir B(n)B(n) für n∈Nn∈N als die Aussage ∀m∈N:m⋅n∈N∀m∈N:m⋅n∈N. Dann gilt B(1)B(1), da für alle m∈Nm∈N auch m⋅1=m∈Nm⋅1=m∈N. Falls nun B(n)B(n) für n∈Nn∈N gilt, dann folgt aus m∈Nm∈N auch m⋅n∈Nm⋅n∈N und aus dem ersten Teil des Lemmas auch
Da mm beliebig war, gilt also B(n)⟹B(n+1)B(n)⟹B(n+1) und das Lemma folgt mittels vollständiger Induktion. ∎
Nachdem wir im letzten Lemma einige algebraische Fragen beantwortet haben, wollen wir uns nun geometrischen Fragen zuwenden. Da NN induktiv ist, sind 11 und 2=1+12=1+1 in NN. Gibt es eine natürliche Zahl zwischen 11 und 22? Die negative Antwort zu dieser Frage ist in allgemeinerer Form in folgendem Lemma enthalten.
Lemma 2.19: Anordnung von NN
- Für n∈Nn∈N gilt n=1n=1 oder n−1∈Nn−1∈N.
- Für m,n∈Nm,n∈N mit m≤n≤m+1m≤n≤m+1 gilt n=mn=m oder n=m+1n=m+1.
Beweis
Für die erste Aussage zeigen wir, dass die Menge M={1}∪{n∈N∣n−1∈N}M={1}∪{n∈N∣n−1∈N} die natürlichen Zahlen NN enthält. In der Tat ist die Menge MM induktiv, da 1∈M1∈M und da für n∈Mn∈M auch (n+1)−1=n∈N(n+1)−1=n∈N und damit n+1∈Mn+1∈M gilt. Nach Definition von NN ist also N⊆MN⊆M wie gewünscht.
Für die zweite Behauptung definieren wir für n∈Nn∈N die Aussage A(n)A(n) durch
Dann gilt A(1)A(1), denn falls m∈Nm∈N die Ungleichung m≤1≤m+1m≤1≤m+1 erfüllt, dann gilt wegen m≥1m≥1 auch m=1=nm=1=n.
Angenommen es gilt nun A(n)A(n) für ein n∈Nn∈N und wir wollen A(n+1)A(n+1) zeigen. Sei also m∈Nm∈N, so dass m≤n+1≤m+1m≤n+1≤m+1 gilt. Falls m=1m=1 ist, dann gilt 1≤n+1≤2=1+11≤n+1≤2=1+1 und damit n≤2−1=1n≤2−1=1. Wegen n≥1n≥1 folgt n=1=mn=1=m und somit n+1=m+1n+1=m+1. Falls aber m≠1m≠1 ist, dann ist wegen der ersten Behauptung m−1∈Nm−1∈N und m−1≤n≤mm−1≤n≤m. Da wir aber A(n)A(n) angenommen haben, gilt n∈{m−1,m}n∈{m−1,m} und daher n+1∈{m,m+1}n+1∈{m,m+1}.
Wir haben also den Induktionsanfang A(1)A(1) und den Induktionsschritt A(n)⟹A(n+1)A(n)⟹A(n+1) für ein beliebiges nn gezeigt. Daher gilt A(n)A(n) für alle n∈Nn∈N und das Lemma folgt. ∎
Wie bereits im Abschnitt 1.6.3 kurz erwähnt haben, gibt es mehrere Versionen der vollständigen Induktion.
Satz 2.20: Vollständige Induktion
Falls für eine Aussage A(n)A(n) über die natürlichen Zahlen n∈Nn∈N die Aussage
- (Induktion) [latex]\forall n \in \mathbb {N}:\ \Big ( \big (\forall k\in \mathbb {N}: (k
erfüllt ist, dann gilt A(n)A(n) für alle n∈Nn∈N
Beweis
Wir definieren eine Aussage B(n)B(n) für natürliche Zahlen n∈Nn∈N durch
Mit vollständiger Induktion (siehe Satz 2.16) und der Anordnung von NN (wie in Lemma 2.19) möchten wir nun zeigen, dass B(n)B(n) für alle n∈Nn∈N gilt. Insbesondere folgt damit, dass A(n)A(n) für alle n∈Nn∈N gilt (wieso?), was den Beweis des Satzes abschliessen wird.
Wir zeigen zuerst den Induktionsanfang, also dass die Aussage B(1)B(1) gilt. Da aber k=1k=1 die einzige natürliche Zahl mit k≤1k≤1 ist, genügt es, die Aussage A(1)A(1) zu verifizieren. Hierfür verwenden wir die Annahme im Satz für n=1n=1, also die Aussage
Da es keine natürlichen Zahlen kleiner 11 gibt, ist für jedes k∈Nk∈N die Aussage [latex]k
Sei nun n∈Nn∈N gegeben. Wir wollen den Induktionsschritt B(n)⟹B(n+1)B(n)⟹B(n+1) beweisen. Also nehmen wir an, dass B(n)B(n) bereits gilt. Die Aussage B(n+1)B(n+1) ist durch
gegeben. Für k∈Nk∈N ist k2.19äquivalentzu[latex]k≤n∨k=nk2.19äquivalentzu[latex]k≤n∨k=n. Die Aussage B(n) ist damit zu
äquivalent. Wegen der Annahme im Satz angewandt auf n+1 impliziert dies aber A(n+1), was auf Grund obiger Äquivalenz gemeinsam mit B(n) die Aussage B(n+1) zeigt. Dies schliesst den Induktionsschritt und damit den Beweis des Satzes ab. ∎
Die vollständige Induktion in der Version von Satz 2.20 erlaubt uns im Induktionsschritt statt der Annahme, dass die Aussage bloss für die vorhergehende natürliche Zahl gilt, die stärkere Annahme, dass die Aussage bereits für alle echt kleineren natürlichen Zahlen gilt, zu verwenden.
Übung 2.21: Versteckter Induktionsanfang
In der Version der vollständigen Induktion in Satz 2.20 scheint es keinen Induktionsanfang zu geben. Wie kann das sein? Wo ist der Induktionsanfang versteckt?
Hinweis.
Die Antwort beruht auf den Eigenschaften des Allquantors.
Wir bemerken, dass man die Induktion auch verwenden kann, um zum Beispiel für ein vorgebenes n0∈N eine Aussage für alle natürliche Zahlen n≥n0 zu zeigen. In diesem Fall würde man als Induktionsanfang die Aussage für n=n0 beweisen und im Induktionsschritt für eine natürliche Zahl n≥n0 annehmen.
Wichtige Übung 2.22: Varianten der vollständigen Induktion
Folgern Sie aus Satz 2.16 oder aus Satz 2.20 die folgenden Varianten der vollständigen Induktion. Sei hierzu A(n) eine beliebige Aussage über natürliche Zahlen n∈N
- Angenommen die Aussagen
- (Induktionsanfang) A(1) und A(2)
- (Induktionsschritt) ∀n∈N:(A(n)∧A(n+1)⟹A(n+2)),
gelten, dann gilt ebenso A(n) für alle n∈N.
- Falls für ein n0∈N die Aussagen
- (Induktionsanfang) A(n0)
- (Induktionsschritt) ∀n∈N:((n≥n0∧A(n))⟹A(n+1))
gelten, dann gilt auch A(n) für alle natürliche Zahlen n≥n0.
Hinweis.
Formal gesehen können sie zum Beispiel die Aussage B(n) definiert durch A(n)∧A(n+1) für (i) und die Aussage C(n) definiert durch A(n0+n−1) für (ii) betrachten.
Satz 2.23: Wohlordnung der natürlichen Zahlen
Sei M⊆N eine nicht-leere Teilmenge. Dann hat M ein eindeutig bestimmtes kleinstes Element, das heisst
Die Existenz eines kleinsten Elements zu jeder nicht-leeren Teilmenge ist etwas, was die natürlichen Zahlen auszeichnet und beispielsweise von den reellen Zahlen nicht erfüllt ist. Die Teilmenge der positiven Zahlen {x∈R∣x>0} oder R selbst sind konkrete Beispiele von Teilmengen, die kein kleinstes Element haben. (Wieso?
Im ersten Fall ist 00 und im zweiten Fall ist [latex]x-1
)
Beweis
Die Eindeutigkeit eines solchen kleinsten Elements folgt direkt: Sind n0,n′0∈M zwei kleinste Elemente, dann gilt n′0≥n0, da n0 ein kleinstes Element ist und n0≥n′0, da n′0 ein kleinstes Element ist. Also gilt n0=n′0.
Um die Existenz eines kleinsten Elements zu zeigen, verwenden wir die Kontraposition. Wir nehmen also an, dass M kein kleinstes Element hat, und wollen zeigen, dass M leer ist. Hierzu definieren wir für alle n∈N die Aussage A(n) durch n∉M.
Sei n∈N. Dann bedeutet die Aussage [latex]\forall k \in \mathbb {N}: k
\begin{aligned}[]\big (\forall k \in \mathbb {N}: k
für jedes n∈N. Die vollständige Induktion in Satz 2.20 zeigt nun, dass A(n) für alle n∈N gilt. Damit ist M die leere Menge. ∎
Beweis
Sei A(n) für n∈N die Aussage
\begin{aligned}[]\forall m \in \mathbb {N}: m
Dann gilt A(1), denn es existiert kein m∈N mit m2.19istentweder[latex]m=n oder [latex]m
Wir definieren die nicht-negativen ganzen Zahlen als N0=N⊔{0}. Diese stellen auf natürliche Weise die Kardinalitäten der endlichen Mengen dar, wobei die natürlichen Zahlen die Kardinalitäten der endlichen, nicht-leeren Mengen darstellen. Summen und Produkte sind in diesem Zusammenhang auch wichtig:
Wichtige Übung 2.25: Kardinalität des kartesischen Produkts von endlichen Mengen
Seien m,n∈N. Zeigen Sie per Induktion über n, dass das kartesische Produkt
Kardinalität mn hat. Der Ausdruck {1,…,m} ist dabei eine Abkürzung für {k∈N∣k≤m} und hat Kardinalität m.
Hinweis.
Schreiben Sie für den Induktionsschritt {1,…,m}×{1,…,n+1} als disjunkte Vereinigung einer Menge mit Kardinalität mn und einer Menge mit Kardinalität m.
Bemerkung
Wir werden auch des öfteren eine Funktion auf N durch Rekursion definieren. Dies bedeutet, dass man die Funktion f auf 1 definiert indem man f(1) konkret angibt, und dann eine Rekursionsbedingung (zum Beispiel eine Formel) festlegt wie f(n+1) aus f(1),…,f(n) bestimmt wird (wobei man f(1),…,f(n) als bereits definiert annimmt). Dass es höchstens eine Funktion auf N gibt, die beide Bedingungen erfüllt, lässt sich durch einen Induktionsbeweis schnell beweisen. (Nehmen Sie an, dass f und ˜f sowohl f(1)=˜f(1) als auch die Rekursionsbedingung erfüllen und beweisen sie f(n)=˜f(n) für alle n∈N mittels Satz 2.20.)
Streng formal ist die Existenz etwas aufwendiger. Dazu beweist man zuerst mittels vollständiger Induktion die Aussage: «Für alle n∈N gibt es eine eindeutig bestimmte Funktion fn auf {k∈N∣k≤n}, die fn(1)=f(1) und die Rekursionsbedingung erfüllt.» Insbesondere gilt dann für natürliche Zahlen m≤n, dass die Einschränkung der Funktion fn auf die Menge {k∈N∣k≤m} dieselben Gesetze wie fm erfüllt und somit gilt fm(k)=fn(k) für alle natürlichen Zahlen k≤m≤n. Wir definieren f auf N durch f(k)=fn(k) für k∈N und ein n∈N mit k≤n und sehen (wieder mittels vollständiger Induktion), dass diese Funktion die Rekursionbedingungen erfüllt. Man kommt nicht umhin, diesen Beweis mit dem rekursiven Algorithmus zur Berechnung von f(n) für n∈N zu vergleichen (der ja zur Berechnung von f(n) im Allgemeinen ebenso auch f(1),f(2),…,f(n−1) berechnen müsste).
2.2.2 – Die ganzen Zahlen
Die ganzen Zahlen sind als Teilmenge von R durch
definiert.
Lemma 2.26: Addition und Multiplikation auf Z
Die ganzen Zahlen sind unter Addition und Multiplikation abgeschlossen, das heisst, für alle m,n∈Z gilt m+n∈Z und mn∈Z.
Beweis
Für die Multiplikation sieht man dies sehr direkt: Falls m,n∈N, dann gilt offenbar mn=(−m)(−n)∈N⊆Z und (−m)n=m(−n)=−mn∈−N⊆Z nach Lemma 2.18. Falls m oder n Null ist, gilt ebenso mn=0∈Z.
Für die Addition verwenden wir die Eigenschaften von N in Lemma 2.18 und Lemma 2.24. Seien m,n∈Z. Falls m oder n Null sind, gibt es nichts zu zeigen. Seien also m,n∈N. Dann ist m+n∈N⊆Z und −m−n=−(m+n)∈−N⊆Z. Falls n>m, dann ist n−m∈N⊆Z und −n+m=−(n−m)∈Z. Analoges gilt falls [latex]n
Wichtige Übung 2.27: Anordnung von Z
Verallgemeinern Sie Lemma 2.19 von N auf Z. Das heisst, zeigen Sie, dass für m,n∈Z die Ungleichung m≤n≤m+1 ebenso n=m oder n=m+1 impliziert.
Hinweis.
Zeigen Sie zuerst, dass für n∈{0}∪N und m∈Z die Ungleichungen m≤−n≤m+1 zu m+n+2≤2≤m+n+3 äquivalent sind (und m+n+2∈N impliziert).
2.2.3 – Die rationalen Zahlen
Die rationalen Zahlen sind definiert als die Teilmenge von Quotienten
Lemma 2.28: Rationale Zahlen
Die rationalen Zahlen bilden einen Unterkörper von R, das heisst, für alle r,s∈Q gilt −r,r+s,rs∈Q und auch r−1∈Q, falls r≠0.
Wichtige Übung 2.29
Beweisen Sie Lemma 2.28.
Hinweis.
Die entsprechenden Formeln sind sehr gebräuchlich, doch vergessen Sie nicht zu erklären, was Sie genau damit zeigen.
Wichtige Übung 2.30
Zeigen Sie, dass sowohl die ganzen Zahlen als auch die rationalen Zahlen abzählbar unendlich sind.
Hinweis.
Sie dürfen Übung 1.85 verwenden. Alternativ kann man auch die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung wie folgt verwenden: Für Z folgt dies aus Cantor-Schröder-Bernstein (Satz 1.81) angewendet auf die Abbildungen n∈N↦n∈Z und
Für Q können wir analog die Abbildungen n∈N↦n∈Q und
verwenden, wobei wir vorraussetzen, dass mn∈Q mit kleinstmöglichem Nenner n∈N (also durchgekürzt) dargestellt ist.
Eine reelle Zahl x∈R heisst irrational, falls x∉Q. An dieser Stelle könnte man sich fragen, ob es überhaupt irrationale Zahlen gibt und wenn ja, wieviele. Um die erste Frage zu beantworten, werden wir die Wurzelfunktion (siehe Übungen 2.12) verwenden, mit welcher man aus rationalen Zahlen irrationale konstruieren kann.
Lemma 2.31: Quadratwurzel aus 2
Die reelle Zahl √2 ist irrational. Insbesondere erfüllen die rationalen Zahlen nicht das Vollständigkeitsaxiom.
Man kann Lemma 2.31 als einen Grund sehen, wieso es nicht ausreichend ist, nur rationale Zahlen zu betrachten. Eine visuelle Veranschaulichung des folgenden Beweises des Lemmas findet sich in diesem Video.
Beweis
Wir nehmen per Widerspruch an, dass √2 rational ist und schreiben 2=(mn)2 für m∈N und das kleinst mögliche n∈N (dies ist nach Satz 2.23 möglich). Insbesondere gilt also 2n2=m2 und folglich
Also gilt (2n−mm−n)2=2. Da [latex]0
Für den Beweis der letzte Aussage bemerken wir zuerst, dass Q die Körperaxiome auf Grund von Lemma 2.28 erfüllt. Des Weiteren gelten für Q die Axiome der Anordnung und die Axiome der Verträglichkeit der Anordnung und Körperoperationen, da diese für R gelten, womit Q ein angeordneter Körper ist. Das einzig verbleibende Axiom ist das Vollständigkeitsaxiom. Da wir zum Beweis der Existenz der Quadratwurzel positiver reeller Zahlen nur die Axiome der reellen Zahlen in Abschnitt 2.1 verwendet haben, folgt, dass Q das Vollständigkeitsaxiom nicht erfüllt. ∎
Wir werden im Abschnitt 2.6.4 zeigen, dass die reellen Zahlen überabzählbar sind. Vergleicht man diese Tatsache mit Übung 2.30, so kommt man zum Schluss, dass es viel mehr irrationale als rationale Zahlen gibt.
2.2.4 – Division mit Rest und Anfänge der Zahlentheorie*
Beweis
Für n2.23einkleinstes[latex]n0∈N, für das die Division durch ein d∈N0 mit Rest nicht funktioniert. Nach obigem muss n0>d≥1 und damit auch n0≥2 gelten.
Insbesondere ist n=n0−1∈N und es gibt einen Rest r∈N0 mit r2.19erfüllt[latex]r entweder [latex]r
Wir wollen hier für Interessierte kurz andeuten, was Division mit Rest mit Begriffen wie Primzahlen, Primfaktorzerlegung, etc. zu tun hat. Da eine ausführliche Besprechung uns aber zu weit vom Thema Analysis ablenken würde, begnügen wir uns mit einer Skizze anhand einer Serie von Übungsaufgaben. Des Weiteren verweisen wir auf die Algebra 1-Vorlesung im dritten Semester des Mathematikstudiums und das Buch [1]für mehr Details.
Wir sagen, dass eine Zahl d∈Z eine Zahl n∈Z teilt und schreiben d|n, falls es ein q∈Z gibt, so dass qd=n. Eine natürliche Zahl p>1 ist prim oder eine Primzahl, falls für alle a,b∈N die Implikation p|ab⟹(p|a∨p|b) zutrifft. Eine natürliche Zahl p>1 heisst irreduzibel, falls sie nicht als Produkt p=ab für a,b∈N mit a>1 und b>1 geschrieben werden kann (das heisst, ausser 1 und p keine Teiler hat). Wir haben bereits in einer Übung in Abschnitt 1.7.7 gesehen, dass wir jede Zahl n∈N als ein Produkt von irreduziblen Zahlen darstellen können. (Die für den Beweis dieser Übung notwendige Form der vollständigen Induktion haben wir inzwischen in der Form von Satz 2.20 nachgeliefert.) Aber wie zeigt man, dass diese Produktzerlegung (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) eindeutig bestimmt ist?
Übung 2.33
- Zeigen Sie, dass jede Primzahl auch irreduzibel ist.
- Nehmen Sie kurz an, dass Sie bereits wissen, dass eine Zahl irreduzibel ist genau dann, wenn sie prim ist. Zeigen Sie, dass die Primfaktorzerlegung bis auf Reihenfolge der Faktoren eindeutig bestimmt ist.
Der grösste gemeinsame Teiler zweier natürlichen Zahlen m,n∈N ist die grösste natürliche Zahl d=gcd(m,n)∈N mit d|m und d|n. Wir wollen zeigen, dass es a,b∈Z gibt mit d=am+bn. Dies nennt sich auch das Lemma von Bézout oder der Euklidsche Algorithmus.
- Führen Sie für m>n Division von m durch n mit Rest durch. Sei r∈N0 der Rest. Zeigen Sie für r∈N, dass gcd(m,n)=gcd(n,r) und für r=0, dass gcd(m,n)=n.
- Schliessen Sie per Induktion auf die Aussage, dass der grösste gemeinsame Teiler wie oben beschrieben als Summe von Vielfachen dargestellt werden kann.
Wir zeigen nun, dass irreduzible Zahlen auch prim sind.
- Angenommen p∈N ist irreduzibel und seien m,n∈N mit p|mn, aber p∤m (also ¬(p|m)). Zeigen Sie, dass es a,b∈Z gibt mit 1=ap+bm. Folgern Sie, dass p|bmn, dass p|(1−ap)n und dass p|n.
Fassen Sie obige Diskussionen in der Form der eindeutigen Primfaktorzerlegung von natürlichen Zahlen zusammen.
Unter Verwendung der Tatsache, dass irreduzible Zahlen prim sind (und umgekehrt), lässt es sich etwas einfacher zeigen, dass die Wurzel aus 2 (oder jeder anderen Primzahl) irrational ist. Wir überlassen das wiederum als Übung (siehe auch dieses Lied).
Wir möchten an dieser Stelle noch kurz erwähnen, dass vielleicht überraschenderweise die tiefgreifende Untersuchung von Primzahlen viele Methoden der Analysis (und auf jeden Fall alle Methoden dieser Analysis-Vorlesung) voraussetzt. Für eine Andeutung dieser Tatsache und einen historischen Exkurs verweisen wir auf den Podcast der BBC.
2.2.5 – Verwendung der ganzen Zahlen und deren Eigenschaften
Die algebraischen und geometrischen Aussagen in diesem Abschnitt über die natürlichen, die ganzen und die rationalen Zahlen stellen bloss die Standardeigenschaften dieser Zahlen dar. Deswegen werden wir die oben bewiesenen Lemmata und Sätze im Folgenden meist ohne Referenz verwenden. Dies gilt ebenso für die vollständige Induktion in Satz 2.16.
Wir werden im Abschnitt 2.6.1 zwei weitere grundlegende Eigenschaften von Z respektive Q beweisen, die die Geometrie von Z und Q als Teilmengen von R beschreiben.
Wir werden oft die Variablen j,k,ℓ,m,n für natürliche oder ganze Zahlen verwenden. Weiters verwenden wir meist die Variable r für rationale Zahlen.
2.3 – Die komplexen Zahlen
Unter Verwendung der reellen Zahlen können wir die Menge der komplexen Zahlen als
definieren. Wir schreiben ein Element z=(x,y)∈C viel häufiger in der Form z=x+yi, wobei das Symbol i als die imaginäre Einheit bezeichnet wird. Man beachte, dass bei dieser Identifikation + vorerst als Ersatz für das Komma zu verstehen ist. Die Zahl x∈R wird als der Realteil von z bezeichnet und man schreibt x=Re(z); die Zahl y=Im(z)∈R ist der Imaginärteil von z. Die Elemente von C mit Imaginärteil 0 bezeichnet man auch als reell und die Elemente mit Realteil 0 als rein imaginär. Via der injektiven Abbildung x∈R↦x+0i∈C identifizieren wir R mit der Teilmenge der reellen Elemente von C (der «x-Achse» ).
Die Menge C (inklusive deren graphische Darstellung wie oben) wird ganz im Sinne der Identifikation C=R2 auch komplexe Ebene (alternativ Gausssche Zahlenebene oder auch Argand-Ebene) genannt. In der geometrischen Denkweise wird die Menge der reellen Punkte als die reelle Achse und die Menge der rein imaginären Punkte als die imaginäre Achse bezeichnet.
Wie Sie vielleicht schon erwartet haben, soll i eine Wurzel von −1 sein. Formal ausgedrückt, wollen wir, dass C einen Körper darstellt, in dem die Rechenoperationen von R «verallgemeinert» werden, und dass i2=i⋅i=−1 gilt. Die Addition auf C definieren wir «komponentenweise» durch
für x1,x2,y1,y2∈R. Die Multiplikation auf C definieren wir hingegen durch
für x1,x2,y1,y2∈R. Insbesondere gilt (0+1i)2=−1+0i und die Addition und Multiplikation auf C erweitern die entsprechenden Operationen auf R.
Proposition 2.34: Komplexe Zahlen
Mit den oben definierten Verknüpfungen definiert C einen Körper, den Körper der komplexen Zahlen. Hierbei ist die Null gleich 0+0i und die Eins gleich 1+0i.
Für die Geschichte der komplexen Zahlen verweisen wir auf den Podcast der BBC (zum Beispiel ab der 14. oder 20. Minute).
Übung 2.35
Wäre R2 mit obiger Addition und mit der (komponentenweisen) Multiplikation definiert durch (a,b)×(c,d)=(ac,bd) für a,b,c,d∈R auch ein Körper? Genauer: Welche Körperaxiome gelten in diesem Fall?
Beweis von Proposition 2.34
Wir verifizieren die Körperaxiome. Wie wir sehen werden, folgen die Eigenschaften der Addition auf C aus den Eigenschaften der Addition auf R. Die Addition ist kommutativ: Seien x1,x2,y1,y2∈R. Dann gilt
Das Element 0+0i ist ein (und schlussendlich also das) Nullelement der Addition, denn
für alle x,y∈R. Die additive Inverse eines Elements x+yi für x,y∈R ist (−x)+(−y)i, denn
Die Addition ist assoziativ: Seien xi,yi∈R für i∈{1,2,3}. Dann gilt
Die Eigenschaften der Multiplikation fordern etwas mehr Aufwand. Wir zeigen zuerst, dass die Multiplikation kommutativ ist. Für x1,x2,y1,y2∈R haben wir
Das Element 1+0i ist ein Einselement, denn 1+0i≠0+0i und für x,y∈R gilt
Wir geben nun die multiplikative Inverse eines Elements x+yi∈C, wobei x,y∈R und x+yi≠0+0i (das heisst x≠0 oder y≠0), an. Wir bemerken zuerst, dass x2+y2>0: Nehmen wir vorerst an, dass x≠0, dann ist x2>0 und y2≥0 und damit x2+y2>0. Für y≠0 gilt ebenso x2≥0 und y2>0 und damit x2+y2>0. Die multiplikative Inverse ist gegeben durch xx2+y2+−yx2+y2i, denn
Die verbleibenden beiden Axiome (Assoziativität der Multiplikation und Distributivität) lassen sich durch abstraktere Argumente beweisen, die aber auch etwas mehr Wissen benötigen. Wir bestätigen diese Axiome deswegen durch zwei konkrete Rechnungen.
Die Multiplikation ist assoziativ: Seien xi,yi∈R für i∈{1,2,3}. Nun berechnet man
Es bleibt nur noch die Distributivität: Seien also xi,yi∈R für i∈{1,2,3}. Dann gilt
womit gezeigt wäre, dass C zusammen mit der oben definierten Addition und der oben definierten Multiplikation ein Körper ist. ∎
Applet 2.36: Komplexe Zahlen
Wir betrachten die Körperoperationen (Addition, Multiplikation, multiplikatives Inverse) auf den komplexen Zahlen. Die wahre geometrische Bedeutung der Multiplikation und des multiplikativen Inversen lässt sich hier bereits erahnen, doch werden wir diese erst später besprechen.
Wie schon zuvor angedeutet, wollen wir R als eine Teilmenge von C auffassen. Vielmehr nennt man R⊆C auch einen Unterkörper, da Addition und Multiplikation auf C eingeschränkt auf R die Addition und Multiplikation auf R ergeben. Wir werden deswegen von nun an für alle x∈R kürzer x=x+0i und xi=0+xi schreiben. Insbesondere wollen wir auch 1=1+0i, 0=0+0i und i=0+1i schreiben. Per Definition der Multiplikation gilt nun i2=−1 wie gewünscht.
Wir wollen ebenso bemerken, dass die komplexen Zahlen keinen angeordneten Körper bilden — unabhängig davon, welche Ordnung man auf C wählt. Angenommen es gäbe eine Ordnung ≤C, so dass C mit ≤C ein angeordneter Körper ist. In einem angeordneten Körper sollte [latex]-1 <_ gelten was aber _ widerspricht abschnitt href="https://wp-prd.let.ethz.ch/WP0-CIPRF9693/chapter/die-reellen-zahlen/#section:real-axiome_von_R">2.1).
An dieser Stelle möchten wir uns kurz fragen, wieso die komplexen Zahlen überhaupt von Interesse sind. Während eine der schönen Eigenschaften der reellen Zahlen deren vollständige Ordnung ist, so zeichnen sich die komplexen Zahlen unter anderem durch algebraische Schönheit aus. Auf C hat nicht nur die Gleichung x2+1=0 eine Lösung, sondern auch jede andere Gleichung der Form anxn+...+a1x+a0=0 für n∈N und a0,a1,...,an∈C mit an≠0 und n>0. Diese Tatsache («C ist algebraisch abgeschlossen» ) ist Inhalt des sogenannten Fundamentalsatzes der Algebra, den wir im zweiten Semester beweisen werden. Intuitiv sollte man in Analogie zu «R ist vollständig, da R keine Lücken hat» den Fundamentalsatz der Algebra lesen als «C hat algebraisch keine Lücken» .
Zum Abschluss dieses ersten Exkurses in das Reich der komplexen Zahlen wollen wir die komplexe Konjugation definieren. Diese ist im Wesentlichen nichts anderes als eine Spiegelung um die reelle Zahlengerade (und wird zum Beispiel in der Linearen Algebra in der Untersuchung von komplexen inneren Produkten unentbehrlich sein).
Im Beweis von Proposition 2.34 wurde die komplexe Konjugation indirekt schon verwendet: die multiplikative Inverse eines von Null verschiedenen Elements x+yi∈C ist
Lemma 2.38: Eigenschaften der Konjugation
Die komplexe Konjugation erfüllt folgende Eigenschaften:
- Für alle z∈C ist zˉz∈R und zˉz≥0. Des Weiteren gilt für alle z∈C, dass zˉz=0 genau dann, wenn z=0.
- Für alle z,w∈C gilt ¯z+w=¯z+¯w.
- Für alle z,w∈C gilt ¯z⋅w=¯z⋅¯w.
Beweis
Wir überlassen der Leserin/dem Leser Teil (i) als Übung. Seien z=x1+y1i und w=x2+y2i∈C für x1,y1,x2,y2∈R. Dann gilt
und
was zu zeigen war. ∎
Wie schon angemerkt wurde, gelten die Folgerungen ()-() in Abschnitt 2.1.1 für alle Körper und insbesondere auch für C.
Wichtige Übung 2.40
Zeigen Sie für alle z,w∈C die Rechenregeln
sowie
Übung 2.41
Zeigen Sie die Identitäten
für alle z∈C. Schliessen Sie insbesondere, dass R={z∈C∣z=¯z}. Was bedeutet diese Gleichheit geometrisch?
Bemerkung
Wie wir gesehen haben, lässt sich auf C keine Ordnung definieren, die zur Addition und zur Multiplikation kompatibel ist. Dennoch lässt sich auf den komplexen Zahlen Analysis betreiben, was zum Teil in diesem Kurs aber vor allem im Kurs «Funktionentheorie» im zweiten Studienjahr des Mathematik- und Physikstudiums thematisiert wird. Grund dafür ist, dass C eine Verallgemeinerung des Vollständigkeitsaxiom erfüllt (welches wir erst nach etwas mehr Theorie besprechen können).
2.3.1 – Verwendung der komplexen Zahlen
Unsere Konstruktion von C aus R mag etwas formal gewesen sein, doch muss man sich eigentlich nur merken, dass i2=−1 und sonst alle gewöhnlichen Eigenschaften für die Addition und Multiplikation gelten. Sogar die Formel für das multiplikative Inverse von z∈C muss man nicht auswendig lernen wenn man sich stattdessen merkt, dass man den Bruch 1z mit dem konjugierten Element ¯z erweitert. Sie werden der komplexen Konjugation noch öfter und insbesondere in der Linearen Algebra-Vorlesung in der Diskussion von «inneren Produkten auf Vektorräumen über C» begegnen. Wir bemerken noch, dass wir manchmal die Variable i (zum Beispiel als Indexvariable) verwenden werden. Man sollte dies allerdings vermeiden, wenn gleichzeitig komplexen Zahlen eine wesentliche Rolle in der Diskussion spielen.
Wir verwenden häufig die Variablen z und w für Elemente der komplexen Zahlen.
2.4 – Intervalle und der Absolutbetrag
2.4.1 – Intervalle
Wie bereits erwähnt, stellen wir R als die Zahlengerade dar. In diesem Bild entsprechen folgende Teilmengen Strecken auf dieser Geraden, wobei wir vier Möglichkeiten haben, je nachdem, ob man die Endpunkte in der Teilmenge haben will oder nicht.
Definition 2.42: Intervalle
Seien a,b∈R. Dann ist das abgeschlossene Intervall [a,b] durch
das offene Intervall (a,b) durch
\begin{aligned}[](a,b) = \left \lbrace {x \in \mathbb {R}} \mid {a [/latex]
das (rechts) halboffene Intervall [a,b) durch
\begin{aligned}[][a,b) = \left \lbrace {x \in \mathbb {R}} \mid {a \leq x [/latex]
und das (links) halboffene Intervall (a,b] durch
\begin{aligned}[](a,b] = \left \lbrace {x \in \mathbb {R}} \mid {a [/latex]
definiert. Wenn das Intervall nicht-leer ist, dann wird a der linke Endpunkt, b der rechte Endpunkt, und b−a die Länge des Intervalls genannt.
Wir möchten an dieser Stelle anmerken, dass beispielsweise die Intervalle (a,b],[a,b),(a,b) für a,b∈R nicht-leer sind genau dann, wenn [latex]a endliche oder beschränkte Intervalle genannt, wenn wir sie von folgenden Intervallen unterscheiden wollen.
Definition 2.43: Unbeschränkte Intervalle
Für a,b∈R definieren wir die unbeschränkten abgeschlossenen Intervalle
und die unbeschränkten offenen Intervalle
\begin{aligned}[](a,\infty ) &= \mathbb {R}_{>a} = \left \lbrace {x\in \mathbb {R}} \mid {a [/latex]
Statt runden Klammern werden manchmal auch umgedrehte eckige Klammern verwendet, um offene und halboffene Intervalle zu bezeichnen. Zum Beispiel findet man anstelle von (a,b) für a,b∈R oft auch ]a,b[ in der Literatur. Wir werden hier stets runde Klammern verwenden.
Der folgende Begriff wird für uns später sehr bedeutsam sein.
Definition 2.44: Umgebungen eines Punktes
Sei x∈R. Ein Menge, die ein offenes Intervall enthält, in dem x liegt, wird auch eine Umgebung von x genannt. Für ein δ>0 wird das offene Intervall (x−δ,x+δ) die δ-Umgebung von x genannt.
Beispielsweise wäre also Q∪[−1,1] eine Umgebung von 0∈R. Falls ein y∈R in einer δ-Umgebung eines Punktes x∈R liegt für ein «kleines» δ>0, so sagt man auch, dass y «δ-nahe» an x ist.
Übung 2.45: Verhalten von Intervallen unter Durchschnitt und Vereinigung
- Zeigen Sie, dass ein endlicher Schnitt ⋂nk=1Ik von Intervallen I1,...,In wieder ein Intervall ist (wobei die leere Menge auch als ein Intervall zugelassen ist). Können Sie die Endpunkte eines nicht-leeren Durchschnitts mittels der Endpunkte der ursprünglichen Intervalle beschreiben?
- Wann ist eine Vereinigung von zwei Intervallen wieder ein Intervall? Was geschieht in diesem Fall, wenn man zwei Intervalle des selben Typs (offen, abgeschlossen, links halboffen, rechts halboffen) vereinigt?
2.4.2 – Der Absolutbetrag auf den reellen Zahlen
Definition 2.46
Der Absolutbetrag ist die Funktion
Wir betrachten zuerst einige Konsequenzen dieser Definition.
Folgerungen
- Für x∈R ist |x|≥0 und |x|=0 genau dann, wenn x=0. Dies folgt aus der Trichotomie von reellen Zahlen: Für x=0 gilt |x|=0, für x>0 gilt |x|=x>0, und für x0.
- Es ist |−x|=|x| für alle x∈R.
- Die Absolutbetrag ist multiplikativ: |xy|=|x||y| für alle x∈R. (Überprüfen Sie dies in den insgesamt vier Fällen, je nachdem, ob x, y negativ sind oder nicht.)
- Für alle x∈R×=R∖{0} gilt |1x|=1|x|. Dies folgt aus (c) wegen |1x||x|=1 für alle x∈R.
- Für alle x,y∈R ist |x|≤y äquivalent zu −y≤x≤y. Denn angenommen |x|≤y. Falls x≥0 dann gilt −y≤0≤x=|x|≤y. Falls [latex]x
- Analog ist für alle x,y∈R die strikte Ungleichung [latex]|x|
- (Dreiecksungleichung) Für alle x,y∈R gilt
|x+y|≤|x|+|y|.
Diese Ungleichung wird auch die Dreiecksungleichung genannt. Sie folgt, in dem wir −|x|≤x≤|x| und −|y|≤y≤|y| wie in (e) addieren und anschliessend auf
−(|x|+|y|)≤x+y≤|x|+|y|wiederum Eigenschaft (e) anwenden.
- (umgekehrte Dreiecksungleichung) Für alle x,y∈R gilt
||x|−|y||≤|x−y|.
Denn die Dreiecksungleichung in (g) zeigt
|x|≤|x−y+y|≤|x−y|+|y|was zu |x|−|y|≤|x−y| führt. Durch Vertauschen von x,y erhalten wir |y|−|x|≤|x−y|. Also ist nach Eigenschaft (e) ||x|−|y||≤|x−y| wie gewünscht.
Übung 2.47
Für welche x,y∈R gilt Gleichheit in der Dreiecksungleichung oder der umgekehrten Dreiecksungleichung?
Für alle x∈R gilt x=sgn(x)|x|, wobei sgn(x) das Vorzeichen (oder Signum) von x ist, welches durch
definiert ist. Das Vorzeichen einer Zahlen ist also genau dann 1 (respektive −1), wenn die Zahl positiv (respektive negativ) ist. Die Zahl 0 ist weder positiv noch negativ und deswegen weist man ihr das «Vorzeichen Null» zu.
Übung 2.48: Absolutbetrag und Quadratwurzel
Zeigen Sie für alle x∈R die Gleichungen x2=|x|2 und √x2=|x|.
Hinweis.
Hinweis: Die Wurzelfunktion wurde in Übung 2.12 eingeführt.
Wir bemerken noch, dass für δ>0 und x∈R die δ-Umgebung von x (siehe Definition 2.44) durch [latex]\left \lbrace {y \in \mathbb {R}} \mid {|x-y| Abstand von x zu y interpretieren. Im Sinne des Wortes «Abstand» kann man ein paar der obigen Folgerungen neu intuitiver ausdrücken. Zum Beispiel besagt (b), dass für x,y∈R die Gleichheit |x−y|=|y−x| erfüllt ist, was also bedeutet, dass der Abstand von x zu y dem Abstand von y zu x gleich ist (wie man sich wünschen könnte). Des Weiteren werden Umgebungen einer reellen Zahl x∈R auch Nachbarschaften von x genannt.
Definition 2.49: Offene und abgeschlossene Teilmengen
Eine Teilmenge U⊆R heisst offen (in R), wenn für jedes x∈U ein ε>0 existiert mit
\begin{aligned}[]\left \lbrace {y \in \mathbb {R}} \mid {|y-x|[/latex]
Eine Teilmenge A⊆R heisst abgeschlossen (in R), wenn ihr Komplement R∖A offen ist.
Intuitiv ausgedrückt ist eine Teilmenge offen, wenn für jeden Punkt x in der Menge alle Punkte, die nahe genug an x sind, wieder in der Menge liegen. Wir kennen bereits Beispiele von offenen Mengen:
Übung 2.50: Offene Intervalle
Zeigen Sie, dass eine Teilmenge U⊆R genau dann offen ist, wenn für jeden Punkt x∈U ein offenes Intervall I mit x∈I und I⊆U existiert. Schliessen Sie, dass die offenen (respektive abgeschlossenen) Intervalle auch im Sinne der obigen Definition offen (respektive abgeschlossen) sind.
Übung 2.51
Entscheiden Sie bei den folgenden Teilmengen von R jeweils, ob sie offen, abgeschlossen oder weder noch sind.
- Die Teilmengen ∅,N,Z,R.
- Die Teilmengen [0,1), (0,1] und (0,1)∪(2,3).
2.4.3 – Der Absolutbetrag auf den komplexen Zahlen
Wir möchten nun den Absolutbetrag auf C so definieren, so dass dieser möglichst viele Eigenschaften des Absolutbetrags auf R hat und mit diesem kompatibel ist. Wir verwenden dazu die Wurzelfunktion, die in Übung 2.12 eingeführt wurde.
An dieser Stelle bemerken wir, dass für z=x+yi∈C die Summe der Quadrate x2+y2 gerade gleich z¯z ist, denn
Somit gilt für alle z∈C
Des Weiteren möchten wir anmerken, dass für ein x∈R der zu Beginn von Abschnitt 2.4.2 definierte Absolutbetrag |x| und der Absolutbetrag von x als Element von C übereinstimmen, da √x¯x=√x2=|x| (vergleiche Übung 2.48). Insbesondere ist die neu eingeführte Notation nicht widersprüchlich und wir haben den Absolutbetrag von R auf C erweitert.
Wir fassen nun einige Eigenschaften des Absolutbetrags auf C zusammen:
Eigenschaften des Absolutbetrags auf C
- (Definitheit) Für alle z∈C gilt |z|≥0 und |z|=0 genau dann, wenn z=0.
- (Multiplikativität) Für alle z,w∈C gilt |zw|=|z||w|.
- (Dreiecksungleichung) Für alle z,w∈C gilt |z+w|≤|z|+|w|.
- (Umgekehrte Dreiecksungleichung) Für alle z,w∈C gilt ||z|−|w||≤|z−w|.
Genauso wie auf R wollen wir mit Hilfe des Absolutbetrags den Abstand zweier Punkte z,w∈C als die nicht-negative Zahl |z−w| auffassen. Wir bemerken noch, dass Definition 2.52 dem Satz von Pythagoras (siehe die entsprechende Übung in Abschnitt 1.7.6) entspricht. Doch haben wir dies als Definition des Absolutbetrages von z=x+yi gewählt, womit es (abgesehen von obigen Eigenschaften) nichts zu beweisen gibt.
Beweis
Zur Definitheit: Per Definition der Wurzel gilt für ein z∈C, dass |z|≥0. Des Weiteren gilt |z|=0 wegen der Injektivität der Wurzelfunktion genau dann, wenn z¯z=0. In Lemma 2.38 wurde jedoch gezeigt, dass z¯z genau dann Null ist, wenn z selbst Null ist. Also folgt die Definitheit des Absolutbetrags.
Für die Multiplikativität verwenden wir die Eigenschaften der Konjugation aus Lemma 2.38 und die Multiplikativität der Wurzel (siehe Übung 2.12(vi)). Seien z,w∈C. Dann gilt
was zu zeigen war.
Für die Dreiecksungleichung betrachten wir z=x1+y1i,w=x2+y2i∈C. Da die Wurzelfunktion Ungleichungen zwischen positive Zahlen erhält (siehe Übung 2.12(iv)), reicht es die Ungleichung |z+w|2≤(|z|+|w|)2 zu zeigen. Wir berechnen
Wie wir sehen werden, reicht es aus die Ungleichung x1x2+y1y2≤|z||w| zu zeigen, die auch als Cauchy-Schwarz-Ungleichung auf C bekannt ist. Tatsächlich gilt
und daher auch x1x2+y1y2≤|x1x2+y1y2|≤|z||w|. Zusammen ergibt sich
Die umgekehrte Dreiecksungleichung folgt ebenso wie im reellen Fall direkt aus der Dreiecksungleichung. ∎
Wie vorhin lässt sich mit Hilfe des Absolutbetrags ein Begriff von Offen- und Abgeschlossenheit einführen. Für die Definition von offenen Mengen in R wurden die symmetrisch um einen zuvor fixierten Punkt liegenden offenen Intervalle verwendet. In Analogie dazu definieren wir folgende Teilmengen von C.
Definition 2.53: Offene Bälle
Der offene Ball mit Radius r>0 um einen Punkt z∈C ist die Menge
\begin{aligned}[]B_r(z) = \left \lbrace {w \in \mathbb {C}} \mid {|z-w|[/latex]
Der offene Ball Br(z) zu r>0 und z∈C besteht also gerade aus jenen Punkten, die Abstand (strikt) kleiner r von z haben. Offene Bälle in C und offene Intervalle in R sind in folgendem Sinne kompatibel: Ist x∈R und r>0, so ist der Schnitt des offenen Balles Br(x)⊆C mit R gerade das offene, symmetrisch um x liegende Intervall (x−r,x+r) (wieso?).
Wichtige Übung 2.54: Durchschnitt von offenen Bällen
Zeigen Sie folgende Eigenschaft von Bällen: Seien z1,z2∈C, r1>0 und r2>0. Für jeden Punkt z∈Br1(z1)∩Br2(z2) existiert ein Radius r>0, so dass
Illustrieren Sie Ihre Wahl des Radius r in einem Bild.
Definition 2.55: Offene und abgeschlossene Teilmengen von C
Eine Teilmenge U⊆C heisst offen (in C), wenn zu jedem Punkt in U ein offener Ball um diesen Punkt existiert, der in U enthalten ist. Formaler: Für alle z∈U existiert ein Radius r>0, so dass Br(z)⊆U. Eine Teilmenge A⊆C heisst abgeschlossen (in C), falls ihr Komplement C∖A offen ist.
Nach Übung 2.54 sind beispielsweise alle Bälle offen.
Applet 2.56: Offener Ball
Wir sehen, dass es für jeden Punkt w in dem offenen Ball Br(z) um z mit Radius r wieder einen Radius ε>0 gibt, so dass der offene Ball um w mit Radius ε ganz in Br(z) enthalten ist.
Es gibt, abgesehen von den offenen Bällen, noch viele weitere, offene Teilmengen von C. Beispielsweise ist jede Vereinigung von offenen Teilmengen offen. Zum Studium der offenen Mengen und damit verwandten Begriffen werden wir in deutlicher grösserer Allgemeinheit im zweiten Semester zurückkehren. Insbesondere wollen wir uns hier noch nicht auf eine ausführliche Diskussion einlassen.
2.5 – Maximum und Supremum
2.5.1 – Maximum und Minimum
Definition 2.57: Maximum
Wir sagen, dass x0=max(X)∈R das Maximum einer Teilmenge X⊆R ist, falls x0∈X und für alle x∈X die Ungleichung x≤x0 gilt.
Wir dürfen in der Tat von dem Maximum einer Teilmenge X⊆R sprechen, da es durch die Definition eindeutig bestimmt ist. Denn falls x0,x′0 beide die Eigenschaften eines Maximums erfüllen, so folgt x0≤x′0 (weil x0∈X und x′0 ein Maximum ist) und x′0≤x0 (weil x′0∈X und x0 ein Maximum ist) und damit x0=x′0.
Ein abgeschlossenes Intervall [a,b] mit Endpunkten [latex]a
Des Weiteren kann R (oder auch Intervalle der Form [a,∞),(a,∞) für a∈R) kein Maximum besitzen, da für beliebige x∈R die Ungleichung [latex]x
Definition 2.58: Minimum
Wir sagen, dass x0=min(X) das Minimum einer Teilmenge X⊆R ist, falls x0∈X und x≥x0 für alle x∈X gilt.
Die obige Diskussion lässt sich auf analoge Weise für das Minimum anwenden. Dieses ist also eindeutig bestimmt, muss aber nicht unbedingt existieren.
2.5.2 – Supremum und Infimum
Definition 2.59: Beschränktheit und Schranken
Eine Teilmenge X⊆R heisst von oben beschränkt, falls es ein s∈R gibt mit x≤s für alle x∈X. Ein solches s∈R nennt man in diesem Fall eine obere Schranke von X. Die Begriffe «von unten beschränkt» und «untere Schranke» sind analog definiert. Eine Teilmenge X⊆R heisst beschränkt, falls sie von oben und von unten beschränkt ist.
Wie wir bereits bemerkt haben, hat zum Beispiel das Intervall (0,1) kein Maximum. Es hat aber obere Schranken, 100 ist ein Beispiel. Natürlich ist 100 keine «gute» obere Schranke; 10 oder auch 2 oder 32 sind kleinere also auch «bessere» obere Schranken. Die absolut beste obere Schranke ist aber durch 1 gegeben. Denn nach Definition von (0,1) ist 1 sicherlich eine obere Schranke und für jede obere Schranke s gilt s≥1. (Falls s0, s+12∈(0,1) und [latex]s
Diese Gedanken führen gemeinsam mit dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom () in Abschnitt 2.1) zu folgendem grundlegenden Begriff.
Satz 2.60: Supremum
Sei X⊆R eine von oben beschränkte, nicht-leere Teilmenge. Dann gibt es eine kleinste obere Schranke von X, die auch das Supremum sup(X) von X genannt wird. Formal gelten also für s0=sup(X) folgende Eigenschaften:
- (s0 ist eine obere Schranke) ∀x∈X:x≤s0
- (s0 ist kleiner gleich jeder oberen Schranke) ∀s∈R:((∀x∈X:x≤s)⟹s0≤s)
Äquivalenterweise kann s0=sup(X) auch durch (1) und die folgende Bedingung definiert werden:
- [(2′)] (Kleinere Zahlen sind keine oberen Schranken) ∀ε>0 ∃x∈X:x>s0−ε.
Um diesen wichtigen Begriff noch etwas genauer zu beleuchten, wollen wir vor dem Beweis noch ein paar Bemerkungen machen.
- Falls das Maximum x0=max(X) existiert, dann ist x0 eine obere Schranke von X und ist vielmehr auch die kleinste obere Schranke, also max(X)=sup(X). Denn aus x0∈X folgt x0≤s für jede obere Schranke s von X.
- Wenn das Supremum sup(X) in X liegt, dann ist sup(X)=max(X), da das Supremum eine obere Schranke ist. Also ist das Supremum eine Verallgemeinerung des Maximums einer Menge.
- Die Formulierung «kleinste obere Schranke» ist natürlich ein Synonym für das Minimum der oberen Schranken und ist dadurch eindeutig bestimmt, falls es existiert.
Beweis von Satz 2.60
Nach Annahme ist X nicht-leer und die Menge der oberen Schranken Y={s∈R∣∀x∈X:x≤s} ist ebenfalls nicht-leer. Des Weiteren gilt für alle x∈X,s∈Y die Ungleichung x≤s. Nach dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom () in Abschnitt 2.1.3) folgt daher, dass es ein c∈R gibt, für das x≤c≤s für alle x∈X und s∈Y. Aus der ersten Ungleichung folgt, dass c eine obere Schranke von X ist. Aus der zweiten Ungleichung folgt, dass c die kleinste obere Schranke von X ist, und daher erfüllt c sowohl (1) als auch (2).
Wir zeigen nun, dass das Supremum auch durch (1) und (2′) charakterisiert wird. Also angenommen s0=sup(X) und ε>0, dann ist s0−εs0−ε. Daher erfüllt s0 auch (2′).
Erfüllt t0∈R nun (1) und (2′), so ist t0 eine obere Schranke und daher ist s0≤t0 nach Definition von s0=sup(X). Falls s00. Nach der zweiten Eigenschaft von t0 gäbe es ein x∈X mit x>s0, was der Definition von s0 als (kleinste) obere Schranke widerspricht. Deswegen muss t0=s0 gelten und s0 ist eindeutig durch die Bedingungen (1) und (2′) bestimmt. ∎
Applet 2.61: Supremum einer beschränkten nicht-leeren Menge
Wir betrachten eine beschränkte nicht-leere Teilmenge von R und zwei äquivalente Charakterisierungen des Supremums dieser Menge.
(*)
In diesem und manchen der folgenden Applets können sie den dargestellten Ausschnitt vergrössern: je nach Gerät mit Mausrad, Auf- und Abbewegung mit zwei Finger auf dem Trackpad, oder auf mobilen Geräten mittels Streckbewegungen mit zwei Finger.
Genauso wie auch andere Konsequenzen des Vollständigkeitsaxioms, die wir behandeln werden, ist die Existenz des Supremums in der Tat äquivalent zum Vollständigkeitsaxiom. In anderen Worten hätten wir anstelle von Axiom () einfach die Aussage von Satz 2.60 fordern können. Mehr dazu finden Sie im Abschnitt 2.8.2.
Für eine von unten beschränkte, nicht-leere Teilmenge X⊆R wird die grösste, untere Schranke auch das Infimum inf(X) von X genannt. Für das Infimum gilt eine ähnliche Aussage wie in Satz 2.60:
Übung 2.62: Existenz des Infimums
Formulieren und beweisen Sie die analoge Aussage zu Satz 2.60 für das Infimum. Sie können dazu wie im Beweis von Satz 2.60 vorgehen oder das Supremum der Teilmenge −X={−x∣x∈X} für eine von unten beschränkte, nicht-leere Teilmenge X⊆R betrachten.
Die in obiger Übung erschienene Notation lässt sich verallgemeinern. Sei x∈R eine reelle Zahl und seien A,B⊆R zwei Teilmengen. Wir definieren
Es gelten also beispielsweise die Identitäten x+A={x}+A, xA={x}A für alle x∈R und A⊆R. Auch gilt [a,b]+[c,d]=[a+c,b+d] für a,b,c,d∈R mit a≤b und c≤d. (Wieso?)
Proposition 2.63: Supremum unter Streckung
Sei A⊆R eine nicht-leere, von oben beschränkte Teilmenge und sei c>0. Dann ist cA von oben beschränkt und es gilt
Wir empfehlen Ihnen hier, sich die Aussage dieser (genauso wie der nächsten) Proposition zuerst am Begriff des Maximums zu veranschaulichen.
Beweis
Sei s=sup(A). Dann gilt a≤s und somit auch ca≤cs für alle a∈A. Da aber jedes Element von cA von der Form ca für ein a∈A ist, erhalten wir, dass cs eine obere Schranke von cA ist und dass cA von oben beschränkt ist.
Sei ε>0. Dann existiert nach Satz 2.60 ein a∈A mit a>s−εc, für welches die Ungleichung ca>cs−ε gilt. Dies zeigt die zweite charakterisierende Eigenschaft des Supremums und wir erhalten sup(cA)=cs=csup(A). ∎
Proposition 2.64: Supremum unter Summen
Seien A,B⊆R zwei nicht-leere, von oben beschränkte Teilmengen von R. Dann ist A+B von oben beschränkt und es gilt
Beweis
Wir definieren sA=sup(A) und sB=sup(B). Dann gilt a≤sA und b≤sB für alle a∈A und b∈B, was a+b≤sA+sB für alle a∈A und b∈B impliziert. Da aber jedes Element von A+B von dieser Form ist, erhalten wir, dass sA+sB eine obere Schranke von A+B ist und dass A+B von oben beschränkt ist.
Sei ε>0. Dann existiert nach Satz 2.60 ein a∈A mit a>sA−ε2 und ein b∈B mit b>sB−ε2, was wiederum a+b>sA+sB−ε impliziert. Dies zeigt die zweite charakterisierende Eigenschaft von sup(A+B) in Satz 2.60 und wir erhalten
∎
2.5.3 – Uneigentliche Werte, Suprema und Infima
In diesem Abschnitt wollen wir die Begriffe «Supremum» und «Infimum» auf beliebige Teilmengen von R erweitern (ohne die in Abschnitt 2.5.2 getroffenen Annahmen). Dazu verwenden wir die Symbole ∞=+∞ und −∞, die keine reellen Zahlen darstellen. Wir definieren die erweiterte Zahlengerade (die auch Zweipunktkompaktifizierung von R genannt wird) durch
und stellen uns diese als die Zahlengerade
vor. Hier haben wir den Punkt +∞ rechts von R und den Punkt −∞ links von R zu der Gerade hinzugefügt. Formaler formuliert: wir erweitern die Relation (Ordnung) ≤ auf ¯R, so dass −∞≤x≤+∞ für alle x∈¯R gilt, aber keine weiteren ≤-Relationen für die Symbole −∞,+∞ erfüllt sind. Inbesondere schreiben wir auch [latex]-\infty
Übung 2.65: Geometrie der Zweipunktkompaktifizierung
Zeigen Sie, dass die Abbildung
bijektiv ist und die Ordnung erhält. Das heisst, für x,y∈R gilt [latex]x
Das Maximum und das Minimum einer Teilmenge X⊆¯R ist nun wie in Abschnitt 2.5.1 definiert (falls es existiert).
Falls X⊆R nicht von oben beschränkt ist, dann definieren wir sup(X)=+∞. Falls X leer ist, setzen wir sup(∅)=−∞ (da jedes x∈R eine obere Schranke von ∅ darstellt). Analog definieren wir inf(∅)=+∞ und inf(X)=−∞, falls X⊆R nicht von unten beschränkt ist.
Folgende Übungen stellen natürliche Eigenschaften von Supremum und Infimum dar. Sie sollten mindestens eine dieser Übungen ausarbeiten. Betrachten Sie hierbei die Spezialfälle, die zu einem uneigentlichen Supremum oder Infimum führen, getrennt und gehen Sie anschliessend wie im Beweis von Proposition 2.64 vor.
Weiter definieren wir für die Übungen die «Rechenregeln»
für alle x∈R und
für alle y>0, wovon wir einen Teil verwenden werden. Die Ausdrücke ∞−∞ und 0⋅∞ oder ähnliche bleiben wohlgemerkt aber undefiniert.
Übung 2.66: Eigenschaften von Supremum und Infimum unter Vereinigung
Seien X,Y zwei Teilmengen von R. Zeigen Sie, dass
Formulieren und beweisen Sie eine analoge Formel für das Infimum von X∪Y.
Übung 2.67: Eigenschaften von Supremum und Infimum unter Summen und Produkten
Seien A,B⊆R zwei nicht-leere Teilmengen. Zeigen Sie, dass
und dass, falls A⊆R>0 und B⊆R>0,
Suchen Sie des Weiteren ähnliche Identitäten für das Infimum.
Übung 2.68
Sei A eine nicht-leere Teilmenge von R. Zeigen Sie, dass
Hierbei ist |A| das Bild von A unter dem Absolutbetrag |⋅| (als Funktion von R nach R).
2.5.4 – Verwendung des Supremums und des Infimums
Das Supremum ist eine natürliche und notwendige Verallgemeinerung des Maximums einer Menge, da letzteres sogar für beschränkte Intervalle nicht existieren muss. Das Supremum kann aber auch hilfreich sein in Situationen, wo das Maximum existiert. Denn falls man beweisen will, dass ein Maximum existiert, dann hat man mit dem Supremum den richtigen Kandidaten und kann den Beweis mit der Existenz des Supremums beginnen. Auf die gleiche Weise ist das Infimum einer Menge eine Verallgemeinerung des Minimums.
Es ist wichtig, dass Sie sich die charakterisierenden Eigenschaften des Supremums und Infimums einprägen, da diese Begriffe fundamentale Bausteine unserer zu entwickelnden Theorie sein werden. Zum Beispiel werden wir das Integral einer Funktion durch ein Supremum definieren (siehe Figur 1.2 und Kapitel 4).
2.6 – Konsequenzen der Vollständigkeit
Wir haben in Abschnitt 2.1 unter Verwendung des Vollständigkeitsaxiom die Wurzelfunktion eingeführt und in Abschnitt 2.5 bereits das Vollständigkeitsaxiom verwendet um die Existenz des Supremums zu beweisen. Letzteres kann aber auch bloss als eine Umformulierung des Vollständigkeitsaxiom betrachtet werden. In diesem Abschnitt werden wir eine bereits bekannte Fragestellung und einige weitere Themen betrachten und erkennen wie nützlich das Vollständigkeitsaxiom sein kann.
2.6.1 – Das Archimedische Prinzip
Mit Hilfe der Existenz des Supremums können wir nun das Archimedische Prinzip beweisen.
Satz 2.69: Das Archimedische Prinzip
Es gelten folgende Aussagen:
- Jede nicht-leere, von oben beschränkte Teilmenge von Z hat ein Maximum.
- Für jedes x∈R existiert genau ein n∈Z mit [latex]n \leq x
- Für jedes ε>0 existiert ein n∈N mit [latex]\frac {1}{n}
Wir können das Archimedische Prinzip beispielsweise verwenden, um folgende Funktionen zu definieren.
- Der ganzzahlige Anteil ⌊x⌋ einer Zahl x∈R ist die nach Satz 2.69 eindeutig bestimmte ganze Zahl n∈Z mit [latex]n \leq x Abrundungsfunktion genannt wird.
- Der gebrochene Anteil (oder auch Nachkommaanteil) ist {x}=x−⌊x⌋∈[0,1) und wir erhalten eine Funktion x∈R↦{x}∈[0,1) mit x=⌊x⌋+{x} für alle x∈R.
Beweis von Satz 2.69
Zu (i): Sei E⊆Z eine nicht-leere und (als Teilmenge von R) von oben beschränkte Teilmenge. Nach Satz 2.60 existiert das Supremum s0=sup(E). Da s0 die kleinste obere Schranke von E ist, existiert ein n0∈E mit [latex]s_0-1 2.19 und Übung 2.27). Daher ist n0 das Maximum von E wie in (i) behauptet.
Zu (ii): Sei x≥0 eine reelle Zahl. Dann ist E={n∈Z∣n≤x} eine von oben beschränkte, nicht-leere Teilmenge von Z (nicht-leer, da 0∈E — hier verwenden wir x≥0). Nach obigem hat E ein Maximum, das heisst, es gibt ein maximales n∈Z mit n≤x. Daraus folgt [latex]x
Falls [latex]x
Für den Beweis der Eindeutigkeit nehmen wir an, dass n1,n2∈Z die Ungleichungen [latex]n_1 \leq x
Zu (iii): Sei ε>0 eine reelle Zahl. Dann gilt auch 1ε>0 und es gibt nach Teil (ii) ein n∈N mit [latex]\frac {1}{\varepsilon }
Übung 2.70: Supremum von Bildmengen
Sei A eine nicht-leere Teilmenge von R. Zeigen Sie, dass im Allgemeinen sup(⌊A⌋)=⌊sup(A)⌋ nicht gilt. Hierbei ist ⌊A⌋ das Bild von A unter der Abrundungsfunktion ⌊⋅⌋:R→R.
Mit Hilfe des Archimedischen Prinzips können wir auch den geometrischen Zusammenhang zwischen Q und R im folgenden Korollar beschreiben. (Ein Korollar ist eine Folgerung aus einer Proposition, einem Satz oder einem Theorem.)
Beweis
Nach dem Archimedischen Prinzip (Satz 2.69 (iii)) existiert ein m∈N mit 1m2.69(ii))ein[latex]n∈Z mit [latex]n-1 \leq ma
und damit das Korollar impliziert, wobei r=nm gewählt wird. ∎
Anders formuliert zeigt obiges Korollar, dass Q jede Umgebung I einer reellen Zahl schneidet (das heisst, I∩Q≠∅), oder auch, dass wir jede reelle Zahl beliebig genau durch rationale Zahlen approximieren können. Die Eigenschaft wird auch als Q ist dicht in R bezeichnet und wird uns später in einem allgemeineren Kontext wiederbegegnen.
Übung 2.72: Jede reelle Zahl ist ein Supremum einer Menge von rationalen Zahlen
Zeigen Sie, dass für jedes x∈R das Supremum von [latex]\left \lbrace {r\in \mathbb {Q}} \mid {r
Übung 2.73: Etwas Diophantische Approximation
Sei a∈R eine reelle, irrationale Zahl. Betrachtet man den Beweis von Korollar 2.71 nochmals, so realisiert man, dass die Existenz einer rationalen Zahl pq∈Q mit
gezeigt wird. Fragen zu Approximation von reellen Zahlen mit rationalen sind Fragestellungen der Diophantischen Approximation. Wir wollen hier auf elementare Weise ein stärkeres Resultat (Dirichlet’s Approximationssatz) zeigen. Sei Q∈N eine natürliche Zahl. Zeigen Sie, dass p∈Z und q∈N mit 1≤q≤Q existieren, die
und insbesondere [latex]\big |a- \frac {p}{q}\big |
Hinweis.
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit kann man a∈[0,1) annehmen (wieso?). Betrachten Sie die Zerlegung in Q «Schubfächer» [0,1)=⨆Q−1i=0[iQ,i+1Q) und die Zahlen {nα} für n∈{0,...,Q} und wenden Sie das Schubfachprinzip an. Sie finden also {mα},{nα} im gleichen Schubfach für zwei verschiedene Zahlen m,n∈{0,...,Q} mit [latex]m
2.6.2 – Häufungspunkte einer Menge
Wie oben bereits erwähnt, kann jeder Punkt in R durch Punkte in Q approximiert werden. Allgemeiner möchten wir nun zu einer Menge A⊆R jene Punkte betrachten, denen A «von aussen» beliebig nahe kommt.
Definition 2.74: Häufungspunkte von Mengen
Sei A⊆R und x0∈R. Wir sagen, dass x0 ein Häufungspunkt der Menge A ist, falls es für jedes ε>0 ein a∈A gibt mit [latex]0
In anderen Worten gibt es für einen Häufungspunkt x0 in jeder Umgebung abgesehen von x0 Punkte in A (wobei es keine Rolle spielt ob x0 in A liegt oder nicht). Die Menge A kommt also ihren Häufungspunkten «von aussen» beliebig nahe.
Übung 2.75: Endliche Mengen haben keine Häufungspunkte
Zeigen Sie, dass eine endlichen Teilmenge A⊆R keine Häufungspunkte besitzt.
Hinweis.
Betrachten Sie für ein x0∈R die Zahl ε=min{|a−x0|∣a∈A∖{x0}} (oder ε=1 falls A={x0}).
Ebenso gibt es unendliche Mengen ohne Häufungspunkte. Zum Beispiel hat A=Z keine Häufungspunkte. In der Tat gibt es für x0∈Z kein n∈Z mit [latex]02.19 und Übung 2.27). Des Weiteren ist für jedes x0∈R∖Z die Zahl ε=min{x0−⌊x0⌋,⌊x0⌋+1−x0} positiv und erfüllt |n−x0|≥ε für alle n∈Z. Für beschränkte unendliche Mengen ist die Situation aber besser wie folgender Satz zeigt.
Satz 2.76: Existenz von Häufungspunkten
Sei A⊆R eine beschränkte unendliche Teilmenge. Dann existiert ein Häufungspunkt von A in R.
Abbildung 2.1 – Wir möchten in diesem Bild die Idee des Beweises von Satz 2.76 erläutern. Wir betrachten das «grösste» x0∈R, für welches links von x0 (im Bild in rot) nur endliche viele Punkte von A (im Bild in grün) liegen. Um genau zu sein, muss ein solches x0 nicht existieren, weswegen wir x0 als das Supremum über alle x mit dieser Eigenschaft nehmen. Schiebt man dieses x0 nun um ein kleines ε>0 nach rechts auf x0+ε, so müssen unendlich viele Elemente von A links von x0+ε liegen. Umgekehrt kann man x0 etwas nach links nach x0−ε schieben, womit nur endlich viele Elemente von A links von x0−ε liegen können. Also befinden sich unendlich viele Elemente von A zwischen x0−ε und x0+ε. Da aber ε beliebig war, muss x0 ein Häufungspunkt von A sein.
Beweis
Angenommen m,M∈R erfüllen A⊆[m,M]. Wir definieren
\begin{aligned}[]X=\left \lbrace {x\in \mathbb {R}} \mid {|A\cap (-\infty ,x]|[/latex]
Dann ist m∈X da |A∩(−∞,m]|≤1. Des Weiteren gilt [latex]x
Sei nun ε>0. Dann existiert ein x∈X mit x>x0−ε, was zeigt, dass A∩(−∞,x0−ε] eine endliche Menge ist, da
gilt. Des Weiteren gilt x0+ε∉X auf Grund der Definition von x0. Damit ist die Kardinalität von A∩(−∞,x0+ε] unendlich. Es folgt, dass
eine unendliche Menge ist und abgesehen von möglicherweise x0,x0+ε noch weitere Punkte besitzen muss. Da ε>0 beliebig war, sehen wir, dass x0 ein Häufungspunkt der Menge A ist. ∎
Insbesondere erkennen wir im Beweis eine stärkere Aussage für den gefundenen Häufungspunkt x0 der Menge A, nämlich dass für alle ε>0 der Durchschnitt A∩(x0−ε,x0+ε) unendlich ist. Dies stellt eine alternative Definition des Begriffs dar.
Übung 2.77: Alternative Charakterisierung von Häufungspunkten
Sei A⊆R und x0∈R. Zeigen Sie, dass x0 genau dann ein Häufungspunkt der Menge A ist, wenn für jedes ε>0 der Durchschnitt von A mit der ε-Umgebung (x0−ε,x0+ε) unendlich viele Punkte enthält.
Die Existenz eines Häufungspunkt in Satz 2.76 kann man als ein Schubfachprinzip der Analysis auffassen: Anstatt einer echten Übereinstimmung wie im regulären Schubfachprinzip für endliche Mengen (wie in Abschnitt 1.6.4) erlauben wir näherungsweise Übereinstimmungen wie in der Definition eines Häufungspunktes und haben einen Punkt gefunden mit dem unendlich viele Punkte der Menge «fast übereinstimmen» . Wir werden noch andere Sätze kennenlernen, bei denen ein beschränktes, abgeschlossenes Intervall ähnliche Eigenschaften wie eine endliche Menge haben wird.
2.6.3 – Intervallschachtelungsprinzip
Der Durchschnitt von ineinander geschachtelten, nicht-leeren Intervallen, das heisst, Intervallen I1⊇I2⊇I3⊆⋯ in R, die kleiner werden, muss nicht unbedingt nicht-leer sein. Zum Beispiel gilt
auf Grund des Archimedischen Prinzip in Satz 2.69. Für abgeschlossene und beschränkte Intervalle ist die Situation aber deutlich besser. Dies ist nochmals eine Konsequenz des Vollständigkeitsaxioms.
Satz 2.78: Intervallschachtelungsprinzip
Sei für jedes n∈N ein nicht-leeres, abgeschlossenes, beschränktes Intervall In=[an,bn] gegeben, so dass für alle natürlichen Zahlen m≤n die Inklusion Im⊇In oder äquivalenterweise die Ungleichungen am≤an≤bn≤bm gelten. Dann ist der Durchschnitt
nicht-leer.
Sollte die Aussage verwirrend sein, überzeugen Sie sich doch zuerst davon, dass
für beliebige a1,a2,b1,b2∈R gilt.
Beweis von Satz 2.78
Nach Annahme gilt für natürliche Zahlen ℓ,m,n mit ℓ≤m≤n die Ungleichung
Insbesondere ist bm eine obere Schranke von {ak∣k∈N}, woraus
folgt. Da m∈N beliebig war, sehen wir nun, dass ¯a=sup{ak∣k∈N}∈R eine untere Schranke von {bm∣m∈N} ist. Daher hat letztere Menge ein Infimum ¯b∈R und wir erhalten
Insbesondere ist der Schnitt ⋂∞n=1In nicht-leer, da er zum Beispiel ¯a enthält. Für x∈R gilt nun die Abfolge von Äquivalenzen
womit ⋂∞n=1[an,bn]=[ˉa,ˉb] gilt und der Satz folgt. ∎
Applet 2.79: Intervallschachtelung
Bei Vergrösserung sehen wir, dass die Intervalle immer wieder weitere Intervalle enthalten. Man kann sich vorstellen, wie dies unbeschränkt weitergeht und der Durchschnitt in dem betrachteten Fall aus der Menge mit nur einem Punkt besteht. (Allerdings können wir dies hier nicht unbeschränkt beobachten, da geogebra nach einigen Vergrösserungen auf die Grenzen der Rechengenauigkeit stösst.)
Übung 2.80: Charakterisierung von Intervallen
- Zeigen Sie, dass eine Teilmenge I⊆R genau dann ein Intervall ist, wenn für alle x,y∈I und alle z∈R die Implikation (x≤z≤y)⟹z∈I gilt.
- Schliessen Sie daraus, dass ein beliebiger Schnitt ⋂I∈II von Intervallen I∈I ein Intervall ist.
Übung 2.81: Zusammenziehende Intervalle
Seien In=[an,bn] für n∈N wie im Satz 2.78 und nehmen Sie zusätzlich an, dass inf{bn−an|n∈N}=0. Intuitiv heisst dies also, dass die betrachteten Intervalle immer kürzer werden. Zeigen Sie, dass in diesem Fall ⋂∞n=1In aus nur einem Punkt besteht.
2.6.4 – Überabzählbarkeit
In diesem Teilabschnitt möchten wir eine klassische Anwendung des Intervallschachtelungsprinzips präsentieren, nämlich den Beweis für die Überabzählbarkeit der reellen Zahlen.
Beweis
Wir wollen den Beweis in der Form eines Spiels zwischen den Spielern Alice und Bob darstellen. Bob behauptet (fälschlicherweise), dass [0,1] abzählbar ist und darf in jedem seiner Züge (von abzählbar vielen Spielzügen) ein weiteres Element auflisten und Alice glaubt ihm nicht. Er hat das Ziel alle Elemente von [0,1] am Ende aufgelistet zu haben und Alice hat das Ziel ein Element zu finden, das Bob nicht aufgelistet hat. Als Gegenzug zur Wahl des jeweiligen Elements von Bob, darf Alice ihr zuletzt konstruiertes Intervall (beginnend mit [0,1]) verkleinern. Wir beschreiben eine Gewinnstrategie für Alice, die bei Befolgung und Anwendung von Satz 2.78 zu einem neuen Element in [0,1] führt, welches von Bob nicht aufgelistet wurde. Das heisst, Alice kann das Spiel immer gewinnen, was beweist, dass Bob nicht Recht hat.
Sei n∈N↦xn∈[0,1] eine beliebige Funktion, die die Züge von Bob vollständig beschreibt. Wir beschreiben nun die Strategie von Alice, die rekursiv Intervalle In=[an,bn] definiert, so dass diese xn∉In erfüllen und den Bedingungen in Satz 2.78 genügen. Für n=1 definieren Alice I1 durch Fallunterscheidung mittels
Dies stellt sicher, dass I1 ein abgeschlossenes Intervall ist, dass x1 nicht enthält. Grob gesagt wählt Alice also I1 als das linke Drittel von [0,1], wenn x1 in der rechten Hälfte liegt, und als das rechte Drittel, wenn x1 in der linken Hälfte liegt.
Angenommen Alice hat bereits In=[an,bn] für ein n∈N definiert und Bob hat in seinem darauffolgenden Spielzug das Element xn+1∈[0,1] gewählt. Alice definiert nun
das heisst, sie verwendet also das vorherige Intervall In, wenn es xn+1 nicht enthält und das rechte (resp. linke) Drittel von In, wenn xn+1 in der linken (resp. rechten) Hälfte von In liegt. Per Konstruktion ist insbesondere In+1⊆In und xn+1∉In+1 erfüllt.
Nach dem Intervallschachtelungsprinzip ist der Durchschnitt I=⋂∞n=1In⊆[0,1] nicht-leer, sagen wir x∈I. Dann ist x≠xn für alle n∈N, da xn∉In nach Konstruktion von In und x∈I⊆In. Alice hat also ein neues Element von [0,1] gefunden, das von Bob nicht aufgelistet wurde.
Formal gesehen, zeigt obiges Argument, dass eine beliebige Abbildung N→[0,1] nicht surjektiv sein kann und das Korollar folgt. ∎
2.6.5 – Die Cantor-Menge*
Wir definieren rekursiv Teilmengen des Intervalles [0,1] durch
für n∈N0. Beispielsweise gilt also
Ziel dieses Teilabschnitts ist es, die Cantor-Menge und ihre schönen «fraktalen» Eigenschaften auszukundschaften. Dazu wollen wir zuerst die Mengen Cn besser verstehen. Grob gesagt wollen wir die für folgendes Bild notwendigen Aussagen treffen:
- (Abfallende Mengen) Für jedes n∈N0 gilt Cn+1⊆Cn. Dies folgt aus einem kurzen Induktionsargument. Für n=0 wurde die Aussage oben bewiesen. Angenommen, dass Cn+1⊆Cn für ein n∈N0. Dann gilt
13Cn+1⊆13Cn⊆Cn+1,13Cn+1+23⊆13Cn+23⊆Cn+1
und also Cn+2⊆Cn+1. Somit folgt die Aussage per vollständiger Induktion.
(Disjunktheit) Die Mengen 13Cn und (13Cn+23) sind disjunkt für jedes n∈N0. Insbesondere gilt Cn+1=13Cn⊔(13Cn+23) für jedes n∈N0. Bei genauerer Betrachtung sieht man sogar, dass 13Cn in [0,13] und (13Cn+23) in [23,1] liegt. Dies impliziert die behauptete Disjunktheit und folgt sofort aus Cn⊆[0,1].
(Zerlegung in Intervalle) Für n∈N0 besteht Cn+1 aus genau doppelt so vielen disjunkten, abgeschlossenen Intervallen wie Cn. Dies folgt aus (ii).
(Von der Zerlegung von Cn zur Zerlegung von Cn+1) Sei I eines der Intervalle in der Zerlegung von Cn und schreibe I=[a,b]. Dann sind [a,a+b−a3] und [b−b−a3,b] zwei Intervalle in der Zerlegung von Cn+1 und
Insbesondere ist die Länge eines Intervalles in Cn+1 ein Drittel der Länge eines Intervalles in Cn. Für n=0 (und auch n=1) haben wir dies bereits direkt nachgerechnet. Wenn dies bereits für Cn und Cn+1 bekannt ist, dann gilt die Aussage auch für die verkleinerten Versionen 13Cn+1⊆13Cn und (13Cn+1+23)⊆(13Cn+23), was wiederum die Aussage für Cn+1 und Cn+2 ergibt.
Wir wenden uns nun der Cantor-Menge C zu. Wir möchten einem Punkt in C eine Art «Adresse» zuweisen. Dazu definieren wir rekursiv die Adresse eines Punktes x∈C wie folgt. Setze
Wir weisen x also die erste Adresse l zu, falls x im linken Drittel von [0,1] liegt und r, falls x im rechten Drittel von [0,1] liegt. Kennen wir die erste Adresse a1(x) von x, so ist I1(x) das entsprechende Intervall, in dem x liegt. Wir fahren genauso fort: Die zweite Adresse von x ist definiert durch
Des Weiteren ist I2(x) das linke Drittel von I1(x), wenn a2(x)=l, und sonst das rechte Drittel. Genauso fährt man fort, um für jedes k∈N0 die k-te Adresse ak(x) von x zu erhalten. Wir erhalten somit eine Liste von Adressen oder genauer eine Abbildung
Die Menge der Abbildung N0→{l,r} schreiben wir als {l,r}N0. Unter dem Strich haben wir also die Funktion
konstruiert, die einem Element in der Cantor-Menge ihre Adressen zuweist. Folgende Beschreibung der Cantor-Menge folgt aus dem Intervallschachtelungsprinzip (Satz 2.78).
Korollar 2.84: Cantor-Menge
Die oben konstruierte Abbildung f:C→{l,r}N0 ist eine Bijektion. Insbesondere ist also C∼{l,r}N0∼{0,1}N0∼P(N0) und die Cantor-Menge ist überabzählbar.
Wir bemerken, dass die letzte Bijektion in obigen Satz auf Grund von Übung 1.76 gilt und die Überabzählbarkeit daher aus Cantor’s Diagonalargument (Theorem 1.74) folgt.
Beweis
Wir zeigen zuerst, dass f surjektiv ist. Sei also a∈{l,r}N0 eine Liste von Adressen. Um Verwirrungen zu vermeiden schreiben wir ak anstelle von a(k) für k∈N0. Genau wie oben (und ähnlich wie im Beweis von Korollar 2.82) diktieren diese Adressen eine Liste von Intervalle I1⊇I2⊇.... Präziser formuliert ist
und rekursiv ist In+1 das linke Teilintervall von In∩Cn+1 falls an+1=l und ansonsten das rechte Teilintervall. Nach dem Intervallschachtelungsprinzip (Satz 2.78) ist ⋂∞k=1Ik nicht-leer und nach Konstruktion in der Cantor-Menge enthalten. Ist x ein Element dieses Schnittes, dann gilt Ik(x)=Ik und insbesondere ak(x)=ak für alle k∈N0. Also ist a(x)=a und f ist surjektiv.
Zur Injektivität von f. Seien x,y∈C mit a(x)=a(y). Dann gilt also auch Ik(x)=Ik(y) für alle k∈N0. Die Punkte x,y liegen beide im Schnitt ⋂∞k=1Ik(x)=⋂∞k=1Ik(y). Wir behaupten, dass die Länge von einem Intervall In in der Zerlegung von Cn kleiner gleich 1n ist. Nach dem Archimendischen Prinzip in Satz 2.69 und Übung 2.81 besteht also ⋂∞k=1Ik(x) aus einem Punkt und somit gilt x=y.
Die Behauptung gilt sicherlich für n=0, da I1=[0,1] Länge 1=11 hat. Angenommen sie gilt für n∈N0. Dann hat ein Intervall In+1 in der Zerlegung von Cn+1 ein Drittel der Länge eines Intervalles in der Zerlegung von Cn und es gilt
Dies schliesst den Beweis der Behauptung ab und impliziert somit den Satz. ∎
Wir stellen die Cantor-Menge im folgenden Applet dar und werden sie einige Male am Rande für weitere «fraktale» Konstruktionen verwenden. Unser Hauptinteresse wird aber bei «glatten» Objekten und weniger bei derartigen «fraktalen» Objekten liegen.
Applet 2.85: Selbstähnlichkeit der Cantor-Menge
Wir stellen hier die Cantor-Menge dar, wobei Sie die Cantor-Menge vergrössern und verschieben können. Sie werden bemerken, dass die Cantor-Menge selbstähnlich ist, da sie den Vergrösserungsfaktor nur an der Beschriftung nicht aber an der Form der dargestellten Teilmenge feststellen können.
Hinweis.
Es scheint unmöglich direkt die Darstellung von überabzählbar vielen Punkten zu programmieren. Deswegen werden hier eigentlich nur sehr viele kleine Teilintervalle von Cn für ein geeignetes n dargestellt, doch werden n und die Teilintervalle dem Vergrösserungsfaktor angepasst. Dies ergibt die gewünschte Darstellung trotz beschränkter Genauigkeit des Computers und des Bildschirms, denn auf Grund von Satz 2.84 und dessen Beweis enthält jedes Teilintervall von Cn tatsächlich Punkte von C.
2.7 – Modelle und Eindeutigkeit der Menge der reellen Zahlen*
Wir wollen in diesem Abschnitt andeuten, warum die Axiome der reellen Zahlen die reellen Zahlen im Wesentlichen eindeutig festlegen. Damit dürfen wir ohne Weiteres eine beliebige Version der reellen Zahlen betrachten oder je nach Zusammenhang auch verschiedene Vorstellungen von reellen Zahlen haben. Zuerst wollen wir aber einige mögliche Modelle der reellen Zahlen ansprechen.
2.7.1 – Ebene Geometrie und die Zahlengerade
Falls wir von der zweidimensionalen euklidischen Geometrie ausgehen, so können wir R definieren indem wir eine Gerade g in der Ebene gemeinsam mit zwei verschiedenen ausgezeichneten Punkten P0,P1∈g auswählen. Addition und Multiplikation wird dann mit geometrischen Konstruktionen (siehe folgendes Applet) so definiert, dass in R=g die Punkte P0 und P1 die Rolle von 0 und 1 in R übernehmen.
Applet 2.86: Definition mittels der Zahlengerade
Wir deuten an, wie man mittels parallelen Geraden die Addition und mittels dem Strahlensatz die Multiplikation auf der Zahlengerade definieren kann.
2.7.2 – Dezimalbrüche
Eine übliche Vorstellung der reellen Zahlen wird durch (im Allgemeinen nicht abbrechenden und vorzeichenbehafteten) Dezimalbrüche gegeben. Die Addition und Multiplikation von Dezimalbrüchen sind durch die bekannten Algorithmen gegeben. Allerdings muss die formale Beschreibung dieser Algorithmen auch nicht abbrechende Dezimalbrüche erlauben und die reellen Zahlen R müssen in diesem Zusammenhang als Quotientenraum von der Menge der Dezimalbrüche modulo einer Äquivalenzrelation definiert werden. Denn zum Beispiel stellen 1.00… und 0.99… dieselbe reelle Zahl dar, und es gibt unendlich viele reelle Zahlen mit zwei Dezimalbruchentwicklungen. Daher muss vor Besprechung der Axiome diese Äquivalenzrelation genau definiert werden und auch gezeigt werden, dass die Algorithmen wohldefinierte Abbildungen auf dem Quotientenraum R definieren.
Insgesamt ist die korrekte Konstruktion mit dieser Methode überraschend aufwendig. Des Weiteren gibt es keinen guten Grund nur Dezimalbrüche zu betrachten und nicht auch andere Basen zu erlauben (zum Beispiel Binärdarstellungen von Zahlen). Letzteres wirft aber die Frage auf, ob denn vielleicht manche Eigenschaften der reellen Zahlen davon abhängen, ob man 10 Symbole oder eine andere Anzahl verwendet. Die Eindeutigkeit der reellen Zahlen verneint diese Frage. Wir werden auf Dezimalbruchentwicklungen im Kapitel 6 nochmals zu sprechen kommen.
2.7.3 – Dedekind-Schnitte
Formal einfacher ist die Konstruktion der reellen Zahlen ausgehend von den rationalen Zahlen durch sogenannte Dedekind-Schnitte, welche nach dem deutschen Mathematiker Dedekind (1831-1916) benannt sind. Hier definiert man R als die Familie aller von oben beschränkten Teilmengen A⊆Q ohne Maximum, welche die Eigenschaft
erfüllen (Strahlen in Q). Der Hinweis, warum dies funktionieren sollte, ist in Übung 2.72 enthalten. Die rationale Zahl r∈Q identifiziert man mit der Teilmenge [latex]\left \lbrace {s\in \mathbb {Q}} \mid {s
2.7.4 – Vervollständigung der rationalen Zahlen
Es gibt eine wichtige Methode, wie man ausgehend von einem Raum mit einer Abstandsfunktion (einem sogenannten «metrischen Raum» ) einen grösseren «vollständigen Raum» definieren kann. Dies erfordert etwas mehr Theorie, die wir im Laufe des ersten Semesters besprechen werden, kann auch auf die Menge Q der rationalen Zahlen angewendet werden und liefert in diesem Fall eine Konstruktion der reellen Zahlen R. Auch hier wird R als Quotientenraum einer grösseren Menge modulo einer Äquivalenzrelation definiert. Wir werden diesen Existenzbeweis später ausführlich besprechen.
2.7.5 – Definition mittels Steigungen
Der schweizer Mathematiker A’Campo (geb. 1941) hat in diesem Jahrhundert (2003) eine weitere kuriose Konstruktion gefunden (siehe [2]). Für dies nennen wir eine Abbildung f:Z→ Z quasi-linear, falls sie die Eigenschaft
hat. Wir bezeichnen die Menge der quasi-linearen Abbildungen mit Q und die Menge der Abbildungen von Z nach Z mit endlichem Bild mit K. Wir bemerken, dass K⊆Q und zum Beispiel idZ∈Q∖K. Man kann nun R als den Quotientenraum von Q definieren, wobei f1,f2∈Q equivalent sind, wenn die Funktion
endliches Bild besitzt, das heisst, in K liegt. Im Sinne der Algebra ist Q bereits eine Gruppe bezüglich «punktweiser Addition» , K⊆Q ist eine Untergruppe, und R=Q/K. Überraschenderweise ist die Multiplikation der reellen Zahlen [f1],[f2]∈Q/K durch [f1∘f2] und die 1 durch [idZ] gegeben. Eine rationale Zahl r∈Q wird in diesem Modell durch die Äquivalenzklasse [fr] der Funktion
dargestellt. Gewissermassen wird hier eine reelle Zahl durch die «durchschnittliche Steigung» einer quasi-linearen Abbildung definiert.
Sie sollten nicht zu viel Zeit dazu verwenden, diese Konstruktion vollständig zu verstehen, denn wir werden im Laufe des ersten Semesters mittels einigen Übungen ein besseres Verständnis für diesen Zugang erhalten. Vor allem aber wollten wir damit und auch mit den anderen, obigen Modellen Ihnen klarstellen, dass es nicht nur eine Art und Weise gibt, wie man die reellen Zahlen finden kann. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Frage nach der Eindeutigkeit.
2.7.6 – Eindeutigkeit
Wie auch in anderen Situationen ist der Beweis der Eindeutigkeit einfacher als der Beweis der Existenz. Er enthält aber trotzdem gewisse Einblicke, die weiterentwickelt auch zum Existenzbeweis beitragen.
Satz 2.87: Eindeutigkeit der reellen Zahlen
Die Axiome von R in Abschnitt 2.1 legen die reellen Zahlen bis auf Isomorphie fest. Genauer formuliert gilt folgende Aussage:
Sei R′ eine weitere Menge, auf der eine Addition, eine Multiplikation und eine kleiner-gleich-Relation definiert sind, so dass alle Axiome der reellen Zahlen erfüllt sind (das heisst, R′ ist ein weiterer vollständiger angeordneter Körper). Wir bezeichnen mit 0′∈R′ das Nullelement in R′ und mit 1′∈R′ das Einselement in R′. Dann existiert eine bijektive Abbildung Φ:R→R′, so dass folgende Eigenschaften erfüllt sind.
- Φ(0)=0′ und Φ(1)=1′.
- (Φ ist additiv) ∀x,y∈R:Φ(x+y)=Φ(x)+Φ(y)
- (Φ ist multiplikativ) ∀x,y∈R:Φ(xy)=Φ(x)Φ(y)
- (Φ ist ordnungserhaltend) ∀x,y∈R:(x≤y⟺Φ(x)≤Φ(y))
Dieser Satz ist befriedigend, da es wegen ihm nicht darauf ankommt, welches Modell der reellen Zahlen man untersucht oder welche Konstruktion ausgehend aus den rationalen (oder auch aus den natürlichen) Zahlen wir verwenden, um die reellen Zahlen zu finden. Eine Abbildung Φ wie in Satz 2.87 nennen wir eine Isomorphie (von angeordneten Körpern), denn sie ist eine Bijektion, die alle Strukturen von R auf die entsprechenden Strukturen von R′ abbildet.
Wie bereits bemerkt, könnte man obigen Satz auch mit Schach vergleichen, wo es ebenso nicht darauf ankommt, ob die Figuren aus Glas, Holz, Plastik oder Metall sind. Denn sobald man die verschiedenen Figuren richtig erkannt hat, besteht eine klare Korrespondenz (eine Isomorphie) zwischen den Figuren in dem Schachspiel aus Glas und dem Schachspiel aus Holz, und weiter kann man mit den einen genau dasselbe machen wie mit den anderen (die Isomorphie erhält alle möglichen Schachzüge).
Wir möchten im Folgenden einen Beweis zur Existenz einer solchen Abbildung Φ skizzieren und überlassen Interessierten die Verifikation einiger Details (siehe Übung 2.89). Wie wir sehen werden besteht der Beweis gewissermassen aus einer Wiederholung vieler fundamentaler Themen aus diesem Kapitel. Etwas überspitzt lässt sich die Idee des Beweises wie folgt darstellen:
Abbildung 2.2 – Wir definieren Φ zuerst so auf 0,1,2,..., dass 0 auf 0′, 1 auf 1′, 2 auf 2′ und so weiter abgebildet wird. Dann erweitern wir Φ auf alle Brüche so, dass beispielsweise 12 auf 1′2′ abgebildet wird, und schliesslich verwenden wir das Supremum von Teilmengen von Q um Φ auf ganz R zu definieren. Dadurch erhalten wir, dass R′ dasselbe ist wie R, nur halt bloss in grün.
Des Weiteren ist folgende Übung ein hilfreicher erster Schritt für den Eindeutigkeitsbeweis.
Übung 2.88
Sei φ:R→R eine bijektive Funktion, die [latex]x
Hinweis.
Zeigen Sie, dass auf Grund der angenommenen Eigenschaft von φ eine obere Schranke (und das Supremum) von einer von oben beschränkten, nicht-leeren Teilmenge A⊆R unter φ auf eine obere Schranke (beziehungsweise das Supremum) von φ(A) abgebildet wird. Nehmen Sie nun φ(r)=r für alle r∈Q an und verwenden Sie Übung 2.72.
Beweisskizze
Angenommen R und R′ sind zwei Mengen von reellen Zahlen, die jeweils die Axiome in Abschnitt 2.1 und damit auch deren Folgerungen in den Abschnitten 2.1, 2.2, 2.5 und 2.6.1 erfüllen. Seien N,N0,Z,Q respektive N′,N′0,Z′,Q′ die in R respektive R′ konstruierten natürlichen Zahlen, ganzen Zahlen und rationalen Zahlen. Wir werden diese verwenden, um die gewünschte Abbildung in mehreren Schritten zu definieren.
Definition von Φ auf N0. Wir verwenden Rekursion, um eine Abbildung Φ0:N0→N′0 mit «guten» Eigenschaften zu definieren. In der Tat setzen wir Φ0(0)=0′, Φ0(1)=1′ und mittels Rekursion für alle n∈N
Mittels vollständiger Induktion in N kann man nun zeigen, dass Φ0 dadurch eindeutig festgelegt ist und dass die Regeln
für alle m,n∈N0 gelten. Die Verifikation dieser Regeln überlassen wir als Übung und ist sehr ähnlich dem Beweis von Lemma 2.18, nach dem N unter Addition und Multiplikation abgeschlossen ist. Des Weiteren gilt
Insbesondere implizieren obigen Eigenschaften, dass Φ0 injektiv ist (wieso?). Da das Bild von Φ0 sowohl 0′ als auch 1′ enthält und induktiv ist, ist Φ0 auch surjektiv und damit bijektiv. Des Weiteren gilt (wegen Lemma 2.24) für m,n∈N0 auch
was auf Grund der obigen Eigenschaften von Φ0 auch
impliziert.
Definition von Φ auf Z. Für n∈Z definieren wir
und erhalten dadurch eine Abbildung ΦZ:Z→Z′, die ebenso obige Eigenschaften erfüllt.
Definition von Φ auf Q. Für m∈Z und n∈N setzen wir ΦQ(mn)=Φ0(m)Φ0(n)∈Q′. Somit erhalten wir eine Abbildung ΦQ:Q→Q′, die noch immer alle gewünschten Eigenschaften erfüllt. Insbesondere gilt a≤b⟺ΦQ(a)≤ΦQ(b) zuerst für a,b∈Z und dann (wegen ΦQ(na)=ΦQ(n)ΦQ(a) für a∈Q und n∈N) auch für a,b∈Q.
Definition von Φ auf R. Für jedes x∈R gilt wegen dem Korollar 2.71 des Archimedischen Prinzip (Satz 2.69) und Übung 2.72
\begin{aligned}[]x = \sup \left \lbrace {r \in \mathbb {Q}} \mid {r [/latex]
Deswegen drängt sich die Definition
\begin{aligned}[]\Phi (x) = \sup {'}\left \lbrace {\Phi _\mathbb {Q}(r)} \mid { r\in \mathbb {Q},\ r[/latex]
für alle x∈R auf, wobei sup′ das Supremum auf den in R′ von oben beschränkten Teilmengen bezeichnet. Dazu gehört auch die Teilmenge [latex]\left \lbrace {\Phi _\mathbb {Q}(r)} \mid { r\in \mathbb {Q},\ r
\begin{aligned}[]\Phi (x) &= \sup {'}\left \lbrace {\Phi _\mathbb {Q}(r)} \mid {r \in \mathbb {Q},\ r [/latex]
da ΦQ die Ordnung erhält. Für x≤y gilt
\begin{aligned}[]\left \lbrace {r \in \mathbb {Q}} \mid {r
und damit
\begin{aligned}[]\Phi (x) = \sup {'}\left \lbrace {\Phi _\mathbb {Q}(r)} \mid {r \in \mathbb {Q},\ r
Für [latex]x2.71, was
und damit [latex]\Phi (x)2.89d) )
[latex]
\begin{aligned}[]\label{eq:real-addeindeutigkeitsbew} \left \lbrace {r \in \mathbb {Q}} \mid {r
was gemeinsam mit dem Verhalten des Supremums unter Summenbildung von Mengen in Proposition 2.64 und der Additivität von ΦQ gerade Φ(x+y)=Φ(x)+Φ(y) impliziert. Insbesondere gilt wegen Φ(0)=0 auch Φ(−x)=−Φ(x) für alle x∈R. Auch gilt für alle x,y∈R>0, dass
[latex]
\begin{aligned}[]\label{eq:real-multeindeutigkeitsbew} \left \lbrace {r \in \mathbb {Q}} \mid {0
und damit Φ(x)Φ(y)=Φ(xy) für alle x,y∈R>0 wegen der Multiplikativität von ΦQ und Übung 2.67. Da wir aber bereits wissen, dass Φ(−x)=−Φ(x) für alle x∈R, gilt Φ(x)Φ(y)=Φ(xy) für alle x,y∈R.
Wir müssen noch zeigen, dass Φ bijektiv ist. Durch Vertauschen von R mit R′ erhalten wir analog eine Funktion Ψ:R′→R, die unter anderem [latex]x'
Überprüfen Sie nun, dass wir damit alle notwendigen Eigenschaften von Φ gezeigt haben. ∎
Übung 2.89
Beweisen Sie die in obiger Beweisskizze unterlassenen Details:
- Zeigen Sie die in obigen Beweis behaupteten Eigenschaften von Φ0.
- Stellen Sie eine Liste von Eigenschaften der Abbildung ΦQ auf (in Analogie zu Φ0) und beweisen Sie diese.
- Zeigen Sie, dass die Einschränkung von Φ auf Q mit ΦQ übereinstimmt.
- Beweisen Sie die Gleichungen (2.1) und (2.2).
- Zeigen Sie, dass jede additive und multiplikative Abbildung ϕ:Q→Q mit ϕ(0)=0 und ϕ(1)=1 die Identitätsabbildung ist.
Hinweis. Verwenden Sie Induktion um zu zeigen, dass ϕ auf N0 mit der Identitätsabbildung übereinstimmt und die Eigenschaften von ϕ, um diese Aussage auf Z und dann auf Q zu erweitern.
2.8 – Weitere Lernmaterialien
2.8.1 – Verwendung des Kapitels
Die Themen dieses Kapitels stellen den Anfang unserer Entwicklung der Analysis dar und sind aus diesem Grunde für das Folgende fundamental. Wie bereits erwähnt werden wir die üblichen Eigenschaften der reellen, natürlichen, ganzen, rationalen und komplexen Zahlen (inklusive der Konjugation komplexer Zahlen) im Folgenden ohne Verweise verwenden. Es ist auch nicht notwendig, die Beweise der elementaren Aussagen in Abschnitt 2.1 auswendig zu lernen. Manche der Beweise in Abschnitt 2.2 sind auch etwas zu formal, als dass sie für das Folgende von grosser Bedeutung sein werden. Für ein fundiertes Verständnis der Induktion sind die besprochenen Varianten der Induktion samt Beweise wichtig und auch die Beweise der algebraischen und geometrischen Aussagen stellen eine gute Übung dar. In Abschnitt 2.4 haben wir einige Ihnen wahrscheinlich bekannte Definition ausgesprochen, doch werden auch die Ihnen wahrscheinlich neuen Begriffe «offen» und «abgeschlossen» zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Die Kernthemen dieses Kapitels sind hingegen in folgender Liste enthalten.
- Das Vollständigkeitsaxiom in Abschnitt 2.1.3.
- Existenz und Eigenschaften des Supremums und Infimums in Abschnitt 2.5 (inbesondere beispielsweise die Unterscheidung von Maximum und Supremum).
- Korollare der Vollständigkeit in Abschnitt 2.6: Das Archimedische Prinzip (Satz 2.69), die Existenz von Häufungspunkten für beschränkte unendliche Mengen (Satz 2.76), das Intervallschachtelungsprinzip (Satz 2.78), und die Überabzählbarkeit von R in Korollar 2.82.
Diese Themen und deren Beweismethoden sind von zentraler Bedeutung für das Folgende und Sie werden weitere Vorlesungsstunden besser verstehen, wenn Sie diese Kernthemen bereits im Gedächnis und auf Abruf bereit haben.
Im Laufe dieses Kapitels haben wir auch bereits einige grundlegende Funktionen eingeführt, welche wir ohne Verweis und mit den üblichen Eigenschaften in Zukunft wieder benötigen werden.
- Die Körperoperationen auf R oder C: Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division.
- Das Quadrieren (⋅)2 auf R oder C.
- Die Quadratwurzel √⋅:R≥0→R≥0.
- Der Absolutbetrag |⋅| auf R oder C.
- Die Vorzeichenfunktion sgn(⋅) auf R.
- Der ganzzahlige Anteil ⌊⋅⌋:R→Z.
- Der Nachkommaanteil {⋅}:R→[0,1).
- Das Maximum max(x,y)=max({x,y}) und das Minimum min(x,y)=min({x,y}) zweier reeller Zahlen x,y∈R ergeben sich als Spezialfälle von Maximum und Minimum der Menge {x,y} (welche auf Grund einer Fallunterscheidung basierend auf die Trichotomie reeller Zahlen immer existieren).
2.8.2 – Weitere Übungsaufgaben
Übung: Parallelogrammidentität
Zeigen Sie für alle z,w∈C die Gleichung
Übung: Mittelsenkrechte
Seien w1,w2∈C zwei verschiedene Punkte. Erklären und beweisen Sie, wieso die Teilmenge {z∈C∣|z−w1|=|z−w2|} eine Gerade ist. Eine Gerade ist dabei eine Teilmenge der Form {a+tv∣t∈R} für a,v∈C.
Übung: Körper mit zwei Elementen
Zeigen Sie, dass die Menge F2 mit den in Übung 2.8 definierten Operationen einen Körper mit zwei Elementen bildet. Wieso gibt es keinen Körper mit nur einem Element?
Übung: Körper von Primzahlordnung
Sei Fp=Z/pZ gegeben wie in Abschnitt 1.5.2 durch Kongruenzen modulo einer Primzahl p. Wie in Übung 1.93 gezeigt wurde, sind wohldefinierte Operationen der Addition und Multiplikation auf Fp durch
für a+pZ,b+pZ∈Fp definiert. Wir möchten in dieser Übung zeigen, dass (Fp,+,⋅) ein Körper ist.
- Zeigen Sie, dass Fp mit diesen beiden Operationen allen Körperaxiomen bis auf () genügt, wobei das Nullelement durch 0+pZ und das Einselement durch 1+pZ gegeben ist.
- Verifizieren Sie mit Division durch Rest, dass Fp genau p Elemente hat (und insbesondere endlich ist).
- Zeigen Sie, dass jedes Element a+pZ≠0+pZ von Fp eine multiplikative Inverse besitzt. Betrachten Sie dazu die Multiplikation mit diesem Element auf Fp und überprüfen Sie zuerst, dass diese injektiv (und damit auch surjektiv) ist.
- Zeigen Sie, dass es keine Ordnung auf Fp gibt, die Fp zu einem angeordnetem Körper macht.
Somit haben wir für jede Primzahl p ein Körper dieser Kardinalität konstruiert. Aus ähnlichen Gründen wie auch für C lässt sich auf keinem dieser Körper eine Ordnung definieren, die diese zu geordneten Körper macht. Wir bemerken auch, dass sich für jede Primzahlpotenz wie zum Beispiel 4 oder 9 ein Körper definieren lässt; siehe nächstes Kapitel.
Hinweis.
Für (iii) dürfen Sie auch Übung 2.33 verwenden.
Übung
Entscheiden Sie bei den folgenden Teilmengen von C jeweils, ob sie offen, abgeschlossen oder weder noch sind.
- Die Zahlenmengen ∅,N,Z,R,C.
- Die Teilmenge der komplexen Zahlen mit Absolutbetrag Eins.
- Das Rechteck [latex]\left \lbrace {z\in \mathbb {C}} \mid {a
Übung: Topologie auf R und C
Sei T die Menge der offenen Teilmengen von C. Zeigen Sie, dass folgende Eigenschaften erfüllt sind.
- ∅∈T und C∈T.
- Für U1,...,Un∈T ist ⋂ni=1Ui∈T.
- Für eine Kollektion U⊆T gilt ⋃U∈UU∈T.
In Worten ausgedrückt sind also endliche Schnitte und beliebige Vereinigungen von offenen Mengen offen. Die analoge Aussage gilt für die offenen Teilmengen von R. Was gilt für abgeschlossene Mengen?
In Abschnitt 2.6.1 haben wir bereits beschrieben, was Dichtheit der rationalen Zahlen in R bedeutet. Allgemeiner sagt man, dass eine Teilmenge A⊆R dicht ist, wenn für jedes offene, nicht-leere Intervall I⊆R der Schnitt I∩A nicht-leer ist.
Übung: Charakterisierung von Dichtheit
Zeigen Sie, dass folgende Aussagen über eine Teilmenge A⊆R äquivalent sind.
- A ist dicht.
- Die Menge der Häufungspunkte von A ist gleich R.
- Jede abgeschlossene Menge, die A enthält, ist gleich R.
Übung: Dichtheit der irrationalen Zahlen
Zeigen Sie, dass die Menge R∖Q der irrationalen Zahlen dicht liegt in R.
Hinweis.
Verschieben Sie die Menge der rationalen Zahlen um eine irrationale Zahl.
Übung
Berechnen Sie die Häufungspunkte folgender Teilmengen von R.
Übung: Supremum als Häufungspunkt
Sei A⊆R eine von oben beschränkte Teilmenge. Zeigen Sie, dass A ein Maximum besitzt oder das Supremum von A ein Häufungspunkt der Menge A ist.
Übung: Überabzählbare Mengen haben Häufungspunkte
Sei A⊆R überabzählbar (aber möglicherweise unbeschränkt). Zeigen Sie, dass dann A einen Häufungspunkt besitzt.
Hinweis.
Betrachten Sie die Durschschnitte A∩[−n,n] für n∈N und ob diese endlich oder unendlich sind.
Übung
Finden Sie für jedes n∈N ein Intervall In=[an,bn] mit rationalen Endpunkten an,bn∈Q wie in obigem Satz, so dass ⋂∞n=1In={√2} gilt. Schliessen Sie daraus, dass das Intervallschachtelungsprinzip in Q nicht erfüllt ist. (Hierbei ist ein Intervall in Q definiert als der Durchschnitt von Q mit einem reellen Intervall mit rationalen Endpunkten.)
Übung: Das Vollständigkeitsaxiom und das Supremum
Zeigen Sie, dass Satz 2.60 zum Vollständigkeitsaxiom (Axiom ()) äquivalent ist. Genauer formuliert: zeigen Sie, dass die Axiome eines angeordneten Körpers (das wären Axiome (1)—(15)) gemeinsam mit der Aussage in Satz 2.60 das Vollständigkeitsaxiom (Axiom (16)) implizieren.
Übung: Weitere Formen des Vollständigkeitsaxioms
Zeigen Sie in Analogie zu obiger Übung, dass
- der Satz über die Existenz von Häufungspunkten sowie
- das Intervallschachtelungsprinzip zusammen mit dem Archimedischen Prinzip
(unter Annahme der Axiome eines angeordneten Körpers (1)—(15)) äquivalent sind zum Vollständigkeitsaxiom.
Übung
Zeigen Sie, dass jede offene Teilmenge von R überabzählbar ist.
Hinweis.
Verifizieren Sie der Einfachheit halber zuerst, dass (0,1) überabzählbar ist.
Übung: Multiplikation mit 3 auf der Cantor-Menge
Zeigen Sie, dass die Abbildung
wohldefiniert ist. Intuitiv sagt uns die Abbildung m3 also, dass Cn+1 aus zwei Hälften besteht, die jeweils aussehen wie kontrahierte Kopien von Cn. (Wieso?)
Übung: Rechtecksschachtelungprinzip in C
Wir bezeichnen eine Menge der Form
als ein abgeschlossenes beschränktes Rechteck. Beweisen Sie folgendes Rechtecksschachtelungsprinzip in C: Seien Rn für jedes n∈N ein abgeschlossenes beschränktes Rechteck so dass Rm⊇Rn für m≤n. Dann ist der abzählbare Durchschnitt ⋂∞n=1Rn nicht-leer.
Übung: Häufungspunkte in C
Sei A⊆C und z0∈C. Dann heisst z0 ein Häufungspunkt von der Menge A falls es zu jedem ε>0 ein a∈A gibt mit 00 mit A⊆BM(0)) Teilmenge. Zeigen Sie, dass ein Häufungspunkt der Menge A in C existiert.
Eine kurze Anleitung: Auf Grund der Beschränktheit der Menge A existiert ein D>0 so dass A⊆[−D,D]×[−D,D]. Sie können für den Beweis zuerst obiges Rechtecksschachtelungsprinzip beweisen und dann verwenden. Alternativ können Sie den Beweis von Satz 2.76 adaptieren: definieren Sie
\begin{aligned}[]X=&\left \lbrace {x\in \mathbb {R}} \mid {\bigl |A\cap ([-\infty ,x]\times \mathbb {R})\bigr |{\; \; } 0: \bigl |A\cap ([x_0-\varepsilon ,x_0+\varepsilon ]\times (-\infty ,y])\bigr |{\; [/latex]
und zeigen Sie, dass x0+y0i ein Häufungspunkt ist.
2.8.3 – Multiple-Choice Fragen
In folgendem Fragen-Typ können Sie aus mehreren verschiedenen Lösungsvarianten auswählen (Multiple-Choice). Es ist dabei nicht unbedingt nur eine Lösung richtig.
Übung
Sei A⊆R und x0∈R. Welche der folgenden Aussagen sind äquivalent zur Aussage, dass x0 ein Häufungspunkt von A ist?
- [latex]\forall \varepsilon > 0\ \exists ! a \in A: 0
- [latex]\forall \varepsilon > 0\ \exists a \in A: 0
- [latex]\exists \varepsilon _0 > 0\ \forall \varepsilon \in (0,\varepsilon _0)\ \exists a \in A: 0
- [latex]\forall \varepsilon > 1\ \exists a \in A: 0
Übung
Welche der folgenden Punkte liegen in der Cantor-Menge?
- 23
- 716
- 827
- 415
Übung: Challenge
Gibt es eine Kollektion {At∣t∈R} von Teilmengen von N mit der Eigenschaft At⊊At′ für alle [latex]t
2.8.4 – Lernkarten
Für das Lernen der Themen dieses Kapitels könnten wieder die Lernkarten helfen.
Des Weiteren können Sie auch die Zusammenhänge der einzelnen Sätze dieses Kapitels mit Hilfe folgenden Graphen wiederholen. (Die Darstellung wird zufällig generiert, und es empfiehlt sich die Knoten des Graphen etwas logischer zu platzieren.)
- R. Remmert and Ullrich, P.: Elementare Zahlentheorie (Birkhäuser Basel, 2008) ↵
- N. A'Campo: A natural construction for the real numbers (arXiv preprint, 2003) ↵