Im letzten Kapitel (Motorischer Cortex) haben Sie gesehen, dass die motorischen Cortexareale für die willkürliche Bewegung zwingend notwendig sind. Gemeinsam mit dem Hirnstamm nehmen sie über die oberen Motoneurone Einfluss auf die unteren Motoneurone (α-Motoneurone). Im Gegensatz dazu beeinflussen die Basalganglien die willkürliche Bewegung, indem sie die Aktivität der motorischen Gebiete in Cortex und Hirnstamm (d.h. der oberen Motoneurone) beeinflussen. Die Basalganglien verursachen also keine Bewegung, sondern modulieren sowohl die Planung als auch die Ausführung der Bewegung.
Lernziele
- Sie verstehen wie ein Gleichgewicht der Aktivitäten der direkten und der indirekten Verbindung der Basalganglien die Bewegungsausführung beeinflusst.
- Sie wissen welchen Einfluss Dopamin auf die Basalganglien hat.
- Sie können die Folgen von Morbus Parkinson und Chorea Huntington auf die Basalganglien analysieren.
- Sie kennen Beispiele von Therapien für Morbus Parkinson.
3.1 – Funktion
Die Basalganglien beeinflussen die Motorik, indem sie die Aktivität der motorischen Gebiete im Cortex und Hirnstamm (d.h. der oberen Motoneurone) modulieren. Man geht davon aus, dass die Basalganglien an der Selektion und Initiierung von motorischen Handlungsmustern beteiligt sind. Gleichzeitig inhibieren die Basalganglien unerwünschte Handlungsmuster. Die Modulation durch die Basalganglien ist wichtig für die einwandfreie Ausführung willkürlicher Bewegungen. Sind die Basalganglien beschädigt, führt dies zu starken motorischen Störungen (Abschnitt 3.3).
3.2 – Organisation
Die Basalganglien umfassen mehrere Kerngebiete die tief im Inneren des Gehirns liegen. Im engeren Sinn werden nur das Striatum (= Nucleus Caudatus + Putamen) und der Globus pallidus zu den Basalganglien gezählt. Im weiteren Sinne gehören aber auch der subthalamische Nucleus und die Substantia nigra dazu. Die Basalganglien projizieren über den Thalamus zum Cortex, weshalb auch diese nicht zu den Basalganglien zählende Struktur eingezeichnet ist.
Ziehen Sie den Schieber nach rechts und lesen Sie den Text zu den Bildern, um die Eingangs- und Ausgangsstrukturen der Basalganglien kennen zu lernen.
Zwischen den Eingangs- und Ausgangsstrukturen der Basalganglien gibt es zwei Verbindungen, welche Einfluss auf die Aktivität der Ausgangsstrukturen der Basalganglien („Handbremse“) nehmen können. Diese lernen Sie in den nächsten zwei Unterkapitel kennen.
3.2.1 – Direkte Verbindung
Der Cortex hat einen primär erregenden Einfluss auf die Eingangsstrukturen (=Striatum) der Basalganglien (Abbildung 3.3). Das Striatum wiederum besitzt Neurone (sogenannte medium spiny neurons (MSN)), welche mit ihren Axonen zu den Ausgangsstrukturen der Basalganglien ziehen und dort einen inhibitorischen Einfluss mittels des Neurotransmitters GABA ausüben. Diese im Striatum entspringenden Neurone bilden die sogenannte direkte Verbindung (auch direkter Pfad genannt) der Basalganglien. Wird die direkte Verbindung durch den Cortex aktiviert, werden die tonisch aktiven Ausgangsstrukturen der Basalganglien temporär gehemmt. Normalerweise wirken die Ausgangstrukturen der Basalganglien ja hemmend auf Thalamus/Cortex und den Hirnstamm. Wenn die direkte Verbindung des Striatums aktiv ist, dann fällt diese Hemmung der Ausgangsstrukturen weg – d.h. die „motorische Handbremse“ wird gelöst. Die Aktvität der direkten Verbindung erleichtert dadurch die Bewegungsausführung.
3.2.2 – Indirekte Verbindung
Der Cortex hat einen primär erregenden Einfluss auf die Eingangsstrukturen (=Striatum) der Basalganglien (Abbildung 3.4). Das Striatum wiederum besitzt Neurone, welche mit ihren Axonen zum Globus pallidus externa ziehen und dort einen inhibitorischen Einfluss ausüben. Diese im Striatum entspringenden Neurone bilden den ersten Teil der indirekten Verbindung (auch indirekter Pfad genannt) der Basalganglien. Die indirekte Verbindung beginnt also gleich wie direkte Verbindung, wird aber im Gegensatz dazu über weitere Kerngebiete der Basalganglien umgeschaltet. Vom Globus pallidus externa ziehen Neurone zum subthalamischen Nucleus, wo sie ebenfalls einen inhibitorischen Einfluss ausüben. Die Neurone des subthalamischen Nucleus projizieren zu den Ausgangsstrukturen der Basalganglien, wo sie einen erregenden Einfluss ausüben. Wird die indirekte Verbindung durch den Cortex aktiviert, werden die tonisch aktiven Ausgangsstrukturen der Basalganglien temporär erregt. Das ist damit vergleichbar, dass die „motorische Handbremse“ angezogen wird. Die tonisch aktive Inhibition des Thalamus und des Hirnstamms wird durch die Ausgangsstrukturen der Basalganglien erhöht. Die Aktivität des Thalamus und des Hirnstamms sind also verringert. Die exzitatorische Wirkung des Thalamus auf den Cortex wird gehemmt. Die indirekte Verbindung erschwert also die Bewegungsausführung.
3.2.3 – Aktivität der direkten und indirekten Verbindung
Das Gleichgewicht zwischen der Aktivität der direkten und der indirekten Verbindung ist für die Bewegungsausführung ausgesprochen wichtig, denn der Nettoeffekt der Basalganglien auf den Cortex hängt von der unterschiedlich starken Aktivierung der direkten und indirekten Verbindung ab. Die Substantia Nigra pars compacta kontrolliert dieses Gleichgewicht indem sie die Aktivierung der Eingangsstrukturen durch den Cortex selektiv moduliert (Abbildung 3.5). Diese Modulation des kortikalen Inputs erreicht die Substantia Nigra pars compacta durch die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin. Die Wirkung eines Neurotransmitters wird durch die Art der Rezeptoren und der den Rezeptoren nachgeschalteten Signalwege bestimmt. Da die direkte und die indirekte Verbindung verschiedene Dopamin-Rezeptoren besitzen, ist die Wirkung der Substantia Nigra pars compacta auf die direkte und indirekte Verbindung unterschiedlich.
D1-Rezeptoren verstärken die erregenden Inputs des Cortex, D2-Rezeptoren hingegen reduzieren die erregenden Inputs des Cortex. Tabelle 3.1 zeigt die Dopamin-Rezeptoren der direkten und indirekten Verbindung der Basalganglien.
Verbindung | Dopamin-Rezeptor | Wirkung |
direkt | D1 | exzitatorisch |
indirekt | D2 | inhibitorisch |
Eine Ausschüttung von Dopamin durch die Substantia Nigra pars compacta führt zu einer Aktivierung der direkten Verbindung und zu einer gleichzeitigen Inhibition der indirekten Verbindung (Abbildung 3.5).
Überlegen Sie sich Schritt für Schritt, was eine Ausschüttung von Dopamin durch die Substantia Nigra pars compacta für die Aktivität der einzelnen Strukturen der Basalganglien bedeutet. Um Ihre Überlegungen zu überprüfen, können Sie den Schieber nach links ziehen.
Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels (Abschnitt 3.1) erwähnt, spielen die Basalganglien eine wichtige Rolle bei der Bewegungsauswahl. Es wird vermutet, dass die direkte Verbindung bei mehreren zur Auswahl stehenden Bewegungsalternativen die gewählte Bewegung aktiviert. Gleichzeitig inhibiert die indirekte Verbindung die nicht ausgewählten Bewegungen.
3.3 – Pathophysiologie
Schädigungen der Basalganglien beeinträchtigen vor allem die Bewegungsschnelligkeit und werden in hypo- und hyperkinetische Bewegungsstörungen eingeteilt.
Hypokinetische Bewegungsstörungen äussern sich in einer deutlich verminderten Bewegungsaktivität. Dies äussert sich beispielsweise in einer verzögerten Initiierung und einer verminderten Amplitude der Bewegungen. Ein Beispiel für eine hypokinetische Bewegungsstörung ist Morbus Parkinson.
Hyperkinetische Bewegungsstörungen äussern sich in einer deutlich erhöhten Bewegungsaktivität. Dabei handelt es sich um unwillkürliche, plötzliche und unvorhersehbare Bewegungen der Extremitäten, des Gesichtes und des Rumpfes. Ein Beispiel für eine hyperkinetische Bewegungsstörung ist Chorea Huntington.
Sind die Basalganglien beschädigt, so kann das motorische System nicht mehr einwandfrei zwischen Befehlen welche die Motorik initiieren und Befehlen welche die Motorik beenden hin- und herwechseln. Schädigungen der Basalganglien führen immer zu einer abnormalen Aktivität der oberen Motoneurone, da die regulatorische Modulation der oberen Motoneurone beeinträchtigt ist.
3.3.1 – Morbus Parkinson
Bei der Krankheit Morbus Parkinson handelt es sich um eine Degeneration der Substantia Nigra, vor allem der pars compacta. Dadurch fehlt der dopaminerge Einfluss auf das Striatum, wodurch das relative Gleichgewicht zwischen der direkten und indirekten Verbindung verschoben wird: relativ zu Gesunden, ist die direkte Verbindung von Morbus Parkinson Patienten im Verhältnis zur indirekten Verbindung weniger aktiv. Mit anderen Worten, die „motorische Handbremse“ ist zu stark angezogen.
Entsprechend äussert sich die Krankheit in einer verminderten Bewegungsaktivität (= Hypokinesie). Die Patienten können willkürliche Bewegungen nur langsam (= Bradykinesie) oder gar nicht mehr (= Akinesie) ausführen und es tritt vermehrt Muskelsteifigkeit (Rigor) auf. Ausserdem kommt es zu einem Ruhetremor (Zittern). Er erscheint, wenn die betroffenen Partien des Patienten in Ruhestellung sind, also z. B. Hände, die ruhig auf einer Oberfläche liegen.
3.3.2 – Chorea Huntington
Chorea Huntington ist eine genetisch bedingte und autosomal-dominant vererbte Erkrankung des Gehirns. Man vermutet, dass die Erkrankung zu einem fortlaufenden Absterben der Zellen des Striatums führt. Im frühen und mittleren Stadium sind vor allem D2-Rezeptor-besetzte striatale Zellen betroffen, welche die indirekte Verbindung formen. Dadurch wird der Globus Pallidius pars externa enthemmt, so dass der Einfluss des subthalamischen Nucleus auf die Ausgangstruktur der Basalganglien stark reduziert wird. Mit anderen Worten, die „motorische Handbremse“ wird gelöst. Entsprechend äussert sich die Krankheit durch vermehrte Bewegungsaktivität (= Hyperkinesie). Die Patienten führen plötzlich auftretende, ungewollte heftige Bewegungen (= Chorea) und plötzlich auftretende, ungewollte Schleuderbewegungen (= Ballismus) mit ihren Gliedmassen aus. Deshalb wird Chorea Huntington auch oft als Zappelphilipp-Krankheit bezeichnet. Im späteren Verlauf der Krankheit können zunehmenden auch D1-Rezeptor-besetzte striatale Zellen der direkten Verbindung betroffen werden, wodurch Parkinson-ähnliche Symptome auftreten können (z.Bsp. Bewegungsarmut und Muskelsteifigkeit). Zusätzlich entwickeln die Patienten im späteren Verlauf der Erkrankung häufig eine sogenannte „subkortikale Demenz“.