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1 Entstehung der Capoeira – Geschichtlicher Hintergrund

1.1 – Zu Zeiten der Sklaverei

Die Europäer entdeckten Brasilien im 15. Jahrhundert. Durch sie wurden die eingeborenen Indianer beinahe ausgerottet. Diese wurden für harte Arbeit als unfähig gehalten, weshalb die weissen Kolonialherren sie durch afrikanische Sklaven ersetzen wollten. Aus diesem Grunde wurden gegen 1538 erstmals afrikanische Sklaven nach Brasilien verschleppt. Die meisten kamen von Angola, Mozambique, dem Kongo und von Guinea. Tausende von ihnen starben schon während der Überfahrt oder zuvor, da sie unter inhumanen Umständen festgehalten wurden. In Brasilien wurden die Übriggebliebenen dann verkauft. Es wurde im Allgemeinen darauf geachtet, dass die Sklaven von unterschiedlichen Stämmen kamen, sodass sie untereinander möglichst schlecht kommunizieren konnten, um Aufstände zu vermeiden.

Von ihren Besitzern und Aufsehern wurden die Sklaven gezwungen, harte Arbeit, meist auf Zuckerrohrfeldern, zu verrichten. Bestrafungen durch Folter, Verstümmelung und Gewalt waren an der Tagesordnung. Krankheiten, Unfälle und Tod waren häufig. Nach der Versklavung betrug die durchschnittliche Lebenserwartung deswegen nur noch fünf bis sieben Jahre. [1]/[2]/[3]/[4]

Die Sklaven sehnten sich nach Freiheit. Wegen ihren schlimmen Lebensbedingungen versuchten viele die Flucht aus den Gutshöfen ihrer Herren in den Urwald, trotz der schrecklichen Strafen, die sie erwarteten, falls sie erwischt wurden. Eine Flucht war aufgrund des wochenlangen Weges und der sogenannten Capitãoes do Mato, der Sklavenjäger, äusserst riskant. Mit diesen kam es oftmals zu Kämpfen.

Damit die Flucht gelingen konnte, begannen die Sklaven ihren Körper heimlich zu einer Waffe zu formen. Sie hatten keinen Zugang zu anderen Mitteln. Ihnen war von den Sklavenherren verboten worden zu kämpfen. Sie schmiedeten deshalb eine Kampftechnik, welche sie durch Elemente ihrer traditionellen Tänze, Rituale und Religionen tarnten. Man vermutet, dass der Ursprung auf einem afrikanischen Zebratanz, dem sogenannten NíGolo beruht. Auch andere afrikanische Tanzspiele, wie zum Beispiel Batuque, Luta do Bode, Bate coxa, waren Grundlagen für die tänzerische Tarnung des Kampfes. Dieser mit afrikanischen Kulten vermischte Kampf ist der Ursprung der Capoeira. Capoeira entstand als Kampf um Freiheit und als Kampf gegen Unterdrückung zur Zeit der Sklaverei. Der genaue Ort und die Zeit lassen sich nicht exakt einordnen. Die Forscher gehen davon aus, dass Capoeira an mehreren Orten in Brasilien gleichzeitig entstand. Als ihre Geburtsstätte werden Bahia, Rio de Janeiro, Salvador und Recife (Pernambuco) angesehen.[5]/[6]

Capoeira war das einzige Mittel, das den Sklaven ermöglichte, ihren Gegnern Widerstand zu leisten und ihnen zu entfliehen. Diejenigen, denen die Flucht glückte, gründeten gemeinsam eigene Siedlungen im Urwald, die Quilombos von Palmares. Die entflohenen Sklaven versteckten sich aber nicht nur, sie überfielen immer wieder die Güter der ehemaligen Sklavenherren, um andere Sklaven zu befreien und um an Waffen und Munition zu gelangen. Auf diese Weise wuchsen die Siedlungen auf bis zu 30‘000 Bewohnern an. Es gelang ihnen, den Portugiesen 67 Jahre erfolgreich Widerstand zu leisten, bis sie mit Kanonen angegriffen wurden und damit die Siedlungen zerstört wurden. Die Capoeira wurde damit aber nicht ausgelöscht.[7]

 

Figure 1.1 – „Capoeira or the Dance of War“ gemalt von Johann Rugendas im Jahre 1825

Woher der Name „Capoeira“ kommt, ist unbekannt. Verschiedene Legenden ranken sich darum. Manche behaupten, er komme von der indianischen Tupi-Sprache. „Caá-pûera“ heisst „der Wald, der schon mal war“. Man interpretiert, dass damit gerodete Waldflächen gemeint sind, auf welchen die Kämpfe zwischen den entflohenen Sklaven und den Sklavenjägern stattgefunden haben. Andere Quellen sagen, dass die Bezeichnung „Capoeira“ vom Portugiesischen komme. Es bedeutet Hühnerkorb, wobei man darin eine Verbindung zu den Sklaven sah, welche Hühnerkörbe auf den Markt transportieren mussten.[8] Dies sind nur zwei von vielen Erklärungen, sind aber die meist vertretenen.

 

1.2 – Weiterentwicklung der Capoeira ab dem 19. Jahrhundert

Die Historiker sind sich erst weitgehend einig über die Weiterentwicklung der Capoeira ab dem 19. Jahrhundert. Die Verfolgung der Capoeiristas wurde während des ganzen 19. Jahrhunderts aufrechterhalten, obwohl Brasilien am 13. Mai 1888 die Sklaverei abschaffte. 1890 wurde es offiziell zum strafrechtlichen Verbrechen, in irgendeiner Weise Capoeira oder andere afrikanische Praktiken auszuüben. Ein Gesetz wurde verfasst, welches Gefängnisstrafen oder Deportation als Bestrafung für diejenigen vorsah, die das Verbot nicht einhielten. Capoeira verschwand trotzdem nicht, sie lebte – im Versteckten – weiter.[9]

Capoeira war zu jener Zeit hautsächlich in grossen Städten wie Río de Janeiro, Salvador und Recife zu finden. Die Capoeira war von den Zuckerrohrplantagen, also vom Land, in die Städte gebracht worden, da dort die Nachfrage nach Arbeitskräften grösser war. Die schwarze Bevölkerung Brasiliens wurde noch immer stark diskriminiert. Rivalisierende Banden setzten Capoeira deswegen als Waffe gegen die Unterdrückung ein. Andere benutzten sie bei Überfällen, um sich damit das Überleben zu sichern. Capoeira wandelte sich im Untergrund und unter Druck des gesetzlichen Verbotes immer mehr zu einem Strassenkampf. Die Form der Capoeira unterschied sich in jener Epoche sehr von der heutigen. Die Kämpfe wurden mit Rasiermessern oder Schlagstöcken ausgetragen und endeten oftmals tödlich. Capoeiristas wurden folglich als Gauner und als marginale Personen angesehen, Capoeira selbst als Übel, Gefahr und Kriminalität.

Letztlich ist dies der Grund, warum das Verbot von Capoeira aufrechterhalten wurde. Alle Capoeiristas wurden einander gleichgesetzt. Paradox ist jedoch, dass das Militär und die Angehörigen der Polizei, die Capoeira zwar verfolgten, sich selbst aber in dieser Kampftechnik „ausbilden“ liessen. Es existierten Capoeirabanden, in denen heimlich diese Kampfkunst gelernt werden konnte. Man lernte durch Beobachten und daraufhin Nachahmen in der  („Capoeira kurz erklärt“), welche auf der Strasse stattfand.[10]/[11]/[12]

 

1.3 – Legalisierung der Capoeira – Mestre Bimba

Ein wichtiger , der Capoeira auf der Strasse lernte, war der Capoeirista Manoel dos reis Machado. Er ist besser bekannt als Mestre Bimba, welches sein Capoeiraname war. Es war (und ist noch immer) üblich, einen Capoeiranamen als Spitzname zu haben. Dieser gab den Capoeiristas eine andere Identität und sollte sie vor der Polizei und vor Verrat schützen, da die richtigen Namen unbekannt blieben. Mestre Bimba ist am 23. November 1899 in Salvador da Bahia geboren und begann im Alter von zwölf Jahren, Capoeira zu trainieren.[13]

Figure 1.2 – Mestre Bimba

Die Akademie Filhos de Bimba, ein Capoeira-Verein in Stuttgart, schreibt, dass Bimba früh erkannte, dass die Capoeira zur reinen Folklore zu verkümmern drohte, da sie „lediglich 9 Bewegungen kannte. Ihre Effizienz als Ausdruck von Kampf und Widerstand war mit der Zeit verloren gegangen.“[14]

Dies gab Mestre Bimba den Anstoss, der „verkümmerten“ Kampfkunst fast vergessene Bewegungen der ursprünglichen Capoeira hinzuzufügen. Er verlieh ihr einen neuen Charakter, indem er die Musik änderte und Bewegungen von anderen Kampftechniken hinzufügte, wie zum Beispiel dem Batuque, Maculêlê und Jiu Jitsu. Zusätzlich kreierte Bimba eigene Bewegungen, die er ebenfalls in die neue Form der Capoeira einfliessen liess. Auf diese Weise erschuf er eine erstmalige Unterrichtsmethode. Bimba gelang es, der Capoeira durch Umwandlung und Neudefinierung eine neue Form zu geben. Er hegte das Ziel, Capoeira zu einer strukturierten Sportart zu entwickeln, welche legalisiert und anerkannt werden sollte. Unter dem Begriff „Capoeira“ hätte die neue Capoeira ihren schlechten Ruf beibehalten, weshalb Mestre Bimba sie nannte. Diese Kampfkunst ist der Anfang der modernen Capoeira und wird heute Capoeira Regional genannt. Die ursprüngliche Capoeira ist hingegen als Capoeira Angola bekannt. 1932 eröffnete Mestre Bimba illegal eine erste Capoeiraschule.[15]

Die Autorin und Bloggerin Laura Lennert stellt fest, dass dies für die Capoeira der Ausbruch aus dem Untergrund war, denn

„Kurz nach der Eröffnung seiner Schule wurde Mestre Bimba vom Gouverneur des Staates vorgeladen. Da die Capoeira immer noch offiziell verboten war, befürchtete er eine Verhaftung, doch der Gouverneur bat ihn stattdessen um eine Capoeiravorführung vor seinen Gästen. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu solchen Einladungen und Schaukämpfen vor verschiedenstem Publikum und Mestre Bimba und seine Capoeira Regional wurden in ganz Brasilien (und sogar international) bekannt.“[16]

Dies war der Auslöser, dass Capoeira von da an auch in einem anderen sozialen Kontext aufgeführt und gespielt werden konnte. Immer mehr Weisse und Leute der Mittelschicht interessierten sich mittlerweile für Capoeira. Im Jahre 1937 bekam Mestre Bimba offiziell den Titel „Lehrer für Leibeserziehung“ beziehungsweise „Sportlehrer“, weshalb er legal eine Akademie eröffnen konnte und Capoeira beziehungsweise die „Luta Regional Baiana“ lehren durfte. Die Strassen-Capoeira blieb weiterhin verboten. Erst als 1953 der damalige Präsident Gétulio Dornelles Vargas eine Aufführung von Mestre Bimba und seinen Schülern sah, hob er das Gesetz, welches die Capoeira verbot, auf.[17]

Der Weg der Capoeira an die Öffentlichkeit wurde dadurch freigelegt. Zuvor war die Kampfkunst grösstenteils von der farbigen Bevölkerung Brasiliens und von den unteren sozialen Schichten trainiert worden. Nun kamen immer mehr Personengruppen verschiedenen Hintergrunds dazu: Weisse, Reiche und Frauen. Die Capoeira wurde neben dem Fussball schnell zu einem zweiten Nationalsport Brasiliens. Ende der 1970er Jahre verbreitete sich die Capoeira sogar international und ist heute global populär[18]. Capoeira-Gruppen sind heutzutage folglich auf jedem Kontinent, in jedem Land und in fast jeder Grossstadt anzutreffen.

Eine weitere bedeutende Weiterentwicklung der Capoeira in den 1970er Jahren war die Bildung eines dritten Hauptstiles, Capoeira Contemporânea, der Elemente der beiden beschriebenen Hauptstile mischt.

 

1.4 – Übersicht über die Entstehung und Entwicklung der Capoeira

 

 


  1. Emeritus. (2016).
  2. Hegmanns, D. (1993), S. 15
  3. Lopes, M. M. (kein Datum).
  4. Ziegler, J. (2009).
  5. Schwendinger, H. (kein Datum).
  6. Ebd.
  7. Hegmanns, D. (1993), S. 25
  8. Brasilien Portal. (2003).
  9. Lopes, M. M. (kein Datum).
  10. Silvia, & Fabricio. (kein Datum).
  11. Aichroth, A. K. (2012), S. 78
  12. Da Conceição, O. (2008).
  13. Johannson, S. (2010). (Je nach Quelle: Geburtsdatum 1900)
  14. 7 www.filhosdebimba.de/mestre-bimba, 18.10.2016
  15. JamesP. (6. 5 2015); Assunção, M. R. (2005), S. 132ff
  16. 0 http://gingado.de/mestre-bimba/, 18.10.16
  17. Assunção, M. R. (2005), S. 141
  18. Husseini de Araújo, S., Tschom, L., & Schmitt, T. (2014).

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