5.1 – Vorhaben und Vorgehen
Während der drei Jahre, in denen ich Capoeira Regional trainiere, bin ich mit anderen Capoeira-Gruppen desselben Stils in Kontakt gekommen. Zum einen während meines Austauschsemesters, zum anderen während der Capoeira-Regional-Treffen, bei welchen Workshops, Rodas und traditionelle Zeremonien stattfinden, und oft gruppenüberschneidend durchgeführt werden.
Jedes Mal bei einem solchen Zusammentreffen mit anderen Capoeiristas wird mir bewusst, dass sich unsere Spiel- und Unterrichtsweisen unterscheiden, obwohl wir dem gleichen Hauptstil angehören. Da wir fast immer mit den gleichen Gruppen in Kontakt kommen, stelle ich mir die Frage, ob sich bei anderen Gruppen, welche ich noch nicht kenne, ebenfalls Unterschiede feststellen lassen? Wie unterschiedlich hat sich die Capoeira Regional in den einzelnen Gruppen entwickelt? Inwiefern kennt ein Capoeirista aus einer anderen Gruppe überhaupt eine andere Capoeira? Was sind Gründe für eine unterschiedliche Entwicklung? Spielt das soziale Umfeld, die politische Situation des Landes oder die Kultur eine Rolle?
Um zu versuchen, diese Fragen zu beantworten, statte ich, wie in der Einleitung schon angesprochen, mehreren Capoeira-Gruppen Besuche ab, führe intensive Gespräche mit anderen Capoeiristas und werde aktiv an deren Unterricht und Spiel teilnehmen. Ich werde einige Gruppen besuchen, welche sich in Zürich befinden, und ergänzend Gelegenheiten wahrnehmen, Gruppen auch im Ausland und sogar eine Gruppe auf einem anderen Kontinent zu besuchen.[1] Anschliessend wähle ich einzelne Gruppen aus, bei welchen ich die Besuche am interessantesten fand, und dokumentiere meine wichtigsten Erkenntnisse, Erlebnisse und Fakten, die ich dabei gewonnen habe.
5.2 – Gruppen innerhalb Europas
5.2.1 – Grupo Zumbi de Capoeira – Mestre Bozo – Zürich, Schweiz
Bei dieser Capoeira-Gruppe habe ich angefangen und bin immer noch aktives Mitglied. Es ist eine sehr kleine Gruppe, weswegen wir uns gegenseitig sehr gut kennen. Erwähnenswert ist, dass wir uns auch ausserhalb des Trainings treffen.
Unser Trainer heisst Bozo und kommt aus Brasilien. Er kam in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Schweiz. Seit dem Jahre 2009 hat er einen Ableger seiner Gruppe von Brasilien hier weitergeführt. Da der Job als Trainer nicht reicht um zu leben, arbeitet er zusätzlich als Bauarbeiter. Seine Ausbildung als Automechaniker in Brasilien wird hier nicht anerkannt.
Das Training gestaltet Bozo meist ähnlich. Es ist aufgeteilt in ein Aufwärmen, das Üben von Basisbewegungen und Akrobatik, das Lernen von neuen Sequenzen und freies Spielen. Da wir zu wenige sind, führen wir keine Roda im eigentlichen Sinne durch. Wir spielen in Zweier-gruppen und oft ohne instrumentale Begleitung. Musik, die ein wichtiger Bestandteil der Capoeira ist, lernen wir trotzdem, denn oft singen wir während des Ausführens der Bewegungen. Ab und zu widmen wir auch eine ganze Unterrichtstunde dem Spielen-Lernen von Instrumenten.
Die Stimmung während des Unterrichts ist immer sehr entspannt und locker. Es werden Witze gemacht, gelacht und natürlich wird parallel auch geübt.
5.2.2 – Grupo Jacobina Arte – Mestre Pitbull, Professor Torneiro – Thessaloniki, Griechenland
Die Gruppe Jacobina Arte lernte ich während meines Austausches über einen Zeitraum von viereinhalb Monaten kennen. Als ich dort war, hatte die Gruppe zahlreiche Mitglieder, insgesamt waren es etwa zweiundzwanzig. In der Woche finden fünf Unterrichtsstunden statt, was mit ein Grund für die grosse Teilnehmerzahl sein könnte.
Die Gruppe hat zwei Trainer, Torneiro und Pitpull. Beide sind Brasilianer und ebenfalls in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa gekommen, was wegen der Krise in Griechenland jedoch nicht einfach ist. Für Mestre Pitbull ist das Unterrichten der Capoeira die einzige Arbeit, Torneiro hingegen hat als Fitnesstrainer einen zweiten Job gefunden.
Interessant finde ich, dass die Gruppe stark in Verbindung mit anderen Ablegern der Gruppe Jacobina Arte steht. Im Raum in und um Thessaloniki und allgemein in Griechenland gibt es viele davon, aber fast keine einer anderen Übergruppe. Zusammen führen sie oft Workshops durch und laden dafür Meister aus Brasilien und anderen Ländern ein.
Beim ersten Besuch einer anderen Gruppe in Thessaloniki fiel mir sofort auf, dass bei der Ausführung der Bewegungen, welche zwar grundsätzlich gleich sind, trotzdem Unterschiede feststellbar sind. Die Bewegungen werden sehr einheitlich, ein wenig mechanisch und äusserst schnell ausgeführt. Diese Unterschiede kommen dementsprechend bei der Roda zum Zuge. Die Capoeiristas spielen sehr flink und mit wenig Akrobatik. Auffallend bei der Roda war für mich zudem, dass beim „Kauf“ eines Spieles, nicht darauf geachtet wird, welchen Capoeirista man aus dem Spiel wirft. Bei Bozo habe ich gelernt, dass man aus Respekt keinen fortgeschrittenen Capoeirista ablösen sollte. In der Gruppe Jacobina Arte gibt es diese Tradition nicht. Dies hätte bei mir für Verwirrung sorgen können, da die Farbskala der Cordas nicht dieselbe wie bei uns ist. Unsere erste Anfängerkordel ist blau. In dieser Gruppe ist die blaue Corda hingegen eine fortgeschrittene und bedeutet, dass der Capoeirista ein Professor ist.
Während meiner ganzen Zeit in Thessaloniki hatte ich keine Probleme, dem Unterricht zu folgen und in den Rodas zu spielen. Ich musste mich allerdings an die Atmosphäre gewöhnen, da diese nicht gleich familiär wie bei unserer Gruppe war. Zum einen weil während des Unterrichts sehr wenig geschwatzt wird und zum andern, weil ich wegen der grossen Teilnehmerzahl nur einige Capoeiristas sehr gut kennengelernt habe.
5.2.3 – Grupo Afro Ritmo – Mestre Marcelo – Budapest, Ungarn
Diese Gruppe habe ich während unserer Studienreise spontan besucht. Trotz der kurzfristigen Kontaktaufnahme vor Ort mit dem Trainer der Gruppe Afro Ritmo klappten das Interview und der Besuch des Trainings.
Bei der Ankunft im Tanzstudio, in welchem der Unterricht stattfindet, war ich sofort herzlich willkommen. Ich hatte auf Anhieb ein Gefühl der Vertrautheit. Das Interesse, Neues über eine andere Capoeira-Gruppe zu erfahren, war gegenseitig; nicht nur ich erkundigte mich und fragte die Leute aus, ebenfalls ich wurde mit Fragen gelöchert. So wurde mir unter anderem sofort erzählt, dass ihre Mitgliederanzahl immer schwankt, manchmal seien sie nur zu fünft und manchmal sogar zu dreissigst. Als ich dort war, waren es sieben Capoeiristas ohne den Lehrer und mich.
Der Aufbau des Unterrichts unterschied sich insofern von unserem, dass anfangs nicht hätte festgestellt werden können, dass es sich um Capoeira handelt. Auch die Übungen selbst waren mir unbekannt. Bei einer kleinen Roda am Ende des Trainings, konnte ich beobachten, dass die Spieler viel Akrobatik in das Spiel einbauten. Sie schlugen Räder, harrten im Handstand aus und machten Saltos und Flickflacks. Trotz der Differenziertheit zu meinem Spielstil gelangen uns zusammen schöne Spiele. Dass sie eine andere Spielweise hatten, hinderte mich abermals nicht daran, meinen persönlichen Capoeirastil auszuleben.
Nach dem Unterricht wurde gemütlich zusammengesessen und geschwatzt. Auf diese Weise brachte ich in Erfahrung, dass sich die Capoeiristas ausserhalb des Trainings ebenfalls verabreden. Sie erklärten mir, dass sie in der Gruppe Freunde und eine zweite Familie gefunden hätten – ein Gefühl, das ich aus Zürich kenne. Capoeira sei für sie eine Lebensphilosophie geworden, denn sie vermittle ihnen Kultur, Respekt, Disziplin und Toleranz.
Marcelo erzählte mir zudem, dass er von Brasilien nach Europa ausgewandert sei und dass er hier in Europa am meisten Kontakt zu anderen immigrierten Brasilianern habe, unter anderem auch mit meinen beiden Trainern der Gruppe Jacobina Arte von Thessaloniki, weshalb ihre Gruppen regen Austausch haben. Es war also erstaunlich gewesen, dass ich Marcelo nicht schon während meines Austauschsemesters kennengelernt habe. Es existiert auch eine zweite Verbindungslinie zwischen seinem Mestre und meinem Trainer aus der Schweiz. Ein bemerkenswerter Fakt, denn ich wurde nicht vermittelt und es war reiner Zufall gewesen, dass ich über das Internet auf diese Gruppe gestossen bin.
5.3 – Gruppe ausserhalb Europas
5.3.1 – Grupo Ginga de Maputo – Professor Preguiça, Professor Valentin – Maputo, Mozambique
Während meiner Sommerferien war ich im südlichen Afrika. Ich habe diese Gelegenheit wahrgenommen, um die Feldforschung für meine Maturitätsarbeit auszuweiten. Ich organisierte dafür ein Treffen mit einer Capoeiragruppe in Maputo, der Hauptstadt von Mozambique.
Besonders neugierig war ich darauf, weil in Afrika die Wurzeln der Capoeira liegen. Wäre die Capoeira dort folglich ursprünglicher und der Capoeira Angola wieder näher? Zudem spannend würde es werden, weil sich diese Capoeira-Gruppe auf einem anderen Kontinent befindet und die Kultur, der Lebensstil und die Gesellschaft sich stark von unseren unterscheiden.
Beim Treffen stellte ich überrascht fest, dass ihre Capoeira bis auf minime Differenzen die gleiche Form wie unsere hatte. Dies, obwohl die Gruppe keinen Kontakt mit Brasilien hat und die Capoeira über „viele Ecken“ weitergegeben wurde. Nur einmal waren beide Trainer in Brasilien gewesen, öfters war aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen. Sie haben die Kampfkunst nicht von einem Brasilianer gelernt, sondern von einer Dänin, die Capoeira wiederum in Europa gelernt hat und später diese Gruppe als erste in Mozambique gegründet hat. Trotz der grossen Umwege „dieser“ Capoeira seit Brasilien, haben unsere Stile enorme Ähnlichkeit. Heutzutage scheint dies auf Grund der Verbreitung und Beeinflussung durch die elektronischen Medien weniger überraschend. Die Gruppe wurde jedoch im Jahre 1999 gegründet als in Mozambique im Schnitt nur eine Person von tausend Internetnutzer war[2]. Infolge dessen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Gruppe durch das Internet beeinflusst worden war, was die Gleichartigkeit unserer Form der Capoeira erwähnenswert macht.
Beim Besuch lernte ich selbstverständlich die Leitenden der Gruppe Ginga de Maputo kennen, die zwei Trainer Preguiça und Valentin. Beide sind Mozambikaner. Somit waren sie die ersten nicht-brasilianischen Trainer, die ich kennenlernte. Ich erkläre mir dies dadurch, dass die meisten Capoeira-Trainer als Wirtschaftsflüchtlinge nach Europa auswandern, da sie auf einen höheren Lebensstandard hoffen. In Mozambique hingegen wäre der Standard gleich oder sogar schlechter. Deshalb besteht für die meisten Capoeiristas aus Brasilien wahrscheinlich kein Interesse, nach Afrika auszuwandern, was wiederum für die Capoeira bedeuten könnte, dass sie in Afrika weniger verbreitet wäre als in Europa. Um diese Vermutung zu überprüfen, habe ich im Internet recherchiert. Ich suchte nach Gruppen in ganz Mozambique und konnte insgesamt zehn Capoeira-Gruppen ausfindig machen. In der Schweiz hingegen sind es nur schon in der Stadt Zürich gleich viele.[3] Es scheint tatsächlich, dass es in Mozambique weniger Capoeira-Gruppen gibt als in der Schweiz. Diese Aussage kann ich jedoch nicht belegen, denn es könnte sein, dass die Gruppen auf dem afrikanischen Kontinent nicht im Internet eingetragen sind, da der Zugang zum Internet dort nicht überall selbstverständlich ist.
Während meines ganzen Aufenthaltes in Mozambique schien mir allerdings, dass die Capoeira dort bekannter ist als bei uns. Alle Mozambikaner, mit denen ich über die Capoeira sprach, wussten Bescheid über sie. In der Schweiz mache ich hingegen immer wieder die Erfahrung, dass viele Leute nicht wissen, was Capoeira ist. Diese Beobachtung würde meiner vorherigen These widersprechen, denn normalerweise ist etwas bekannter, je verbreiteter es ist.
Ich habe eine einfache und logische Erklärung gefunden, die diesen Widerspruch aufheben könnte. Ich denke, die Kenntnis über die Capoeira, zumindest in Mozambique, rührt von der Öffentlichkeitsarbeit, welche die Gruppe unbewusst betreibt. Mir wurde nämlich erzählt, dass sie regelmässig Rodas in der Stadt durchführt. Normalerweise treffen sich die Capoeiristas jedes Wochenende, ohne abgemacht zu haben, am Strand oder in einem Stadtpark. Dies sind immer Orte, an denen sich viel abspielt und viele Leute anzutreffen sind. Aus diesem Grunde kommt die Bevölkerung Maputos in Kontakt mit der Capoeira, was dazu führt, dass die Einwohner die Capoeira kennen lernen. Bei uns hingegen ist die Capoeira selten auf der Strasse anzutreffen.
Etwas anderes Interessantes ist, dass die Philosophie und die Geschichte der Capoeira für die Gruppe Ginga de Maputo einen sehr hohen Stellenwert haben. Nach jedem Training wird zusammengesessen und es werden die geistigen Aspekte der Capoeira thematisiert. Preguiça erläuterte, dass für ihn Capoeira eine Familie sei und Vertrauen, Respekt, Toleranz und Liebe lehre. Die Capoeira öffne einen anderen Blickwinkel auf das Leben und die Welt. Auch für Valentin scheint die Capoeira weit mehr als nur Sport zu sein, denn er bezeichnete die Capoeira als Ausdrucksfreiheit. Für ihn ist Capoeira eine Kunst zu leben.
Während des Besuches merkte ich zudem, dass die Frauen stark in der Unterzahl sind, nur eine auf acht Männer. Ob dies auf die mozambikanischen Kultur oder auf Zufall zurückzuführen ist, kann ich nicht beurteilen. Auch niemand aus einer tieferen Gesellschaftsschicht trainiert mit der Gruppe. Preguiça betonte zwar, dass die Capoeira für alle sei, jedoch musste er zugeben, dass der Unterricht der Capoeira in Mozambique ein Privileg für die höheren Gesellschaftsschichten ist.
Etwas hat mich bei diesem Besuch am meisten beeindruckt. Vor dem Training hatte ich mich vergewissern wollen, dass die Gruppe Capoeira Regional trainiert. Preguiça lächelte auf die Frage hin und erklärte mir, dass er und Valentin eben nur Capoeira vermitteln. Sie lehren weder Capoeira Regional, Capoeira Angola, Capoeira Contemporânea noch einen anderen Capoeira-Stil, sondern nur Capoeira. Sie wollen nicht zwischen verschiedenen Stilen unterscheiden, weil es für sie nur „EINE“ Capoeira gebe.
5.4 – Erkenntnisse durch die Besuche der Capoeira-Regional-Gruppen
Was sich bei den meisten Gruppen unterscheidet, ist der Aufbau des Trainings. Es werden unterschiedliche Sequenzen und neben den Grundlagen andere Bewegungen geübt. Was die Kleidung betrifft gibt es ebenfalls Differenzen, trotz der, von Mestre Bimba eingeführten, Tradition eines weissen Tenues. Viele Capoeiristas halten nur bei den Rodas daran fest. Auch der Brauch unterschiedlicher Instrumente ist auffallend. Oft wird spontan aufgrund der Teilnehmerzahl und der Verfügbarkeit der Instrumente entschieden, welche Instrumente bei der jeweiligen Roda eingesetzt werden. Und selbstverständlich haben die Gruppen eine unterschiedliche Anzahl Mitglieder.
Die verschiedenen Gruppen spielen in der Roda mit individuellen Stilelementen. Bei einer Gruppe überwiegt die Akrobatik, bei einer anderen der Kampf, die Harmonik oder der Tanz. Dies hindert die Capoeiristas verschiedener Gruppen nicht daran, miteinander zu spielen und ihren individuellen Stil auszuleben. Rücksichtnahme und ein wenig Anpassungsfähigkeit gehören zum Spiel dazu. Es fällt auf, dass die Spieler mit einem Stil, welcher hohe und niedrige Bewegungen kombiniert, es bei der Einigung verschiedener Stile leichter haben. Die Capoeiristas hingegen, welche hauptsächlich an hohe Tritte gewöhnt sind, haben mehr Mühe, sich an tiefe Schläge anzupassen, da diese im Spiel für sie überraschend kommen und ungewohnt sind.
Diese kleinen Verschiedenheiten der Spielweisen führe ich darauf zurück, dass die Gruppen sich in Ländern mit unterschiedlichen Kulturen befinden. Die Gruppen in der Schweiz beziehungsweise in Zürich unterscheiden sich trotzdem untereinander, was vermutlich daran liegt, dass jeder Trainer wegen des Fehlens von allgemeinen Regeln, seinen eigenen Stil in den Unterricht einfliessen lässt und die Form der Capoeira so lehrt, wie er sie bevorzugt.
Nachdem ich viele verschiedene Gruppen besucht hatte, musste ich feststellen, dass ich mich an meinem ursprünglichen Ziel, die Unterschiede der verschiedenen Capoeira-Regional-Gruppen aufzuzeigen, nicht festhalten konnte. Natürlich habe ich Differenzen bemerkt, doch diese waren nicht grundlegend. Im Gegenteil, ich habe sogar herausgefunden, dass mehr existiert, was die verschiedenen Gruppen verbindet als trennt. Jede Gruppe hiess mich sofort willkommen und freute sich über meinen Besuch. Meine Visite lehrte nicht nur mich mehr, sondern auch die Gastgeber. Wir lernten gegenseitig Neues und tauschten uns aus.
Bei keinem Training hatte ich Probleme gehabt mitzumachen. Selbst in Mozambique gelang die Einigung unserer Stile. Die Rituale und Traditionen bezüglich der Roda sind grundsätzlich in allen Gruppen gleich. Bei jeder Capoeira-Regional-Gruppe, die ich kennengelernt habe, wurde das Spiel mit Musik begleitet und die Spiele wurden „gekauft“. Sogar viele Lieder, die gesungen wurden, kannte ich, da es so etwas wie „Grundlieder“ gibt, welche ich in allen besuchten Capoeira-Gruppen angetroffen habe und deren Texte auch in der Literatur zu finden sind. Manchmal unterschieden sie sich zwar minim, doch sogar ohne Portugiesischkenntnisse, hatte ich keine Schwierigkeiten mitzusingen.
Diese grundlegende Ähnlichkeit der Capoeira in den verschiedenen Gruppen leite ich aus ihrem gemeinsamen Ursprung her, also besonders daher, dass die Wurzeln der verschiedenen Gruppen, soweit ich es beurteilen kann, meist nach Brasilien zurückführen, selbst wenn dies über viele Umwege geschieht wie zum Beispiel in Mozambique. Nichtsdestotrotz bleibt diese gewonnene Erkenntnis erstaunenswert, da es in der Capoeira keine geschriebenen Regeln gibt. Sie hätte sich demzufolge innerhalb der Gruppen sehr unterschiedlich entwickeln können. Dies tat sie möglicherweise, zusätzlich zu den oben genannten Gründen, nicht, weil die Gruppen heutzutage (international) untereinander vernetzt sind und Traditionen, die von den Mestres weitergegeben werden, stärker sind als der natürliche Drang nach Veränderung.