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15 Spinalmotorik

In der grauen Substanz des Rückenmarks liegen die Zellkörper der unteren Motoneurone. Hier erhalten sie nicht nur Eingänge von den oberen Motoneuronen sondern auch von anderen Neuronen. Zusammengefasst gibt es drei wesentliche Quellen für die Eingänge der unteren Motoneurone.

  • Interneurone (bilden hemmende oder erregende Schaltkreise)
  • Sensorische Afferenzen (liefern Informationen aus der Peripherie)
  • Obere Motoneuronen (vermitteln Bewegungsimpulse von Hirnstamm und Cortex)

Abbildung 15.1 – Eingänge in die unteren Motoneurone. Quelle: Mark Bear et al.: Neurowissenschaften, 4.Auflage, Springer Spektrum, 2018, S 489

15.1 – Interneurone

Die Nervenbahnen des Rückenmarks sind über Interneurone miteinander verschaltet. Interneurone haben kurze Axone und können entweder hemmend oder erregend sein. Wie im Bild (Abbildung 15.2) gezeigt, können Interneurone in einfache Schaltkreise zwischen sensorischen Afferenzen und motorischen Efferenzen eingebunden sein. Sie können aber auch in kompliziertere Netzwerke eingebunden sein. Diese Netzwerke können zum Beispiel die Bewegungen der Extremitäten auf gegenüberliegenden Körperseiten koordinieren oder sie können übereinanderliegende Rückenmarkssegmenten funktionell miteinander verbinden.

Abbildung 15.2 – Interneuron. Quelle: Mark Bear et al.: Neurowissenschaften, 4.Auflage, Springer Spektrum, 2018, S 508, verändert.

Reflexe

Ein Reflex ist eine unwillkürliche, stets gleich verlaufende Antwort eines Organs (z.B. des Muskels), auf einen bestimmten Reiz (z.B. Dehnung). Reflexbögen des Rückenmarks bestehen aus (i) Sensoren (Rezeptoren) die Informationen über den afferenten Schenkel (sensorische Afferenz) zum Rückenmark hinführen, (ii) dem Reflexzentrum, d.h. Schaltkreise die durch Neurone des Rückenmarks geformt werden, und (iii) einem efferenten Schenkel (motorische Efferenz) welcher zum Effektor (Muskel) verläuft. Im Rückenmark sind die sensorischen Afferenzen entweder direkt oder über Interneurone mit der motorischen Efferenz verschaltet. Reflexe funktionieren autonom und somit unabhängig vom Gehirn. Sie werden allerdings trotzdem oft durch absteigende Bahnen von Hirnstamm und Cortex beeinflusst.

Abbildung 15.3 – Reflexbogen. Quelle: Eigene Darstellung 2020

Man unterscheidet Eigenreflexe von Fremdreflexen. Beim Eigenreflex liegen Sensor und Effektor im gleichen Organ. Sie sind einfach verschaltet, dass heisst, die sensorische Afferenz wirkt über eine oder zwei Synapsen auf die motorische Efferenz. Bei Fremdreflexen liegen Sensor und Effektor nicht im gleichen Organ. Hier ist die sensorische Afferenz über mehrere zwischengeschaltete Interneurone mit der motorische Efferenz verbunden.

15.2 – Muskeldehnungsreflex

Der Muskeldehnungsreflex ist ein Beispiel für einen Eigenreflex, da der Rezeptor (die sogenannte Muskelspindel) in dem Muskel liegt, der sich durch den Reflex kontrahiert. Der Muskeldehnungsreflex hält die Muskellänge entgegen unerwarteter Störungen konstant. Das ist beispielsweise wichtig für die aufrechte Haltung des Körpers entgegen der Schwerkraft. Wahrscheinlich ist Ihnen der dafür exemplarische Kniesehnenreflex bekannt: Der Arzt klopft zur Überprüfung des Kniesehnenreflexes mit einem Hammer auf die Kniescheibensehne unterhalb der Kniescheibe, woraufhin sich der Unterschenkel des Patienten nach vorne bewegt. Im Kapitel 5.1 Propriozeption haben Sie bereits die Muskelspindeln kennengelernt. Sie sind Rezeptoren des propriozeptiven Systems und messen die Dehnung der Muskeln. Muskelspindeln sind die Sensoren für den Muskeldehnungsreflex. Durch den Schlag mit dem Hammer dehnt sich der Muskel, was die sensorische Afferenz in der Muskelspindel aktiviert. Das Signal der sensorischen Afferenz wird im Rückenmark direkt auf ein unteres Motoneuron umgeschaltet und löst direkt eine Muskelkontraktion aus. Durch diese direkte Verschaltung ist der Muskeldehnungsreflex ein schneller Reflex.

Abbildung 15.4 – Der Muskeldehnungsreflex. Quelle: Mark Bear et al.: Neurowissenschaften, 4.Auflage, Springer Spektrum, 2018, S 502

15.3 – Gekreuzter Flexor-Extensor-Reflex

Die einfachen neuronalen Schaltkreise des Muskeldehnungsreflexes sind jeweils im gleichen Rückenmarksegment verschaltet und wirken auf das gleiche Organ. Es gibt aber auch komplizierte Verschaltungen, die über mehrere Rückenmarksegmente reichen oder die Muskeln der beiden Körperhälften koordinieren. Ein Beispiel für so einen Reflex ist der gekreuzte Flexor-Extensor-Reflex. Der gekreuzte Flexor-Extensor-Reflex ist ein Schutzreflex und vermittelt das Zurückziehen einer Extremität von einem schmerzhaften Reiz (zum Beispiel einer spitzen Nadel oder einer Flamme). Nozizeptoren bilden die Sensoren für diesen Reflex. Die in das Rückenmark eintretenden nozizeptiven Afferenzen verzweigen sich vielfach und aktivieren Interneurone in verschiedenen Abschnitten des Rückenmarks. Letztendlich erregen die Interneurone die unteren Motoneurone, welche sämtliche Beugemuskeln der betroffenen Extremität aktivieren, so dass die Extremität von dem schmerzhaften Reiz weggezogen wird. Das besondere an diesem Reflex ist, dass gleichzeitig auch die Muskeln auf der kontralateralen Seite kontrolliert werden. Damit man beim Zurückziehen des Beins das Gleichgewicht nicht verliert, werden auf der gegenüberliegenden Seite die Streckmuskeln aktiviert, sodass es gleichzeitig zum Beugen des Beines mit dem Schmerz und zum Strecken des anderen Beins kommt. Der gekreuzte Flexor-Extensor-Reflex ist ein Fremdreflex, da die Schmerzrezeptor in der Haut liegen, die Reflexantwort aber durch die Beugemuskeln der betroffenen Extremität vermittelt werden. Das heisst, Sensor und Effektor dieses Reflexes liegen in unterschiedlichen Organen.

Abbildung 15.5 – Verschaltung des gekreuzte Flexor-Extensor-Reflex. Quelle: Mark Bear et al.: Neurowissenschaften, 4.Auflage, Springer Spektrum, 2018, S 510

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Anatomie & Physiologie I - Neurophysiologie Copyright © Maria Willecke und Sarah Meissner. Alle Rechte vorbehalten.

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