39.1 – Einleitung
Die Artikulation des Unterrichts zeigt auf, wie der methodische Gang des Unterrichts gestaltet werden soll („artikulieren“ = benennen, skizzieren, verdeutlichen). Artikulationsschemen sind demnach eine Unterstützung für die Strukturierung von Unterricht gemäss lernwirksamen Prinzipien.
39.2 – AVIVA / ARIVA (Städeli / Obrist)
Das Modell ARIVA bzw AVIVA bringt grundsätzliche didaktische Funktionen in eine Abfolge.
Ausrichten |
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Reaktivieren oder Vorwissen aktivieren |
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Informieren |
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Verarbeiten |
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Auswerten |
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Die offene Definition des Modells ermöglicht, je nach Ausgangssituation einen angepassten Unterricht zu gestalten. Das Modell erlaubt sowohl eine klassische direkte Instruktion als auch problemorientierten Unterricht, der einen hohen Grad an Selbständigkeit der Lernenden erfordert, zu strukturieren.
ARIVA / AVIVA | Direkte Instruktion | Konstruktion |
Ausrichten | Ziele, Programm bekannt geben | Problemkonfrontation, Programm, Ziele in Bezug auf Problem vorstellen |
Reaktivieren oder Vorwissen aktivieren | Erlerntes aus den vorherigen Lektionen in Erinnerung rufen (Vortrag) | Vorläufige Erklärung/Lösung des Problems mit Hilfe des Vorwissens durch Lernende in Kleingruppen, Wissenslücken aufdecken |
Informieren | Neues Wissen in Form eines Lehrvortrags einführen; Lösung einer Aufgabe mit Hilfe dieses Wissens vorstellen | Einlesen in den neuen Stoff (Lehrmittel), durch Erklärungen und Fragen in der Gruppe ein gemeinsames Verständnis für den Stoff entwickeln |
Verarbeiten | Aufgaben der gleichen Art werden durch die Lernenden selbständig gelöst
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Mit Hilfe des neu erworbenen Wisens das Problem in der Gruppe vollständig erklären / lösen |
Auswerten | Lösungen der Aufgaben gemeinsam in der Klasse kontrollieren, korrigieren
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Individuelle Reflexion des Lernprozesses in Form eines Eintrags in Lerntagebuch (Was wusste ich bereits, was habe ich dazugelernt, wo/ wie nutzte ich dies in meiner Praxis?)
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Quelle: Kaufmann (2014): Unterlagen Fachdidaktik DZ Agrar- und Lebensmittelwissenschaften; Lernwerkstatt Olten (2014): Unterlagen zur Erwachsenenbildung
39.3 – Lehralgorithmus (Klauer/Leutner)
Das Lehr-Lern-Prozessmodell nach Klauer/Leutner basiert auf den sogenannten Lehrfunktionen: Steuerung, Motivierung, Informierung, Informationsverarbeitung, Speicherung und Abruf sowie Transfer. Das Modell ist adaptiv und rekursiv, das heisst es ist eine Beschreibung für das, was im Unterricht ablaufen soll respektiv für den Prozess, der im Unterricht stattfinden soll und kein fester Fahrplan. Das heisst, der Zeithorizont kann eine einzelne Lektion, aber auch ein ganzes Semester umfassen.
Das Gerüst einer Lektion nach dem Lehralgorithmus zeigt auf, wie eine Lektion unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der Studierenden ablaufen kann resp. sollte. Es ist eine Art Fahrplan – von dem natürlich bei Bedarf jederzeit abgewichen werden darf. Fügt man Gerüst und Prozess zusammen, ergibt sich einen Aufbau einer ”typischen” Lektion.
39.4 – Artikulationsschema (Grell/Grell)
Checkliste
Phase 0: Ich treffe direkte Vorbereitungen für die Lektion (z.B. z.B. Unterlagen prüfen, Medien testen, Ablaufschema durchgehen, Schlüsselmomente antizipieren).
Phase 1: Ich bemühe mich um eine lockere Atmosphäre (emotionales Hin und Her; positive reziproke Affekte auslösen; keine Schauspielerei). 1 bis 5 Minuten.
Phase 2: Ich teile den Schülern mit, was sie lernen sollen; wie sie nach meiner Planung lernen sollen und warum sie lernen sollen: Informierender Unterrichtseinstieg. Mit Wandtafelanschrieb oder Overhead-Folie oder verteilten Zetteln. Schüler können Variationen vorschlagen. 2 bis 4 Minuten.
Phase 3: Ich stelle den Schülern alles zur Verfügung, was sie zum selbständigen Arbeiten benötigen. Ich gebe einen Informationsinput. 5 bis 10 Minuten.
Phase 4: Ich stelle den Schülern eine oder mehrere Lernaufgaben und zeige ihnen, wie die Lernaufgaben bearbeitet werden können (ca. 5 Minuten).
Phase 5: Ich lasse die Schüler selbständig die Lernaufgaben bearbeiten; Einzelarbeit, Partnerarbeit oder Gruppenarbeit. Ich beschäftige mich mit etwas anderem.
Phase 6: Ich schiebe eine Umstellungsphase ein, sofern nach Phase 5 wieder im Klassenverband gearbeitet werden soll. Andernfalls sind die Schüler weiterhin mit ihren Aufgaben beschäftigt oder diskutieren in der Gruppe weiter.
Phase 7: Ich veranlasse die Weiterverarbeitung im Plenum, als Bericht, Diskussion der Lernschwierigkeiten, u.s.w.
Phase 8: Ich schaffe am Schluss der Stunde einige Minuten Dispositionszeit, zum Rückblick, zur Evaluation der Unterrichtsstunde, für den Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“.
39.4.0.1 – Beschreibung der Phasen
Phase 0: Direkte Vorbereitung
Ihre Tätigkeit: Material bereitlegen Unterlagen prüfen, Medien testen (Beamer, Video-/Audioclips, digitale Hilfsmittel, etc.), Ablaufschema durchgehen, Schlüsselmomente antizipieren. Wichtig für Neulinge: Vorbereitung gibt Sicherheit. Ich weiss, dass alles funktioniert. Ich kann nicht stecken bleiben. Wichtig für erfahrene Lehrer: Ich weiss, dass ich jetzt in den Unterricht muss. Ich will die Stunde gut machen. Eine direkte Vorbereitung verhindert, dass ich zum Beispiel Schwachstellen überspielen muss.
Phase 1: Lockere Atmosphäre; reziproke Affekte
Ihre Tätigkeit: Sie beginnen nicht einfach trocken den Unterricht, sondern tun etwas für die emotionale Basis des Lernens. Für den Anfänger am einfachsten: Wenn Sie im Informierenden Unterrichtseinstieg das Thema oder die Lernziele vorstellen, teilen Sie den Schülern Ihre persönliche Einstellung oder ein persönliches Erlebnis aus diesem Themenbereich mit. Wichtig vor grösseren Unterrichtsabschnitten, bei Semesteranfang oder bei neuen Lehrlingen ist die Vorstellung der eigenen Person.
Phase 2: Informierender Unterrichtseinstieg (IU)
Ihre Tätigkeit: Sie geben einen Überblick über die gesamten Lernsequenz mit Thema, wichtigen Lernzielen, Lernaufgaben und Ablauf der Stunde. Der Informierende Unterrichtseinstieg gibt Ihnen Sicherheit. Die Schüler können sich orientieren; auf das Wesentliche konzentrieren und müssen nicht ihre Energie darauf verwenden, den Kern der Sache herauszufinden.
Phase 3: Informationsinput
Ihre Tätigkeit: Sie informieren die Schüler über alles, was sie zum Ablauf der Stunde wissen müssen. Diese Phase dauert oft nur fünf bis zehn Minuten. Teilen Sie nicht alles mit, was es zu dem Thema zu sagen gibt. Ein Teil ist in der Lernaufgabe enthalten.
Phase 4: Anbieten von Lernaufgaben
Ihre Tätigkeit: Sie stellen eine oder mehrere Lernaufgaben zur Verfügung, erläutern, wie sie bearbeitet werden soll(en), in welcher Zeitspanne und mit welchem Endprodukt, ob allein oder in Zweier- oder Gruppenarbeit. Die Lernaufgaben sind schriftlich vorbereitet. Alle Anwesenden erhalten eine Kopie. Diese schriftlichen Lernaufgaben sind das didaktische Schatzkästchen des Lehrers. Hier kann er didaktisch sinnvolle, lernpsychologisch wertvolle und fachlich kompetente Vorgaben machen.
Phase 5: Selbständige Arbeit an Lernaufgaben
Ihre Tätigkeit: Sie können sich mit den Lernenden beschäftigen, die Lernwiderstände zeigen oder Schwierigkeiten haben, nicht weiterkommen und Sie können sich auf den Abschluss der Stunde vorbereiten. Dies ist die wichtigste Phase des Unterrichts. Hier sind alle Schüler aktiv, allein, mit einem Partner oder in Gruppen von drei, maximal vier Schülern.
Phase 6: Umstellungsphase einschieben
Ihre Tätigkeit: Durch Anordnung zum Platzwechseln, eine eingeschobene Zwischengeschichte o.ä. sorgen Sie dafür, dass das Bearbeiten der Lernaufgaben abgeschlossen wird. Die Schüler müssen sich lockern, um im Plenum die Ergebnisse auszuwerten.
Phase 7: Feedback und Weitererarbeitung oder Rendez-vous mit Lernschwierigkeiten
Ihre Tätigkeit: Die Schüler bekommen Gelegenheit, die Richtigkeit oder Angemessenheit ihrer Arbeitsergebnisse selbst zu überprüfen oder zu beurteilen.
- Ich gebe den Schülern Rückmeldung über den Erfolg ihrer Arbeit.
- Das Gelernte wird auf neue Situationen übertragen, oder die Schüler werden auf Transfermöglichkeiten aufmerksam gemacht.
- Das Gelernte wird kritisch geprüft, und es wird untersucht, welchen Stellenwert es in einem grösseren Rahmen hat.
Ich schreibe zum Beispiel einen Repetitionsplan an die Wandtafel. Diese Phase muss variationsreich gestaltet sein. Sonst entsteht der sogenannte Seminareffekt: monotoner Vortrag der Gruppenarbeitsergebnisse im Plenum.
Phase 8: Evaluation oder Verschiedenes
Ihre Tätigkeit: Rückmeldebogen verteilen oder Fragen stellen: „Was fanden Sie gut und was schlecht? Was ist unklar?“ u.s.w.
Quellen:
- Grell Jochen/ Grell Monika (2010): Unterrichtsrezepte; Beltz, Weinheim und Basel
- Kaufmann (2014): ETH Zürich, Unterlagen Fachdidaktik DZ Agrar- und Lebensmittelwissenschaften
- Klauer, Karl Josef / Leutner, Detlev (2012): Lehren und Lernen, Beltz, Weinheim und Basel
- Lernwerkstatt Olten (2014): Unterlagen zur Erwachsenenbildung
- Städeli Christoph / Grassi Andreas / Rhiner Kathy / Obrist Willy (2013): Kompetenzorientiert unterrichten – das AVIVA Modell, hep verlag, Bern