Der Geruchssinn verstärkt das Aroma und den Genuss vieler Nahrungsmittel. Er kann uns aber auch vor verdorbenen Essen oder vor anderen Gefahren, wie etwa vor Feuer, warnen. Dabei beeinflussen Düfte Gefühle und können sehr leicht Erinnerungen hervorrufen.
Lernziel
- Sie kennen die Anatomie und Funktion des Riechepithels
- Sie können die Mechanismen der Geruchstransduktion und der Adaptation in den Riechzellen erläutern.
- Sie kennen die Besonderheiten in der Expression der Geruchsrezeptoren.
- Sie verstehen die Bedeutung von Geruchsbildern.
11.1 – Das Geruchsorgan
Wir riechen nicht mit unserer Nase, sondern mit einer kleinen, dünnen Zellschicht, die sich ganz oben in der Nasenhöhle befindet und die man als Riechepithel bezeichnet. Sie erzeugt eine dünne Deckschicht aus Schleim in der sich chemische Reize, die als Duftstoffe wirken, lösen, bevor sie die Geruchsrezeptoren in den Riechzellen erreichen. Riechzellen besitzen einen einzigen dünnen Dendriten, der in einer kleinen Verdickung an der Epitheloberfläche endet. Von dort gehen mehrere lange dünne Cilien aus. Duftstoffe, die im Schleim gelöst sind, binden an die Oberfläche der Cilien und lösen dort den Transduktionsprozess aus. An der entgegengesetzten Seite der Riechzelle befindet sich ein dünnes Axon. Die Geruchsaxone zusammen bilden den Riechnerv. Sie finden sich aber nicht wie andere Hirnnerven zu einem einzigen Bündel zusammen. Stattdessen durchdringen kleine Axongruppen nach Verlassen des Epithels eine dünne Knochenschicht, die man als Siebplatte bezeichnet, und ziehen dann direkt zum Riechkolben (ein Bestandteil des Riechhirns) weiter. Riechzellen wachsen, sterben und regenerieren sich ständig aus Basalzellen. Tatsächlich gehören Riechzellen zu den sehr wenigen Neuronentypen im Nervensystem, die während des gesamten Lebens regelmässig ersetzt werden.
Nutzen Sie die Information aus dem Text um das Bild richtig zu beschriften. Sie können die Übung oben rechts vergrössern.
11.2 – Geruchstransduktion
Die Bindung eines passenden Geruchsmoleküls setzt in der Riechzelle eine Second-Messenger-Kaskade in Gang, die dazu führt, dass Natrium- und Calciumkanäle geöffnet werden und Natrium- und Calciumionen aus der Schleimschicht in die Cilien hinein fliessen. Durch den Einstrom der positiv geladenen Ionen kommt es zur Depolarisation der Riechzelle. Dieses Rezeptorpotential erzeugt im Axon der Riechzelle Aktionspotentiale, die zum Riechkolben laufen.
Gleichzeitig wird ein Prozess in Gang gesetzt, der dazu führt, dass die Riechzelle adaptiert. Das einströmende Calcium bindet an Chloridkanäle in der Membran der Riechzelle und öffnet sie. Da die Zelle in einer Ruhephase aktiv Chloridionen ins Zellinnere transportiert, strömen die Chloridionen nun durch die geöffneten Kanäle nach aussen. Durch den Verlust der negativ geladenen Chloridionen wird das Zellinnere noch positiver und die Riechzelle depolarisiert weiter. In diesem Zustand kann sie nicht erneut von einem äusseren Geruchsreiz erregt werden. Auch wenn wir es kaum bemerken, reagieren unsere Riechzellen nur kurz auf ein Geruchsmolekül. Wenn ein Hund zum Beispiel einer Fährte folgt, dann lässt er seine Nase über diese hin und her pendeln. So kann er seine Riechzellen immer wieder reaktivieren. Auf der Fährte schnüffelt und prüft er die Intensität des Duftes, neben ihr reinigt er seine Nase durch Ausatmen und macht so seine Riechzellen wieder empfindlich.
11.3 – Verschaltung der Geruchsrezeptoren
Unser Genom besitzt rund 350 funktionsfähige Geruchsrezeptorgene, die für relativ ähnlich aufgebaute Geruchsrezeptoren kodieren. Die Geruchsrezeptoren weisen jedoch kleine Unterschiede auf, die einen gewissen Grad an Selektivität zwischen den unterschiedlichen Duftstoffen ermöglichen. Die meisten Rezeptoren zeigen eine Vorliebe für eine Gruppe von Substanzen, auf welche sie dann am empfindlichsten reagieren. Gibt man aber andere Duftstoffe in höheren Konzentrationen hinzu, reagieren diese Zellen ebenfalls.
In jeder Riechzelle wird nur ein einziger Typ von Geruchsrezeptoren exprimiert. Dieser Rezeptor entscheidet nicht nur darüber, welchen Duftstoff die Zelle am besten erkennen kann, sondern er legt auch fest, wo das Axon der Riechzelle die Information im Gehirn abliefern muss. Duftinformation ist die einzige sensorische Information die nicht im Thalamus verarbeitet wird, sondern direkt den Riechkolben (bulbus olfactorius) erreicht, der ein wichtiger Bestandteil des Riechhirns ist. Die Axone aller Riechzellen, die denselben Rezeptortyp tragen, werden in einem Glomerulus im Riechkolben zusammengefügt. In jedem Glomerulus laufen die Enden von vielen 1000 Riechzellen zusammen, wo sie dann Synapsen mit etwa 100 sekundären Geruchsneuronen bilden. Wie bereits erwähnt, erhält dabei jeder Glomerulus nur Eingänge von Geruchsrezeptorzellen, die den gleiche Rezeptor exprimieren. Die Axone dieser Geruchsrezeptorzellen (=Riechzellen) konvergieren in einem Glomerulus auf eine einzige Mitralzelle, welche die Information zu anderen Gebieten der Grosshirnrinde weiterleitet.
11.4 – Geruchsbilder
Die einzelnen Rezeptoren reagieren auf Geruchsmoleküle mit abgestufter Selektivität. Das führt dazu, dass jede Zelle auf viele verschiedene chemische Verbindungen reagieren kann. Wie der Geschmackssinn beruht auch das Geruchssystem auf den Antworten einer grossen Population von Nerven, um einen spezifischen Reiz zu kodieren. Wenn das Gehirn die Aktivität aller Glomeruli zusammen betrachtet, bildet sich eine Art grafische Abbildung dessen, was sich in der Nase an Duftstoffen aufhält- ein Geruchsbild. Man kann sich dieses Bild wie ein Gemälde vorstellen. Jeder einzelne Strich stellt, alleine betrachtet, kaum etwas Erkennbares dar. Im Gesamteindruck sieht man aber seine Bedeutung; er zeigt eine Landschaft mit vielen Details. So setzt sich auch das Geruchsbild aus den mehr oder weniger starken Aktivitäten der Glomeruli zusammen. Die Aktivität eines einzelnen Glomerulus ist ungenau. Aber das ganze Bild, zusammengesetzt aus den mehr oder weniger starken Reaktionen hunderter unterschiedlicher Glomeruli, vermittelt einen präzisen Eindruck und identifiziert einen Geruch sehr genau.
Das Riechsystem analysiert ausschliesslich die Bedeutung und nicht die Einzelkomponenten eines Geruchs. Wenn wir etwas riechen, beschäftigt sich unser Gehirn nur mit den Fragen „Was kann das sein?“ und „Ist das etwas Gutes oder etwas Schlechtes?“. Es fragt aber nicht nach der chemischen Zusammensetzung eines Geruchs. Es bewertet die sensorische Wahrnehmung danach, ob sie uns gefällt oder nicht. Wir können nicht teilnahmslos riechen. Die emotionale Bewertung von Sinnesinformationen findet in der Amygdala statt. Interessanterweise sind die chemischen Sinne (Geschmack und Geruch) die einzigen Sinnesmodalitäten mit einem direkten Draht zur Amygdala (ohne Beteiligung des Thalamus). Die direkte Verbindung zur Amygdala zeigt, wie wichtig die emotionale Bewertung von Gerüchen ist.
Exkurs – Das olfaktorische System des Menschen im Vergleich
Die Entstehung von Buttersäure ist ein Zeichen von Fäulnis und dient als Warngeruch. Hunde nehmen Buttersäure bereits ab einer Konzentration von 1.3 x 10^-18 mg/L war, der Mensch erst ab 0,009 mg/L. Trotzdem ist der Geruchssinn des Menschen gar nicht so schlecht. Menschen können beispielsweise ebenfalls einer Duftspur auf dem Boden folgen. Wenn diese Aufgabe regelmässig geübt wird, vergrössert sich die mittlere Geschwindigkeit der Spur zu folgen, wohingegen sich die Abweichung von der Geruchsspur verringert. Im Alter wird der Geruchssinn schlechter. Aus 90 verschiedenen Gerüchen können junge Personen (Alter zwischen 20 und 30) ungefähr 70 erkennen, ältere Personen (über 70) erkennen nur noch ca. 30 verschiedene Gerüche.