46.1 – Mündliche Prüfungen
46.1.1 – Vorbereitung
1. Die Schülerinnen und Schüler über den Prüfungsablauf informieren
In der Vorbereitungsphase wird das Lerngebiet eingegrenzt, die Prüfungsanforderungen werden transparent gemacht und der Prüfungsablauf wird skizziert. Diese Informationen hält die Lehrperson auf einem Blatt fest, das sie mit den Schülerinnen und Schülern bespricht.
- Informationsblatt für Prüflinge – ein Vorschlag:
- Prüfungstermine
- Dauer der Prüfung
- Anzahl Fragen, die gestellt werden
- Anzahl Gebiete, die behandelt werden
- Bewertungsmaßstab oder Schwerpunkte für die Prüfungsleistung
- Notensystem
- Stellenwert der anderen Arbeiten
- Bei der Prüfung Anwesende
- Rolle der bei der Prüfung Anwesenden
- Wann werden die Noten bekanntgegeben?
- Was darf man an der Prüfung benützen?
- Wiederholungsmöglichkeiten
- Hinweise auf das offizielle Prüfungsreglement
2. Fragen schriftlich festhalten
Die Fragen werden schriftlich festgehalten. So wird u.a. sichergestellt, dass allen Schülerinnen und Schülern Aufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades vorgelegt werden.
Rahmen festlegen
Nicht alles kann geprüft werden. Deshalb wird eine Aufgabengruppe gebildet. Dabei werden die Aufgaben unterschiedlich gewichtet (Taxonomie).
Fragen schriftlich vorbereiten
Die Fragen werden schriftlich ausformuliert. Hinter jeder Frage wird das Anspruchsniveau notiert.
Kriterien oder Antworten zu den Fragen aufschreiben
Es wird die minimale Lösung und die Anzahl der Punkte pro Frage festgelegt.
z.B.
46.1.2 – Durchführung
3. Prüfungsgespräch eröffnen
Die prüfende Person begrüsst die Kandidatin, den Kandidaten und erklärt den Ablauf der Prüfung.
Begrüssung
Die Kandidatinnen sollen sich sicher fühlen. Das setzt voraus, dass die Experten und Expertinnen sie ernst nehmen. Wir schlagen folgende Schritte vor: Aufstehen – zur Türe gehen – mit Namen begrüssen – Hand geben – der/die zweite Experte/Expertin vorstellen – Platz anbieten – dem Kandidaten/der Kandidatin die volle Aufmerksamkeit schenken.
Gespräch eröffnen
Sie erklären die Rolle der Anwesenden. Zum Beispiel: „Ich werde Ihnen Fragen stellen. Herr Obrist wird sich Notizen machen. Er ist der Experte.“
4. Steuerung der Prüfung: Das Fachgebiet zuerst allgemein ansprechen
Zu Beginn der Prüfung werden Fragen gestellt, die von der Kandidatin oder dem Kandidaten mit grosser Wahrscheinlichkeit richtig beantwortet werden können. Dies gibt Sicherheit und baut Ängste ab. Die Kandidatin, der Kandidat kann sich „freisprechen“. Der Experte, die Expertin hört aktiv zu und stellt nur vereinzelt Rückfragen. Erst dann bringt sie/er anspruchsvolle Frage- und Problemstellungen ein.
- Sich auf die Kandidatin, den Kandidaten konzentrieren
- Anfangs die Kandidatin, den Kandidaten referieren lassen
- Aktiv zuhören
- Unverständlich erscheinende Ausführungen präzisieren lassen
- Das kognitive Niveau bewusst anheben. Fragen stellen, die ein analytisches, verknüpfendes oder bewertendes Denken erfordern
Nachdem die letzte Frage beantwortet ist, gibt der Experte, die Expertin eine freundliche und unverbindliche Rückmeldung. Er informiert über den weiteren Verlauf. Zum Beispiel: „Nach der Besprechung werden wir Sie hereinrufen. Wir können Ihnen dann eine ausführliche Rückmeldung geben.“
5. Prüfungsablauf protokollieren
Als Erinnerungshilfe für die Beurteilung werden Stichworte notiert. Die Qualität der Antworten wird durch Symbole genauer umschrieben (++, +, -, –).
Der Experte/die Expertin kann während der Prüfung nur einzelne Stichworte aufschreiben. Der/die zweite Experte/Expertin kann sich aber gut auf die Antworten konzentrieren und den Ablauf genau protokollieren. Dies ist wichtig, damit bei Unklarheiten der Prüfungsverlauf rekonstruiert werden kann und Beurteilungsfehler gezielt korrigiert werden können.
46.1.3 – Auswertung
6. Beurteilungsfehler korrigieren
Bei mündlichen Prüfungen kann es besonders viele Beurteilungsfehler geben. So zeigt sich immer wieder, dass zum Beispiel eine langsamere Sprechweise um etwa eine Note schlechter zensiert wird. Zudem beeinflussen Sympathie und Antipathie die Notengebung.
Sprechgeschwindigkeit
Schnellsprecher hinterlassen den Eindruck, als wüssten sie mehr. Dass die Sprechgeschwindigkeit eine Bedeutung hat, zeigen die Ergebnisse aus verschiedenen Untersuchungen. Sie belegen, dass Langsamsprechende, bei objektiv gleichen Leistungen, mit bis zu einer Note schlechter beurteilt werden als Schnellsprechende!
Äussere Attraktivität und Halo- oder Hof-Effekt
Prüfende, die die Kandidatinnen nicht kennen, unterliegen häufig dem Fehler des ersten und letzten Eindrucks. So kann ein selbstsicheres Auftreten zu Beginn der Prüfung die nachfolgenden Beiträge überlagern, und ein grossartiger Abgang am Ende der Prüfung vermag die vorangegangenen korrekturbedürftigen Beiträge zu überdecken.
Erwartungsfehler
Werden Kandidat/innen von Lehrpersonen geprüft, die sie jahrelang unterrichtet haben, sind Erwartungsfehler kaum zu vermeiden. Die Prüfenden haben sich von der Kandidatin oder vom Kandidaten ein Bild gemacht, und die Schüler/innen werden den Vorstellungen entsprechend geprüft.
7. Note festlegen
Die beiden Experten/Expertinnen halten unabhängig voneinander aufgrund des Protokolls die Note fest, dann folgt eine Diskussion, die zur definitiven Note führt.
Die Auswertung der mündlichen Prüfung erfolgt in einem Meinungsaustausch zwischen den beiden Experten/Expertinnen. Zur Steigerung der Objektivität schreibt jede/r seine Benotung auf einen Zettel. Der anschliessende Notenvergleich führt dann zu einer raschen Einigung oder zu einem Gespräch, in dessen Verlauf das Prüfungsgeschehen anhand des Protokolls rekonstruiert und bewertet werden kann.
8. Eine Rückmeldung geben
Der Kandidatin oder dem Kandidaten wird das Ergebnis mitgeteilt – wenn es das Prüfungsreglement zulässt, auch die Note.
Zu einem abschließenden Gespräch wird die Kandidatin oder der Kandidat wieder in den Prüfungsraum gerufen. Der Experte/die Expertin teilt das Ergebnis mit. Er/sie begründet die Beurteilung: zuerst Positives, dann das Unvollständige oder Negative.
Quelle:
Städeli Christoph / Obrist Willy (2013): Kerngeschäft Unterricht, hep verlag, Bern