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3 Hauptstile Capoeira Regional und Capoeira Angola

An erster Stelle werde ich den Hauptstil Capoeira Regional vorstellen und anschliessend den Hauptstil Capoeira Angola. Ich wähle diese Reihenfolge aufgrund der Historik. Capoeira Angola ist zwar die ursprüngliche Capoeira und existierte zuerst, doch sie wurde – wie im historischen Teil beschrieben – in den Untergrund gedrängt und blühte erst wieder auf, nachdem Capoeira Regional entwickelt worden war. Auch haben sich viele Elemente der Capoeira Angola während dieser Zeit und in den darauffolgenden Jahrzehnten sehr verändert. Während ich die Capoeira Regional erläutere, zeigt sich auch hier wieder, wie wichtig Mestre Bimba für sie war, und es ist unumgänglich, nochmals kurz auf ihn einzugehen. Es ist ihm zu verdanken, dass die Capoeira aus dem Untergrund geholt und öffentlichkeitstauglich gemacht wurde. Viele seiner Errungenschaften und Veränderungen hatten einen wichtigen Einfluss auf die Form der Capoeira Regional und folglich sind noch heute Traditionen zu finden, welche auf Mestre Bimba zurückführen. Ihm entgegengesetzt, stelle ich im darauffolgenden Unterkapitel Mestre Pastinha vor, den wichtigsten Vertreter der Capoeira Angola. Ihm sind ebenfalls wichtige Einflüsse und Entwicklungen zuzuschreiben, was die Capoeira Angola anbelangt.

3.1 – Capoeira Regional

Typisch für diesen Hauptstil sind schnelle, athletische und kraftvolle Bewegungen, grösstenteils mit aufrechter Haltung. Es werden hohe Sprünge und Tritte ausgeführt. Um diesen auszuweichen, wird sich geduckt. Auch akrobatische Elemente, wie Saltos, Überschläge, Rad und Handstand sind übliche Bestandteile eines Spiels. Elemente des Kämpferischen überwiegen den Tanz. Trotzdem bleibt dieser Stil durch das Athletische elegant.

 

Viele Schlagtechniken sind sehr ähnlich zu asiatischen Kampfsportarten, weil Mestre Bimba bei der Entwicklung der Capoeira Regional Elemente von ihnen übernahm, hauptsächlich vom Jiu Jitsu und dem Judo. Diese Kampfsportarten waren schon zu seiner Zeit bis nach Brasilien vorgedrungen. Die verwandten Bewegungen werden bei der Capoeira jedoch geschmeidig und ohne Unterbruch aneinandergereiht. Dazu verhilft der Grundschritt, die Ginga, welcher eine Art dynamischer „Wiegeschritt“ ist. Während des Spiels kehrt der Spieler immer wieder zu diesem Schritt zurück und führt dazwischen andere Bewegungen aus. Es wird versucht, das Gegenüber möglichst wenig zu blocken, besser ist es auszuweichen, da das Spiel auf diese Weise fliessend und geschmeidig bleibt.

Die einzelnen Spiele dauern kurz, meist etwa eine Minute oder weniger. Ein Spiel endet, wenn es von einem dritten Capoeirista unterbrochen wird, weil er mit einem der beiden Spielenden spielen möchte. Man sagt, der dritte Capoeirista „kauft“ das Spiel. Um dies anzudeuten, tritt er bei den Instrumenten in den Kreis und fährt mit der ausgestreckten Hand zwischen die Spielenden, sich der Person zugewandt, mit welcher er spielen möchte. Das neue Spiel zwischen den beiden schliesst sich an, ohne dass ein Unterbruch stattgefunden hätte. Der „übriggebliebene“ Capoeirista tritt aus der Mitte des Kreises, begibt sich wieder unter die übrigen Capoeiristas und singt und klatscht im Chor mit allen weiter.

 

 

Die Geschwindigkeit, mit der im Innern gespielt wird, wird immer durch die Musik bestimmt. Da bei der Capoeira Regional schnelle Bewegungen typisch sind, ist die Musik ebenfalls schnell. Seit dem Einfluss von Mestre Bimba, werden bei diesem Stil üblicherweise zwei Pandeiros*** Instrument, ähnlich des Tamburins*** und das Berimbau ***Typisches Bogeninstrument der Capoeira mit afrikanischem Ursprung*** verwendet. Das Berimbau ist ein elementares Instrument für die Capoeira und in einem anderen Kontext selten anzutreffen. Es ist einfach aufgebaut. Sein Aussehen erinnert an einen Pfeilbogen, an welchem zusätzlich ein getrockneter Kürbis als Resonanzkörper befestigt ist. Mit einem Stab und einer Münze oder einem Stein werden die verschiedenen Töne erzeugt.

 

 

Bei der Roda werden mit dem Berimbau sogenannte Toques gespielt. Dies sind bestimmte Rhythmen, wobei jeder Rhythmus eine spezifische Bedeutung hat. Der Toque „Banguela“ sagt zum Beispiel aus, dass das Spiel rund und flüssig sein soll und dass nahe aneinander gespielt werden soll, sodass direkte Tritte nicht möglich sind und das Spiel ruhiger ist. Dieser Toque wurde von Mestre Bimba entwickelt, um die Capoeira zu beruhigen und wird heute noch oft verwendet. Die verschiedenen Toques beeinflussen im Allgemeinen, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Form gespielt wird, und bestimmen zudem, welche Art von Liedern gesungen wird.

Hier der Klang eines Berimbaus:

 

Eine andere Tradition, dank Mestre Bimba entstanden, stellt die Kleidung dar. Er hat in den 1940er Jahren ein Tenue eingeführt, um die Capoeira zu einem gewissen Grade zu strukturieren und zu vereinheitlichen. Er wählte dafür die „Farbe“ Weiss. Einige Experten sagen, dass er Weiss wählte, weil er durch die Tenues der asiatischen Kampfsportarten inspiriert war. Andere meinen hingegen, dass es wegen der Flecken war, die während des Spiels auf der Kleidung entstehen, da diese das Können des Capoeiristas anzeigen sollen. Bei fortgeschrittenen Capoeiristas bleibt die Kleidung sauberer, da sie weniger Kontakt mit dem schmutzigen Boden haben. Zusätzlich führte Mestre Bimba sogenannte Cordas ***Kordel, welche durch die farbliche Verschiedenheit als Graduierungssystem in der Capoeira Regional dient, Farbskala von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich***ein. Wie beim Karate der Gürtel, wird die Kordel um die Hüfte gebunden.

3.2 –  Capoeira Angola

Der Stil Capoeira Angola stellt wieder eine Annäherung an die ursprüngliche und traditionelle Capoeira dar. Viele Praktizierende der Capoeira sahen in der Capoeira Regional in den 1940er und 1950er Jahren einen Verlust des afro-brasilianischen kulturellen Erbes. Sie wurde von einigen Capoeiristas als „Entstellung“ der „echten“ Capoeira angesehen. Zudem wurde befürchtet, dass die Capoeira Angola gänzlich verschwinden und verlorengehen würde, weshalb eine gewisse Rivalität zwischen Anhängern der beiden Stile existierte. Die beiden Gruppen sollen trotzdem respektvoll miteinander umgegangen sein.

Mestre Pastinha (1889-1982) sagte laut seinen Schülern, dass die Lehre und Philosophie der Capoeira Angola Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit sei. Mestre Pastinha gilt als wichtigster Begründer der Capoeira Angola, doch seine Ideen fanden erst nach seinem Tod Anklang. Er vertrat die ursprüngliche Capoeira, kämpfte für sie und weigerte sich, Elemente der Capoeira Regional zu übernehmen. Gleichwohl differenzierte er sich zu einem gewissen Grade von der kämpferischen und brutalen Seite der traditionellen Capoeira, ohne ihr diese Elemente abzusprechen. Er legte den Fokus auf die spielerischen und friedlicheren Elemente. Sein Ziel war, das afrikanische Erbe zu erhalten und die kulturellen Werte erneut zu verbreiten, deshalb liess er alte Rituale in den Rodas wieder aufleben. Die Capoeira Angola hat noch heute einen starken Bezug zu Tradition und Ursprung.

Bei diesem Hauptstil wird, bevor das erste Spiel beginnt, die Roda mit Musik eingeleitet, beginnend mit drei Berimbaus, die nacheinander mit je einem verschiedenen Toque einsetzen. Daraufhin werden weitere Instrumente eingesetzt, bis am Schluss drei Berimbaus, zwei Pandeiros, ein Atabaque ***Seiltrommel, die im Stehen gespielt wird***, ein Agogo ***häufig genutztes glockenartiges Schlaginstrument der Capoeira Angola***und ein Reco-Reco ***Ratsche, verwendet für die Capoeira Angola***gespielt werden.

Im folgenden Bild werden die Klänge der oben genannten Instrumente durch Anklicken abgespielt:

 

 

Sobald alle Instrumente spielen, setzt der Gesang ein, welcher durch einen Mestre geleitet wird. Traditionellerweise wird als erstes eine Ladainha angestimmt, ein Lied, das verstorbene Mestres ehrt und Bezug auf die Vergangenheit nimmt, aber auch von der Gegenwart und Zukunft erzählt. Während der Ladainha begeben sich bereits zwei Capoeiristas aus dem Kreis kauernd vor die Instrumente. Erst wenn der Mestre ein neues Lied anstimmt und ihnen ein Zeichen gibt, beginnen sie das Spiel. Die Musik ist meist langsam. Wann das Spiel endet, bestimmt ebenfalls der Mestre. Er gibt ihnen dafür ein Signal mit einem bestimmten Rhythmus des Berimbaus. Die Spielenden beenden dann das Spiel mit einer Umarmung und zwei neue Spieler gehen in die Hocke vor den Instrumenten. Sobald der Mestre ein Zeichen gibt, starten sie das neue Spiel.

Langsame Bewegungen und tiefe Schläge sind typisch für diesen Hauptstil. Die Bewegungen werden verspielt und unstrukturiert ausgeführt, zudem wird der Kontakt zum Boden gehalten. Die Capoeiristas spielen nahe beieinander und nehmen meist eine etwas gebeugte Haltung ein; es scheint fast so, als ob sie die Bewegungen unsauber ausführten. Dies ist jedoch Taktik und dient der Täuschung. Oft wird anfangs so gespielt, dass ihnen wenig zugetraut wird und wenige kämpferische Elemente vorhanden sind. Die gespielte Harmlosigkeit kann plötzlich mit einem überraschenden und vielleicht auch schnellen Schlag unterbrochen werden. Es wird immer wieder versucht, den Mitspieler auszutricksen.

Diese Gerissenheit, Schläue und List ist in der Capoeira Angola zentral und ist bekannt unter dem Namen Malícia. Es ist ein Element, das Spannung in einem Spiel aufbaut. Technik und Kondition ist dafür nur an zweiter Stelle essentiell, denn für die Malícia sind vor allem taktisches Geschick und intuitive Wahrnehmung notwendig.

Ein weiteres Merkmal eines Spiels zwischen Angoleiros***Praktizierende/r der Capoeira Angola***sind die Chamadas. Das heisst wörtlich übersetzt „Anrufe“. Um eine Chamada zu initiieren, streckt der erfahrenere Spieler eine oder beide Hände über seinen Kopf in die Luft. Dabei bleibt er auf einer Stelle stehen und wippt nur noch im Rhythmus der Musik. Sein Mitspieler, welcher dieses Zeichen für eine Chamada wahrgenommen hat, führt Verteidigungsbewegungen durch und nähert sich dem „Anrufenden“ vorsichtig. Sie berühren sich daraufhin und gehen gemeinsam drei Schritte vor und zurück. Um die Chamada zu beenden, führt der Angoleiro, welcher sie initiiert hat, seine Hände langsam zu Boden, das Spiel wird fortgesetzt, wie zuvor. Es gibt drei verschiedene Chamadas, welche sich jedoch sehr ähnlich sind. Der einzige Unterschied besteht darin, dass man nebeneinander, hintereinander oder sich entgegengesetzt die drei Schritte auf und ab geht. Alle drei haben den Zweck einer kleinen Pause für die Spielenden und dienen als kleines Spiel im Spiel, denn bei der Capoeira Angola dauern die kompletten Spiele meistens über fünf Minuten.

 

 

Bei der Roda und im Training tragen Angoleiros meist eine schwarze Hose und ein gelbes T-Shirt mit dem Logo ihrer Gruppe. Diese Tradition stammt von Mestre Pastinha. Er gründete die erste Schule für die Capoeira Angola im Jahre 1942 und führte dort diese Farben für die Kleidung ein, weil er sich von der Capoeira Regional, bei der wegen Mestre Bimba weisse Kleidung üblich war, differenzieren wollte. Warum Mestre Pastinha diese zwei Farben gewählt hat, liegt gemäss verschiedenen Quellen daran, dass sein Lieblingsfussballklub diese zwei Farben trug. Es gibt jedoch ebenfalls Capoeira-Angola-Gruppen, welche sich von dieser Tradition abspalten und ein weisses Tenue tragen. Teilweise wird in der Roda sogar mit Anzügen gespielt, da dies, vor Mestre Pastinha üblich war.[1]/[2]/[3]

 


  1. Assunção, M. R. (2005), S. 150-176
  2. Aichroth, A. K. (2012), S. 80ff
  3. Halac, F. (2016).

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