In diesem kurzen Abschnitt möchten wir das sogenannte «Basler Problem» lösen und
zeigen. Die Konvergenz der Reihe haben wir bereits in Beispiel 6.14 als eine der ersten Beispiele konvergenter Reihen gesehen, doch haben wir den Wert der Reihe mit den Methoden der Analysis 1 nicht berechnen können. Ähnlich wie bei der Besprechung des Werts der alternierenden harmonischen Reihe oder der Leibniz-Reihe in Abschnitt 8.1 werden wir ein allgemeineres Resultat zeigen, nämlich dass
[latex]
\begin{aligned}[]\label{eq:fourier-series for x(x-1)} \frac 16 - \sum _{n \in \mathbb {Z}\setminus \left \lbrace {0} \right \rbrace } \frac {1}{2\pi ^2n^2}\mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x} = \frac {1}{6}- \sum _{n=1}^\infty \frac {1}{\pi ^2n^2} \cos (2 \pi n x) = x(1-x)\end{aligned}
[/latex]
für alle [latex]x \in [0,1][/latex]. Hier werden wir jedoch sogenannte Fourier-Reihen im Beweis verwenden.
Eine weitere Motivation zur Betrachtung von Fourier-Reihen findet man in der Musiktheorie. Was macht den Unterschied der Note [latex]A[/latex] auf der Klanggabel, dem Horn und der Klarinette aus? Alle drei haben die Frequenz [latex]440[/latex] Hz. Im Gegensatz zur Klanggabel sind beim Horn und bei der Klarinette abgesehen von der Grundschwingung zu [latex]440[/latex] Hz weitere Obertöne vorhanden. Die Amplituden dieser Schwingungen sind für die Klangfarbe verantwortlich. In diesem Sinne ist die mathematische «Definition der Klarinette» durch
gegeben (siehe auch diesen Link). Detailliertere Erklärungen finden sich unter diesem Link. Dieses Experiment des Physik-Departments zeigt verschiedene Arten von Schwingungen, die auf einer Saite erzeugt werden können; weitere solche findet man hier.
Wir kehren nun zur mathematischen Diskussion zurück.
Definition A.1
Eine Funktion [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] ist [latex]\mathbf {\mathbb {Z}}[/latex]–periodisch (periodisch mit Periode [latex]1[/latex]), falls
für alle [latex]x \in \mathbb {R}[/latex] und [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex].
Die wichtigsten Beispiele von [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodischen Funktionen sind die Funktionen
für [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex]. Die [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodischen Funktionen sind, wie wir gleich sehen werden, genau die Funktionen auf dem eindimensionalen Torus.
Formal ist der eindimensionale Torus also der Quotient von [latex]\mathbb {R}[/latex] bezüglich der Äquivalenzrelation [latex]\sim[/latex] gegeben durch [latex]x \sim y \iff x-y \in \mathbb {Z}[/latex] für alle [latex]x,y\in \mathbb {R}[/latex] (wieso?). Als Menge kann man [latex]\mathbb {T}[/latex] durch die Bijektion
mit dem Intervall [latex][0,1)[/latex] identifizieren.
Wie schon erwähnt wurde, gibt es eine eineindeutige Korrespondenz (das heisst, eine Bijektion)
Zum einen definiert eine Funktion [latex]F: \mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex] die [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Funktion [latex]f:x\in \mathbb {R} \mapsto F(x+\mathbb {Z})\in \mathbb {C}[/latex]. Umgekehrt induziert eine [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Funktion [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] eine wohldefinierte Funktion [latex]F: \mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex], indem man [latex]F(x+\mathbb {Z}) = f(x)[/latex] für [latex]x + \mathbb {Z} \in \mathbb {T}[/latex] setzt. Hierbei war [latex]\mathbb {Z}[/latex]-Periodizität fundamental (wieso?). Interessierte können diese Diskussion mit der allgemeineren Diskussion nach Beispiel 1.65 vergleichen. Wir werden im Folgenden [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Funktionen auf [latex]\mathbb {R}[/latex] und Funktionen auf [latex]\mathbb {T}[/latex] oft miteinander identifizieren.
Im Sinne der obigen Korrespondenz nennen wir eine Funktion [latex]F: \mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex] stetig, falls [latex]f: x\in \mathbb {R} \mapsto F(x+\mathbb {Z})\in \mathbb {C}[/latex] stetig ist. Unter dieser Auffassung ist die Abbildung [latex]x + \mathbb {Z} \in \mathbb {T} \mapsto \left \lbrace {x} \right \rbrace \in [0,1)[/latex] nicht stetig (wieso?). Somit ist [latex]\mathbb {T}[/latex] geometrisches ein anderes Objekt als [latex][0,1)[/latex]. In der Tat ist die Bijektion
zwischen [latex]\mathbb {T}[/latex] und dem Einheitskreis [latex]\mathbb {S}^1 \subseteq \mathbb {C}[/latex] in beiden Richtungen stetig und in diesem Sinne ist [latex]\mathbb {T}[/latex] ein Kreis.
Wir möchten kurz eine weitere Methode erwähnen, mit der man stetige Funktionen auf dem Torus erhalten kann. Ist [latex]f:[0,1] \to \mathbb {C}[/latex] stetig mit [latex]f(0) = f(1)[/latex], dann definiert
eine stetige Funktion auf [latex]\mathbb {R}[/latex] (wieso?) und es gilt [latex]\tilde {f}(x) = f(x)[/latex] für alle [latex]x \in [0,1][/latex]. Die Funktion [latex]\tilde {f}[/latex] nennt sich auch die [latex]\mathbb {Z}[/latex]–periodische Fortsetzung von [latex]f[/latex] auf [latex]\mathbb {R}[/latex] und ist eindeutig bestimmt (wieso?).
Hoffnung
[latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Funktionen lassen sich als Linearkombinationen (Superposition) der Funktionen [latex]\mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] für [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex] oder alternativ [latex]1[/latex], [latex]\cos (nx)[/latex], [latex]\sin (nx)[/latex] für [latex]n \in \mathbb {N}[/latex] (der Grundschwingungen des Kreises) schreiben.
[latex]
\begin{aligned}[]\label{eq:fourier-deffourierreihe} f(x) = \sum _{n \in \mathbb {Z}} a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}\end{aligned}
[/latex]
Die Zahl [latex]a_n[/latex] nennt sich der Fourier-Koeffizient oder die Amplitude zur Frequenz [latex]n[/latex]. In Anwendungen sieht man häufiger die reellwertigen Funktionen [latex]1[/latex], [latex]\cos (nx)[/latex], [latex]\sin (nx)[/latex] für [latex]n \in \mathbb {N}[/latex]. Mathematisch gesehen ist es jedoch einfacher, die komplexwertigen Funktionen [latex]\mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] für [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex] zu verwenden.
Applet A.3: Einige Fourier-Reihen
Wir sehen anhand einiger Beispiele wie endliche Fourier-Reihen die vorgegebenen Funktionen approximieren.
Für welche Funktionen kann (A.2) stimmen? Das hängt davon ab, in welchem Sinn die Konvergenz und die Gleichheit verstanden wird. Wir wollen gleichmässige Konvergenz und Gleichheit für alle [latex]x \in \mathbb {R}[/latex] verwenden. Da die Partialsummen [latex]\sum _{n=-N}^N a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] stetig sind, muss auch der gleichmässige Limes [latex]f[/latex] stetig sein (wieso?). Somit können wir eine derartige Dartstellung einer [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodischen Funktion nur für stetige Funktionen [latex]f[/latex] erhoffen.
Stetigkeit von [latex]f[/latex] ist aber nicht hinreichend, um gleichmässige Konvergenz in (A.2) zu erzielen. Stetige Differenzierbarkeit der Funktion [latex]f[/latex] ist hierfür hinreichend — dies werden wir hier nicht zeigen. Wir wollen stattdessen zweimalige stetige Differenzierbarkeit annehmen.
Theorem A.4
Angenommen [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] ist eine [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische und zweimal stetig differenzierbare Funktion oder angenommen [latex]f[/latex] ist die [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Fortsetzung von [latex]x(1-x)[/latex] für [latex]x \in [0,1][/latex]. Dann gilt
wobei die Reihe auf ganz [latex]\mathbb {R}[/latex] gleichmässig konvergiert und die Koeffizienten [latex]a_n[/latex] durch
für [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex] gegeben sind.
Definition A.5
Für [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex] und [latex]f[/latex] wie in Theorem A.4 ist
der [latex]n[/latex]-te Fourier-Koeffizient von [latex]f[/latex] und [latex]\sum _{n \in \mathbb {Z}} a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] ist die Fourier-Reihe von [latex]f[/latex].
Im Vergleich zu Taylor-Reihen in Abschnitt 8.5 ist Theorem A.4 ebenfalls sehr befriedigend — man nimmt zweimalige stetige Differenzierbarkeit an und schon hat man eine gleichmässig konvergente Darstellung der Funktion durch eine Fourier-Reihe. Für solche Funktionen sind die Taylor-Reihen im Allgemeinen nicht einmal definiert.
Wir beginnen den Beweis des Theorems damit, Fourierreihen selbst zu analysieren und diskutieren erst später die Frage der Darstellbarkeit aus Theorem A.4.
Proposition A.6: Eindeutigkeit der Fourier-Koeffizienten
Sei [latex]f(x) = \sum _{n \in \mathbb {Z}} a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] eine gleichmässig konvergente Fourier-Reihe. Dann ist [latex]f[/latex] eine [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische, stetige Funktion und
für alle [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex].
Beweis
Nach Annahme strebt [latex]\sum _{n=-N}^N a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] gleichmässig gegen [latex]f(x)[/latex]. Nach Satz 6.48 ist [latex]f[/latex] stetig. Des Weiteren gilt für [latex]x \in \mathbb {R}[/latex] und [latex]m \in \mathbb {N}[/latex]
da die Summe [latex]\sum _{n=-N}^N a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodisch ist. Somit ist [latex]f[/latex] eine [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Funktion.
Sei [latex]k \in \mathbb {Z}[/latex]. Dann gilt nach Satz 6.49
Nun berechnet man für [latex]n \neq k[/latex]
Somit ist für [latex]N \in \mathbb {N}[/latex] mit [latex]|k| \leq N[/latex]
und daher folgt
was zu beweisen war. ∎
Proposition A.7
Falls [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] eine [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische, zweimal differenzierbare Funktion ist, dann ist
für [latex]n \to \infty[/latex] und [latex]n \to - \infty[/latex]. Insbesondere ist [latex]\sum _{n \in \mathbb {Z}} a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] eine gleichmässig konvergente Reihe.
Beweis
Für [latex]n \neq 0[/latex] gilt nach partieller Integration
wobei wir [latex]\mathbb {Z}[/latex]-Periodizität von [latex]f[/latex] und [latex]f'[/latex] verwendet haben. Nun gilt aber
womit [latex]|a_n| \leq C \frac {1}{n^2}[/latex] für eine positive Konstante [latex]C[/latex] und also [latex]a_n = O\left (\frac {1}{n^2}\right )[/latex].
Insbesondere ist für [latex]N \in \mathbb {N}[/latex]
für eine positive Konstante [latex]C[/latex] und die Reihe [latex]\sum _{n \in \mathbb {Z}} a_n \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] konvergiert gleichmässig. ∎
Sei nun [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] die periodische Fortsetzung des Polynoms [latex]x(1-x)[/latex] auf [latex][0,1][/latex]. Konkret ist diese gegeben durch [latex]f(x) = \left \lbrace {x} \right \rbrace (1-\left \lbrace {x} \right \rbrace )[/latex] für alle [latex]x \in \mathbb {R}[/latex] (wieso?).
Aus obigem Bild ist ersichtlich, dass [latex]f[/latex] nicht zweimal differenzierbar ist, wobei Probleme nur an den Randpunkten erscheinen. Insbesondere kommt Proposition A.7 nicht zur Anwendung. Wir berechnen deswegen die Fourier-Koeffizienten von [latex]f[/latex]. Für [latex]n=0[/latex] ist
Für [latex]n \neq 0[/latex] gilt
Insbesondere gilt [latex]a_n = O(\tfrac {1}{n^2})[/latex] für [latex]n \to \infty[/latex] und [latex]n \to -\infty[/latex] und die Fourier-Reihe von [latex]f[/latex] konvergiert ebenso gleichmässig wie die Fourier-Reihe einer [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodischen, zweimal stetig differenzierbaren Funktion. Nach Proposition A.6 ist [latex]\frac {1}{6} - \sum _{n \in \mathbb {Z}\setminus \left \lbrace {0} \right \rbrace } \frac {\mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} nx}}{2\pi ^2n^2}[/latex] der einzig mögliche Kandidat für eine Fourierreihe von [latex]f[/latex].
Um Gleichheit zu zeigen, müssen wir zuerst die Faltung definieren.
A..1 – Faltung auf dem Torus
Für eine stetige oder «Riemann-integrierbare» Funktion [latex]f: \mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex] definieren wir
wobei wir [latex]f[/latex] im zweiten Integral als [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische Funktion auf [latex]\mathbb {R}[/latex] auffassen.
Lemma A.8: Rotations- und Spiegelungsinvarianz des Integrals auf dem Torus
Sei [latex]f[/latex] wie oben. Dann gilt für alle [latex]y \in \mathbb {R}[/latex]
Des Weiteren ist
Dabei ist [latex]x + y[/latex] für [latex]x = \tilde {x}+ \mathbb {Z} \in \mathbb {T}[/latex] und [latex]y \in \mathbb {R}[/latex] durch [latex](\tilde {x}+y)+ \mathbb {Z}[/latex] gegeben. Analog ist [latex]-x[/latex] für [latex]x = \tilde {x}+ \mathbb {Z} \in \mathbb {T}[/latex] durch [latex](-\tilde {x})+ \mathbb {Z}[/latex] definiert.
Anschaulich lässt sich obiges Lemma wie folgt erklären. Unter der Auffassung von [latex]\mathbb {T}[/latex] als Einheitskreis [latex]\mathbb {S}^1[/latex] wird die Addition mit [latex]y \in \mathbb {R}[/latex] zu einer Rotation des Kreises mit Winkel [latex]2\pi y[/latex] und die Abbildung [latex]x \in \mathbb {T} \mapsto -x \in \mathbb {T}[/latex] zu einer Spiegelung (wieso?). Nun integriert man [latex]f[/latex] über den Kreis und über die rotierte (respektive gespiegelte) Version des Kreises und erhält beide Male dasselbe.
Beweis
Es gilt
wobei wir [latex]t = x+y[/latex] substituiert haben und [latex]n\in \mathbb {Z}[/latex] mit [latex]y \leq n
wie gewünscht. Für die zweite Eigenschaft berechnet man
durch die Substitution [latex]x = 1-t[/latex] und [latex]\mathbb {Z}[/latex]-Periodizität von [latex]f[/latex]. ∎
Definition A.9
Seien [latex]f,g: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] zwei [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische und stetige Funktionen. Dann definieren wir die Faltung [latex]f \ast g: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] von [latex]f[/latex] und [latex]g[/latex] durch
für [latex]x \in \mathbb {R}[/latex].
Man beachte dabei, dass [latex]f\ast g[/latex] wieder [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodisch ist und somit die Faltung zweier stetigen Funktionen auf dem Torus definiert wurde. Des Weiteren ist [latex]f\ast g = g\ast f[/latex] für alle [latex]f,g[/latex] wie oben, das heisst, die Faltung ist kommutativ. In der Tat ist nach Anwendung von Lemma A.8 und der Substitution [latex]s=x-t[/latex]
Übung A.10
Zeigen Sie, dass der Ausdruck [latex]f \ast g[/latex] bilinear (das heisst, linear in [latex]f[/latex] und linear in [latex]g[/latex]) ist für [latex]f,g[/latex] wie oben.
Der Zusammenhang der Faltung zu Fourier-Reihen wird im nächsten Beispiel klarer.
Beispiel A.11
Wir betrachten [latex]g=e_n: x\in \mathbb {R} \mapsto \mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} n x}[/latex] für [latex]n \in \mathbb {Z}[/latex] und [latex]f[/latex] beliebig. Dann ist
der [latex]n[/latex]-te Term der Fourier-Reihe von [latex]f[/latex], wobei [latex]a_n[/latex] der [latex]n[/latex]-te Fourier-Koeffizient von [latex]f[/latex] ist.
Sei [latex]f:\mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex] stetig (oder Riemann-integrierbar). Nach obigem Beispiel und Bilinearität der Faltung gilt für [latex]N \in \mathbb {N}[/latex]
für alle [latex]x \in \mathbb {R}[/latex].
Definition A.12
Zu [latex]N \in \mathbb {N}_0[/latex] ist die Abbildung [latex]D_N: \mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex] definiert durch
für alle [latex]x \in \mathbb {T}[/latex] der [latex]N[/latex]-te Dirichlet-Kern.
Nach obigem gilt, dass das Faltungsprodukt [latex]f \ast D_N[/latex] genau die [latex]N[/latex]-te Partialsumme der Fourier-Reihe von [latex]f[/latex].
Lemma A.13: Eine Charakterisierung des Dirichlet-Kerns
Für [latex]N \in \mathbb {N}_0[/latex] und alle [latex]x \in \mathbb {R}[/latex] ist
Beweis
Für [latex]x \in \mathbb {Z}[/latex] ist [latex]e_n(x) = 1[/latex] für alle [latex]n[/latex] und somit [latex]D_N(x) = 2N+1[/latex]. Wir berechnen für [latex]x \not \in \mathbb {Z}[/latex]
woraus sich die Aussage im Lemma ergibt. ∎
Wir wollen eigentlich zeigen, dass [latex]f\ast D_N(x)[/latex] gegen [latex]f(x)[/latex] strebt für [latex]N \to \infty[/latex] und für [latex]x \in \mathbb {T}[/latex]. Wir schlagen aber einen weiteren Umweg ein.
Definition A.14
Sei [latex]N \in \mathbb {N}[/latex]. Der [latex]N[/latex]-te Fejér-Kern [latex]F_N: \mathbb {T} \to \mathbb {C}[/latex] ist gegen durch
für alle [latex]x \in \mathbb {T}[/latex].
Der [latex]N[/latex]-te Fejér-Kern ist also das Mittel der ersten [latex]N+1[/latex] Dirichlet-Kerne. Wir werden zeigen, dass [latex]F_N[/latex] «gute» Eigenschaften hat. (Diese Eigenschaften sind der Grund warum wir mit [latex]F_N[/latex] anstatt mit [latex]D_N[/latex] arbeiten wollen.)
Proposition A.15: Eine Charakterisierung des Fejér-Kerns
Für alle [latex]N \in \mathbb {N}[/latex] und [latex]x \in \mathbb {R}[/latex] gilt
Übung A.16
Argumentieren Sie, wieso die Dirichlet-Kerne und die Fejér-Kerne stetig sind. Zeigen Sie damit in Lemma A.13 und Proposition A.15 jeweils den Fall [latex]x \in \mathbb {Z}[/latex] unter Verwendung der Regel von de l’Hôpital (siehe Satz 7.49).
Mit Proposition A.15 lässt sich insbesondere das asymptotische Verhalten der Fejér-Kerne besser charakterisieren.
Korollar A.17
Die Fejér-Kerne erfüllen folgende Eigenschaften.
- Zu [latex]N \in \mathbb {N}[/latex] ist [latex]F_N(x) \geq 0[/latex] für alle [latex]x \in \mathbb {R}[/latex].
- Es gilt [latex]F_N(x) \to 0[/latex] für [latex]N \to \infty[/latex] und für alle [latex]x \in \mathbb {R} \setminus \mathbb {Z}[/latex].
- Es gilt [latex]F_N(x) \to \infty[/latex] für [latex]N \to \infty[/latex] und für alle [latex]x\in \mathbb {Z}[/latex].
- Für alle [latex]\delta \in \left (0,\frac 12\right )[/latex] konvergiert die Funktionenfolge [latex]F_N[/latex] gleichmässig gegen Null auf [latex][\delta ,1-\delta ][/latex] für [latex]N \to \infty[/latex].
- Für alle [latex]N \in \mathbb {N}[/latex] gilt
- Für alle [latex]\delta \in \left (0,\frac 12\right )[/latex] gilt
für [latex]N \to \infty[/latex].
Beweis
Die ersten drei Eigenschaften folgen unmittelbar aus Proposition A.15. Sei nun ein [latex]\delta \in \left (0,\frac 12\right )[/latex] gegeben. Dann ist [latex]\alpha = \min _{x \in [\delta ,1-\delta ]} \sin ^2(\pi x) > 0[/latex] und somit für alle [latex]x \in [\delta ,1-\delta ][/latex]
woraus die vierte Eigenschaft folgt. Diese impliziert auch die sechste Eigenschaft nach Satz 6.49 über die Vertauschbarkeit eines gleichmässigen Grenzwerts und des Riemann-Integrals. Nach Definition der Dirichlet-Kerne gilt
für alle [latex]n \in \mathbb {N}_0[/latex]. Damit folgt auch
für [latex]N\in \mathbb {N}[/latex], was die fünfte Eigenschaft beweist. ∎
Wir fassen die Erkenntnisse über die Fejér-Kerne aus Proposition A.15 und Korollar A.15 in folgendem Bild zusammen.
Der wichtigste Schritt für den Beweis von Theorem A.4 ist der folgende.
Proposition A.18
Sei [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {C}[/latex] eine [latex]\mathbb {Z}[/latex]-periodische, stetige Funktion. Dann konvergiert die Funktionenfolge [latex]f\ast F_N[/latex] auf [latex]\mathbb {R}[/latex] gleichmässig gegen [latex]f[/latex] für [latex]N \to \infty[/latex].
Beweis
Für [latex]N \in \mathbb {N}[/latex] und [latex]x \in \mathbb {T}[/latex] gilt
unter Verwendung der Kommutativität der Faltung, der Gleichheit [latex]\int _\mathbb {T} F_N(t) \thinspace {\rm {d}} t =1[/latex] und der Definition der Faltung. Per Definition des Integrals über dem Torus und wegen der [latex]\mathbb {Z}[/latex]-Periodizität von [latex]F_N[/latex] und [latex]f[/latex] können wir schreiben
was bezweckt, dass sich [latex]F_N[/latex] nur um einen Punkt konzentriert (im Sinne von Bild ). Sei nun [latex]\varepsilon > 0[/latex]. Dann gibt es wegen der gleichmässigen Stetigkeit von [latex]f[/latex] (Satz 3.78) ein [latex]\delta > 0[/latex] (unabhängig von [latex]x[/latex]), so dass für alle [latex]x,y \in [-3,3][/latex] mit [latex]|x-y|
Nach der Dreiecksungleichung in [latex]\mathbb {R}[/latex] und derjenigen für Riemann-Integrale ist
Nach Korollar A.17 kann man nun [latex]N[/latex] gross genug wählen, so dass der erste Ausdruck oben (inklusive Vorfaktor) kleiner als [latex]\varepsilon[/latex] ist. Da [latex]\int _{-\delta }^\delta F_N(t) \thinspace {\rm {d}} t \leq 1[/latex] ist, folgt damit, dass
für alle [latex]x\in \mathbb {T}[/latex] und für alle hinreichend grossen [latex]N[/latex]. ∎
Applet A.19: Faltung von periodischen Funktionen
Das Faltungsprodukt mit dem Fejér-Kern mittelt die ursprüngliche Funktion in der Nähe eines variablen Punktes. Wir stellen den Fejér-Kern etwas gestaucht dar, da dieser auf Grund der Konzentration der fast kompletten Gesamtmasse in immer kleineren Teilintervallen ansonsten weit über das Fenster ragen würde.
Beweis von Theorem A.4
Sei [latex]f[/latex] zweimal stetig differenzierbar oder die periodische Fortsetzung des Polynoms [latex]x(1-x)[/latex] auf [latex][0,1][/latex]. Dann haben wir schon gesehen, dass die Fourier-Reihe von [latex]f[/latex] gleichmässig konvergiert — weil [latex]a_n = O\left (\frac {1}{n^2}\right )[/latex] für [latex]n \to \infty[/latex] und für [latex]n \to -\infty[/latex]. Wir müssen noch zeigen, dass der Wert der Fourierreihe von [latex]f[/latex] gleich dem Wert von [latex]f[/latex] ist bei jedem Punkt. Sei also
der Wert der Fourierreihe von [latex]f[/latex] bei einem Punkt [latex]x[/latex]. Dann gilt also
für [latex]n \to \infty[/latex] aber
für [latex]N \to \infty[/latex] nach Proposition A.18. Nach Definition ist aber
das Cauchy-Mittel der Folge [latex]f \ast D_n(x)[/latex], welche gegen [latex]g(x)[/latex] konvergiert. Deswegen konvergiert [latex]f \ast F_N (x)[/latex] gegen [latex]g(x)[/latex] und wir schliessen [latex]g(x) = f(x)[/latex] für alle [latex]x\in \mathbb {T}[/latex] aus der Eindeutigkeit des Grenzwerts. ∎
Übung A.20
Berechnen Sie den Wert der Reihe [latex]\sum _{n=1}^{\infty } \frac {(-1)^{n}}{n^{2}}[/latex] und [latex]\sum _{n=1}^\infty \frac {1}{(2n+1)^{2}}[/latex].
Hinweis.
Treffen Sie in Gleichung (A.1) eine passende Wahl eines Punktes [latex]x \in [0,1)[/latex].
Übung A.21: Dreiecksfunktion
Wir betrachten die periodische Fortsetzung [latex]f: \mathbb {R} \to \mathbb {R}[/latex] der Funktion
Berechnen Sie die Fourierkoeffizienten [latex](a_n)_{n \in \mathbb {Z}}[/latex] von [latex]f[/latex] und zeigen Sie, dass [latex]a_n = O(\frac {1}{n^{2}})[/latex] für [latex]n \to \infty[/latex] und [latex]n \to - \infty[/latex]. Verwenden Sie dies dann, um zu zeigen, dass die Fourierreihe von [latex]f[/latex] gleichmässig gegen [latex]f[/latex] konvergiert.
A..2 – Bezug zu weiteren Themen
Die Ideen der Fourier-Theorie auf dem Torus haben viele und weitreichende Verallgemeinerungen auf beispielsweise mehrdimensionalen Tori [latex]\mathbb {T}^d = \mathchoice {\text {\raise 0.4ex\hbox {${\mathbb {R}^d}$}\big /\lower 0.4ex\hbox {${\mathbb {Z}^d}$}}} {{\mathbb {R}^d}/\text {\hspace {-0.3ex}\vspace {-0.5ex}${\mathbb {Z}^d}$} } {{\mathbb {R}^d}\, /{\mathbb {Z}^d} } {{\mathbb {R}^d}\, /{\mathbb {Z}^d} }[/latex] und führen weiter auch noch zur Theorie der Fourier-Transformation auf [latex]\mathbb {R}^d[/latex].
Des Weiteren wird der Skalar
das innere Produkt der Funktionen [latex]f(x)[/latex] und [latex]\mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} nx}[/latex] genannt. Dieses ist für zwei stetige Funktionen [latex]f,g[/latex] auf [latex][0,1][/latex] durch
definiert. Innere Produkte werden sowohl in der Linearen Algebra 2, in der Analysis 2, aber auch in weiterführenden Vorlesungen bei Betrachtung von Fourier-Reihen, Hilberträumen, Riemannschen Metriken und anderen Themen eine zentrale Rolle spielen (siehe zum Beispiel die Vorlesungen «Methoden der mathematischen Physik» im 2. Jahr, «Funktionalanalysis» und «Differentialgeometrie» ab dem 3. Jahr).
Das innere Produkt erlaubt uns folgende einfache geometrische Interpretation der Fourier-Reihen. Die Funktionen [latex]e_n(x)=\mathrm {e}^{2\pi \mathrm {i} nx}[/latex] haben «Länge» [latex]1[/latex] für jedes [latex]n\in \mathbb {Z}[/latex] und der Ausdruck [latex]a_ne_n[/latex] mit [latex]a_n=\langle f, e_n\rangle[/latex], der in der Fourier-Reihe für jedes [latex]n\in \mathbb {Z}[/latex] auftritt, ist die «orthogonale Projektion» von [latex]f[/latex] auf den eindimensionalen Teilraum [latex]\mathbb {C} e_n[/latex].
Wir möchten des Weiteren erwähnen, dass die von uns gewünschte gleichmässige Konvergenz der Fourier-Reihe nicht der beste Konvergenzbegriff für Fourier-Reihen ist. Wenn man stattdessen den Begriff der Konvergenz im quadratischen Mittel verwendet, dann besitzt jede Riemann-integrierbare Funktion auf dem Torus (und noch viele weitere) eine Fourier-Reihe. Um dies in einem Special erklären zu können, müssten aber Weihnachten und Ostern zusammenfallen.