19.1 – Einleitung
19.1.1 – Definition im didaktischen Verständnis
Ein Ziel ist die Beschreibung des gewünschten Ergebnisses eines Lehr-Lern-Prozesses (Jank/Meyer, S. 51)
Ein Lehrziel bezeichnet ein von aussen gesetzte Ziel (Lehrperson, Lehrplan)
Ein Handlungsziel bzw. ein Lernziel bezeichnet ein selbst gesetztes Ziel der Lernenden
Ein Lehr-Lern- Ziel bezeichnet ein Unterrichtsziel
19.1.2 – Wozu brauchen wir Lern-/Lehrziele?
Lehr-/Lernziele
- schaffen Struktur (Lehrinhalte bauen darauf auf)
- schaffen Verbindlichkeit (Transparenz / Absicherung)
- ermöglichen Überprüfung und Evaluation
- geben Orientierung und Halt (Schwerpunkte setzen – was ist wichtig?, Absprache auf Stufe Schule und Kanton/Bund)
- schaffen Qualität
- setzen Massstäbe (Niveau / Flughöhe)
19.2 – Lehr-/Lernziele in der beruflichen Ausbildung
Arten und Gliederung des vermittelten Wissens in der beruflichen Ausbildung
Dieses Dokument zeigt auf, welche Arten von Wissen in der beruflichen Ausbildung unterschieden werden und in welchem Zusammenhang diese Arten von Wissen zueinander stehen. Es handelt sich dabei um eine Grundlage, damit der Unterricht gezielt auf die berufliche Befähigung von Personen ausgerichtet werden kann. Die Erarbeitung der Wissensarten und folglich der Lernziele kann in der Regel aus der didaktischen Analyse hergeleitet werden.
19.2.1 – Arten von Wissen
Die Ausbildung dient der Vermittlung von Wissen. In der beruflichen Aus- und Weiterbildung erfolgt dies ganz gezielt in Hinblick auf Aufgaben und Verantwortungen, welche die auszubildenden Personen im Moment oder in naher Zukunft in ihrer beruflichen Praxis wahrnehmen. Die Ausbildung befähigt die Auszubildenden, Aufgaben oder Verantwortungen kompetent wahrzunehmen. Die Vorbereitung von Unterricht oder Ausbildung erfordert, dass das dazu notwendige Wissen definiert wird.
Man unterscheidet drei grundsätzliche Arten von Wissen, die in der Planung von Ausbildungen oder von Unterricht zu berücksichtigen sind. Nachfolgend sind diese drei Arten von Wissen definiert und mit einem Beispiel umschrieben.
19.2.1.1 – Grundlagenwissen
Es handelt sich dabei um Wissen, das in den Grundlagenfächern enthalten ist. Grundlagenfächer sind, Chemie, Physik, Biologie, Anatomie, Physiologie, etc. Für dieses Grundlagenwissen besteht in den entsprechenden Grundlagenfächern eine Fachsystematik. Diese Fachsystematik erlaubt eine eindeutige Zuordnung dieses Grundlagenwissens.
Beispiel eines Lernziels im Fach Anatomie/Physiologie: Die Lernenden können verschiedene Gelenkformen und deren Funktionen unterscheiden und beschreiben.
Beispiel eines Lernziels im Fach Pathologie: Die Lernenden können verschiedene Gelenkserkrankungen und deren Entstehung erklären.
19.2.1.2 – Anwendungswissen
Es handelt sich dabei um Wissen, das bereits in Bezug auf eine bestimmte Anwendung vermittelt bzw. erworben wird. Anwendungswissen definiert, wie man ein Problem, eine Situation angehen kann oder muss. Es wird deshalb auch als prozedurales Wissen bezeichnet. Anwendungswissen bedeutet noch nicht, dass eine Person dieses in der Praxis für die Lösung von Problemen, die Bereinigung von Situationen etc. korrekt einsetzen kann.
Beispiel eines Anwendungszieles in der Pflegefachberufe: Die Lernenden können anhand eines Fallbeispiels beschreiben, wie Gelenke mit eingeschränkter Beweglichkeit im konkreten Fall mobilisiert werden können und wie vorzugehen ist.
19.2.1.3 – Handlungswissen
Handlungswissen definiert die konkreten Handlungen, zu welchen eine Person nach der Ausbildung in der beruflichen Praxis befähigt ist. Das heisst: welche Aufgaben wahrgenommen, welche Art von Problemen gelöst, welche Situationen bereinigt etc. werden können. Diese Fähigkeit bezeichnet man auch als Handlungskompetenz.
Beispiel eines Handlungszieles im Bereich der Pflegefachberufe: Die Lernenden können eine/n Patient/in fachgerecht mobilisieren.
19.2.2 – Abhängigkeiten zwischen den Arten von Wissen
19.2.2.1 – Struktur des Wissens
Abbildung 1 zeigt auf, wie diese Arten von Wissen miteinander in Verbindung stehen. Dabei gelten folgende Bedingungen:
- Das Anwendungswissen steht in einer direkten Beziehung zu einem Handlungsziel. Der Grund liegt darin, dass es sich um prozedurales Wissen handelt, das sich auf Prozeduren bzw. Teile davon (Handlungen) bezieht.
- Anwendungswissen leitet sich immer aus Grundlagenwissen ab. Das Grundlagenwissen liefert die Begründung, warum man bei einem Problem, in einer Situation etc. so vorgehen muss, wie es das Anwendungs- bzw. das prozedurale Wissen definiert.
- Grundlagenwissen ist immer einem bestimmten Fach zugeordnet. Innerhalb dieses Faches besteht eine klare Zuordnung zu einer Disziplin, einem Bereich etc. der Fachsystematik.
Abbildung 1: Arten von Wissen und ihre Zuordnung Damit besteht eine klare Trennung in der Zuordnung von Anwendungs- und Grundlagenwissen. Anwendungswissen ist immer einem bestimmten Handlungsziel zugeordnet und damit der Prozessstruktur untergeordnet. Grundlagenwissen dagegen ist den Fächern zugeordnet und erhält dort eine Einordnung in die fachspezifische Systematik.
Das nachfolgende Beispiel zeigt auf, wie im Bereich der Pflegefachberufe eine konkrete Zuordnung aussehen könnte:
19.2.2.2 – Nutzen in der Unterrichts- und Ausbildungspraxis
Nachfolgend sind ein paar wenige Vorteile aufgeführt, welche eine systematische Definition dieser Wissensarten und ihrer Verbindungen untereinander in Ausbildungen aber auch Unterrichtseinheiten mit sich bringen. Die Liste kann beliebig erweitert werden:
Die Zuordnung der verschiedenen Arten von Wissen erlaubt zu prüfen, ob das notwendige Wissen für die kompetente Ausführung einer Handlung definiert ist bzw. wo allenfalls noch Wissenslücken bestehen.
Grundlagenwissen ist nicht nur für eine bestimmte Handlung relevant. Es dient als Voraussetzung, um verschiedene Handlungen kompetent oder bewusst ausüben zu können. Diese Zuordnung erlaubt zu erkennen, wo bestimmtes Grundlagenwissen benötigt wird. Darauf aufbauend kann entschieden werden, in Zusammenhang mit welchem Anwendungs- oder Handlungswissen es unterrichtet wird.
In der beruflichen Ausbildung gibt es verschiedene Ausbildungsträger (z.B. Berufsfachschule, Lehrbetrieb). Es besteht die Gefahr, dass sich die Bildungsmassnahmen der einzelnen Ausbildungsträger nicht wie angestrebt ergänzen, sondern nicht aufeinander abgestimmt sind oder überschneiden. Mit dieser Zuordnung kann beispielsweise klar definiert werden, auf welchen Grundlagen, welche die Berufsfachschule vermittelt hat, der Lehrbetrieb aufbauen kann.
Quellen:
- Kaufmann (2014): Arten von Wissen, Fachdidaktik Agrar- und Lebensmittelwissenschaften
- FaGe 2017 Band 2 – Handlungskompetenz B.2
- Schelten (2001) : Die Konvergenz von Bildungsinhalten und Bildungsformen im dualen System der Berufsausbildung
- Riedl / Schelten (2000): Handlungsorientiertes Lernen in technischen Lernfeldern; in: Bader, R.; Sloane, P. F. E. (Hrsg.): Lernen in Lernfeldern. Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze zum Lernfeldkonzept. Markt Schwaben: Eusl 2000, S. 155 – 164
- Rauner et al (2015 ) Messen und Entwicklung von beruflicher Kompetenz in den Pflegeberufen der Schweiz