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9 Motivation und Emotion

In den ersten Kapiteln in diesem Skript wurden verschiedene Formen motorischer Antworten auf Sinneseindrücke beschrieben. Die einfachsten Antworten sind unbewusste Reflexe wie z.B. das Hochziehen des Fusses, wenn man auf eine Reisszwecke tritt. Dahingegen werden willkürliche Bewegungen durchgeführt, um Bedürfnis zu befriedigen z.B. eine Jacke anzuziehen, wenn man friert. Die antreibende Kraft für diese willkürlichen Bewegungen nennt man Motivation. Jedes Verhalten ist motiviert und hängt nicht nur von externen und internen Reizen ab, sondern auch von dem neurochemischen Zustand unseres Gehirns. Motivation beschreibt unseren (An)Trieb und Emotionen beschreiben unterschiedliche Zustände wie Freude, Traurigkeit oder Furcht. Beides sind psychische Kräfte, die das Auftreten, die Intensität und die Richtung von Verhalten bestimmen. Welche Emotionen es gibt, was sie in unserem Organismus bewirken und durch welche Gehirnregionen wir sie verarbeiten wird in diesem Kapitel diskutiert.

9.1 – Emotionen

Emotionen sind Reaktionen von relativ kurzer Dauer, die das Auftreten von Verhaltensweisen und Gedächtnisinhalten begünstigen. Im Laufe der Evolution haben sich die sechs Basisemotionen Freude, Überraschung, Ärger, Angst/Furcht, Trauer und Ekel entwickelt. Sie variieren auf den Dimensionen Aktivierung (Arousal) von ruhig bis erregt und der Valenz von negativ (vermeidend) bis positiv (annähernd).

Abbildung 9.1 – Dimensionale Repräsentation von Basisemotionen. Quelle: Bear et al., Neurowissenschaften, 4. Auflage, SpringerSpektrum, 2018, S. 676

Die subjektiv erlebten Emotionen (Gefühle) sind am besten im Ausdruck des Gesichts, der Körpersprache und der Stimme erkennbar, die durch die neuronale Aktivierung der entsprechenden Muskulatur erzeugt werden. All dies dient der Kommunikation mit Artgenossen. Neben den somatomotorischen Reaktionen sind auch vegetative Anpassungsreaktionen wie z.B. Erhöhung oder Abfall des Blutdrucks, Aufstellen der Haare auf der Haut, Schwitzen und Bewegungen des Gastrointestinaltrakt, spezifisch für die Basisemotionen.

Abbildung 9.2 – Zentrale Repräsentation von Emotionen und ihre Verknüpfungen. Schema zu den zentralen Repräsentationen der Emotionen und ihre Beziehung zu somatomotorischen, vegetativen und endokrinen Reaktionen einerseits und den emotionalen Empfindungen andererseits. Quelle: Schmidt et al., Physiologie des Menschen, 31. Auflage, Springer, 2010, S. 220

9.2 – Das limbische System

Früher wurden die Gehirnstrukturen, die bei der Verarbeitung und Wahrnehmung von Emotionen eine Rolle spielen generell als limbisches System bezeichnet. Unter dem limbischen System versteht man einen Bereich von Hirnarealen, die sich wie ein Ring um die Basalganglien und den Thalamus legen (das Wort limbisch leitet sich vom lateinischen Wort Limbus = Saum ab). Man hat mittlerweile jedoch noch weitere Strukturen identifiziert, die bei der Verarbeitung von Emotionen eine Rolle spielen. Insgesamt zählen zu den wichtigsten Gehirnstrukturen, die bei der Wahrnehmung von Emotionen eine Rolle spielen, das Cingulum anterior, das Cingulum posterior, der Orbitofrontale Cortex, der Inselkortex und die Amygdala. Diese Gehirnstrukturen werden aktiviert, wenn Emotionen durch Vorstellungen (Imagination) oder durch externe Reize hervorgerufen werden. Bei jeder Basisemotion tritt ein spezifisches Muster von Aktivierung oder Abnahme der Aktivität in diesen Gehirnstrukturen auf.

Abbildung 9.3 – Hirnregionen, die bei Emotionen aktiviert werden. Functional Magnetic Resonance Imaging (fMRI)-Aufnahme. Orbitofrontaler Kortex (gelb), Inselkortex (violett), Cingulum anterior (blau), Cingulum posterior (grün), Amygdala (rot). Quelle: Schmidt et al., Physiologie des Menschen, 31. Auflage, Springer, 2010, S. 222

Parallel zur Änderung der Aktivität in den genannten Bereichen werden Aktivitätsänderungen in bestimmten Bereichen von Hypothalamus und Hirnstamm beobachtet. Hier liegen die neuronalen Netzwerke, die die typischen motorischen Muster zur Steuerung des Gesichtsausdrucks und der Körperhaltung organisieren. Ausserdem wird von hier auch die, für jede Emotion spezifische, homöostatische Regulation vegetativer und neuroendokrine Reaktionen gesteuert.

9.3 – Furchtverhalten und Amygdala

Umweltreize, die Gefahr signalisieren (z. B. Schlangen, Spinnen oder ein Angreifer), lösen Furchtverhalten aus, das von der Amygdala organisiert wird. Furchtverhalten besteht aus dem subjektiven Gefühl Furcht, dem entsprechenden Gesichtsausdruck, den motorischen Verhaltensweisen (Flucht, Kampf oder Erstarren), den vegetativ vermittelten Regulationen (Erhöhung des Blutdrucks, Aktivierung der Schweissdrüsen) und neuroendokrine Reaktionen (Freisetzung von Adrenalin).

Die Amygdala liegt am vorderen Pol des Temporallappens, unmittelbar unterhalb des Cortex auf der medialen Seite. Ihr Name leitet sich vom griechischen Wort für „Mandel“ ab, da sie mandelförmig ist. Die Amygdala erhält Informationen aus unterschiedlichen sensorischen Modalitäten (z. B. Sehen, Hören), die mithilfe von Verbindungen innerhalb der Amygdala integriert werden. In zahlreichen Experimenten an Tieren und Menschen wird die Funktion der Amygdala in der Erkennung von Gefahren klar. Zum Beispiel wird durch die Entfernung der Amygdala bei Tieren Angst und Aggression beträchtlich reduziert.

9.4 – Freude

Zusätzlich zu Mechanismen, die den spezifischen Trieben zugrunde liegen, gibt es im Säugetiergehirn ein Verhalten-Verstärkungssystem. Dieses System wurde in Stimulations-Versuchen an Ratten entdeckt. Wenn die Ratte einen Hebel hinunterdrückt, wird über eine Elektrode ein kurzer Stromstoss in ihr Gehirn geleitet. Zunächst läuft die Ratte durch die Box und tritt unabsichtlich auf den Hebel, doch es dauerte nicht lange, und sie betätigt den Hebel wiederholt, um sich elektrisch zu stimulieren.

Abbildung 9.4 – Elektrische Selbststimulation einer Ratte. Wenn die Ratte den Hebel hinunterdrückt, wird über eine Elektrode ein kurzer Stromstoss in ihr Gehirn geleitet. Quelle: Bear et al., Neurowissenschaften, 4. Auflage, SpringerSpektrum, 2018, S. 606

Die elektrische Selbststimulation stellt eine Belohnung dar, die das Verhalten, den Hebel zu drücken, verstärkt. Durch systematische Testung der Effekte der Elektrode in verschiedenen Hirnregionen konnten Forscher ganz bestimmte Orte identifizieren, die verstärkend wirkten. Die effizientesten Orte für eine Selbststimulation liegen längs der Bahnen von dopaminergen Axonen, die von der ventralen tegmentalen Area (VTA) durch den lateralen Hypothalamus in mehrere Regionen des Vorderhirns ziehen.

Abbildung 9.5 – Dopaminerge Bahnen, die von der ventralen tegmentalen Area (VTA) ins Vorderhirn ziehen. Motiviertes Verhalten ist darauf angelegt, die Ausschüttung von Dopamin in diesen Bereichen zu steigern. Quelle: Bear et al., Neurowissenschaften, 4. Auflage, SpringerSpektrum, 2018, S. 608

Viele weitere Experimente deuten darauf hin, dass Dopamin für das Verhalten-Verstärkungssystem wichtig ist. Erhalten Ratten eine Substanz, die die Dopaminrezeptoren blockiert, verlieren sie das Interesse sich elektrisch zu stimulieren und sie verlieren auch das Interesse nach Nahrung zu suchen. Man hat daher lange angenommen, dass die dopaminergen Neuronen, die vom VTA zum basalen Vorderhirn ziehen einen Lustgewinn erzeugen, der eine Belohnung für bestimmte Verhaltensarten (z.B. die Suche nach schmackhafter Nahrung) erzeugt. Das Tier erhält einen „Schuss“ Dopamin ins Vorderhin.

Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass Tiere mit Läsionen der dopaminergen Bahnen immer noch angenehme Empfindungen beim Verzehr von Nahrung empfinden. Sie haben nur kein Verlangen mehr nach dieser Nahrung zu suchen. Ihnen fehlt die Motivation.

9.4.1 – Sucht

Erfolgt die Aktivierung des Verhalten-Verstärkungssystems nicht durch physiologische Reize, sondern werden Neurone direkt (chemisch) gereizt, kann Sucht entstehen. Die Aktivierung von dopaminergen Neuronen im VTA kann direkt oder indirekt durch viele Sucht erzeugenden Substanzen wie z. B. Heroin, Kokain, Nikotin und Alkohol geschehen. Sucht ist durch die folgende Eigenschaft charakterisiert: Wiederholt ausgelöste intensive Freude (Euphorie) kann zwanghaftes Verlangen (Suche) nach Sucht erzeugenden Substanzen (oder Sucht erzeugenden Zuständen) bewirken. Euphorie und Verlangen haben unterschiedliche Verläufe. Während das Verlangen (die Suche) nach der Droge kontinuierlich ansteigt (die Sucht im engeren Sinne), nimmt parallel dazu die erzeugte Euphorie (Suchtbefriedigung) ab.

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