Ausgangspunkt der Einführung der komplexen Zahlen war das Bestreben, aus negativen Zahlen die Wurzel zu ziehen. Wir haben gesehen, dass wir sogar die [latex]n[/latex]-ten Wurzeln aus jeder Zahl ziehen können und viele andere Gleichungen lösen können. In Wirklichkeit gilt ein viel allgemeinerer Satz: der Fundamentalsatz der Algebra.
Proposition : ohne Beweis
Jedes Polynom [latex]P:\mathbb {C}\rightarrow \mathbb {C}[/latex] besitzt mindestens eine Nullstelle.
Korollar
Jedes Polynom vom Grad [latex]n\in \mathbb {N}[/latex] kann man zerlegen in [latex]n[/latex], nicht notwendigerweise verschiedene Linearfaktoren. Das heisst
wobei [latex]z_{i}\in \mathbb {C}[/latex] die Nullstellen sind.
Beweis des Korollars
Sei [latex]P(z)[/latex] ein beliebiges Polynom vom Grad [latex]n[/latex]. Laut der obigen Proposition hat [latex]P(z)[/latex] eine Nullstelle, welche wir mit [latex]z_{1}[/latex] bezeichnen. Dann ist [latex]P[/latex] durch [latex]z-z_{1}[/latex] teilbar und durch ein Polynomdivision finden wir [latex]P_{1}[/latex], ein Polynom vom Grad [latex]n-1[/latex], sodass
Jetzt verwenden wir nochmals die obige Proposition aber diesmal mit dem Polynom [latex]P_{1}[/latex]. Laut dieser Proposition finden wir eine Nullstelle [latex]z_{2}[/latex] von [latex]P_{1}(z)[/latex] und dann ist [latex]P_{1}[/latex] durch [latex]z-z_{2}[/latex] teilbar. Mit der Polynomdivision finden wir [latex]P_{2}(z)[/latex] vom Grad [latex]n-2[/latex], sodass
So fahren wir fort ([latex]n[/latex]-mal), bis wir [latex]P(z)[/latex] als
ausdrücken können, wobei [latex]P_{n}(z)[/latex] ein Polynom vom Grad [latex]0[/latex] ist. Das heisst [latex]P_{n}(z)[/latex] ist einfach eine Konstante. Wir können diese Konstante mit [latex]a_{n}[/latex] bezeichnen, und erhalten damit die erwünschte Zerlegung. ∎
Bemerkung
Die Nullstellen [latex]z_{1},z_{2},\cdots ,z_{n}[/latex] sind nicht notwendig verschieden! Hier ist ein extremes Beispiel:
Die obige Proposition stimmt natürlich nicht über [latex]\mathbb {R}[/latex]. Alles in diesem Kapitel hat mit der Tatsache angefangen, dass [latex]x^{2}+1=0[/latex] keine Nullstellen in [latex]\mathbb {R}[/latex] hat. Falls [latex]P[/latex] ein Polynom mit reellen Koeffizienten ist, so sind die zugehörigen Nullstellen nicht notwendigerweise reell. Es gilt aber:
Lemma
Sei [latex]P[/latex] ein reelles Polynom von Grad [latex]n[/latex], das heisst,
mit [latex]a_{i}\in \mathbb {R}[/latex]. Ist [latex]z_{0}[/latex] eine Nullstelle von [latex]P[/latex], so ist auch ihre komplex konjugierte Zahl [latex]\bar {z_{0}}[/latex] eine Nullstelle von [latex]P[/latex]. Weiter gilt, dass die Anzahl der Nullstellen, die nicht reell sind, immer gerade ist.
Beweis des Lemmas
Wir werden nur den ersten Teil des Lemmas beweisen. Erinnern Sie sich, dass gilt
Deshalb gilt auch
für jedes [latex]n\in \mathbb {N}[/latex] und [latex]z\in \mathbb {C}[/latex].
Da [latex]z_{0}[/latex] eine Nullstelle ist, gilt
Wir konjugieren beide Seiten dieser Gleichung
und verwenden die obigen Regeln
Da [latex]a_{i}\in \mathbb {R}[/latex] sind, gilt [latex]\overline {a_{n}}=a_{n}[/latex]. Daher bekommen wir
Das heisst genau, dass [latex]P(\overline {z_{0}})=0[/latex] gilt, sprich: [latex]\overline {z_{0}}[/latex] eine Nullstelle von [latex]P[/latex] ist. ∎
Bemerkung
Betrachten wir den Fall eines quadratischen Polynoms der Form
Zuerst möchten wir die Beziehung zwischen den Nullstellen und den Koeffizienten verstehen. Das obige Korollar besagt, dass [latex]P[/latex] die Form
hat, wobei [latex]z_{1}[/latex] und [latex]z_{2}[/latex] die Nullstellen dieses Polynoms sind. Wenn man die Klammern ausmultipliziert
sieht man, dass [latex]\alpha =-(z_{1}+z_{2})[/latex] und [latex]\beta =z_{1}z_{2}[/latex] gilt. Daraus schliessen wir
das heisst, wenn die Nullstellen reell sind, sind es auch die Koeffizienten.
Die Umkehrung dieser Implikation ist falsch. Die Koeffizienten von [latex]P(z)=z^{2}+1[/latex] sind reell, aber die Nullstellen sind nicht reell. Dennoch besagt das obige Lemma , dass die Nullstellen komplex konjugierte voneinander sein müssen! Das ist in der Tat so. Die Nullstellen sind [latex]i[/latex] und [latex]-i[/latex].
Sei nun [latex]z_{0}=a+bi[/latex] irgendeine komplexe Zahl. Allgemeiner können wir untersuchen, wie das Polynom [latex]Q[/latex] aussieht, dessen Nullstellen [latex]z_{0}[/latex] und [latex]\overline {z_{0}}[/latex] sind. Vom obigen Lemma erwarten wir, dass dieses Polynom reelle Koeffizienten hat, und so ist es in der Tat:
und [latex]z_{0}+\overline {z_{0}}[/latex] und [latex]z_{0}\overline {z_{0}}[/latex] sind reelle Zahlen
Also hat [latex]Q[/latex] die Form
Wenn wir ein reelles Polynom zweiten Grades haben, besagt obiges Lemma, dass es zwei Möglichkeiten gibt: Entweder sind beide Nullstellen reell, oder ein Paar komplex konjugierter Nullstellen.
Aufgabe
Entscheiden Sie, ob die folgenden Aussagen wahr oder falsch sind:
- Ein reelles Polynom dritten Grades muss zumindest eine reelle Nullstelle haben.
- Ein komplexes Polynom vom dritten Grad muss zumindest eine reelle Nullstelle haben.
6.1 – Zusätzliches Material
Unser Geogebra-Buch enthält weitere (graphische) Anschauungen und Übungsmaterial für das ganze Thema.