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8 Hören und Sprache, Spezialisierung der Hirnhälften

Im letzten Kapitel (Augenbewegungen) haben Sie sich aufgrund des vestibulookulären Reflex und des Nystagmus mit dem vestibulären Anteil des Innenohrs befasst. Dieses Kapitel behandelt die Prozessierung von akustischen Reizen und die Verarbeitung von Sprache. Die Wahrnehmung von komplexen Geräuschen wie der Sprache oder der Musik wird lateralisiert verarbeitet. Eine solche Aufteilung zur effizienten Verarbeitung von Informationen beschränkt sich nicht nur auf akustische Reize. Wir werden uns deshalb genauer mit den unterschiedlichen Funktionen der rechten und der linken Hemisphäre beschäftigen.

Lernziele

  • Sie können die Gebiete des Cortex nennen, die an der Verarbeitung der Sprache beteiligt sind.
  • Sie können die Funktion des linken sekundären auditorischen Cortex mit der Funktion des rechten sekundären auditorischen Cortex vergleichen.
  • Sie können die Funktion des Broca- und Wernicke-Areals miteinander vergleichen.
  • Sie können die Symptome einer Wernicke- und einer Broca-Aphasie analysieren.
  • Sie können die Funktion des V1 in der Sprachwahrnehmung anhand des McGurk-Effektes analysieren.
  • Sie können die Folgen von Beschädigungen der linken und rechten parietalen Assoziationscortices analysieren.
  • Sie können die Funktion des Corpus callosum erläutern.
  • Sie können die Experimente mit Split-Brain Patienten zur Funktion der Sprache analysieren.
  • Sie können die Funktionen der linken und rechten Hemisphäre miteinander vergleichen.

8.1 – Auditorisches System

8.1.1 – Repetition

In der Grundlagenvorlesung Anatomie und Physiologie haben Sie das auditorische System bereits ausführlich kennengelernt. Deshalb wird hier der Aufbau des auditorischen Systems nur grob repetiert. Ziehen Sie dazu den Schieber unter dem Bild nach rechts und lesen Sie die darunter stehenden Texte.

8.1.2 – Auditorischer Cortex

Der primäre auditorische Cortex (A1) liegt im Temporallappen und ist tonotopisch organisiert, d.h. er bildet dieselbe Frequenzanordnung wie in der Cochlea ab (Abbildung 10.8). Der A1 sendet Projektionen zum sekundären auditorischen Cortex (A2), der ebenfalls im Temporallappen liegt. Der A2 verarbeitet komplexe Geräusche wie beispielsweise die menschliche Sprache, Umgebungsgeräusche oder Musik.

Abbildung 10.8 – Der menschliche auditorische Cortex. Quelle: Dale Purves et al.: Neuroscience, fifth edition, Sinauer Associates, 2012, p. 309

8.1.3 – Sprache

Eine der bemerkenswertesten corticalen Funktionen des Menschen ist die Fähigkeit, willkürliche Symbole mit bestimmten Bedeutungen zu verknüpfen. Dies erlaubt uns Gedanken und Emotionen auszudrücken: sei dies gesprochen, geschrieben oder nur gedacht. Diese Verarbeitung der Sprache ist von verschiedenen Hirnarealen abhängig, welche primär in den Assoziationscortices des Temporal- und Frontallappens liegen. Dabei werden sowohl Gebiete benötigt, welche Sprache verstehen und verarbeiten und Gebiete welche die Sprache produzieren. Es ist wichtig zu realisieren, dass sich die Repräsentationen der Sprache von den klassischen motorischen und sensorischen Arealen unterscheidet, jedoch mit ihnen zusammen arbeitet. So ist der Verlust der Sprachproduktion keineswegs mit einem Verlust der Bewegung des Mundes verbunden.
Ordnen Sie die Beschriftung dem entsprechenden Areal zu. Überlegen Sie sich dabei nochmals, welche Rolle sie in der Verarbeitung der Sprache spielen. Das Broca- und Wernicke-Areal gehören zu den kortikalen Sprachregionen, welche Sie im folgenden Kapitel kennen lernen werden.

In den meisten Menschen findet die semantische Verarbeitung von Sprache primär in der linken Hemisphäre im Broca- und Wernicke-Areal statt . Dazu gehört sowohl die Verbindung zwischen Sprachgeräuschen und ihrer Bedeutung, wie auch die Schaltkreise zur Sprachproduktion. Die lexikalischen, grammatikalischen und syntaktischen Aspekte der Sprache sind somit in der linken Hemisphäre stärker repräsentiert als in der Rechten. Das Broca-Areal liegt im Frontallappen und ist gemäss der klassischen Lehrmeinung hauptsächlich für die Sprachproduktion zuständig. Das Wernicke-Areal liegt im Temporallappen und ist gemäss der klassischen Lehrmeinung hauptsächlich für das Sprachverständnis zuständig.

 

8.1.4 – McGurk Effekt

Der visuelle Cortex spielt eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung der Sprache. Dies wird deutlich in Experimenten in denen der McGurk Effekt untersucht wurde. Der McGurk Effekt beschreibt, dass sich die Wahrnehmung eines Lautes verändert, wenn die auditive Komponente mit einer atypischen visuellen Mundbewegung kombiniert wird. Dieser Effekt demonstriert, dass auditive und visuelle Information bei der Sprachwahrnehmung integriert werden. Dies erklärt auch, warum man sein Gegenüber besser versteht, wenn man die Lippen sieht. Das folgende Video zeigt den McGurk Effekt eindrücklich.

 

8.2 – Parietaler Assoziationscortex

Die grösste Fläche des Cortex besteht aus den Assoziationscortices (Abbildung 8.2). Sie haben die Assoziationscortices bereits einige Male kennen gelernt. Wie Sie nun wissen, erhalten die Assoziationscortices  Informationen aus den primären und sekundären Cortexarealen, dem Thalamus und dem Hirnstamm. Sie senden Projektionen zum Hippocampus, den Basalganglien, dem Cerebellum, dem Thalamus und anderen Cortexarealen. Dadurch sind sie für die komplexe Verarbeitung zwischen den sensorischen Inputs und den daraus resultierenden motorischen Verhaltensweisen verantwortlich. Die Assoziationscortices werden nach den Hirnlappen in einen frontalen, temporalen, parietalen und okkzipitalen Assoziationscortex eingeteilt. In diesem Kapitel widmen Sie sich aber nur dem parietalen Assoziationscortex.

Abbildung 8.2 – Das Ausmass des Assoziationscortex. Quelle: Dale Purves et al.: Neuroscience, fifth edition, Sinauer Associates, 2012, p. 614

Eine wichtige Aufgabe des parietalen Assoziationscortex ist die räumliche Aufmerksamkeit. Der parietale Assoziationscortex der linken Hemisphäre ist dafür zuständig die Aufmerksamkeit in die rechte Raumhälfte zu lenken. Der parietale Assoziationscortex der rechten Hemisphäre kann die räumliche Aufmerksamkeit sowohl auf die linke als auch auf die rechte Raumhälfte lenken.

Der parietale Assoziationskortex der rechten Hemisphäre ist also besonders stark an der Kontrolle der räumlichen Aufmerksamkeit beteiligt, d.h. auch die räumliche Aufmerksamkeit scheint lateralisiert zu sein (Abbildung 8.3).

Abbildung 8.3 – Lateralisierung der räumlichen Aufmerksamkeit. Quelle: Dale Purves et al.: Neuroscience, fifth edition, Sinauer Associates, 2012, p. 620

8.3 – Split-Brain Patienten

Die Lateralisierung von komplexen Funktionen kommt besonders dann zum Vorschein, wenn die beiden Hirnhälften nicht mehr miteinander kommunizieren können. Dies ist dann der Fall, wenn das Corpus Callosum nicht mehr vorhanden ist. Das Corpus callosum ist eine quer verlaufende Faserverbindung zwischen den beiden Großhirnhemisphären (Abbildung 8.4). Die Aufgabe des Corpus callosum besteht darin, Informationen von der einen Hemisphäre des Gehirns in die andere zu übermitteln. Da beide Hirnhälften zum Teil verschiedene Funktionen ausüben, werden durch den Informationsaustausch die Funktionen koordiniert. Früher hat man das Corpus callosum als Therapie für schwere Formen der Epilepsie durchtrennt. Dadurch sollte verhindert werden, dass eine Erregungsausbreitung auf die gegenseitige Hirnhälfte erfolgt. Auch gibt es Menschen, welche ohne ein Corpus Callosum geboren werden. Beide Zustände werden als Split-Brain Patienten benannt, da ihre Hirnhälften voneinander getrennt sind.

 

8.4 – Linke vs rechte Hemisphäre

Sie haben in den letzten Kapiteln viel über die Lateralisierung komplexer Funktionen gelernt. Lösen Sie die folgende Aufgabe, um sich nochmals einen Überblick über die Funktionen der linken und rechten Hemisphäre zu machen.

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Vertiefung Neuroanatomie & Neurophysiologie Copyright © 2018 Desiree Beck und Maria Willecke. Alle Rechte vorbehalten.

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