Hören ist eine Analyse der uns umgebenden Luftbewegungen. Unsere Ohren sind zur Luft hin geöffnet und versuchen, aus dem Zustand der Luft Informationen zu gewinnen. Dabei gelingt es dem Gehirn aus dem chaotische Mix von Schallwellen, die unser Ohr erreichen, Töne, Musik, Sprache und Geräusche zu unterscheiden.
Lernziele
- Sie können die Eigenschaften von Schallwellen beschreiben und kennen verschiedenen Schallereignisse.
- Sie können das Prinzip der Impedanzanpassung im Mittelohr erläutern.
- Sie kennen die Cochlea und die tonotope Organisation der Basilarmembran.
- Sie können den Aufbau des Corti-Organs beschreiben.
- Sie kennen die Verstärker-Funktion der äusseren Haarzellen.
- Sie können den Prozess der Umkodierung einer Flüssigkeitsbewegung in eine Aktionspotentialfrequenz an den inneren Haarzellen beschreiben.
- Sie kennen die Mechanismen, die räumliches Hören ermöglichen.
7.1 – Schallwellen
Schallwellen sind hörbare Luftdruckschwankungen. Fast alles, was Luftmoleküle in Bewegung versetzen kann, ist in der Lage, Töne, Klänge oder Geräusche hervorzurufen. Wenn sich ein Objekt auf ein Luftvolumen zubewegt, drückt es die Luft zusammen und verdichtet die Moleküle. Wenn sich ein Objekt dagegen entfernt, nimmt die Dichte der Luftmoleküle in dem betrachteten Volumen ab. Viele Schallquellen, zum Beispiel eine schwingende Saite oder ein Lautsprecher, der den Klang eines Saiteninstruments wiedergibt, rufen regelmäßige Luftdruckveränderungen hervor. Die Entfernung zwischen zwei benachbarten Wellenbergen (eine Wellenlänge) wird als Schallzyklus bezeichnet. Die Schallfrequenz, ausgedrückt in Hertz (Hz), entspricht der Anzahl der verdichteten oder verdünnten Luftvolumina, die das Ohr pro Sekunde erreichen, beziehungsweise der Anzahl Zyklen pro Sekunde.
Unser Gehör kann Schallwellen über einen Frequenzbereich von 20 bis 20.000 Hz registrieren. Ob ein Ton als hoch oder tief wahrgenommen wird, also welche Tonhöhe er hat, hängt von seiner Frequenz ab. Um die Frequenz mit vertrauten Beispielen zu verknüpfen: Der raumfüllende tiefe Ton einer Orgel hat eine Frequenz von etwa 20 Hz, ein durch Mark und Bein gehender Ton einer Piccoloflöte etwa 10.000 Hz. Eine weitere wichtige Eigenschaft einer Schallwelle ist ihre Stärke oder Intensität, die der Druckdifferenz zwischen verdichteten und verdünnten Luftvolumina entspricht. Die Schallintensität bestimmt die Lautstärke, die wir wahrnehmen: Laute Töne haben eine höhere Schallintensität als leise.
Welche Schallwelle entspricht einem hohen Ton und welche Schallwelle entspricht einem lauten Ton? Ziehen Sie die Textboxen an die entsprechenden Stellen im Bild
Die Geräusche der realen Welt bestehen selten aus einfachen periodischen Schallwellen einer einzigen Frequenz und Stärke. Unterschiedliche Schallereignisse führen zu verschiedenen Formen von Schallwellen.
Ton
Der Ton ist eine sinusförmige Welle, die aus nur einer einzigen Frequenz besteht. Solch ein Ton ist in der Natur sehr selten anzutreffen und wird vor allem in der Klinik verwendet, um das Hörvermögen zu testen.
Klang
Ein Klang besteht aus einem Grundton und wird von anderen Ober- und Untertönen begleitet, die ein Vielfaches des Grundtons sind. Die Musik besteht nicht aus reinen Tönen sondern aus Klängen.
Geräusch
Das Geräusch treffen wir am meisten im Alltag an. Es umfasst alle möglichen Frequenzen in unterschiedlichem Ausmass.
Eine Schallwelle breitet sich, beginnend von der Schallquelle, kugelförmig aus. Der Energiegehalt der Welle wird mit steigender Entfernung von der Schallquelle immer geringer – die Welle wird gedämpft. Erreicht sie aber mit genügend Restenergie unsere Ohren, dann werden die Luftpartikel im Gehörgang in gleicher Weise in Schwingungen versetzt, wie in der umgebenden Luft: Die Welle durchläuft den Gehörgang. Am Ende prallt die Schallwelle auf das Trommelfell, welches ausgelenkt wird und die Energie durch die Mittelohrknochen Hammer, Amboss und Steigbügel auf das Innenohr überträgt.
Bau des auditorischen Systems
Das Ohr besteht aus drei Hauptteilen: Dem Aussenohr, dem Mittelohr und dem Innenohr. Das Aussenohr besteht aus der Ohrmuschel und dem Gehörgang. Seine Aufgabe ist es den Schall einzufangen und zum Mittelohr zu leiten. Das Mittelohr besteht aus dem Trommelfell und drei Knochen, die sich in der Paukenhöhle befinden: dem Hammer, Amboss und Steigbügel. Diese sind beweglich miteinander verbunden. Ihre Aufgabe ist es den Schall, der vom Trommelfell aufgenommen wurde, zum Innenohr weiter zu leiten und dabei die mechanische Energie in Flüssigkeitsbewegungen in der Cochlea des Innenohrs umzuwandeln. Das Innenohr besteht aus der Cochlea und den Bogengängen. Wichtig für das Gehör ist aber nur die Cochlea. Hier werden die Druckunterschiede der Schallwellen in elektrische Signale umgewandelt.
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7.2 – Verstärkung des Schalldrucks durch die Gehörknöchelchen
Die Schallwellen lenken über das Trommelfell und die Gehörknöchelchen die Membran am ovalen Fenster aus. Warum aber ist das Ohr nicht so gebaut, dass die Schallwellen die Membran am ovalen Fenster direkt beeinflussen? Das Problem ist, dass die Cochlea nicht mit Luft, sondern mit Flüssigkeit gefüllt ist. Schall breitet sich zwar in beiden Medien aus, aber die unterschiedlichen Materialeigenschaften verursachen einen Unterschied in der sogenannten Impedanz, welche der Schallwellenausbreitung entgegenwirken. Wenn der Unterschied der Impedanz sehr gross ist, wird der Schall praktisch reflektiert. Zum Beispiel ist die Impedanz von Wasser ca. 3000-mal grösser als die von Luft. Dieser grosse Unterschied führt dazu, dass wir unter Wasser nicht gut hören was ausserhalb des Wassers passiert, da nur ca. 2% der Schallwellen von der Luft ins Wasser gelangen.
Um eine Flüssigkeitsbewegung in der Cochlea zu erzeugen ist ein höherer Druck erforderlich, als Luftschwingungen ihn liefern können. Die Gehörknöchelchen sorgen für die nötige Verstärkung des Drucks. Um diesen Prozess zu verstehen, muss man die Definition von Druck berücksichtigen. Der Druck auf eine Membran ist definiert als die auf die Membran ausgeübte Kraft geteilt durch ihre Fläche.
- Die Gehörknöchelchen wandeln die Bewegung der Schallwellen in kleinere, aber stärkere Schwingungen des ovalen Fensters um. So erwirken sie eine grössere Kraft.
- Ausserdem ist die Fläche des ovalen Fensters kleiner als die Fläche des Trommelfells, dadurch kommt es ebenfalls zu einer Druckerhöhung.
Auf diese Weise führen die Gehörknöchelchen dazu, dass der Druck am ovalen Fenster 20-mal höher ist als am Trommelfell. Eine solche Verstärkung reicht aus, um die Flüssigkeit in der Cochlea in Bewegung zu setzen.
7.3 – Anatomie der Cochlea
Das Innere der Cochlea ist in drei übereinanderliegende flüssigkeitsgefüllte Kanäle unterteilt. Sie heissen von oben nach unten: Scala vestibuli, Scala media und Scala tympani. Die Reissner-Membran trennt die Scala vestibuli von der Scala media, die Basilarmembran die Scala media von der Scala tympani. Auf der Basilarmembran sitzt das Corti-Organ, es enthält Haarzellen, die die Druckunterschiede der Schallwellen in elektrische Signale umwandeln. Über diesem Organ liegt die Tektorialmembran. Die Scala vestibuli und tympani sind beide mit Perilymphe gefüllt; Eine Flüssigkeit, die der extrazellulären Flüssigkeit sehr ähnelt und viel Na+ enthält. Die Scala media ist mit Endolymphe gefüllt, welche reich an K+ ist.
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Die Cochlea ist wie ein Schneckenhaus spiralförmig gewunden. An ihrer Basis befinden sich zwei membranbedeckte Öffnungen: das ovale Fenster, das, wie bereits erwähnt, direkt unter der Steigbügelplatte liegt, und das runde Fenster. An der Spitze der Cochlea ist die Scala media, blind geschlossen, und die Scala tympani geht an einer Öffnung in der Membran, dem Helicotrema, in die Scala vestibuli über. An der Basis der Cochlea trifft die Scala vestibuli auf das ovale Fenster, die Scala tympani hingegen auf das runde Fenster. Zur Vereinfachung der Darstellung der physiologischen Vorgänge in der Cochlea ist die Scala media in dieser Abbildung (7.5), in der nächsten Abbildung (7.6 ) und in der nächsten Übung nicht dargestellt.
7.4 – Physiologie der Cochlea
Durch die Bewegung des Steigbügels wird die Membran des ovalen Fensters ausgelenkt. Eine Auslenkung der Membran nach innen drückt auf die Perilymphe in der Scala vestibuli. Der erhöhte Flüssigkeitsdruck am ovalen Fenster wandert als Druckwelle die Scala vestibuli entlang, tritt durch das Helicotrema und wandert zurück durch die Scala tympani zum runden Fenster. Auf ihrem Weg durch die Scala vestibuli lenkt die Druckwelle die Basilarmembran aus. Die Basilarmembran der Cochlea ist an der Spitze breiter und an der Basis schmaler. Zusätzlich nimmt die Steifigkeit der Membran von der Basis zur Spitze hin ab. Diese Bauweise ermöglicht es, dass die Basilarmembran beim Hören eines Tones an einer bestimmten Stelle besonders stark ausgelenkt wird. Hohe Töne verursachen diese starke Auslenkung am unteren Ende der Cochlea, nahe dem ovalen Fenster, tiefe Töne am oberen Ende, nahe der Cochleaspitze. Je nach Tonhöhen (Frequenz), reagieren also unterschiedliche Stellen der Basilarmembran besonders stark. Eine solche räumliche „Karte“ der Tonhöhen nennt man Tonotopie.
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7.5 – Verstärkung von Vibrationen durch die äusseren Haarzellen
Die durch die wandernde Druckwelle erzeugten lokalen Vibrationen sind winzig. Damit wir etwas hören können muss zu den passiven Vibrationen der Basilarmembran noch ein aktiver Verstärkungsprozess hinzukommen. Dies ist die Funktion der äusseren Haarzellen. Die äusseren Haarzellen ziehen sich in drei Reihen durch das gesamte Corti-Organ. Sie werden äussere Haarzellen genannt, weil sie in der Nähe der Aussenwand der Scala media angeordnet sind. Die äusseren Haarzellen tragen einen Schopf aus Sinneshärchen an ihrer Oberseite (Stereocilien) mit denen sie die lokale Vibration der Basilarmembran detektieren. Dies geschieht, indem sich die vibrierende Basilarmembran mitsamt den Haarzellen relativ zur Tektorialmembran, die dem gesamten Corti-Organ aufliegt, leicht verschiebt. Es kommt zu einer Scherung zwischen Tektorialmembran und Haarzellen und dadurch zur Auslenkung der Sinneshärchen. So entsteht ein elektrisches Signal in den Haarzellen, das eine blitzschnelle Reaktion auslöst: Die äusseren Haarzellen ändern ihre Länge und verstärken die Vibration ungefähr 1000-fach. Erst durch diese mechanische Verstärkung gehen die Bewegungen im Corti-Organ in einen messbaren Bereich über.
7.6 – Transduktion des Signals durch die inneren Haarzellen
Ein Ton hat die Basilarmembran an einer bestimmten Stelle zur Vibration gebracht, welche dann von den äusseren Haarzellen verstärkt worden ist. Das Resultat ist eine Scherbewegung zwischen den Haarzellen und der darüberlegenden Tektorialmembran. In dem schmalen Spalt dazwischen erzeugt diese Scherbewegung eine Flüssigkeitsströmung. Diese Flüssigkeitsströmung wird nun von den inneren Harzellen gemessen. An ihrer Oberfläche enthalten sie Stereocilien, die abgestuft nebeneinander angeordnet sind. Jede Stereocilie ist durch einen Proteinfaden, der tip-link genannt wird, mit der Wand der benachbarten Stereocilie verbunden. Über die tip-links können Ionenkanäle auf der benachbarten Stereocilie beeinflusst werden. Wenn die Stereocilien aufrecht stehen, hält die mechanische Spannung am tip-link den Kanal in einem teilweise geöffneten Zustand, sodass ein wenig K+ aus der Endolymphe in die Haarzelle einwandern kann. Eine Auslenkung der Stereocilie in die eine Richtung erhöht die Spannung am tip-link und damit auch den K+-Einstrom. Eine Auslenkung in die entgegengesetzte Richtung senkt die Spannung am tip-link, sodass sich der Kanal vollständig schliessen kann und der K+-Einstrom völlig zum Erliegen kommt. Der Einstrom von K+ in die Haarzelle führt zu einer Depolarisation, die wiederum spannungsgesteuerte Calciumkanäle aktiviert. Das Eindringen von Ca2+ löst die Freisetzung eines Neurotransmitters aus den inneren Haarzellen aus. Der Neurotransmitter aktiviert Rezeptoren auf nachgeschalteten afferenten Neuronen des Hörnervs, die daraufhin Aktionspotentiale bilden.
7.7 – Kodierung im Hörnerv
Ein Ton wird auf mehrere Arten kodiert. Wie bereits beschrieben, ist die Cochlea tonotop aufgebaut, das heisst jede Ton-Frequenz versetzt nur einen ganz bestimmten Abschnitt der Basilarmembran in starke Schwingung, wodurch auch nur die Haarzellen dieses Abschnitts depolarisiert werden. Auch die Hörnervenfasern sind tonotop geordnet: Haarzellen die durch tiefe Frequenzen aktiviert werden erregen andere Hörnervenfasern als Harzellen die durch hohe Frequenzen aktiviert werden. Entsprechend aktivieren verschiedene Frequenzen die Fasern des Hörnervs an ganz spezifischen Orten. Wenn ein Reiz stärker wird, d.h. wenn die Amplitude der Schallwelle (auch Schalldruckpegel genannt) zunimmt, schwingt auch die Basilarmembran mit einer grösseren Amplitude, sodass das Membranpotenzial der aktivierten Haarzellen stärker depolarisiert wird. Infolgedessen steigt die Aktionspotenzialfrequenz an den Hörnervenfasern, mit denen die Haarzellen Synapsen bilden. Darüber hinaus produzieren stärkere Reize Auslenkungen der Basilarmembran über eine grössere Strecke, was zur Aktivierung von mehr benachbarten Haarzellen führt.
Die Signale, die von der Cochlea ausgehen, gelangen über den Hörnerv zum Hirnstamm. Bereits hier kommt es zu Querverbindungen der Nervenbahnen des rechten und des linken Ohres. Diese Verbindungen spielen eine wichtige Rolle für das Richtungshören.
7.8 – Räumliches Hören
Um festzustellen, aus welcher Richtung wir einen Schall wahrnehmen, werden die Information von beiden Ohren verglichen. Die Schallwelle braucht eine gewisse Zeit, um sich von einer Seite des Kopfes zur anderen auszubreiten. Diese Zeitdifferenz wird genutzt, um zu berechnen auf welcher Seite sich die Schallquelle befindet. Ausserdem wirft der Kopf einen Schallschatten, der zu einem Intensitätsunterschied führt, den wir zur Schallortung nutzen können. Wenn sich die Schallquelle direkt vor, über oder hinter uns befinden, dann können wir den Vergleich der beiden Ohren nicht nutzen, da beide Ohren das Gleiche registrieren. Die Form unserer Ohrmuschel führt aber dazu, das dieser Schall unterschiedlich reflektiert wird. Wenn sich die Schallquelle in der Vertikalen bewegt, verändern sich die durch die Reflektion entstandenen Verzögerungen. Diese Unterschiede können genutzt werden, um vertikale Schallquellen zu orten.
Die Berechnung der Zeitdifferenz spielt sich in der oberen Olive im Hirnstamm ab. Trifft eine nicht-mittige Geräuschquelle auf unsere beiden Ohren, wird diese von einem Ohr früher registriert als vom anderen. Sobald ein Ohr die Geräuschquelle wahrnimmt, sendet es ein Aktionspotential zur oberen Olive, dessen Neurone sowohl eine Verbindung zur linken, wie auch zur rechten Cochlea haben. Diese Neurone werden nun von den Aktionspotentialen des rechten und linken Ohres zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt erreicht: feuert die linke Cochlea vor der rechten Cochlea (Geräusch kommt von links), werden die linken Neuronen der oberen Olive zuerst aktiviert. Kommt das Geräusch von rechts, werden die rechten Neuronen zuerst aktiviert. Das Neuron der oberen Olive, das beide Impulse gleichzeitig erhält, feuert am stärksten und gibt Auskunft über die exakte Position der Geräuschquelle.