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12 Aufmerksamkeit

Unser Gehirn wird von unseren Sinnesorganen mit einer enormen Informationsmenge gefüttert. Statt zu versuchen, all diese Signale gleichzeitig zu verarbeiten, konzentrieren wir uns selektiv auf Dinge, die unsere Aufmerksamkeit erregen. So können wir gewisse Umweltreize beachten und andere Reize vernachlässigen.

Lernziele

  • Sie kennen verschiedene Formen des allgemeinen Aktivitätszustandes, die unterschiedlichen Schlafstadien sowie die selektive Aufmerksamkeit.
  • Sie können die Kontrolle des Schlaf-Wach-Zustandes erklären.
  • Sie kennen die automatisierte Aufmerksamkeit und welche Reize sie auslösen.
  • Sie kennen die kontrollierte Aufmerksamkeit.
  • Sie können die Hirngebiete, die in die Steuerung der Aufmerksamkeit involviert sind, benennen.
  • Sie kennen die besondere Bedeutung der rechten Hemisphäre bei der Aufmerksamkeitssteuerung…
  • …sowie mögliche Konsequenzen einer Läsion dieser Hirngebiete.

12.1 – Aufmerksamkeit und der allgemeine Aktivitätszustand: eine Übersicht

Unser mentaler Aktivitäts- bzw. Erregungszustand ändert sich ständig im Verlaufe eines Tages. Zum Beispiel befinden wir uns während der Nacht im schlafenden Zustand und während des Tages in einem wachen Zustand. Aber selbst wenn wir wach sind, wechseln sich Phasen hoher Aufmerksamkeit mit Phasen der Unaufmerksamkeit – wo wir entspannen und vielleicht sogar etwas schläfrig sind – ab. Wichtig ist, dass dieser allgemeine Aktivitätszustand nicht dichotom ist, sondern ein Kontinuum darstellt. Schlaf und Wachheit repräsentieren bei gesunden Menschen zwei Pole dieses Kontinuums (siehe Abbildung 12.1).

In diesem Kapitel wollen wir uns speziell der Aufmerksamkeitskontrolle durch das Gehirn widmen. Aufmerksamkeit beschreibt Prozesse, mit denen das Gehirn Bewusstseinsressourcen auf bestimmte Aufgaben lenkt. Das Konzept der Aufmerksamkeit im engeren Sinne impliziert, dass wir eine Art mentales Scheinwerferlicht („mental spotlight“) auf bestimmte Umweltreize, motorische Programme, Erinnerungen oder internale Repräsentationen fokussieren können. Wenn wir von Aufmerksamkeit im engeren Sinne sprechen, wird häufig der Begriff selektive Aufmerksamkeit benutzt, um sie von dem allgemeinen, weniger spezifischen mentalen Aktivitäts- bzw. Erregungszustand zu unterscheiden.

Abbildung 12.1 – Der allgemeine Aktivitätszustand vs. selektive Aufmerksamkeit. Quelle: Eigene Darstellung 2020

12.2 – Schlaf

Schlaf ist global und bei allen Lebewesen nachweisbar. Er ist für das Wohlergehen und die Erholung des Menschen notwendig. Ähnlich wie Hunger und Durst ist auch Schlaf ein Grundbedürfnis, das nach einer gewissen Zeit gestillt werden muss.

12.2.1 – Das 2-Prozessmodell der Schlafregulation

Die Schlafdauer, -intensität und das zeitliche Auftreten wird vor allem durch 2 Prozesse reguliert: durch den homöostatischen und den zirkadianen Prozess (2-Prozess-Modell der Schlafregulation, siehe Abbildung 12.2). Das Zusammenspiel dieser Prozesse führt beim Menschen zu einer Wachepisode von etwa 16h und einer Schlafepisode von etwa 8h.

Abbildung 12.2 – Darstellung des homöostatischen und zirkadianen Prozesses beim Schlaf. Quelle: Deboer et al., 2016, verändert.

Der Prozess S (der homöostatische Prozess)

Der homöostatische Prozess S beschreibt, dass das Schlafbedürfnis bzw. der Schlafdruck im Wachzustand zunimmt und während des Schlafes abnimmt. Dieser Prozess ist allerdings nicht linear sondern baut sich während der Wachzeit kontinuierlich auf und zeigt nach Schlafbeginn einen steilen Abfall, der im Laufe des Schlafs flacher wird. Er reguliert den Schlaf in Abhängigkeit von der Dauer vorhergehender Schlaf- bzw. Wachzeiten. Vor allem die Intensität des Tiefschlafs wird homöostatisch reguliert.

Der Prozess Z (der zirkadiane Prozess)

Der zirkadiane Prozess wird durch unsere «innere Uhr» tagesperiodisch gesteuert und ist unabhängig von Schlafen und Wachsein. Er entspricht dem zirkadianen Schlafdruck, der für gewöhnlich während der Nacht am Stärksten ist, und stimmt die zeitliche Koordinierung des Schlaf-Wach-Rhythmus auf den externen Licht-Dunkel-Wechsel ab (~24-h-Periodik). Klassische zirkadiane Marker sind die Körperkerntemperatur sowie die endogene Melatoninsekretion. Melatonin ist ein Hormon, das schläfrig macht und dessen Produktion durch Licht inhibiert wird.

Das 2-Prozessmodell kann sowohl ein kurzfristiges Schlafdefizit durch zu wenig Schlaf als auch die Veränderung von Aufmerksamkeit und Schläfrigkeit erklären. Kommt es allerdings zu chronischem Schlafentzug, sind vermutlich weitere Prozesse im Spiel.

Exkurs – Schlafphasen

Während wir den Unterschied zwischen Wachsein und Schlafen wahrnehmen, verlaufen die unterschiedlichen Phasen bzw. Stadien des Schlafes in der Regel unbemerkt. Mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) kann man die elektrische Aktivität des Gehirns (und vor allem des Cortex) mittels Elektroden auf der Kopfoberfläche aufzeichnen. Das EEG im Wachzustand unterscheidet sich von dem im Schlaf.

REM und Non-REM Schlaf

Im Laufe einer Nacht durchlaufen wir mehrmals zyklisch unterschiedliche Phasen. Diese können ganz allgemein in Non-REM und REM-Schlaf unterteilt werden. REM steht für schnelle horizontalen Augenbewegungen («rapid eye movements»), die charakteristisch sind für diese Schlafphase. Für gewöhnlich beginnt der Schlaf mit dem Non-REM-Schlaf, der in 4 Stadien unterteilt wird. Schlafstadium 3 und 4 bezeichnet man auch als Tiefschlaf (Achtung: nach aktuellstem Stand werden diese beiden Stadien nur noch als ein Stadium angeschaut, daher gibt es in manchen aktuelleren Abbildungen nur noch 3 Stadien im Non-REM Schlaf). Während einer normalen Nacht durchlaufen wir zunächst diese 4 Stadien des Non-REM-Schlafes und treten dann in eine REM-Phase ein. Anschliessend kehren wir wieder zu den vier Non-REM-Stadien zurück. Dieser Zyklus wiederholt sich etwa alle 90 Minuten (Abbildung 12.3, rechts).

Die unterschiedlichen Schlafstadien und ihre Charakteristiken

Im entspannten Wachzustand kurz vor dem Einschlafen sind im EEG charakteristische Alpha-Wellen (Frequenz von 8-12 Hz) zu erkennen (Abbildung 12.3, links). Im Schlafstadium 1 wird die Hirnaktivität gemessen mit dem EEG im Vergleich zum Wachzustand langsamwelliger (niedrigere Frequenzen) und hochamplitudiger (höhere Ausschläge der Wellen). In diesem Stadium ist der Schlaf am leichtesten, wir können also noch problemlos geweckt werden. Im Schlafstadium 2, dass schon durch einen etwas tieferen Schlaf gekennzeichnet ist, kann man häufig Schlafspindeln (schnellere Aktivität zwischen 8-14 Hz für 1-2 s) und K-Komplexe (steile Welle mit hoher Amplitude) erkennen. Bei Schlafspindeln geht man davon aus, dass sie durch einen thalamischen Schrittmacher hervorgerufen werden. Im Schlafstadium 3, das zusammen mit dem Schlafstadium 4 als Tiefschlafphase bezeichnet wird, setzen dann vermehrt Delta- oder Tiefschlaf-Wellen (sogenannte «Slow Waves»; <4 Hz) ein. Das Schlafstadium 4 wird dominiert (mehr als 50%) von diesen langsamwelligen, hochamplitudigen Delta-Wellen (0.5-2Hz). Deswegen werden das Schlafstadium 3 und 4 auch häufig auch als «Slow-Wave-Sleep» bezeichnet. Die Tiefschlafphase gilt als wichtig für einen erholsamen Schlaf. Neben den beschriebenen EEG-Charakteristiken kommt es auch zu anderen physiologischen Veränderungen. Die Körperkerntemperatur sowie der Blutdruck sinken und Atemfrequenz und Herzschlag verlangsamen sich. Anschliessend werden die Schlafstadien in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen bis man anschliessend in den REM-Schlaf eintritt. Im REM-Schlaf ist die Hirnaktivität im EEG ähnlich zu der im Wachzustand (also schnellere Wellen und niedrigere Amplituden) und auch der Blutdruck und die Herzrate steigen an und sind beinahe so hoch wie im Wachzustand. Ausserdem sind charakteristische Augenbewegungen unter den geschlossenen Lidern zu beobachten. In dieser Phase erschlafft die Skelettmuskulatur, es werden keine Bewegungen ausgeführt.

Diese beschriebenen Schlafphasen und -stadien werden mehrmals pro Nacht durchlaufen, wobei die Dauer der Stadien 3 und 4 des Non-REM-Schlafes im Verlauf der Nacht abnehmen und die Dauer des REM-Schlafes immer weiter zunimmt (Abbildung 12.3, rechts).

Abbildung 12.3 – Links: EEG Charakteristiken des Wachzustandes sowie der unterschiedlichen Schlafstadien (jede Kurve ist ca. 10 s lang). Quelle: John P. Pinel, Biopsychologie, 6. Auflage, Pearson Education, 2007. Rechts: Die Zyklen der unterschiedlichen Schlafstadien in einer typischen 8-Stunden Schlafperiode. Quelle: Dale Purves et al., Neuroscience, 3. Auflage, Sinauer Associates Inc., 2004, S. 672.

12.2.2 – Hirnregionen, die eine Rolle bei der Kontrolle des Schlaf-Wach-Zustandes spielen

An der Schlaf-Wach-Regulation sind verschiedene Hirnregionen beteiligt, die miteinander interagieren:

Das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS)

Das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS) besteht aus unterschiedlichen Kerngebieten im Hirnstamm. Das ARAS projiziert zum Thalamus und verschiedenen cortikalen Regionen und begünstigt Wachheit. Eine Aktivierung des ARAS (etwa durch Stimulation gewisser Kerngebiete) führt beispielsweise zu einer «Desynchronisation» der Hirnaktivität im EEG. Das bedeutet, dass eine stark synchronisierte, hochamplitudige und langsamwellige Aktivität unterbrochen wird und schnellere, niederamplitudige, desynchronisierter Aktivität zu beobachten ist, was charakteristisch für den Wachzustand ist.

Hypothalamus

Der Hypothalamus umfasst sowohl wachheitssteigernde Neurone, die das ARAS aktivieren, als auch schlafförderne Neurone, die das ARAS hemmen und ist damit ein wichtiges Hirngebiet der Schlaf-Wach-Regulation.

Im lateralen Hypothalamus befinden sich Orexinneurone, die wachheitssteigernd sind. Da die Ausschüttung von Orexin wichtig für einen stabilen Wachzustand ist, wird ein Zusammenhang zwischen Orexin und Narkolepsie vermutet. Narkolepsie ist eine chronische Erkrankung, die mit gesteigerter Tagesschläfrigkeit und unkontrollierbar auftretenden «Schlafattacken» während des Tages einhergeht, welche zwischen 30 s bis hin zu 30 min oder länger andauern können.

Der Nucleus Suprachiasmaticus (SCN) ist der Sitz des wichtigsten endogenen zirkadianen Schrittmachers und ist somit ein wichtiger Koordinator des Schlaf-Wach-Rhythmus. Um physiologische Prozesse mit dem Tag-Nacht-Rhythmus zu synchronisieren, muss unsere innere Uhr Veränderungen im Umgebungslicht wahrnehmen können. Diese Information erhält der SCN von Ganglienzellen der Retina. Der SCN reguliert unter anderem die Produktion des schlaffördernden Neurohormons Melatonin. Die Melatoninsynthese steigt, wenn das Umgebungslicht abnimmt und erreicht zwischen 2 und 4 Uhr nachts sein Maximum. Ausserdem projiziert der SCN zu angrenzenden Regionen im Hypothalamus, die in die Steuerung der zirkadianen Regulation vieler physiologischer Prozesse wie etwa der Körperkerntemperatur, Aktivitätsrhythmen, Blutdruck sowie der Hormonsekretion involviert sind. Ein Entfernen des SCN kann dramatische Folgen haben und kann zu einem Verlust des zirkadianen Rhythmus von Schlaf- und Wachzuständen führen.

 

Thalamus

Der Thalamus wird auch als «Tor zum Bewusstsein» bezeichnet, da durch ihn beinahe alle sensorischen (afferenten) Eingänge laufen. Eine Eigenschaft der Neurone, die vom Thalamus zum Cortex projizieren ist, dass sie sich in einem von zwei stabilen Zuständen befinden können (Abbildung 12.4): 1. ein tonisch aktiver Zustand und 2. ein intrinsischer oszillatorischer Zustand

  1. Im tonisch aktiven Zustand leiten thalamo-cortikale Neurone eintreffende sensorische Signale, die aus der Umwelt kommen (Auge, Ohr, Haut, …) an den Cortex zur Endverarbeitung der Information weiter.
  2. Im oszilierenden Modus generieren dieselben Neurone, rhythmisch-oszillatorische Entladungssalven, die eine getreue Signalweiterleitung an den Cortex weitgehend verhindern und die typischen langsamen Schlafwellen im EEG bedingen. Wenn das EEG langsamwellig ist und hohe Amplituden zeigt, ist die Entkopplung des Cortex von der Aussenwelt maximal. Der oszillierende Zustand kann durch Aktivität im ARAS (sowie den anderen oben beschriebenen Hirnstammregionen) in den tonisch aktiven Zustand (1) überführt werden.

Abbildung 12.4 – Darstellung des tonisch aktiven bzw. oszillierender Modus thalamokortikaler Neurone im Thalamus sowie die korrespondierende kortikale Aktivität beobachtbar im EEG. Quelle: eigene Darstellung 2020.

12.3 – Wachheit und Aufmerksamkeit

Auch im Wachzustand können verschiedene Zustände unterschieden werden. Wir können unaufmerksam, schläfrig, entspannt oder aber aufmerksam sein. Wir können unsere Aufmerksamkeit bestimmten Umweltreizen oder internalen Repräsentationen zuwenden oder diese ignorieren – beispielsweise, wenn sie irrelevant sind oder es sich um Störreize handelt. Aufmerksamkeit wird oft als «begrenzte Ressource» oder «Flaschenhals» bei der Verarbeitung im Gehirn bezeichnet. Der Begriff selektive Aufmerksamkeit wird verwendet, um zu betonen, dass sie dazu dient, unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte, Orte oder internale Repräsentationen auszurichten – im Gegensatz zum allgemeinen Aktivitätszustand der eher unspezifisch ist. Die Selektionsfunktion der Aufmerksamkeit wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt eine grosse Menge von Reizen auf unsere verschiedenen Sinnesorgane einwirkt. Wir werden uns aber nur eines kleinen Ausschnitts aus dieser Informationsmenge bewusst bzw. nur ein kleiner Teil dieser Informationsflut bestimmt unsere fortlaufende Interaktion mit der Umwelt. Unser Gehirn muss also aus der Gesamtmenge der eingehenden Information (sowie der im Gedächtnis gespeicherten Information) ständig die relevanten Informationen auswählen, um effizientes und störungsfreies Handeln zu ermöglichen. Diese Aufmerksamkeitsausrichtung kann auf zwei unterschiedliche Arten gesteuert werden – automatisiert (= bottom-up) oder kontrolliert (= top-down).

12.3.1 – Reizgesteuerte vs. kontrollierte selektive Aufmerksamkeit: Bottom-up vs. Top-down

Unser Gehirn muss in der Lage sein zu bestimmen, was verhaltensrelevant sein könnte und was ohne Bedenken ignoriert werden kann. Die von einem Sinnesorgan aufgenommenen Reize werden hierfür zunächst für einige Millisekunden in einem sensorischen Speicher gehalten (sensorisches Gedächtnis). Dort wird ein Erkennen der wesentlichen Merkmale sowie ein Vergleichs- und Bewertungsprozess durchgeführt. Es wird geprüft, ob das ankommende Reizmuster mit den im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen desselben Sinneskanals übereinstimmt.

Bottom-up Prozesse

Wenn ein ankommender Reiz in ein gespeichertes Reiz-Reaktions-Muster passt, beispielsweise bei geübten Aufgaben wie Autofahren, kommt es zu einer automatischen (bottom-up) Aufmerksamkeitsausrichtung. Diese beruht fast ausschliesslich auf den Reizinformationen, ist also reizgesteuert. Ein Beispiel für diese Art der Aufmerksamkeitsausrichtung stellen hoch automatisierte Reize dar: Sie ziehen die Aufmerksamkeit automatisch auf sich. Die Reaktion auf den Reiz wird in der Regel dann automatisch getriggert, das heisst ohne Intention, ohne (oder mit nur wenig) fokussierter Aufmerksamkeit und ohne, dass sie mit anderen gerade ausgeführten Aktivitäten interferiert. Ein Beispiel für einen solchen Prozess wäre eine Person, die an einer roten Ampel stoppt. Ein weiteres Beispiel sind Reize, die salienter sind als andere. Ganz allgemein bedeutet Salienz Auffälligkeit und kann sich auf unterschiedlichste Merkmale eines Reizes beziehen. Ein Reiz ist beispielsweise salient, wenn er aufgrund eines Merkmals im Vergleich zu den Reizen in seiner Umgebung heraussticht (z.B. ein roter Apfel unter grünen Äpfeln). Es können aber auch Stimuli oder Ereignisse sein, die für uns anderweitig bedeutungsvoll sind, wie etwa Reize, die emotional oder motivational bedeutsam sind.

Abbildung 12.5 – Zwei Formen der Aufmerksamkeitsausrichtung: bottom-up vs. top-down. Quelle: Eigene Darstellung 2020

Top-down Prozesse

Unser Gehirn kann aber auch die Aufmerksamkeit kontrolliert auf ein Objekt oder einen Ort lenken, um gezielt einem Verhalten zu dienen. Wir können beispielsweise ganz gezielt unsere Aufmerksamkeit auf Strassenschilder richten, um aktiv nach einer Strasse zu suchen, in die wir abbiegen wollen (oder aber auf das Bild in Abbildung 12.5, um Homer Simpson zu entdecken). In diesem Fall spricht man von top-down Aufmerksamkeit – das heisst man startet bei höheren kognitiven Prozessen und nicht bei den Reizen in der Umwelt. Es kommt zu einer gezielten Zuwendung der Aufmerksamkeit auf die Reizsituation, wie wenn man etwa ein Scheinwerferlicht steuert. Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf eine Veranstaltung mit vielen Menschen. Für gewöhnlich können Sie Ihre Aufmerksamkeit trotz der Umgebungsgeräusche und anderen Gesprächen auf eine Unterhaltung fokussieren und diese bevorzugt verarbeiten. Meist geben unsere Augen an, was im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit steht – wir schauen beispielsweise unseren Gesprächspartner an. Wir können unsere Aufmerksamkeit aber auch verdeckt auf einen anderen Ort im Raum lenken (wir schauen zwar jemanden an, hören aber möglicherweise bei einem anderen Gespräch zu).

Im Gegensatz zu bottom-up Prozessen benötigen top-down Prozesse fokussierte Aufmerksamkeit und sind konzeptuell getrieben. Das heisst, sie stützen sich auf das Nutzen von Informationen, die im Gedächtnis gespeichert sind, inklusive der Erwartungen, die bezüglich der aktuellen Aufgabe bestehen. Begeben wir uns nochmal zurück auf die Suche nach dem richtigen Strassenschild: Sie werden das «mentale Scheinwerferlicht» fokussiert über die unterschiedlichen Strassenschilder bewegen, die sie sehen – bis Sie den Strassennamen gefunden haben, den Sie erwarten zu finden.

Exkurs – Unaufmerksamkeit: Limitation der selektiven Aufmerksamkeit

Limitationen unserer Verarbeitung zeigen sich, wenn die Mechanismen der selektiven Aufmerksamkeit überlastet sind. Diese manifestieren sich in Phänomenen wie der Veränderungsblindheit und Unaufmerksamkeitsblindheit.

Veränderungsblindheit

Selbst auffällige Veränderungen eines Objekts oder Objektmerkmals werden übersehen, wenn der Fokus der Aufmerksamkeit während der Veränderung nicht auf den sich verändernden Teil ausgerichtet ist. Veränderungen werden beispielsweise auch dann übersehen, wenn zwischen zwei Bildern, die nacheinander an derselben Position dargeboten werden kurzzeitig ein leeres (z.B. weisses) Bild präsentiert wird.

Unaufmerksamkeitsblindheit

Wenn wir eine schwierige Aufgabe, für die selektive Aufmerksamkeit erforderlich ist, unter Zeitdruck durchführen müssen, so sind wir nicht in der Lage, ein unerwartet dargebotenes zusätzliches Objekt oder Ereignis zu identifizieren (denken Sie an den Gorilla aus der Vorlesung :)).

12.3.2 – Hirnareale, die bei der Steuerung der selektiven Aufmerksamkeit eine Rolle spielen

Mittels der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) kann untersucht werden, welche Hirnregionen aktiv sind, wenn wir bestimmte Aufgaben durchführen. So kann man beispielsweise auch untersuchen, welche Hirnregionen bei der Aufmerksamkeitssteuerung eine Rolle spielen. Zahlreiche solcher bildgebenden Studien haben Netzwerke im Gehirn identifiziert, die eine wichtige Rolle beim Steuern des Aufmerksamkeitsspotlights spielen. Je nachdem, ob wir unsere Aufmerksamkeit zielgerichtet auf relevante Objekte richten (top-down) oder ob Reizeigenschaften wie etwa die Salienz (bottom-up) die Aufmerksamkeitsausrichtung lenken, sind unterschiedliche Areale aktiv.

Top-down-Kontrolle von Aufmerksamkeitsprozessen

Wenn wir gezielt unsere Aufmerksamkeit steuern, sind vor allem der obere (dorsale) posteriore Parietalcortex sowie frontale Regionen wie das frontale Augenfeld aktiv. Dieses dorsale Netzwerk lenkt unsere Aufmerksamkeit bewusst durch den Raum.

Bottom-up-gesteuerte Aufmerksamkeitsprozesse

Wenn potentiell wichtige und verhaltensrelevante sensorische Reize (wie etwa plötzliche Bewegungen oder eine rote Ampel) unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist vor allem ein ventrales Netzwerk aktiv, das den unteren Frontalcortex sowie den unteren Parietal-/Temporalcortex umfasst. Dieses Netzwerk scheint momentan ablaufende Hirnaktivität zu unterbrechen, wenn ein Reiz entdeckt wird, der wichtig sein könnte und auf den die Aufmerksamkeit gerichtet werden sollte.

12.3.3 – Die besondere Rolle der rechten Hemisphäre

Neben bildgebenden Studien mit gesunden Teilnehmenden, liefern auch Patienten mit Schädigungen bestimmter Hirnregionen –  wie etwa nach einem Schlaganfall – wichtige Informationen darüber, welche Hirnregionen für bestimmte Funktionen wichtig sind. Patienten, die eine Schädigung des rechten ventralen Aufmerksamkeitsnetzwerks (unterer Parietal-/Temporalcortex, unterer Frontalcortex) aufweisen, leiden häufig an einem Störungsbild, das man räumlichen Neglect oder Hemineglect nennt (Abbildung 12.6). Bei diesem Störungsbild scheint es, wie wenn die Aufmerksamkeit der Person an den Reizen des rechten visuellen Feldes kleben bleibt und zwar vor allem bei reizgesteuerten, bottom-up Aufmerksamkeitsprozessen. Im alltäglichen Leben kann sich dies darin äussern, dass diese Personen beispielsweise nur von der rechten Seite des Tellers essen, nur die rechte Hälfte ihres Gesichts rasieren oder aber nur Personen zu ihrer rechten Seite beachten. Die besondere Bedeutung der rechten Hirnhälfte zeigt sich darin, dass Patienten, bei denen ähnliche Hirngebiete auf der linken Seite beschädigt sind, nur sehr selten diese Neglect-Symptome zeigen.

Abbildung 12.6 – Links: gemeinsame Läsionsareale in der rechten Gehirnhälfte von Patienten, die die Diagnose Hemineglect erhielten. Quelle: Maurizio Corbetta & Gordon L. Shulman Annu Rev Neurosci, 2011, 34, 569-599 Rechts: eine Zeichnung (rechts), die eine Person mit Hemineglect von einer Vorlage (links) abgezeichnet hat. Die linke Seite der Vorlage wird deutlich vernachlässigt. Bryan Kolb & Ian Wishaw, Fundamentals of Human Neuropsychology, 6. Auflage, Palgrave Macmillan, 2008, S. 358.

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Anatomie & Physiologie I - Neurophysiologie Copyright © Maria Willecke und Sarah Meissner. Alle Rechte vorbehalten.

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