1.6 Relationen
In diesem Abschnitt besprechen wir Relationen auf Mengen. Mit Relationen werden wir im Gegensatz zum vorherigen Abschnitt in der Lage sein, zum Beispiel die Menge der rationalen Zahlen formal korrekt aus den ganzen Zahlen (und mit etwas mehr Arbeit auch aus den natürlichen Zahlen) zu konstruieren.
Definition 1.58 (Relationen).
Seien und Mengen. Eine Relation auf ist eine Teilmenge . Wir schreiben auch falls und verwenden oft Symbole wie für Relationen. Falls ist, dann sprechen wir auch von einer Relation auf . Wenn (resp. , …) eine Relation ist, dann schreiben wir auch „“ (resp. „ “, …) für „ “ (resp. „ “, …).
Zum Beispiel sind und Relationen auf , die wir mittels der Addition auf folgendermassen definieren könnten: Wir schreiben für falls es ein mit gibt, und wir schreiben falls oder gilt.
Übung 1.59 (Eine bekannte Relation).
In einem gewissen Sinne haben wir schon eine gewisse Klasse von Relationen betrachtet. Seien Mengen und sei eine Relation auf , die die folgende Eigenschaft erfüllt:
Wie nennen wir eine solche Relation gemeinsam mit und ? Welches Symbol verwenden wir statt dem Symbol in diesem Zusammenhang?
Des Weiteren beschreibt die folgende Definition eine wichtige Klasse von Relationen:
Definition 1.60 (Äquivalenzrelationen).
Eine Relation auf ist eine Äquivalenzrelation, falls folgende drei Eigenschaften erfüllt sind:
Äquivalenzrelationen sind oft durch eine Gleichheit in gewissen Aspekten definiert und sollten als eine Form von einer Gleichheit angesehen werden. In der Tat bezieht sich der Ausdruck „das Gleiche“ in der deutschen Sprache auf eine Art „Äquivalenzrelation“ (die je nach Zusammenhang verschieden sein kann), wohingegen der Ausdruck „dasselbe“ nur für „ein und dasselbe“ Objekt verwendet werden sollte.
Beispiel 1.61 (Beispiele von Äquivalenzrelationen).
- (i)
- Das einfachste Beispiel einer Äquivalenzrelation auf einer beliebigen Menge ist die Gleichheit, also die Relation .
- (ii)
- Ein weiteres allgemeines Beispiel ist die sogenannte triviale Relation , bezüglich der je zwei Elemente in äquivalent sind.
- (iii)
- Wir betrachten ein Beispiel in der ebenen (euklidschen) Geometrie. Sei die Menge der Geraden in der Ebene. Zu zwei Geraden schreiben wir
Dies definiert eine Äquivalenzrelation auf (wieso?).
- (iv)
- Äquivalenzrelationen werden in anderen Wissenschaften oder auch im Alltag häufig verwendet. Beispielsweise kann man auf der Menge aller Lebewesen eine Äquivalenzrelation definieren, in dem man zwei Lebewesen für äquivalent erklärt, wenn sie zur selben Art (oder Gattung oder Familie) gehören.
Übung 1.62 (Zwei weitere Beispiele).
In dieser Übungen möchten wir zwei weitere Beispiele von Äquivalenzrelationen besprechen. Sei eine Menge.
- (i)
- (Quetschen einer Teilmenge) Sei eine Teilmenge. Zeigen Sie, dass die Relation gegeben durch
für eine Äquivalenzrelation auf definiert.
- (ii)
- (Äquivalenz über eine Abbildung) Sei eine Abbildung in eine weitere Menge . Wir definieren eine Relation auf durch
für alle . Zeigen Sie, dass eine Äquivalenzrelation auf definiert.
Übung 1.63 (Ein falscher Beweis).
In dieser Aufgabe behaupten wir fälschlicherweise, dass jede symmetrische und transitive Relation auf einer Menge auch reflexiv ist (d.h. eine Äquivalenzrelation ist). Finden Sie den Fehler in folgendem „Beweis“ :
Sei ein Element. Sei , so dass . Wegen Symmetrie der Relation gilt also auch . Folglich gilt unter Verwendung der Transitivität der Relation , was zu zeigen war.
Finden Sie ein Beispiel einer Relation, die symmetrisch und transitiv, aber nicht reflexiv ist.
Übung 1.64 (Beispiele allgemeiner Relationen).
Finden Sie eine Relation auf den natürlichen Zahlen , die von den Eigenschaften einer Äquivalenzrelation
erfüllt.
Wie schon erwähnt ist eine Äquivalenzrelation gewissermassen eine Form von Gleichheit. Dies lässt sich auch formalisieren:
Definition 1.65 (Äquivalenzklassen und die Quotientenmenge).
Sei eine Äquivalenzrelation auf einer Menge . Dann wird für die Menge
die Äquivalenzklasse von genannt. Weiters ist
der Quotient (oder die Quotientenmenge) von modulo . Ein Element wird auch Repräsentant seiner Äquivalenzklasse genannt.
Anschaulich gesprochen geben wir äquivalente Elemente von in ein und denselben Topf und nicht äquivalente Elemente in verschiedene Töpfe. In diesem Bild besteht die Äquivalenzklasse eines Elements aus allen Elementen, die im gleichen Topf sind. Der Quotient modulo wiederum ist die Menge der Töpfe. Die Begriffe der Äquivalenzrelation und der Partition in Definition 1.51 sind auf folgende Weise eng verwandt.
Proposition 1.66 (Korrespondenz zwischen Äquivalenzrelationen und Partitionen).
Sei eine Menge. Dann entsprechen Äquivalenzrelationen auf und Partitionen von einander im folgenden Sinne: Für eine gegebene Äquivalenzrelation auf ist die Menge
eine Partition von . Umgekehrt definiert für eine Partition von
für eine Äquivalenzrelation auf . Des Weiteren sind die Konstruktion der Partition aus der Äquivalenzrelation und die Konstruktion der Äquivalenzrelation aus der Partition zueinander invers: Für jede Partition von gilt und für jede Äquivalenzrelation auf gilt .
Sei eine Menge, eine Äquivalenzrelation auf und wie in Proposition 1.66 definiert. Selbstverständlich gilt nach den Definitionen eigentlich . Wir möchten jedoch zwei verschiedene Symbole mitführen, da wir und jeweils verschieden interpretieren möchten. werden wir stets als eine Kollektion von Teilmengen von auffassen; hingegen werden wir als einen neuen Raum erachten, wo die Punkte durch Identifikation („Aneinanderkleben“) von gewissen Punkten in entstanden sind. (Die Punkte in sind die Teilmengen von , die in enthalten sind).
Applet 1.67 (Eine Äquivalenzrelation und deren Quotient).
Links wird eine Menge partitioniert, was einer Äquivalenzrelation auf entspricht. Rechts betrachten wir die Menge der Äquivalenzklassen, also den Quotienten von bzüglich . Die Menge links könnte eine abstrakte Menge darstellen oder den Einheitskreis. Im letzteren Fall muss klar definiert sein, zu welcher Menge die Punkte der Kanten, bei denen der Kreis unterteilt wird, gehören. Wir haben dies im Beispiel mit Farben angedeutet.
Übung 1.68 (Zwei Quotienten).
Charakterisieren Sie die Äquivalenzklassen der beiden in Übung 1.62 (ii) definierten Äquivalenzrelation . Zeigen Sie jeweils, dass (wie in obiger Proposition definiert) eine Partition ist (ohne auf die noch nicht-bewiesene Proposition zurückzugreifen) und beschreiben Sie intuitiv.
Für den Beweis der Proposition 1.66 ziehen wir folgende Behauptung vor:
Behauptung.
Sei eine Äquivalenzrelation auf . Dann sind folgende drei Aussagen für alle (paarweise) äquivalent:
- (i)
- (ii)
- (iii)
Beweis der Behauptung. Wir beweisen die Implikationen , woraus folgt, dass alle drei Aussagen äquivalent sind. Seien .
Wir nehmen also zuerst an, dass gilt wie in . Sei . Dann ist und also und wegen der Transitivität. Die andere Inklusion folgt analog (durch Vertauschen von und ) und es gilt wie in .
Gilt wie in , so folgt wie in wegen Reflexivität.
Gilt wie in , so existiert ein mit und . Aus Symmetrie und Transitivität folgt daher wie in . □
Beweis von Proposition 1.66. Sei eine Äquivalenzrelation auf . Dann gilt , da für jedes . Paarweise Disjunktheit der Elemente von gilt dank der Behauptung und es folgt, dass eine Partition ist.
Sei nun eine Partition von und sei die Relation wie in der Proposition definiert. Es ist für jedes auch , da es wegen ein gibt mit ; dies zeigt Reflexivität. Falls für , dann folgt direkt aus der Definition, das heisst ist symmetrisch. Angenommen es gilt und . Dann gibt es ein Partitionselement mit und mit . Insbesondere ist und daher nach den Eigenschaften der Partition. Es folgt , und die Transitivität der Relation . Daher ist eine Äquivalenzrelation.
Für ist die Äquivalenzklasse bezüglich gegeben durch
Da aber die Elemente von paarweise disjunkt sind, kann nur in einem Element enthalten sein. Insbesondere folgt, dass das eindeutig bestimmte Element der Partition ist, das enthält, und . Ist und , so gilt , also .
Ist umgekehrt eine Äquivalenzrelation auf und die entsprechende Partition, dann gilt für alle
nach der Definition von und der Behauptung. □
Man verwendet Quotienten modulo Äquivalenzrelationen in der Mathematik oft für die Konstruktion von gewissen Räumen und auch von neuen Zahlenmengen. Wir betrachten zu letzterem ein einfaches und grundlegendes Beispiel: Wir konstruieren die rationalen Zahlen aus den ganzen Zahlen.
Beispiel 1.69 (Konstruktion der rationalen Zahlen).
Wir nehmen an, dass wir bereits die ganzen Zahlen und die Addition und Multiplikation auf mit allen üblichen Eigenschaften kennen und wollen damit die rationalen Zahlen definieren. Zu diesem Zwecke betrachten wir die Relation auf definiert durch
für . Diese Definition rührt daher, dass wir rationale Zahlen als Brüche von ganzen Zahlen auffassen möchten. Dabei müssen wir allerdings solche identifizieren, die „nach Kürzen“ gleich sind; zum Beispiel sollte gelten . Allerdings wollen wir hier davon ausgehen, dass wir die rationalen Zahlen noch nicht kennen, weswegen wir anstatt Gleichungen der Form Gleichungen der Form mit Ausdrücken innerhalb von betrachten (im Beispiel ).
Nun verifzieren wir, dass obige Relation tatsächlich eine Äquivalenzrelation ist. Seien dazu .
Da nicht Null ist, können wir in obiger Gleichung Wegstreichen (was eine der Eigenschaften von ist und nicht verwendet), womit sich und damit ergibt.
Der Quotient kann nun als Definition der rationalen Zahlen angesehen werden. Für eine Äquivalenzklasse schreibt man wie üblich . Damit gilt nun die Gleichung
für und . In der Tat bezeichnen nach Definition beide Seiten Äquivalenzklassen und die Gleichung gilt genau wenn
oder äquivalenterweise erfüllt ist. Da letzteres gilt, erfüllen damit die so definierten rationalen Zahlen die üblichen Erweiterungs- und Kürzungsregeln.
Des Weiteren lässt sich als Teilmenge von auffassen. In der Tat ist die Abbildung
injektiv, denn die Gleichung ist für per Definition genau dann erfüllt, wenn ist. Wir identifizieren mit dem Bild obiger Abbildung und schreiben insbesondere für .
Wir wollen kurz zu allgemeinen Quotienten zurückkehren, also sei eine Menge und eine Äquivalenzrelation auf . Häufig will man eine Funktion auf unter Verwendung der Elemente von (also der Repräsentanten der Äquivalenzklassen) definieren. Zum Beispiel möchten wir in obigem Beispiel in der Lage sein, zusätzliche Abbildungen auf zu definieren (unter anderem die Addition und die Multiplikation).
Konkreter, wenn eine weitere Menge ist und eine Funktion ist, wollen wir möglicherweise durch
eine Funktion definieren. Dies ist aber nur dann möglich, wenn für (also ) auch impliziert. In diesem Fall ist unabhängig von der Wahl des Repräsentanten der Äquivalenzklasse . Also definiert dies in der Tat eine Funktion , die jedem Element des Definitionsbereichs ein eindeutig bestimmtes Element zuordnet. Zur Betonung dieser (für Funktionen notwendiger) Eigenschaft sagen wir in diesem Fall, dass wohldefiniert ist.
Übung 1.70 (Addition und Multiplikation auf den rationalen Zahlen).
Wir definieren nun zusätzliche Strukturen auf . Zeigen Sie, dass die Abbildungen
und
wohldefiniert sind. Verifizieren Sie des Weiteren die Rechenregeln
für und . Sie dürfen in dieser Aufgabe zwar alle üblichen Rechenregeln und Eigenschaften von verwenden, aber nicht jene von (da wir letztere ja definieren wollen).