Wir wollen hier grösstenteils einer Arbeit [1]von John Milnor (Fields-Medaillenträger von 1962) aus 1978 folgen und zwei interessante geometrisch-topologische Aussagen beweisen, die üblicherweise Teil der algebraischen Topologie und der Differentialtopologie sind. Im Rahmen dieser beiden Themengebiete ergibt sich natürlich auch eine vollständigere Erklärung, als wir hier bewerkstelligen können.
C.1 – Der Satz des gekämmten Igels
Ein (idealisierter) gekämmter Igel besteht aus einem Vektorfeld auf der Kugeloberfläche, welches bei jedem Punkt [latex]p[/latex] die Lage und die Richtung der Stacheln angibt. Hierbei wollen wir aber nur die Situation zulassen, in der die Richtung der Stacheln an einem Punkt [latex]p[/latex] in der Tangentialebene der Kugeloberfläche bei [latex]p[/latex] liegen (der Igel soll ja gekämmt sein). Des Weiteren bestehen wir darauf, dass das Vektorfeld zumindest stetig ist. Wir wollen folgende Aussage beweisen:
Ein «Glatzpunkt» ist eine Stelle, bei der die Länge der Stachel gleich Null ist; also ein Punkt auf der Kugeloberfläche, wo das Vektorfeld verschwindet.
Eine physikalische Interpretation der obigen Aussage ist durch das «Problem des globalen Windes» gegeben: Die (Ableitung nach der Zeit der) Windströmungen auf der Erde zu einem gegebenen Zeitpunkt definieren ein stetiges Vektorfeld auf der Erdoberfläche. Die Aussage ist somit, dass es zu jedem Zeitpunkt einen Ort auf der Erde gibt, wo Windstille herrscht.
Für die mathematische Formulierung ist es von Vorteil, nicht nur dreidimensionale Igel und Erden zu betrachten. Sei also [latex]n \geq 2[/latex] und
die [latex](n-1)[/latex]-dimensionale Sphäre. Ein stetiges Tangentenfeld auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] ist eine stetige Funktion
wobei wir [latex]f[/latex] mitunter mit der Abbildung [latex]p \in \mathbb {S}^{n-1} \mapsto (p,f(p)) \in \mathrm {T}_p \mathbb {S}^{n-1}[/latex] identifizieren. Wir sagen, dass das Tangentenfeld nirgends verschwindet, falls [latex]f(p) \neq 0[/latex] für alle [latex]p \in \mathbb {S}^{n-1}[/latex] gilt. Der folgende Satz wurde von Poincaré formuliert und von L. E. J. Brouwer (1881-1966) im Jahr 1910 bewiesen, siehe [2].
Theorem C.1: Igelsatz, engl. Hairy Ball Theorem
Sei [latex]n \geq 2[/latex]. Es gibt genau dann ein nirgends verschwindendes, stetiges Tangentenfeld auf der Sphäre [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex], wenn [latex]n[/latex] gerade ist.
Die «erste Häfte» des Beweises ist relativ einfach und für [latex]n = 2[/latex] durch folgendes Bild gegeben.
Allgemeiner können wir für [latex]n = 2k[/latex] zu [latex]k \in \mathbb {N}[/latex] ein nirgends verschwindendes Tangentenfeld [latex]f: \mathbb {S}^{n-1} \to \mathrm {T} \mathbb {S}^{n-1}[/latex] durch
für [latex]p = (p_1,p_2,p_3,p_4,\ldots ,p_{2k-1},p_{2k}) \in \mathbb {S}^{n-1}[/latex] definieren.
Die «zweite Hälfte» ist erheblich schwieriger, da wir alle möglichen stetigen Tangentenfelder auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] betrachten müssen. Wir werden den Beweis in Abschnitt C.5 auf folgende Übung zurückführen.
Übung C.2
Zeigen Sie, dass die Funktion [latex]t \in [0,1] \mapsto \bigl (\sqrt {1+t^2}\bigr )^n[/latex] genau dann durch ein Polynom gegeben ist, wenn [latex]n \in \mathbb {N}[/latex] gerade ist.
C.2 – Der Brouwersche Fixpunktsatz
Der folgende Satz wurde 1910 von Hadamard [3]und Brouwer [4]bewiesen.
Theorem C.3: Brouwerscher Fixpunktsatz
Sei [latex]m\in \mathbb {N}[/latex]. Eine stetige Funktion [latex]T: \mathbb {D}^m \to \mathbb {D}^m[/latex] auf der abgeschlossenen Einheitskugel [latex]\mathbb {D}^m = \overline {B_1(0)} \subseteq \mathbb {R}^m[/latex] hat stets einen Fixpunkt (also ein [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex] mit [latex]T(p) = p[/latex]).
Der Spezialfall [latex]m=1[/latex] ist ein Korollar eines Satzes aus dem ersten Semester.
Für [latex]m \geq 2[/latex] gibt es genügend anschauliche Erklärungen. Zum Beispiel gibt es beim Umrühren eines Getränkes stets einen Punkt der Flüssigkeit, der sich vor und nach dem Umrühren an derstelben Stelle befindet. Eine weitere Veranschaulichung erhält man, wenn man zwei gleich grosse Kreisscheiben aus Papier ausschneidet, eine der beiden auf willkürliche Art und Weise zusammenfaltet und anschliessend auf die andere Kreisscheibe legt (ohne über den Rand zu reichen). Hier besagt obiger Fixpunktsatz, dass es einen Punkt in der gefalteten Kreisscheibe gibt, der nach der Faltung in der neuen Kreisscheibe die gleichen Koordinaten besitzt wie vor der Faltung.
C.3 – Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatzes via dem Igelsatz
In diesem Abschnitt möchten wir unter Annahme des Igelsatzes (Theorem C.1) den Brouwerschen Fixpunktsatz (Theorem C.3) beweisen. Hierfür aber auch für den Beweis im nächsten Unterabschnitt wird folgendes Lemma nützlich sein.
Lemma C.5: Igelperücke, Retraktion
Sei [latex]m\geq 2[/latex] und [latex]T:\mathbb {D}^m\to \mathbb {D}^m[/latex] eine stetige Abbildung. Falls [latex]T[/latex] keine Fixpunkte besitzt, dann gibt es ein nirgends verschwindendes stetiges Vektorfeld [latex]g[/latex] auf [latex]\mathbb {D}^m[/latex] mit Werten in [latex]\mathbb {S}^{m-1}[/latex] und [latex]g(p) = p[/latex] für alle [latex]p\in \mathbb {S}^{m-1}[/latex]. Falls des Weiteren [latex]T[/latex] eine glatte Fortsetzung auf einer offenen Obermenge von [latex]\mathbb {D}^m[/latex] hat, so gilt dies auch für [latex]g[/latex].
Wir können uns das Vektorfeld als eine vorgekämmte Igelperücke vorstellen, und werden das Vektorfeld unten auch auf diese Weise verwenden um damit eine Kämmung der oberen Halbspäre zu erzielen, die am Rand alle Stacheln nach unten zeigen lässt. Ganz genau können wir uns die Kämmung der Perücke nicht vorstellen, da diese eigentlich nicht existieren sollte.
Dieser Typ an Abbildung wird in der Algebraischen Topologie auch eine Retraktion genannt, da sie gewissermassen die Einheitskugel [latex]\mathbb {D}^m[/latex] auf stetige Art und Weise auf die Sphäre [latex]\mathbb {S}^{m-1}[/latex] zurückzieht.
Wir wollen zuerst für [latex]m=2[/latex] ein geometrisches Argumente für die Konstruktion von [latex]g[/latex] geben: Da [latex]T[/latex] keinen Fixpunkt besitzt, können wir für jeden Punkt eine eindeutig bestimmte Gerade durch [latex]p[/latex] und [latex]T(p)[/latex] finden, welche den Kreis [latex]\mathbb {S}^1 = \partial \mathbb {D}^2[/latex] in genau zwei Punkten schneidet; siehe folgendes Bild.
Zu [latex]p \in \mathbb {D}^2[/latex] definieren wir [latex]g(p) \in \mathbb {S}^1[/latex] als jenen Schnittpunkt der Geraden durch [latex]p[/latex] und [latex]T(p)[/latex] mit dem Einheitskreis [latex]\mathbb {S}^1[/latex], der auf der Seite von [latex]p[/latex] liegt. In Formeln definieren wir die Richtung
in die wir gehen wollen und den Punkt
Eine Rechnung zeigt nun, dass [latex]g(p) \in \mathbb {S}^1[/latex] für [latex]p \in \mathbb {D}^2[/latex] den oben beschrieben Punkt definiert und dass [latex]g(p) = p[/latex] für alle [latex]p \in \mathbb {S}^1[/latex]. Diese Definitionen sind auch für beliebige [latex]m\geq 2[/latex] sinnvoll, doch wollen wir ein etwas anderes Argument ausführen.
Beweis
Sei [latex]T:\mathbb {D}^m \to \mathbb {D}^m[/latex] stetig so dass [latex]T(p) \neq p[/latex] für alle [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex] gilt. Wir definieren für [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex] den Vektor
Da [latex]\left \langle {p}, {T(p)} \right \rangle \leq \| {p}\| \| {T(p)}\| \leq 1[/latex] für alle [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex] ist und Gleichheit nur gelten kann, wenn [latex]\| {p}\| =1[/latex] und [latex]T(p) = p[/latex] zutrifft, definiert dies ein stetiges Vektorfeld auf [latex]\mathbb {D}^m[/latex]. Des Weiteren ist [latex]f(p) \neq 0[/latex] für alle [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex]. Dies folgt direkt aus der Definition, wenn [latex]p[/latex] und [latex]T(p)[/latex] linear unabhängig sind. Sind [latex]p[/latex] und [latex]T(p)[/latex] linear abhängig, so gilt [latex]\left \langle {p}, {p} \right \rangle T(p) = \left \langle {p}, {T(p)} \right \rangle p[/latex] und
da per Annahme [latex]T[/latex] keinen Fixpunkt hat. Schlussendlich bemerken wir noch, dass für [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex] mit [latex]\| {p}\| =1[/latex] die Gleichung
gilt. Schlussendlich definieren wir [latex]g(p)=\| f(p)\| ^{-1}f(p)[/latex] für alle [latex]p\in \mathbb {D}^m[/latex], was nun die gewünschten Eigenschaften erfüllt.
Falls [latex]T[/latex] auf einer offenen Obermenge von [latex]{\mathbb {D}^m}[/latex] definiert und glatt ist, so können wir obige Formeln auch auf einer (möglicherweise etwas kleineren) offenen Obermenge von [latex]{\mathbb {D}^m}[/latex] für die Definition einer glatten Abbildung [latex]g[/latex] verwenden. ∎
Informell besteht der Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatzes mittels des Igelsatzes aus dem «Zusammenfügen von zwei Igelperücken» .
Beweis von Theorem C.3
Wir betrachten zuerst den Fall [latex]m = 2k[/latex] für [latex]k \geq 1[/latex] und setzen [latex]n = m+1[/latex]. Nach dem Igelsatz (Theorem C.1) gibt es somit kein nirgends verschwindendes Tangentenfeld [latex]\mathbb {S}^m \subseteq \mathbb {R}^n[/latex].
Wir wollen das «hypothetische Vektorfeld» [latex]g[/latex] von Lemma C.5 nun von [latex]\mathbb {D}^m[/latex] auf die nördliche Hemisphäre von [latex]\mathbb {S}^m[/latex] verschieben. Zur Vereinfachung der Notation verschieben wir die Sphäre [latex]\mathbb {S}^m[/latex], so dass [latex]e_n[/latex] der Mittelpunkt von [latex]\mathbb {S}^m[/latex] ist, das heisst, [latex]\mathbb {S}^m = \left \lbrace {q \in \mathbb {R}^n} \mid {\| {q-e_n}\| =1}\right \rbrace[/latex]. Wir betrachten nun die stereographische Projektion [latex]\Phi : \mathbb {R}^m \to \mathbb {S}^m[/latex] als Parametrisierung der oberen Hemisphäre, welche wie in folgendem Bild gegeben ist.
Eine kurze Rechnung zeigt, dass die stereographische Projektion durch
gegeben ist. Die Abbildung [latex]\Psi[/latex], welche durch
für [latex](q,z) \in \mathbb {R}^n[/latex] mit [latex]z \neq 0[/latex] definiert ist, erfüllt [latex]\Psi \circ \Phi = \text {Id}[/latex]. Da sowohl [latex]\Phi[/latex] als auch [latex]\Psi[/latex] differenzierbar sind, erhalten wir mit der Kettenregel (Satz 10.13) [latex]\thinspace {\rm {D}}_{\Phi (p)}\Psi \cdot \thinspace {\rm {D}}_p \Phi = I_m[/latex] und damit hat [latex]\thinspace {\rm {D}}_p \Phi[/latex] für alle [latex]p \in \mathbb {R}^m[/latex] trivialen Kern. Insbesondere ist [latex]\left \lbrace {\Phi (p)} \right \rbrace \times \thinspace {\rm {D}}_p \Phi (\mathbb {R}^m) = \mathrm {T}_{\Phi (p)} \mathbb {S}^m[/latex] (wieso?).
Wir definieren für [latex](q,z) \in \mathbb {S}^{n-1}[/latex] mit [latex]z \geq 1[/latex] nun das Tangentenfeld
In Worten verwenden wir also den nicht-verschwindenden Vektor [latex]g(p)[/latex] bei dem Punkt [latex]p \in \mathbb {D}^m[/latex], der [latex](q,z)[/latex] entspricht, gemeinsam mit der Ableitung [latex]\thinspace {\rm {D}}_{p} \Phi[/latex] der Parametrisierung, um das Vektorfeld bei [latex](q,z)[/latex] zu definieren. (Dies ist eine Standardprozedur, wenn man ein Vektorfeld auf einer Karte via einer Parametrisierung auf ein Stück einer Teilmannigfaltigkeit schieben möchte.)
Für [latex]p \in \partial \mathbb {D}^m[/latex] mit [latex]\| {p}\| =1[/latex] gilt des Weiteren [latex]g(p) = p[/latex]. Um daraus [latex]f(p,1)[/latex] zu berechnen, betrachten wir den Weg [latex]\gamma :t \mapsto tp[/latex] und erhalten
Also zeigt das Tangentenfeld am Äquator direkt nach unten. Wir können [latex]f[/latex] auf ganz [latex]\mathbb {S}^m[/latex] fortsetzen, indem wir die obere Hemisphäre und das Tangentenfeld nach unten spiegeln, aber anschliessend das Tangentenfeld auf der unteren Hemisphäre mit [latex]-1[/latex] multiplizieren. Dies bewirkt, dass die Tangentenfelder auf der unteren und der oberen Hemisphäre beide am Äquator jeweils den Wert [latex](0,-1)[/latex] annehmen. Wir können diese also zu einem nirgends verschwindenden Tangentenfeld [latex]f[/latex] auf [latex]\mathbb {S}^m[/latex] zusammenfügen. Dies widerspricht dem Igelsatz (Theorem C.1). Also muss [latex]T[/latex] einen Fixpunkt besitzen.
Wir betrachten nun den Fall, wo [latex]m[/latex] ungerade ist. Sei also [latex]m = 2k+1[/latex] für [latex]k \geq 1[/latex] und [latex]T: \mathbb {D}^m \to \mathbb {D}^m[/latex] eine stetige Abbildung. Wir definieren nun eine stetige Abbildung
durch
für [latex]p\in \mathbb {D}^m[/latex] und [latex]z\in [-1,1][/latex] mit [latex](p,z) \in \mathbb {D}^{m+1}[/latex]. Nach obigem besitzt [latex]\tilde {T}[/latex] einen Fixpunkt [latex](p,z) = \tilde {T}(p,z) = (T(p),0)[/latex] und daher gilt dasselbe auch für [latex]T[/latex]. ∎
Übung C.6
Für gerade Dimensionen [latex]m[/latex] hat obiger Beweis gezeigt, dass die Retraktion aus Lemma C.5 nicht existieren kann. Verwenden Sie nun den Satz von Brouwer (Theorem C.3) um dies für alle [latex]m\in \mathbb {N}[/latex] zu zeigen.
Hinweis: Betrachten Sie die Abbildung [latex]T(p)=p-\delta g(p)[/latex] für [latex]p\in \mathbb {D}^m[/latex] und ein geeignet gewähltes [latex]\delta >0[/latex].
C.4 – Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatzes via dem Divergenzsatz im Zwei- und Dreidimensionalen
Wir wollen hier einen zweiten Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatz geben, der anstatt des Igelsatzes die Divergenzsätze verwendet.
Lemma C.7: Reduktion auf glatte Abbildungen
Für den Beweis von Theorem C.3 genügt es für jedes [latex]m\in \mathbb {N}[/latex] glatte Abbildungen [latex]T[/latex] zu betrachten, die auf einer Obermenge von [latex]\mathbb {D}^m[/latex] definiert sind und [latex]T(\mathbb {D}^m)\subseteq \mathbb {D}^m[/latex] erfüllen.
Beweis
Sei [latex]m \geq 1[/latex] und [latex]T: \mathbb {D}^m \to ~\mathbb {D}^m[/latex] eine stetige Abbildung. Wir wollen annehmen, dass jede glatte Abbildung [latex]\tilde {T}[/latex], welche auf einer offenen Obermenge von [latex]\mathbb {D}^m[/latex] definiert ist, Werte in [latex]\mathbb {R}^m[/latex] hat und [latex]\tilde {T}(\mathbb {D}^m)\subseteq \mathbb {D}^m[/latex] erfüllt, einen Fixpunkt besitzt und daraus ableiten, dass auch [latex]T[/latex] einen Fixpunkt besitzt. Um ausgehend von [latex]T[/latex] derartige glatte Abbildungen [latex]\tilde {T}[/latex] zu finden, bedienen wir uns der Faltung im Abschnitt .6.1, welche wir auf die stetige Fortsetzung
der Abbildung [latex]T[/latex] anwenden wollen.
Wir definieren [latex]\tilde {T}_k = \psi _k \ast \overline {T}[/latex], wobei [latex]\psi _k: \mathbb {R}^m \to \mathbb {R}_{\geq 0}[/latex] wie in Proposition .57 eine glatte Abbildung mit kompaktem Träger in [latex]B_{\frac {1}{k}}(0)[/latex] und mit [latex]\int _{\mathbb {R}^m} \psi _k \thinspace {\rm {d}} \operatorname {vol} =1[/latex] ist. Nach Proposition .55 ist [latex]\tilde {T}_k[/latex] für jedes [latex]k\geq 1[/latex] glatt. Nach Proposition 9.77 und Proposition .57 strebt [latex]\tilde {T}_k[/latex] eingeschränkt auf [latex]\mathbb {D}^m[/latex] gleichmässig gegen [latex]T[/latex] für [latex]k \to \infty[/latex]. Des Weiteren gilt für [latex]p \in \mathbb {R}^m[/latex]
das heisst [latex]\tilde {T}_k[/latex] bildet [latex]\mathbb {D}^m[/latex] wieder nach [latex]\mathbb {D}^m[/latex] ab.
Per Annahme existiert für jedes [latex]k\in \mathbb {N}[/latex] ein Fixpunkt [latex]p_k \in \mathbb {D}^m[/latex] der Abbildung [latex]\tilde {T}_k[/latex]. Da [latex]\mathbb {D}^m[/latex] kompakt ist, existiert eine konvergente Teilfolge [latex](p_{k_\ell })_{\ell }[/latex] der Folge [latex](p_k)_k[/latex] mit Grenzwert [latex]q\in \mathbb {D}^m[/latex]. Auf Grund der gleichmässigen Konvergenz folgt nun, dass
was zu beweisen war. ∎
Wie schon angekündigt, möchten wir nun den Brouwerschen Fixpunktsatz mittels Divergenzsatz und Lemma C.5 beweisen.
Beweis von Theorem C.3 für [latex]m=2[/latex]
Sei nun [latex]T[/latex] eine glatte Abbildung auf einer offenen Obermenge von [latex]\mathbb {D}^2[/latex] mit Werten in [latex]\mathbb {R}^2[/latex] so dass [latex]T(\mathbb {D}^2)\subseteq \mathbb {D}^2[/latex]. Wir wollen annehmen, dass [latex]T[/latex] keinen Fixpunkt in [latex]\mathbb {D}^2[/latex] besitzt und werden daraus einen Widerspruch ableiten.
Ausgehend von [latex]g = \left (\begin{smallmatrix}g_1 \\ g_2\end{smallmatrix}\right )[/latex] wie in Lemma C.5 definieren wir das Vektorfeld
und erhalten
Da aber [latex]g[/latex] nur Werte in [latex]\mathbb {S}^1[/latex] annimmt, folgt aus dem Satz über die inverse Abbildung (Satz 11.5), dass [latex]\det (\thinspace {\rm {D}} g) = 0[/latex] gilt. Daher ist [latex]f[/latex] divergenzfrei und es gilt
Das Flussintegral von [latex]f[/latex] ist aber gleich
Dieser Widerspruch zeigt, dass [latex]T[/latex] doch einen Fixpunkt in [latex]\mathbb {D}^2[/latex] besitzen muss. ∎
Beweis-Idee von Theorem C.3 für [latex]m=3[/latex]
Für eine Abbildung [latex]T: \mathbb {D}^3 \to \mathbb {D}^3[/latex] können wir wiederum [latex]g[/latex] wie in Lemma C.5 verwenden. Das Vektorfeld [latex]f[/latex] definiert man in diesem Fall durch
Eine Rechnung zeigt nun wiederum, dass [latex]\operatorname {div}(f) = \det (\thinspace {\rm {D}} g) = 0[/latex]. Andererseits gilt aber [latex]g(p)=p[/latex] für alle [latex]p\in \mathbb {S}^2[/latex] und man kann dies benützen um
zu zeigen, wobei man den drei-dimensionalen Divergenzsatz (für [latex]\tilde {f}[/latex] definiert durch [latex]\tilde {g}=I[/latex]) verwenden kann um die Rechnung abzukürzen. Dies führt wieder zu einem Widerspruch und damit muss der Brouwer Fixpunktsatz auch für [latex]m=3[/latex] gelten. ∎
Bemerkung
Die Definition der Vektorfelder in den obigen Beweisen für [latex]m=2[/latex] und [latex]m=3[/latex] ist in unserer Darstellung etwas mysteriös. Verwenden wir stattdessen Differentialformen, so kann man in allen Dimensionen [latex]m\geq 2[/latex] mittels
einen einheitlichen Ausdruck angeben, welcher die Rolle des Vektorfeldes [latex]f[/latex] übernimmt. Gemeinsam mit der entsprechenden Formulierung des Satzes von Stokes kann man dann einen Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatz in allen Dimensionen angeben.
C.5 – Beweis des Igelsatzes
Im Folgenden sei [latex]n \geq 2[/latex].
Lemma C.8: Glatte Version auf Kugelschale
Falls es ein stetiges nirgends verschwindendes Tangentenfeld auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] gibt, dann existiert auch eine glatte Funktion [latex]f: \mathbb {R}^n \to \mathbb {R}^n[/latex], so dass [latex]\| {f(p)}\| = \| {p}\|[/latex] und [latex]f(p) \perp p[/latex] für alle [latex]p[/latex] in der Kugelschale
Beweis
Sei [latex]g: \mathbb {S}^{n-1} \to \mathbb {R}^n[/latex] ein stetiges nirgends verschwindendes Tangentenfeld auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex]. Wir definieren das Vektorfeld [latex]\tilde {g}:\mathbb {R}^n\to \mathbb {R}^n[/latex] durch
Dies definiert eine stetige Fortsetzung von [latex]g[/latex] auf ganz [latex]\mathbb {R}^n[/latex]. Als nächstes definieren wir
mit Hilfe einer glatten Funktion [latex]\psi[/latex] mit kompaktem Träger in [latex]B_\delta (0)[/latex] wie in Proposition .57. Nach Proposition .55 ist [latex]\tilde {f}[/latex] glatt und nach Proposition .57 können wir erreichen, dass [latex]\tilde {f}[/latex] gleichmässig nahe an [latex]\tilde {g}[/latex] ist, wenn wir [latex]\delta >0[/latex] geeignet wählen.
Wir definieren nun eine weitere Abbildung [latex]\overline {f}[/latex] durch
für alle [latex]p \in \mathbb {R}^n[/latex]. Insbesondere erhalten wir, dass [latex]\overline {f}(p)[/latex] für [latex]p \in \mathbb {S}^{n-1}[/latex] gleichmässig und beliebig nahe an [latex]\tilde {g}(p) - \left \langle {\tilde {g}(p)}, {p} \right \rangle p = g(p) \neq 0[/latex] ist. Da [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] kompakt ist, ist
und wir können [latex]\delta[/latex] klein genug wählen, so dass [latex]\overline {f}[/latex] auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] ebenfalls nirgends verschwindet.
Sei nun [latex]\psi _1: \mathbb {R} \to \mathbb {R}[/latex] eine glatte Funktion mit [latex]\psi _1(t) =1[/latex] für alle [latex]t\in [1,2][/latex] und mit Träger in [latex][\frac {1}{2},3][/latex] (welche man aus Satz .60 für [latex]K=[1,2][/latex] und [latex]O_1=(\frac 12,3)[/latex] erhält). Dann erfüllt das Vektorfeld [latex]f[/latex] gegeben durch
für [latex]p \in \mathbb {R}^n[/latex] alle Aussagen des Lemmas. ∎
Proposition C.9: Diffeomorphismus zwischen Kugelschalen
Seien [latex]f: \mathbb {R}^n \to \mathbb {R}^n[/latex] und die Kugelschale [latex]K[/latex] wie in Lemma C.8. Es existiert ein [latex]T >0[/latex], so dass für alle [latex]t \in (0,T)[/latex] die Funktion [latex]\Phi _t[/latex] definiert durch
ein Diffeomorphismus ist. Des Weiteren ist [latex]\Phi _t[/latex] orientierungserhaltend und [latex]\Phi _t(K) = \sqrt {1+t^2}\, K[/latex] ist die Kugelschale mit innerem Radius [latex]\sqrt {1+t^2}[/latex] und äusserem Radius [latex]2 \sqrt {1+t^2}[/latex].
Beweis
Für [latex]t \in \mathbb {R}[/latex] ist die Ableitung von [latex]\Phi _t[/latex] wie in der Proposition für alle [latex]p\in B_3(0)[/latex] durch
gegeben. Wir wählen [latex]T = \frac {1}{2} M^{-1}[/latex], wobei
und erhalten, dass [latex]\thinspace {\rm {D}}_p \Phi _t[/latex] für alle [latex]t \in (0,T)[/latex] und alle [latex]p \in \overline {B_3(0)}[/latex] auf Grund von [latex]\| {t \thinspace {\rm {D}}_p f}\| \leq \frac {1}{2}[/latex] invertierbar ist. Für [latex]p,q \in \overline {B_3(0)}[/latex] gilt des Weiteren
und daher
Dies zeigt, dass [latex]\Phi _t[/latex] auf [latex]B_3(0)[/latex] injektiv ist und damit nach Korollar 11.8 einen Diffeomorphismus [latex]\Phi _t: B_3(0) \to \Phi _t(B_3(0))[/latex] definiert.
Sei nun [latex]p \in K[/latex]. Dann gilt [latex]\| {f(p)}\| = \| {p}\|[/latex] und [latex]f(p) \perp p[/latex] nach Lemma C.8. Daher folgt
Dies zeigt die Inklusionen
[latex]
\begin{aligned}[]\label{eq:app-expspherealongtangents} \Phi _t (r \mathbb {S}^{n-1}) &\subseteq \sqrt {1+t^2}\, r \mathbb {S}^{n-1}\end{aligned}
[/latex]
für alle [latex]r \in [1,2][/latex] sowie
Um die Gleichheit [latex]\Phi _t(K) = \sqrt {1+t^2}\, K[/latex] zu zeigen, bemerken wir zuerst, dass für [latex]r \in (1,2)[/latex] die Menge [latex]\Phi _t (r \mathbb {S}^{n-1})[/latex] eine relativ offene Teilmenge von [latex]\sqrt {1+t^2}\, r\mathbb {S}^{n-1}[/latex] ist. In der Tat ist [latex]\Phi _t(K^\circ )[/latex] eine offene Teilmenge von [latex]\mathbb {R}^n[/latex], da [latex]\Phi _t[/latex] ein Diffeomorphismus ist. Wegen (C.1) für alle [latex]r\in (1,2)[/latex] gilt dann, dass
in [latex]\sqrt {1+t^2}\, r \mathbb {S}^{n-1}[/latex] relativ offen ist. Da aber [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] kompakt ist, ist nach Satz 9.72 dass Bild [latex]\Phi _t (r \mathbb {S}^{n-1})[/latex] auch kompakt und somit abgeschlossen. Da [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex] jedoch zusammenhängend ist (was zum Beipiel mit [latex]n[/latex]-dimensionalen Kugelkoordinaten gezeigt werden kann), muss jede nicht-leere offene und abgeschlossene Teilmenge die ganze Menge sein und es folgt
für alle [latex]r\in (1,2)[/latex]. Daher gilt [latex]\Phi _t(K^\circ ) =\sqrt {1+t^2}\, K^\circ[/latex]. Da [latex]K = \overline {K^\circ }[/latex] kompakt ist, folgt mit
dass [latex]\Phi _t(K) = \sqrt {1+t^2}\, K[/latex] wie behauptet. ∎
Korollar C.10: Volumenformel
Sei [latex]n\geq 1[/latex] und sei [latex]K[/latex] die Kugelschale [latex]\left \lbrace {p \in \mathbb {R}^n} \mid {1 \leq \| {p}\| \leq 2}\right \rbrace[/latex]. Angenommen es gibt ein stetiges nirgends verschwindendes Tangentenfeld auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex]. Dann gibt es ein [latex]T > 0[/latex], so dass das Volumen von [latex]\sqrt {1+t^2}\, K[/latex] ein Polynom in [latex]t\in (0,T)[/latex] (und Grad kleiner oder gleich [latex]n[/latex]) ist.
Beweis
Nach Annahme gibt es ein Vektorfeld [latex]f: \mathbb {R}^n \to \mathbb {R}^n[/latex] wie in Lemma C.8. Seien [latex]T > 0[/latex] und [latex]\Phi _t[/latex] für [latex]t \in (0,T)[/latex] wie Proposition C.9. Wir berechnen das Volumen von [latex]\sqrt {1+t^2}\, K = \Phi _t(K)[/latex] durch Substitution (siehe Satz .56). Dazu definieren wir [latex]X = B_3(0)[/latex], [latex]Y = \Phi _t(B_3(0))[/latex] und [latex]f= \mathds {1}_{\Phi _t(K)}[/latex] und erhalten
Expandieren wir [latex]\det (I + t \thinspace {\rm {D}}_p f)[/latex], so erhalten wir ein Polynom in [latex]t[/latex] mit Koeffizienten, die stetig von [latex]p \in K[/latex] abhängen. Durch Integration über [latex]p \in K[/latex] folgt das Korollar. ∎
Beweis des Igelsatzes (Theorem C.1)
Sei [latex]n= 2k+1[/latex] ungerade. Angenommen es existiert ein stetiges, nirgends verschwindendes Tangentenfeld auf [latex]\mathbb {S}^{n-1}[/latex]. Aus Korollar C.10 folgt nun, dass [latex]\operatorname {vol}(\sqrt {1+t^2}\, K)[/latex] ein Polynom in [latex]t \in (0,T)[/latex] ist. Wenden wir die lineare Substitution in Proposition .49 an, so ergibt sich stattdessen
Da dies aber kein Polynom in [latex]t\in (0,T)[/latex] ist, erhalten wir einen Widerspruch und der Igelsatz folgt. ∎
C.6 – Erweiterungen und Anwendungen
Der Brouwersche Fixpunktsatz hat ebenso wie der Banachsche Fixpunktsatz zahlreiche Anwendungen, auch ausserhalb der Analysis und der Mathematik. Zum Beispiel wurde er von John Nash in 1950 für den Beweis des Nash Gleichgewichts [5], [6]verwendet, welches für Spieltheorie und Ökonomie von zentraler Bedeutung ist. Obwohl sich die Ökonomie weiterentwickelt hat, sind auch manche neuere Gleichgewichtssätze Korollare des Brouwerschen Fixpunktsatzes.
Eine amüsantere (aber irrelevantere) Anwendung ist durch folgende Beschreibung gegeben. Angenommen ein Boot fährt auf dem Zürichsee und macht mehrere starke Kurven. Sie kennen den Weg des Bootes schon zu Beginn und wollen den ganzen Weg über stehend schlafen. Dann gibt es eine ideale Orientierung und Neigung zum Boden, so dass Sie ohne weiter auf ihre Haltung zu achten bis zum Ende der Bootsfahrt nicht umfallen. Dies folgt gewissermassen aus dem zweidimensionalen Satz von Brouwer. Sei [latex]p\in \mathbb {D}^2[/latex] ihre Ausgangsneigung. Die Schwerkraft und jede Kurve bewirken über die Bootsreise gewisse Änderungen der Neigung. Die Punkte in [latex]\mathbb {S}^1=\partial \mathbb {D}^2[/latex] entsprechen einem «in einer bestimmten Richtung Hinlegen oder Fallen» . Wir wollen davon ausgehen, dass man sich nach dem Hinfallen nicht mehr bewegt. Dadurch erhält man eine Abbildung [latex]f:\mathbb {D}^2\mapsto \mathbb {D}^2[/latex], die am Rand mit der Identität übereinstimmt und welche die Ausgangsneigung auf die Endneigung abbildet. Nach dem Beweis in Abschnitt C.3 muss ein derartiges Vektorfeld eine Nullstelle besitzen. Also gibt es eine Ausgangsneigung so dass man am Ende der Reise genau senkrecht steht.
Wir erwähnten in Abschnitt .1.6 den Jordanschen Kurvensatz und betrachteten den Fall von glatten Wegen. Für stetige Funktionen ist der Satz aber überraschend schwierig zu beweisen; einer der kürzesten Beweise verwendet den Brouwerschen Fixpunktsatz als zentrales Hilfsmittel, siehe [7].
Eine weitere Anwendung besteht aus einem sehr kurzen Beweis des allgemeinen Satz von Perron-Frobenius (siehe auch Abschnitt 9.4.2): Wenn [latex]A\in \operatorname {Mat}_{n,n}(\mathbb {R})[/latex] eine nichtnegative Matrix ist so dass jede Spalte ungleich Null ist, dann gibt es einen Eigenvektor [latex]v[/latex] mit nichtnegativen Eintragungen. Hierzu setzt man [latex]S=\left \lbrace {v\in [0,1]^n} \mid {\| v\| _1=1}\right \rbrace[/latex] und [latex]T(v)=\| Av\| _1^{-1}Av\in S[/latex] für alle [latex]v\in S[/latex]. Da es topologisch keinen Unterschied zwischen dem Simplex [latex]S[/latex] und der Kreisscheibe [latex]\mathbb {D}^{n-1}[/latex] gibt, besagt der Brouwersche Fixpunktsatz in diesem Fall, dass es einen Eigenvektor von [latex]A[/latex] in [latex]S[/latex] gibt.
Der Brouwersche Fixpunktsatz wurde in vielen Richtungen weiter verallgemeinert. Der Kakutani Fixpunktsatz betrachtet mengenwertige Funktionen auf kompakten konvexen Teilmengen von [latex]\mathbb {R}^n[/latex] und hat neben mathematischen Anwendungen ebenso Anwendungen in Spieltheorie und Ökonomie.
Das Satz von Borsuk-Ulam [8]nimmt eine andere Richtung und besagt, dass es zu jeder stetigen Funktion [latex]f:\mathbb {S}^m\to \mathbb {R}^m[/latex] einen Punkt [latex]p\in \mathbb {S}^m[/latex] mit [latex]f(p)=f(-p)[/latex] gibt. Also gibt es zum Beispiel zu jedem Zeitpunkt einen Punkt [latex]p[/latex] auf der Erde, so dass an der genau gegenüberliegenden Stelle auf der Erdoberfläche (also in [latex]-p[/latex]) die gleiche Temperatur und der gleiche Luftdruck herrscht wie bei [latex]p[/latex].
Zu guter Letzt wollen wir noch kurz eine Verschärfung vom Igelsatz erwähnen: Für welche [latex]m[/latex]-dimensionale Mannigfaltigkeiten [latex]M[/latex] gibt es [latex]m[/latex] stetige nirgends verschwindendende Tangentenfelder, so dass die Werte dieser Tangentenfelder bei jedem Punkt eine Basis des Tangentialraums bilden? (Man spricht in diesem Fall von einem trivialen Tangentenbündel, da damit das Tangentenbündel in einem geeigneten Sinn zu [latex]M\times \mathbb {R}^m[/latex] isomorph ist.) Spezieller wollen wir fragen, für welche [latex]m\geq 2[/latex] dies für die [latex]m[/latex]-dimensionalen Sphären [latex]\mathbb {S}^m[/latex] zutrifft. Die Antwort mag etwas überraschen, denn wie von Kervaire [9](1927-2007, ETH-Absolvent) gleichzeitig und getrennt von Bott und Milnor [10]in 1958 gezeigt wurde, ist dies genau für [latex]m=1[/latex], [latex]m=3[/latex], und [latex]m=7[/latex] der Fall. Diese Fälle sind mit gewissen algebraischen Strukturen (genauer den komplexen Zahlen, den Hamiltonsche Quaternionen und den Oktonionen) verknüpft, doch gibt es keine weiteren Sphären mit dieser Eigenschaft.
Wir hoffen, dass diese Sätze Ihnen klar veranschaulichen, dass die Mathematik des letzten Jahrhundert auch sehr interessante und mitunter überraschend relevante Aussagen enthält, die auf Grund des benötigten Vorwissen allerdings nicht in dem gleichen Ausmass bekannt sind wie die Differential- und Integralrechnung.
- J. Milnor: Analytic Proofs of the "Hairy Ball Theorem" and the Brouwer Fixed Point Theorem (The American Mathematical Monthly, 1978) ↵
- L.E.J. Brouwer: Über die Abbildungen von Mannigfaltigkeiten (Mathematische Annalen, 1911) ↵
- J. Hadamard: Sur quelque applications de l'indice de Kronecker (in Jules Tannery: Introduction à la théorie des fonctions d'une variable, 1910) ↵
- L.E.J. Brouwer: Über die Abbildungen von Mannigfaltigkeiten (Mathematische Annalen, 1911) ↵
- J. Nash: Equilibrium points in [latex]n[/latex]-person games (Proceedings of the National Acadamy of Sciences, 1950) ↵
- J. Nash: Non-cooperative games (Annals of Mathematics, 1951) ↵
- R. Maehara: The Jordan Curve Theorem Via the Brouwer Fixed Point Theorem (The American Mathematical Monthly, 1984) ↵
- K. Borsuk: Drei Säetze über die [latex]n[/latex]-dimensionale euklidische Sphäre (Fundamenta Mathematicae, 1933) ↵
- M. Kervaire: On the non-parallelizability of the [latex]n[/latex]-sphere for [latex]n > 7[/latex] (Proceedings of the National Academy of Sciences, 1958) ↵
- R. Bott and Milnor, J.: On the parallelizability of spheres (Bull. Amer. Math. Soc, 1958) ↵