Zielgruppe: Tagesschaupublikum
Wie der Wolf der Tanne hilft
In der Schweiz ernährt sich das Wild oft von den Trieben der Tanne. Ungefähr ein Drittel aller Tannen wird jährlich verbissen. Die Gestaltung des Waldes durch den Förster und die Regulation der Wildtiere durch die Jäger vermindern den Verbiss momentan nicht ausreichend. Das Wild richtet weiterhin erheblichen Schaden an, deshalb braucht die Tanne zusätzlich die Hilfe des Wolfs.
Der Wald dient dem Menschen als Erholungsgebiet, zur Holzproduktion, als Wasserreiniger und zum Schutz vor Naturgefahren. Ein sehr wichtiger Baum in Schweizer Wäldern ist die Tanne (Abies alba). Nach der Fichte ist sie der zweitwichtigste Rohholzlieferant und spielt deswegen eine bedeutende Rolle in der Schweizer Waldwirtschaft. Die Tanne ist jedoch durch Wild gefährdet, so dass die Tannensprösslinge vielerorts nicht ohne Schutz aufwachsen können. Das Wild ernährt sich unter anderem von den Trieben der Tanne und schädigt so die Pflanze, was als Verbiss bezeichnet wird.
Verbiss an der Tanne durch Wildtiere
Wenn eine Tanne aus dem Samen aufkommt, dann muss sie möglichst schnell in die Höhe wachsen. Nur so kann sie den Kampf um genügend Licht überleben. An diesem kritischen Punkt kommt der Verbiss durch Wildtiere mit seinen negativen Folgen ins Spiel. In vielen Teilen der Schweiz werden jährlich 30 – 35 % der jungen Tannen verbissen. Die Hauptverantwortlichen für Schäden durch Verbiss sind Gämsen, Rothirsche und Rehe. Dabei fressen sie vor allem junge Nadeln, Triebe und Rinde.
Die direkte Folge des Verbisses ist meist ein langsameres Wachstum der Jungbäume, bei starkem Verbiss kann der Jungbaum absterben. Als Reaktion wächst die Jungtanne stärker in die Breite, um ihren Haupttrieb ausser Reichweite der Wildtiere zu bringen. Dieser ist verantwortlich für das Höhenwachstum der Tanne. Angenommen sie entwächst der Reichweite der Tiere, konkurriert sie weiterhin mit den anderen Bäumen um Licht. Eine von Verbiss geschädigte Tanne erliegt diesem Konkurrenzkampf häufig. Heute können viele junge Tannen ohne Schutz vor Verbiss nicht aufwachsen.
Nebst dem ökologischen Schaden bedeutet Verbiss auch ökonomischen Schaden. Selbst wenn die Tanne aufwächst, ist die Holzqualität durch die Verzweigung deutlich schlechter. Dadurch erzielt sie einen geringeren Preis auf dem Holzmarkt.
Einfluss der Waldpflege auf die Wildtierbestände
Ein Förster pflegt und hegt den Wald. Das heisst, er trägt wesentlich zur Struktur und der Zusammensetzung der Baumarten eines Waldes bei. Dies beeinflusst wiederum die Anzahl Wildtiere, die sich dort aufhalten. Rehe lieben beispielsweise offene Waldabschnitte, denn dort wachsen besonders viele Jungtannen. Wenn ein Förster entscheidet, eine kleine Fläche kahl zu schlagen, dann bietet dies optimale Bedingungen für Rehe. Der Förster kann also vorbeugende Massnahmen treffen, um indirekt den Wildverbiss zu reduzieren.
Regulation der Wildtierpopulationen durch die Jagd
Neben dem Förster reguliert ein Jäger Wildtierpopulationen, indem er diese gezielt erlegt. In der Natur halten Grossraubtiere wie der Wolf die Populationen auf einem relativ konstanten Niveau. Fallen diese weg, da der Mensch sie verdrängt hat, übernimmt der Jäger diese Aufgabe. Bietet der Wald allerdings optimale Verbissbedingungen wie die erwähnte Kahlschlagfläche, dann nimmt der Schaden mit kleineren Populationen nicht unbedingt ab. Die Jagd beeinflusst nicht nur die Anzahl der Rehe, sondern auch deren Verhalten. Denn diese meiden bei erkannter Gefahr das Jagdgebiet. Da die Jagd zeitlich und örtlich konzentriert stattfindet, beeinflusst sie das Verhalten anders als die Grossraubtiere. Deswegen kann die Jagd Grossraubtiere nicht vollständig ersetzen.
Der Wolf als natürlicher Feind der Wildtiere
Wie bereits erwähnt, reguliert der Wolf natürlicherweise die Wildtierbestände. Um dieser Aufgabe in der Schweiz nachkommen zu können, bräuchte es deutlich mehr Wölfe. Deswegen kann der Wolf die Jagd zur Regulation der Bestände momentan nur ergänzen.
Der Wolf hat allein durch seine Anwesenheit schon einen Effekt. Die Wildtiere sind durch den Wolf Stress ausgesetzt. Zudem verhalten sie sich in der Gegenwart des Wolfes anders. Zum Beispiel bleiben sie weniger lang auf offenen Flächen oder sie meiden Waldgebiete mit viel herumliegendem Holz. Orte, an denen diese Verhaltensänderung ausgelöst wird, werden als “Landscapes of fear” bezeichnet. In diesen gibt es grundsätzlich weniger Verbiss.
Momentan hat der Wolf jedoch einen erschwerten Stand, vor allem bei der ländlichen Bevölkerung. Deshalb ist es unumgänglich, dass eine Rückkehr des Wolfes – Rückkehr der Natur möchte man fast sagen – von der lokalen Bevölkerung mitgetragen wird.
Die drei Einflussfaktoren Waldpflege, Jagd und Wolf im Vergleich
Der Schutz der Tanne vor Verbiss macht in der Schweiz Sinn, denn sie ist ökonomisch wertvoll. Einerseits sollten die Förster den Wald so pflegen, dass keine attraktiven Stellen für Verbiss geschaffen werden. Andererseits führt der Wolf ebenfalls zu einer Verringerung von Verbiss. Die Jagd kann in der Schweiz Grossraubtiere wie den Wolf nur begrenzt ersetzen. Deswegen denken wir, dass es wichtig ist, den Wolf wieder in die Schweizer Landschaft zu integrieren. Die Tanne kann dadurch unserer Meinung nach besser vor Verbiss geschützt werden.
Die Lage des Wolfes in der Schweiz
In der Schweiz ist die Diskussion um den Schutz des Wolfes sehr aktuell. Die Bevölkerung wird über das Jagdgesetz abstimmen müssen, welches unter anderem den Wolf weniger schützen soll. Damit die Schweizer Bevölkerung sich eine Meinung zu diesem emotionalen Thema bilden kann, sollte die Berichterstattung möglichst ausgewogen verlaufen. Dieser Blogbeitrag könnte dabei eine Grundlage liefern, die positiven, ökologischen Auswirkungen des Wolfes darzustellen.
Referenzen
Frey, H.-U. (2003) ‘Die Verbreitung und die waldbauliche Bedeutung der Weisstanne in den Zwischenalpen. Ein Beitrag für die waldbauliche Praxis’, Schweizerische Zeitschrift fur Forstwesen. Swiss Forestry Society, 154(3–4), pp. 90–98.
Kupferschmid, A. D., Brang, P. and Bugmann, H. (2019) ‘Assessment of the impact of ungulate browsing on tree regeneration’, Schweizerische Zeitschrift fur Forstwesen. Schweizerischer Forstverein, 170(3), pp. 125–134.
Odermatt, O. (1999) ‘Einfluss freilebender Wiederkäuer auf die Verjüngung des Schweizer Waldes’, Schweizerische Zeitschrift fur Forstwesen, 150(9), pp. 313–326.
Proffitt, K. M. et al. (2009) ‘Contrasting Effects of Wolves and Human Hunters on Elk Behavioral Responses to Predation Risk’, Journal of Wildlife Management, 73(3), pp. 345–356.
Reimoser, F. and Gossow, H. (1996) ‘Impact of ungulates on forest vegetation and its dependence on the silvicultural system’, Forest Ecology and Management, 88, pp. 107–126.
Senn, J. and Häsler, H. (2005) ‘Wildverbiss: Auswirkungen und Beurteilung’, Forum für Wissen, 2005, pp. 17–25.
Zusätzliche Quellen
Bundesamt für Statistik (BFS) (2019) ‘Forstwirtschaft der Schweiz – Taschenstatistik 2019’.
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) (2020) ‘Abstimmung über das revidierte Jagdgesetz’.
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