Cortex und Hirnstamm nehmen über die oberen Motoneurone Einfluss auf Rückenmarksschaltkreise, die wiederum über die unteren Motoneurone die Muskelaktivität beeinflussen. Zusätzlich zu dieser hierarchischen Kontrolle der Motorik sind dem motorischen System noch zwei extra Schleifen zugeschaltet. Die eine Schleife führt durch die Basalganglien und die andere Schleife durch das Cerebellum. Diese beiden Strukturen können selber keine Bewegungen auslösen, sie können aber die Bewegungen, die vom Cortex und Hirnstamm ausgelösten werden, modulieren.
17.1 – Basalganglien
Als Basalganglien werden mehrere Kerngebiete zusammengefasst, die unterhalb des Cortex liegen. Diese subcortikalen basalen Kerne sind über hemmende und erregende Synapsen miteinander verschaltet und bilden eine funktionelle Schleife.
Die Basalganglien erhalten Informationen über die motorischen Programme vom Cortex. Sie passen die Informationen aus den motorischen Programmen an, indem sie erwünschte Handlungsmuster auswählen und unerwünschte Handlungsmuster unterdrücken und schicken ihre Information zurück an den Cortex.
Am einfachsten kann man sich die Funktion der Basalganglien am konzeptuellen Modell einer Staumauer vorstellen (Abbildung 17.4). Im motorischen Cortex werden mögliche motorische Programme entworfen. Diese motorischen Programme sind im Modell als Flüsse dargestellt. Die Basalganglien bilden eine Staumauer, die verhindert, dass alle Flüsse zu einer motorischen Handlung führen. An der Staumauer können bestimmte Türen geöffnet werden, so dass ein ausgewählter Fluss weiterfliessen kann und alle anderen gehemmt bleiben. So können die Basalganglien motorische Programme selektieren.
Ein wichtiger Neurotransmitter der Basalganglien ist Dopamin. Dopamin verstärkt eine bewegungsfördernde Wirkung der Basalganglien und es reduziert eine bewegungshemmenden Wirkung. Dadurch verschiebt sich nach Ausschüttung von Dopamin ein Aktivitätsgleichgewicht in Richtung einer erleichterten Bewegungsausführung. Diese bewegungsfördernde Wirkung von Dopamin kann man sich im Modell wie ein Schlüssel vorstellen, über den die Türen der Staumauer geöffnet werden können. Wie wichtig die Funktion der Basalganglien für die korrekte Bewegungskontrolle ist, wird dann offensichtlich, wenn Teile der Basalganglien durch neurodegenerative Krankheiten geschädigt werden.
Basalganglien Pathologien
Chorea Huntington
Bei der Krankheit Chorea Huntington kommt es zu unkontrollierten Schleuderbewegungen und Muskelzuckungen, die als Chorea bezeichnet werden (Corea, griechisch „Tanz“, „Veitstanz“). Ein dominanter Gendefekt führt zur Expression von abnormal langen Huntington Proteinen, die zum Absterben von Nervenzellen in bestimmten Teilen der Basalganglien führen. Durch die Schädigung entfallen die, für die motorische Kontrolle so wichtigen, hemmenden Impulse aus den Basalganglien, die normalerweise die Neuronen des Cortex inhibieren und unwillkürliche Bewegungsimpulse verhindern. In unserem Staumauer Modell ist die Degeneration der Neuronen durch Chorea Huntington damit vergleichbar, dass die Staumauer zerstört wird. Dadurch können alle Flüsse (motorischen Programme) ungehindert weiterfliessen.
Morbus Parkinson
Das gegenteilige Krankheitsbild sieht man bei der Krankheit Morbus Parkinson. Hier kommt es zur Bewegungsverlangsamung. Patienten haben Schwierigkeiten eine beabsichtigte Bewegung zu beginnen. Sie haben steife Muskeln und zittrige Hände, die in Ruhe besonders ausgeprägt sind (Ruhetremor). Die Ursache Morbus Parkinson ist eine Degeneration der Neurone, die den Neurotransmitter Dopamin produzieren. Bei fortgeschrittener Krankheit sind 80% der dopaminergen Neurone zerstört. In unserem Model wirkt Dopamin als Schlüssel, der an der Staumauer Türen öffnen kann. Wenn Dopamin fehlt, dann können keine Türen geöffnet werden und die Staumauer bleibt geschlossen. Das heisst, es können keine motorischen Programme ausgewählt werden- die Ausführung von willkürlichen Bewegungen ist gebremst.
17.2 – Cerebellum
Wenn man eine Bewegung machen möchte, zum Beispiel den Arm ausstrecken um einen Zielpunkt zu erreichen, dann genügt es nicht, den Muskeln einfach den Befehl zur Kontraktion zu erteilen. Die Bewegung erfordert eine detaillierte Sequenz zeitlich präzise, aufeinander abgestimmter Muskelkontraktionen. Die Muskulatur der Schulter, des Ellenbogens und des Handgelenks müssen koordiniert werden. Zusätzlich muss die Lage des Körpers im Raum überprüft werden, damit die Bewegung korrekt ausgeführt werden kann. Dazu werden Informationen aus Sinnesorganen, wie den Muskelspindeln und den Augen genutzt. Des Weiteren muss auf die Erfahrung aus früheren Bewegungen zurückgegriffen werden, um die Bewegung effektiv (mit genau angepassten Kräften) ausführen zu können. Bei all diesen Aufgaben spielt das Cerebellum eine wichtige Rolle. Dabei fungiert das Cerebellum nicht als Initiator der Bewegung, sondern es überwacht und korrigiert die Bewegungen.
Die wichtigsten Funktionen des Cerebellums sind:
- Regulation der Körperhaltung
- Bewegungsplanung
- Koordination
- Korrektur von Bewegungsabläufen
- motorisches Lernen
- motorische Adaptation
Der Name Cerebellum heisst kleines Gehirn oder Kleinhirn. Und tatsächlich ist das Cerebellum wie ein kleines Gehirn aufgebaut. Es hat zwei Hemisphären mit einem cerebellären Cortex und eine darunterliegenden weissen Substanz. Im Querschnitt erkennt man in der Mitte des Cerebellums die Kleinhirnkerne. Das Cerebellum ist über dicke Nervenbahnen, die Kleinhirnstiele, mit dem Hirnstamm verbunden und sitzt sozusagen auf dem Hirnstamm. Über die Kleinhirnstiele empfängt das Cerebellum seine Afferenzen und entsendet seine Efferenzen.
17.3 – Das Cerebellum sagt die Zukunft voraus
Wenn eine bestimmte Bewegung ausgeführt werden soll, dann schickt der Cortex ein motorisches Kommando über die oberen und unteren Motoneurone an die Muskeln. Gleichzeitig schickt er eine Kopie dieses Kommandos zum Cerebellum. Auf Grund dieser Information kann das Cerebellum die zu erwartenden Kräfte vorausberechnen und sagt die sensorischen Konsequenzen der Bewegung voraus. Es berechnet einen Soll-Zustand. Wenn man zum Beispiel plant auf einem Klavier einen Ton zu spielen, dann kann das Cerebellum vorhersagen wie sich die Bewegung anfühlen soll, wie es aussehen muss wenn der Finger auf die Taste drückt und welcher Ton erklingen soll.
Wärend die Bewegung ausgeführt wird, wird der tatsächliche Ist-Zustand mit Hilfe unserer Sinne gemessen. Das heisst, die tatsächliche Bewegung des Fingers wird durch Rezeptoren des somatosensorischen und visuellen Systems wahrgenommen und der erzeugte Ton wird durch das auditive System erfasst. Soll- und Ist-Zustand werden dann in der unteren Olive – ein Kern im Hirnstamm – verglichen.
Wenn die Bewegung nicht exakt ausgeführt wird, dann entspricht der Ist-Zustand nicht dem Soll-Zustand. Diese Diskrepanz führt dazu, dass das motorische Kommando korrigiert wird indem die Signale der oberen Motoneurone, durch Information vom Cerebellum so beeinflusst werden, dass entweder eine kurzfristige oder langfristige Korrektur der Bewegung erfolgt.
Das Cerebellum erhält also Informationen aus verschiedenen Bereichen des Nervensystems:
- Vom Cortex über geplante Bewegungen (Soll-Zustand).
- Von den Sinnesorganen Informationen über die sensorischen und somatosensorischen Konsequenzen einer Bewegung (Ist-Zustand).
- Vom Hirnstamm Informationen über Bewegungsfehler.
17.3.1 – Filterung der Signal im Cerebellum
Die afferenten Nervenbahnen ziehen durch die Kleinhiernstiele in das Cerebellum und dann zum cerebellären Cortex. Auf ihrem Weg in den cerebellären Cortex bilden die afferenten Nervenbahnen erregende Abzweigungen zu den Kleinhirnkernen aus. Die Kleinhirnkerne sind die wichtigsten Ausgangsstrukturen des Cerebellums – hier entspringen die efferenten Nervenbahnen, die das Cerebellum wieder verlassen.
Was passiert jetzt aber mit der Information der Afferenzen im Cerebellum, bevor sie über die Efferenzen das Cerebellum wieder verlässt?
Die erregenden Impulse, die die Kleinhirnkerne von den afferenten Nervenbahnen erhalten, werden nicht unverändert von den Kleinhirnkernen wieder nach aussen geleitet, da die Kleinhirnkerne unter ständiger inhibitorischer Kontrolle der Purkinje-Zellen stehen. Purkinje-Zellen liegen im cerebellären Cortex und sind die zentralen Schaltstellen des Cerebellums an der alle Signale der afferenten Zuflüsse konvergieren. An den Dendriten der Purkinje-Zellen findet ein aufwändiger, vor allem inhibitorischer, Verarbeitungsvorgang statt. Hier werden zum Beispiel Informationen über Bewegungsfehler in die Bewegungskontrolle integriert.
Wenn die Purkinje-Zelle als Folge dieser Signalverarbeitung gehemmt wird, dann wird dadurch die inhibitorische Wirkung der Purkinje-Zelle auf die Kleinhirnkerne aufgehoben und die erregenden Impulse, welche die Kleinhirnkerne aus den Abzweigungen der Afferenzen empfangen, werden nach aussen geleitet. Die efferenten Signale aus den Kleinhirnkernen entsprechen somit einer durch die Purkinje-Zellen gefilterte Form der afferenten Signale.
Störungen der Funktion des Cerebellums
Berühren Sie einmal mit dem Finger ihre Nasenspitze. Kein Problem, oder? Patienten mit Läsionen im Cerebellum können diese einfache Aufgabe meist nicht ausführen. Anstatt Schulter, Ellenbogen und Handgelenk gleichzeitig so zu bewegen, dass der Finger in einem Zug zur Nase geführt wird, bewegen sie jedes Körperteil hintereinander – zuerst die Schulter, dann den Ellenbogen und schliesslich das Handgelenk. Die Bewegungsanteile laufen nicht mehr gleichzeitig, sondern hintereinander ab. Ausserdem ist bei diesen Patienten das Ausmass der Bewegungen unangepasst: Der Patient trifft mit dem Finger nicht seine Nase, sondern berührt sein Gesicht zu weit oben, zu weit unten oder zu weit seitlich. Auch typisch ist der Intentionstremor. Dabei zittert der Finger mit zunehmender Amplitude bei Annäherung an das Ziel. Dieses Zittern ist Ausdruck der unkoordinierten Kontraktionen der Muskeln, die an einer Bewegung beteiligt sind. Wenn beispielsweise die Patientin in der Abbildung unten versucht, ihren Finger von einem Punkt im Raum zu einem anderen zu bewegen oder mit ihrem Finger eine Linie nachzufahren, begeht sie dabei grobe Fehler. Wenn sie versucht, einen Fehler zu korrigieren, macht sie noch grössere Fehler.