In diesem Abschnitt werden die Zusammenhänge unseres Systems ausgehend von den bisher erarbeiteten einzelnen Komponenten beschrieben. Um die Dynamik der Rückkopplung zu modellieren, ist es essentiell, die Änderungsraten der Proteinkonzentrationen miteinander zu verknüpfen. Beginnen wir mit der Änderungsrate der Konzentration des Proteins R. Wir fragen uns also: Von was hängt die Änderungsrate [latex]\frac{d[R]}{dt}[/latex] dieses Proteins ab?
Die Änderung der Konzentration von R entspricht der Differenz zwischen der Syntheserate von R und der Abbaurate von R:
\[\frac{d[R]}{dt}=R_{Synthese}-R_{Abbau}\]
Im Folgenden werden die Abbau- und Syntheserate einzeln betrachtet und in einen Kontext gesetzt.
6.1 – Die Abbaurate von R
Die Abbaurate von [latex]R[/latex] ist abhängig davon, wie schnell das Protein vom Organismus abgebaut wird. Da in einer Zelle ein Protein tausend- bis millionfach vorhanden ist, reicht es für unsere Berechnungen, wenn wir die durschnittliche Lebensdauer eines Proteins betrachten. Diese wird für das Protein R als [latex]\tau_R[/latex] bezeichnet und ist eine Konstante. Teilt man nun die momentane Konzentration von R durch seine durchschnittliche Lebensdauer, erhalten wir die Abbaurate von R zu diesem Zeitpunkt:
\[R_{Abbau}=\frac{[R(t)]}{\tau_R}.\]
Den zweiten Teil der Gleichung haben wir also bereits gefunden:
\[\frac{d[R]}{dt}=R_{Synthese}-R_{Abbau}\]
ist gleich:
\[\frac{d[R]}{dt}=R_{Synthese}-\frac{[R(t)]}{\tau_R}\]
6.2 – Die Syntheserate von R
Nun zum ersten Teil der Gleichung. Die Syntheserate von R ist in unserem Modell das Produkt von drei Faktoren: Der Transkriptionswahrscheinlichkeit [latex]\beta[/latex], der Translationsrate [latex]m[/latex] und dem Anteil aktivierter (gebundener) Promotoren [latex][A:P_R][/latex]. (Erklärungen der Variablen und Konstanten in Kapitel 4.2). Weitere Einflussfaktoren, wie bspw. die Transkription trotz nicht aktivierten Promotoren oder die Anzahl an RNA-Polymerase in einer Zelle werden nicht berücksichtigt.
\[R_{Synthese}=m_R\cdot\beta_R\cdot\frac{[A:P_R]}{[P_R^{total}]}\]
Im vorherigen Kapitel haben wir die Formel für die aktivierten Promotoren herausgefunden:
\[ \frac{[A:P_R]}{[P_R^{total}]}=\frac{K_A\cdot [A(t)]}{1+K_A\cdot [A(t)]}.\]
Erinnerung: Für den aktivierten (gebundenen) Promotor wurde in diesem Skript statt [latex][A:P_R][/latex] auch schon die Notation [latex][(A:P_R)_{aktiv}][/latex] verwendet. Ist also nun eine Konzentration [latex]A(t)[/latex] gegeben, so können wir mit dieser Formel ausrechnen, welcher Bruchteil aller Promotoren durch diese Konzentration [latex]A(t)[/latex] aktiviert wird. Damit können wir also [latex]\frac{[A:P_R]}{[P_R^{total}]}[/latex] ersetzen durch [latex]\frac{K_A\cdot[A(t)]}{1+K_A\cdot[A(t)]}[/latex].
Setzt man dies nun die Gleichung für [latex]R_{Synthese}[/latex] ein, ergibt das:
\[R_{Synthese}=m_R\cdot\beta_R\cdot\frac{K_A\cdot [A(t)]}{1+K_A\cdot [A(t)]}.\]
Da [latex]m_R\cdot\beta_R[/latex] als konstant angenommen wird, können wir jetzt also auch die Syntheserate von [latex]R[/latex] beschreiben.
6.3 – Die DGL für R
Wir haben also zugehörigeFormeln für die Syntheserate [latex]R_{Synthese}[/latex] und auch für die Abbaurate gefunden. Durch Einsetzen in die Differentialgleichung erhält man die vollständige Gleichung für die Änderung der Konzentration von [latex]R[/latex] in Abhängigkeit der Zeit:
6.4 – Lösungen dieser DGL
Annahme [A] konstant
Nehmen wir wieder an, dass die Konzentration von [latex]A[/latex] konstant ist. Dann erhalten wir eine DGL in der bekannten Form [latex]f' = a f +b[/latex], die wir bereits lösen können. Hier folgt für die allgemeine Lösung:
\[R’=-\frac{1}{\tau_R}\cdot R+\frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot[A]}{1+K_A\cdot[A]} \implies R(t)=C\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}+\frac{m_R\cdot\beta_R\cdot \tau_R\cdot K_A\cdot [A]}{1+K_A\cdot [A]}.\]
Wir nehmen den Anfangswert [latex]N_0=0[/latex] an, da in unserem Modell zu Beginn noch kein Repressorprotein R vorhanden ist. Damit erhalten wir:
\[ R(t) = \frac{m_R\cdot\beta_R\cdot \tau_R\cdot K_A\cdot [A]}{1+K_A\cdot [A]} \cdot \left( 1 – e^{-\frac{t}{\tau_R}} \right).\]
Der allgemeine Fall [latex][A] = A(t)[/latex]
Falls [latex][A] = A(t)[/latex] nicht konstant ist, können wir die DGL mit der Methode Variation der Konstanten lösen:
1. Schritt: Homogene Lösung:
\[R'(t)=-\frac{1}{\tau_R}\cdot R(t) \implies R(t)=K\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}\]
2. Schritt: Variation der Konstanten: [latex]R(t)=K(t)\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}[/latex] mit Ableitung \[R'(t)=K'(t)\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}-\frac{1}{\tau_R}K(t)e^{-\frac{t}{\tau_R}}.\]
3. Schritt: Einsetzen in die DGL:
Mit [latex]\displaystyle R'(t)=-\frac{1}{\tau_R}R(t)+\frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}[/latex]
ergibt sich:
\[K'(t)\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}-\frac{1}{\tau_R}=-\frac{1}{\tau_R}K(t)\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}=-\frac{1}{\tau_R}K(t)\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}+\frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}\]
Mit Kürzen haben wir: [latex]\displaystyle K'(t)\cdot e^{-\frac{t}{\tau_R}}=\frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}.[/latex]
Multiplikation mit [latex]e^{\frac{t}{\tau_R}}[/latex] ergibt:
\[K'(t)=\frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}\cdot e^{\frac{t}{\tau_R}}\]
4. Schritt: K(t) durch Integration bestimmen:
\[K(t)=\int K'(t)dt=\int \frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}\cdot e^{\frac{t}{\tau_R}}dt\]
5. Schritt: Lösung angeben:
Welche [latex]A(t)[/latex] gibt es?
Mathematisch können wir den Fall [latex]A(t)[/latex] nicht konstant abstrakt wie oben beschrieben lösen. Es bleiben (mindestens) zwei Probleme:
- Können wir \[\int \frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}\cdot e^{\frac{t}{\tau_R}}dt\] explizit berechnen? Das heisst, können wir eine explizite Formel für eine Stammfunktion von [latex]\displaystyle t \mapsto \frac{m_R\cdot\beta_R\cdot K_A\cdot A(t)}{1+K_A\cdot A(t)}\cdot e^{\frac{t}{\tau_R}}[/latex] angeben?
- Um 1. durchzuführen brauchen wir zunächst einmal einen expliziten Ausdruck [latex]A(t)[/latex]. Dieses Problem gehen wir im nächsten Schritt an. Wir stellen fest, dass es nicht so einfach ist, denn um [latex]A(t)[/latex] zu kennen, brauchen wir plötzlich [latex]R(t)[/latex], aber für [latex]R(t)[/latex] brauchen wir [latex]A(t)[/latex] . . .