In den vorherigen Kapiteln haben Sie unterschiedliche höhere Hirnfunktionen kennengelernt. Im Kapitel «Neurofeedback» werden wir uns nun damit beschäftigen, ob und wie wir lernen können gewisse Körperfunktionen, u.a. Hirnaktivität, selbst zu regulieren.
Lernziele
- Sie kennen verschiedene Neurofeedbackformen.
- Sie kennen die bekannteste Form des Neurofeedbacks und wissen, wie es sich entwickelt hat.
- Sie können die unterschiedlichen Elemente des Neurofeedbacks benennen und beschreiben.
- Sie können unterschiedliche Theorien zu Lernmechanismen der Selbstregulation miteinander vergleichen
- Sie können die Gebiete des Gehirns benennen, die an Selbstregulation beteiligt sind
- Sie kennen Neurofeedbackformen, wie TMS- und pupillenbasiertes Neurofeedback und deren potenzielle Anwendungsgebiete
10.1 – Bio-/Neurofeedback
Beim Biofeedback bzw. Neurofeedback als spezielle Unterform, geht es darum, willentliche Kontrolle über ausgewählte Körperfunktionen zu erlangen (beim Neurofeedback: Hirnaktivität), die für gewöhnlich nicht wahrnehmbar sind. Die Idee ist, diese Körperfunktionen durch Rückmeldung in «Echtzeit» wahrnehmbar zu machen und dadurch zu lernen, sie selbst zu regulieren. Im Fall von Biofeedback kann dies zum Beispiel eine Rückmeldung zur Herzrate, Atmung, Blutdruck, Hautleitfähigkeit oder zur Pupillengrösse sein. Beim Neurofeedback würde man bestimmte Merkmale der Hirnaktivität zurückmelden, die man beispielsweise mittels Elektroenzephalographie (EEG), Magnetenzephalographie (MEG), oder funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) messen kann.
10.2 – Neurofeedback – Wie alles begann
Der Anfangspunkt der bekanntesten und ältesten Form des Neurofeedbacks, des EEG-Neurofeedbacks, liegt wohl in der ersten Anwendung der EEG am Menschen durch Hans Berger im Jahre 1924. Bei der EEG kann man über Elektroden, die auf der Kopfhaut angebracht werden, elektrische Aktivität des Gehirns ableiten, und zwar mit einer sehr hohen zeitlichen Auflösung. Einige Jahrzehnte nach der Anwendung Bergers konnte Joe Kamiya zeigen, dass man lernen kann, bestimmte EEG-Hirnaktivitätsmuster zu generieren. Und zwar genau dann, wenn man Feedback darüber erhält. In den 1970er Jahre begann schliesslich Barry Sterman, einer der grossen (klinischen) Neurofeedback-Pioniere, bei Menschen mit Epilepsie Neurofeedbacktraining anzuwenden. Diese Behandlung basierte auf einem Zufallsbefund im Zusammenhang mit einem Studienauftrag der NASA. Im Zuge dieses Auftrags hat er nämlich festgestellt, dass Katzen, die zuvor gelernt hatten, ein bestimmtes Hirnaktivitätsmuster zu trainieren (und zwar über Erhalt von Belohnung), in einer anderen, unabhängigen Studie weniger anfällig für epileptische Anfälle zu sein schienen. Diese nachfolgende Studie hatte zum Ziel, die Toxizität eines bestimmten Raketentreibstoffs zu untersuchen. Die Katzen, die zuvor trainiert wurden, waren auch gegen höhere Dosen dieser Substanz resistent. Andere Katzen hingegen, die diese Hirnaktivität nicht trainiert hatten, zeigten epileptische Anfälle, wenn sie das Medikament bekamen. Die klinische Geschichte setzte sich mit Joel Lubar fort. Er ist einer der Schlüsselfiguren in der Neurofeedbackforschung zum Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS): Lubar beobachtete, dass bei Epileptikern, die Neurofeedbacktraining erhielten, auch hyperaktive Symptome zurückgingen.
Alle anderen Neurofeedback-Formen wie z.B. auch das fMRI-Neurofeedback sind wesentlich jünger. Die ersten Pilotexperimente gab es vor weniger als 20 Jahren. Heuzutage gibt es mehr und mehr grossangelegte klinische Versuche, die unter anderem klinische Effekte von fMRI-Neurofeeback untersuchen.
10.3 – Die Elemente des Neurofeedbacks
Unabhängig davon, um welche Form des Neurofeedbacks es sich handelt und welche Methode zur Messung der Hirnaktivität genutzt wird, gibt es 5 Elemente bzw. Prozesse des Neurofeedbacks:
(1) Erfassung der Hirnaktivität mittels EEG, MEG, fMRI (oder der hier neu aufgeführten funktionellen Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS)); (2) Online-Vorverarbeitung der Daten sowie (3) Extraktion der Merkmale, die relevant sind und die man zurückmelden möchte. Diese Schritte beinhalten je nach genutzter Methode zum Beispiel das grobe Entfernen von Artefakten oder Anwendung von Filtern; (4) Übertragung der relevanten Merkmale in ein Feedbacksignal. Dies kann ein visuelles, auditorisches oder sensorisches Signal sein; (5) die Lernende Person nutzt das Feedbacksignal um Merkmale der Hirnaktivität, die von Interesse sind zu verändern. Entweder können Strategien genutzt werden, die vorher explizit instruiert wurden oder aber Strategien entstehen implizit während des Lernprozesses selbst.
10.4 – Lernmechanismen der Selbstregulation
Es gibt viele verschiedene Theorien und Modelle, Neurofeedback-Lernen und die zugrundeliegenden Mechanismen zu erklären. Das heisst aber nicht, dass diese Theorien sich gegenseitig ausschliessen – es gibt durchaus Gemeinsamkeiten und Kompatibilitäten. Obwohl es hierzu schon Forschung gibt, sollte die Validität dieser Theorien zukünftig in hypothesenbasierten Studien weiter untersucht werden, um ein besseres Verständnis zu erlangen.
10.4.1 – Operantes (instrumentelles) Lernen
Die operante Lerntheorie besagt, dass die Kontrolle von Hirnaktivität fortschreitet, wenn die korrekte oder erwünschte Hirnaktivität durch Feedback und/oder Belohnung verstärkt wird. Es gibt 3 Hauptelemente: Stimuli, Reaktionen und Verstärker (Feedback und/oder Belohnung). Stand heute: obwohl es viel Forschung zu den neurobiologischen Grundlagen des operanten Lernens gibt, lassen Instruktionen und subjektive Berichte über die Benutzung von mentalen Strategien manche Forscher eher andere Mechanismen des Neurofeedbacklernens postulieren.
10.4.2 – Motorisches Lernen
Die Aneignung von Kontrolle über neurophysiologische Signale ist ähnlich zu motorischem Lernen. Es gibt viel Forschung zu unterschiedlichen Formen von motorischem Lernen, aber bisher gibt es keine spezifische Anwendung dieses Modells zu Neurofeedbacktraining.
10.4.3 – Dual Process-Theorie
Diese Theorie versucht Feedforward- und Feedback-Lernprozesse bei der Erklärung von Neurofeedbacklernen zu integrieren. Laut dieser Theorie suchen die Lernenden nach einer effektiven mentalen Strategie. Falls die angewendete Strategie nicht effektiv ist, um das Feedbacksignal zu kontrollieren, wird eine neue gesucht, bis eine effektive Strategie entdeckt wird. Bei erfolgreicher Verstärkung wird die Strategie, die am besten zum Feedback passt, automatisiert.
10.4.4 – Awareness-Theorie
Die Theorie besagt, dass das Feedbacksignal Informationen über eine physiologische Reaktion (also Hirnaktivität) liefert, über die sich die Probanden bewusst werden. Dies führt zur willentlichen Kontrolle über die Reaktion. Das Modell berücksichtigt drei Elemente: Bewusstsein über (1) Verstärker (Feedback und Belohnung), (2) Kontingenz zwischen Verstärker und unserer Reaktion und über (3) die Reaktion selbst. Studien zeigten allerdings, dass die Bewusstheit der Reaktion weder notwendig noch hinreichend ist, um Kontrolle über Hirnaktivität zu erlangen.
10.4.5 – Global Workspace-Theorie
Diese Theorie des Neurofeedbacks postuliert, dass das Erlernen von Kontrolle über neuronale Aktivität durch eine weite, globale Verteilung des Feedbacksignals im Gehirn ermöglicht wird, so dass dieses Signal bewusst wird. Vorhersage dieser Theorie wäre, dass nicht-bewusste Feedbacksignale (z.B. subliminal) nicht dabei helfen Kontrolle zu erlangen. Allerdings: es gibt unter anderem Evidenz für subliminales instrumentelles Lernen.
10.4.6 – Fertigkeitslernen
Seit Kurzem gibt es Theorien, die vorschlagen, dass Neurofeebacklernen und Brain-Computer-Interfaces innerhalb des kognitiven Fertigkeitslernens betrachtet werden sollten. Demnach beinhaltet Neurofeedbacklernen eine anfängliche Phase schneller Leistungsveränderungen und eine späte Phase mit graduelleren Verbesserungen (Asymptote der Leistung). Funktionelle und strukturelle Veränderungen in bestimmten Hirnarealen konnten mit diesen beiden unterschiedlichen Phasen in Verbindung gebracht werden, was diese Theorie unterstützt.
10.5 – Neuronale Mechanismen der Selbstregulation
Wir haben über die dem Erlernen der Selbstregulation potentiell zugrundeliegende Mechanismen gesprochen. Ausserdem stellt sich die Frage, welche neuronalen Mechanismen der Selbstregulation zugrunde liegen, da ein besseres Verständnis dieser Mechanismen dabei helfen kann, effizientere experimentelle und klinische Protokolle, Tools und Technologien für Neurofeedback zu entwickeln. Obwohl hier noch viele Fragen offen sind, konnten bildgebende Studien zeigen, dass es einige Schlüsselregionen im Gehirn gibt, die an den unterschiedlichen Prozessen des Neurofeedbacks beteiligt sind:
Kontrollnetzwerk: Der dorsolaterale Präfrontale Kortex (dlPFC) und der posteriore Parietale Kortex (PPC) bilden eine Art exekutives Kontrollnetzwerk für Neurofeedback. Bei Neurofeedback-Studien, die Feedback in visueller Form geben, konnte gezeigt werden, dass der laterale okzipitale Kortex (LOC) die Aufmerksamkeit auf das Signal (Feedback) lenkt und der dlPFC und PPC daran beteiligt sind exekutive Aufgaben auszuführen (z.B. bestimmte Vorstellungen im Zuge von mentalen Strategien). Diese sind wiederum eng mit dem Thalamus verknüpft, um das Erregungslevel des Gehirns zu kontrollieren. Achtung: wurde vor allem in Studien gezeigt, die visuelles Feeback nutzen; kann sich für andere Feedbackformen unterscheiden.
Belohnungsverarbeitungsnetzwerk: Der anteriore Cinguläre Kortex (ACC) und der anteriore Insulare Cortex (AIC) sind Teil eines Salienznetzwerks und involviert in der bewussten Wahrnehmung und Verarbeitung von Feedback und Belohnung. Der AIC beispielsweise spielt eine wichtige Rolle dabei, die Aufmerksamkeit auf Strategien und Feedbackfehler zu lenken. Das ventrale Striatum (VS) wiederum ist an der eher unbewussten Belohnungsverarbeitung beteiligt, wenn es beispielsweise keine bewusste Wahrnehmung des Feedbacks gibt.
Lernnetzwerk: Das dorsale Striatum (DS) ist am Lernen selbst beteiligt.
10.6 – Anwendung von Neurofeedback
Es gibt drei übergeordnete Anwendungsfelder im Bereich Neurofeedback. Neurofeedback (1) als therapeutisches Tool, (2) zum Training der eigenen Leistung, oder (3) als Methode, um bestimmte Grundlagenfragen der Hirnforschung zu beantworten:
(1) bestimmte Aktivitätsmuster unterscheiden sich bei gewissen Patientengruppen von Aktivitätsmustern in Gesunden. Durch eine «Normalisierung» dieser Aktivitätsmuster versucht man dann bestimmte Symptome zu reduzieren.
(2) bestimmte Aktivitätsmuster konnten mit gewissen kognitiven Funktionen in Verbindung gebracht werden. Durch Veränderung/Steigerung dieser Aktivitätsmuster versucht man dann, bessere (kognitive) Leistungen zu erzeugen.
(3) bestimmte Aktivitätsmuster konnten mit gewissen kognitiven Funktionen in Verbindung gebracht werden. Nun kann man beispielsweise untersuchen, ob diese Aktivitätsmuster tatsächlich (kausal) dieser Funktion zugrundeliegen. Bis heute gibt es hier allerdings eine Debatte, ob man mit Neurofeedback-Studien wirklich kausale Aussagen treffen kann.
10.6.1 – EEG-Neurofeedback
Die beiden am besten/längsten untersuchten Anwendungsfelder des EEG-Neurofeedbacks sind die Epilepsie sowie die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern. Hierzu gibt es einige unterschiedliche Protokolle, die in der Praxis Anwendung finden. Da Sie im folgenden Abschnitt aber vor allem die Neurofeedbackformen kennenlernen, die wir hier an der ETH im Labor für neuronale Bewegungskontrolle nutzen, gehen wir hierauf nicht vertieft ein.
10.6.2 – Neurofeedback mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS)
Eine Methode, die bisher noch keine Erwähnung fand, ist das TMS-Neurofeedback. Obwohl das Langzeitziel darin liegt, es als mögliche Therapieform anzuwenden – z.B. bei Schlaganfallpatienten zur Unterstützung der Rehabilitation – wird es zunächst intensiv bei gesunden Probanden erforscht.
Exkurs TMS
Die TMS beruht auf dem Faraday’schen Gesetz der elektromagnetischen Induktion: ein Stromleiter induziert in einem naheliegenden anderen Stromleiter einen Strom in entgegengesetzter Richtung. Die TMS nutzt die elektromagnetische Induktion, um mit einer Spule, die auf dem Kopf aufliegt, ein Magnetfeld zu induzieren, das wiederum einen Strom im Gehirn induziert. Dieser Stromfluss kann so stark sein, dass Neurone, die erregt werden, depolarisiert werden und ein Signal an die Muskeln senden – wenn man die TMS-Spule beispielsweise über dem motorischen Kortex in der richtigen Position platziert.
Wenn Neurone depolarisiert werden und ein Signal über das Rückenmark an die Muskeln senden, dann kann man eine Muskelantwort messen: das motorisch-evozierte Potential (MEP). Von Interesse ist die Grösse bzw. die Amplitude des MEPs, sie ist nämlich ein Mass für motor-kortikale Erregbarkeit. Wenn man den Muskel kontrahiert oder sich Bewegungen vorstellt, können durch diese Erregbarkeit erhöhte und grössere MEPs erzielt werden.
Beim TMS-Neurofeedback sollen Personen lernen, MEPs (siehe Exkurs), die von bestimmten Muskeln (z.B. an der Hand) abgeleitet werden willentlich zu vergrössern oder zu verkleinern. Diese Selbstregulation wird beispielsweise durch Anwendung von bestimmten Vorstellungsstrategien („motor imagergy“) erzielt und ohne den Muskel zu kontrahieren – Das heisst, man stellt sich vor, wie sich eine Bewegung anfühlt, ohne sie tatsächlich auszuführen. Das ist entscheidend für die Nützlichkeit in einer klinischen Population, da bestimmte Patientengruppen, wie etwa SchlaganfallpatientInnen, möglicherweise gewisse Muskeln zunächst nicht willentlich ansteuern können.
Im Labor für neuronale Bewegungskontrolle konnte in mehreren Experimenten gezeigt werden, dass man eine gewisse Selbstregulation von motor-kortikaler Erregbarkeit und zwar muskelspezifisch tatsächlich lernen kann. Wichtige Erkenntnisse dieser Experimente sind, dass der Erhalt von Feedback entscheidend für diesen Lernprozess ist: eine Kontrollgruppe, die die gleichen Instruktionen und Trainingsdauer aber kein Neurofeedback erhielt, zeigte eine deutlich geringer ausgeprägte Selbstregulation nach dem Training. Ausserdem konnte diese Fertigkeit nach dem Training auch ohne konstantes Feedback abgerufen werden und war nach sechs Monate immer noch erhalten.
Möglicher Anwendungsbereich: Funktionelle Erholung nach Schlaganfall
Obwohl es bisher nur erste „Feasibility-Studien“ zu TMS-Neurofeedback nach einem Schlaganfall gibt, sind grosse randomisierte, kontrollierte Studien geplant. Ansatzpunkt hierfür ist, dass PatientInnen (je nach Ort des Schlaganfalls) ihre oberen Extremitäten häufig nicht bewegen können. Wenn das der Fall ist, dann erhalten sie zu Beginn oft weniger rehabilitative Massnahmen, da hierfür eine gewisse Mobilität nötig ist. Genau hier liegt eine mögliche Chance für Neurofeedback. Man könnte diese Methode schon früh nach dem Schlaganfall einsetzen, um die kortikale Erregbarkeit der betroffenen Extremität zu trainieren (also die MEP-Amplituden gezielt erhöhen) und so einen schnelleren Zugang zu klassisch rehabilitativen Massen ermöglichen und die Erholung beschleunigen. Dieser Frage gilt es in wissenschaftlichen Studien nachzugehen.
10.6.3 – Pupillenbasiertes Neurofeedback
Eine weitere Form von Neurofeedback, die im Labor für neuronale Bewegungskontrolle Anwendung findet, ist das pupillenbasierte Neurofeedback. Obwohl die Pupille an sich natürlich kein neuronales Signal ist, nennen wir die Methode trotzdem Neurofeedback, da wir im wahrsten Sinne des Wortes durchs Auge zum Gehirn gelangen. Der Ansatz beruht darauf, dass die Pupille nicht nur auf Lichtveränderungen reagiert, sondern ihre Grösse auch in Reaktion auf mentale und emotionale Prozesse verändert und den Erregungszustand des Gehirns in gewisser Weise widerspiegelt. Eine Hirnstruktur, die eng mit diesen von Licht unabhängigen Veränderungen verbunden ist, ist der Locus Coeruleus, kurz LC. Der LC ist eine Hirnstruktur in der Pons im Hirnstamm und ist eine der Hauptquellen des Neurotransmitters Noradrenalin (NA) im gesamten zentralen Nervensystem. Er beeinflusst wichtige kognitive Funktionen und spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Erregungslevels des Gehirns. Man hat beispielsweise beobachtet, dass der LC eine sehr hohe Aktivität zeigt, wenn wir auf Stress reagieren.
Tierstudien und bildgebende Studien im Menschen konnten einen kausalen bzw. korrelativen Zusammenhang zwischen LC-Aktivität und Pupillenveränderungen feststellen (LC-Aktivierung -> Pupillendilatation). Daher wird heute postuliert, dass die Pupille als eine Art „read-out“ von LC-Aktivität dienen könnte. Im Labor für neuronale Bewegungskontrolle wurde nun erforscht, ob eventuell die Pupille nicht nur passiv als „read-out“, sondern gar aktiv als Informationssignal genutzt werden kann. Die Idee ist, LC-Aktivität für Selbstregulation zugänglich zu machen und willentlich zu beeinflussen, und zwar über die Selbstregulation der Pupille mittels pupillenbasiertem Neurofeedback.
In einer Reihe von Experimenten, deren Aufbau in der Vorlesung etwas genauer beschrieben wird, konnte gezeigt werden, dass es tatsächlich möglich ist, zu lernen, die eigene Pupillengrösse zu kontrollieren (zu vergrössern und zu verkleinern), wenn man Lichteinflüsse kontrolliert. Die TeilnehmerInnen erreichten dies durch die Anwendung von mentalen Strategien und dem Erhalt von Feedback in Quasi-Echtzeit. Ähnlich wie in den TMS-Neurofeedbackstudien konnte eine Kontrollgruppe, die die gleichen Instruktionen und Trainingsdauer, aber kein Neurofeedback erhielt, signifikant weniger erfolgreich selbst regulieren als die Neurofeedbackgruppe. Und auch hier konnte nach dem Training eine Selbstregulation auch dann noch erzielt werden, wenn kein konstantes Feedback mehr gegeben wurde. Da die bedeutendste Determinante für die Nützlichkeit und Anwendbarkeit von Neurofeedback die Qualität des Feedbacksignals ist (das heisst ob das Signal das zu modulierende System, in unserem Fall LC-Aktivität, auch akkurat abbildet), war der wichtigste Befund allerdings, dass die erlernte Selbstregulation der Pupillengrösse tatsächlich mit systematischen Veränderungen in der LC-Aktivität einhergeht, d.h. mit einer Aktivierung bzw. Deaktivierung dieser Hirnregion bei Vergrösserung bzw. Verkleinerung der eigenen Pupillengrösse.
Es gibt also erste Evidenz, dass eine Selbstregulation der Pupille mit einer Aktivitätsveränderung im LC verbunden ist. Was sind nun die nächsten Schritte in Richtung potentieller Anwendungsgebiete von pupillenbasiertem Neurofeedback?
Mögliche Anwendungsbereiche:
Um der Frage nach möglichen Anwendungsbereichen auf den Grund zu gehen, sollten wir nochmals einen Schritt zurück zu den Funktionen des LC machen. Der LC hat mit seiner Ausschüttung von Noradrenalin und seiner Erregungslevel-regulierenden Funktion Einfluss auf zahlreiche Verhaltensweisen und kognitive Funktionen. Daher ist es nicht überraschend, dass funktionelle und strukturelle Veränderungen des LCs bei psychischen (z.B. stressbedingt oder Angststörung) und neurodegenerativen Erkrankungen (z.B. Alzheimer Demenz, Morbus Parkinson) eine Rolle spielen. Die Erforschung dieser Anwendungsbereiche steckt aber tatsächlich noch in den Kinderschuhen. In einem Projekt der Hochschulmedizin Zürich (HMZ Flagship-Projekt STRESS) haben sich mehrere Arbeitsgruppen aus Zürich zum Ziel gesetzt, das Risiko und die Widerstandsfähigkeit von Stressbelastungen über die gesamte Lebensspanne hindurch sowie deren Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Ein Teilprojekt davon hat sich zum Ziel gesetzt, erste Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob Stressreaktionen, die durch den LC vermittelt werden, mithilfe von pupillenbasiertem Neurofeedback eventuell abgemildert werden können.